Buchbesprechungen

Eurokrise ohne Ende

von Martin Hantke zu Andreas Wehr
März 2011

Andreas Wehr, Griechenland, die Krise und der Euro, PapyRossa, Köln 2010, 180 S., 12,90 Euro

Die Eurokrise geht auch im neuen Jahr weiter. Die Liste der Staaten, die in Zahlungsbilanzprobleme geraten, wird immer länger. Nach Griechenland im April und Irland im Oktober 2010 ist jetzt bereits die Rede von Portugal, Spanien, Italien und auch Belgien, die noch 2011 Hilfe aus dem Euro-Rettungsfond in Anspruch nehmen könnten. Die Konjunkturprognose dreier europäischer Wirtschaftsforschungsinstitute von Anfang Januar 2011 ergibt ein düsteres Bild: Für die Eurozone wird nur noch von einem minimalen Wachstum ausgegangen, verbunden mit einer Tendenz, die nach unten zeigt und auf eine lang anhaltende wirtschaftliche Stagnation deutet. Als Ursache werden vor allem die Kürzungsmaßnahmen in der Eurozone genannt.

Wer allerdings wirklich etwas über die Ursachen der Eurokrise wissen will, kommt an der Analyse von Andreas Wehr nicht vorbei. Der Anspruch des Buches, „nur eine vorläufige Momentaufnahme“ (10) sein zu wollen, ist angesichts der aktuellen Entwicklungen zu bescheiden gewählt. Die Stärke des Buches ist neben der Präsentation einer Fülle empirischer Belege, dass hier eine Analyse vorgelegt wird, die sich vom gewohnten linken Bild der Europäischen Union verabschiedet. Wehr schreibt zur europäischen Staatsschuldenkrise: „Es ist das Finanzkapital, das diese schuldenbasierte Ökonomie hervorbringt. Für die Durchsetzung seiner Interessen nutzt es die Staaten, in denen es jeweils beheimatet ist. Die Länder agieren als imperialistische Staaten, in dem sie miteinander im Interesse ‚ihres Kapitals‘ um Einfluss und Vorherrschaft kämpfen.“ (11) In der Folge widerlegt er den Mythos, dass transnationale Konzerne nicht mehr an die Unterstützung eines bestimmten Landes gebunden wären, zeigt doch die Krise, dass insbesondere die großen EU-Mitgliedstaaten bestrebt sind, „ihre Banken“ herauszuhauen und ganz direkt zur Unterstützung dieser Finanzkonzerne zu intervenieren. Europa ist bei Wehr denn auch nicht mehr jene linke Wunschmaschine, wie sie so oft in linken Publikationen aufscheint oder der Ort des Stillstands bzw. der Überwindung des Nationalismus in einer gemeinsamen Union. Im Gegenteil: „Die EU ist Austragungsort dieser Kämpfe.“ (10) Und auch wenn die politischen Implikationen der Eurokrise nicht bis ins Letzte ausgearbeitet werden, steht für Wehr außer Zweifel, dass sich in der europäischen Krise „die wahren Machtverhältnisse innerhalb der Europäischen Union“ zeigen: „Deutschland übernimmt dabei die Führung einer Kohorte der wirtschaftlich mächtigen Länder im Kern der EU.“ (12) Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihr Versprechen wahr gemacht, dass das deutsche Kapital gestärkt aus der Krise oder, um mit ihren Worten zu sprechen, Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgehen werde. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass „andere Länder schwächer werden müssen“ (12). Das deutsche Kapital konkurriert durch seine gnadenlose Niedriglohnpolitik ganze Volkswirtschaften in Europa nieder. Mit seiner politisch abgestützten Exportweltmeisterstrategie nimmt es Ländern wie Griechenland, Portugal oder Italien regelrecht die Luft zum Atmen. Aber auch Länder wie Frankreich kommen durch die deutsche Exportstrategie immer mehr unter Druck. Immer negativer werden deren Handels- und Leistungsbilanzen gegenüber Deutschland. Fest steht dabei, dass die EU für die deutsche Exportwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, weil „die hohen Überschüsse in der Leistungsbilanz …. sich (…) in erster Linie aus dem EU-internen Austausch [ergeben]“ (15).

Faktenreich dokumentiert Wehr die „schädliche Wirkung permanenter Exportüberschüsse“ (17) Deutschlands. Er verweist zu Recht auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts, als Lenin 1916 in „Der Imperialismus als jüngstes Stadium des Kapitalismus“ die Folgen des Exports großer Kapitalmassen beschrieb. Zugleich unterstreicht Wehr einen gravierenden Unterschied der heutigen Situation gegenüber damals: „So konnte Lenin in seiner Zeit noch von einer vollständigen Aufteilung der Welt unter einigen imperialistischen Ländern ausgehen“. (27) Heute hingegen stützt sich der Kapitalexport nicht mehr auf koloniale Abhängigkeiten, sondern geht neue Wege der quasi-kolonialen Beherrschung, bei denen zwar formal die Länder über eigene Regierungen verfügen, sie sich jedoch unter dem Druck von Handelsabkommen fast bedingungslos für den entsprechenden Kapitalexport der Zentren öffnen und damit alle damit verbundenen Verheerungen zu tragen haben. Wer sich widersetzt, wird bedroht mit Regimechange und Putschversuchen. Die Kampagnen gegen die ALBA-Staaten in Lateinamerika oder die Unterstützung für den Umsturz in Honduras sind exemplarisch. Ein Unterschied besteht aber auch in der Tatsache eines veränderten Kräfteverhältnisses in der Welt: „Einige der ehemaligen Kolonien bzw. Halbkolonien nehmen heute (…) gegenüber ihren früheren Beherrschern (einen) gleichberechtigten Rang ein, etwa bei den G20-Tagungen“ (27). Dies macht die Sache nicht einfach für die kapitalistischen Zentren.

Am Beispiel Griechenlands zeigt Wehr, wie Länder, die die IWF- und EU-Finanzhilfen in Anspruch nehmen, Einbußen ihrer demokratischen Souveränität erleiden: „Die Entmachtung der griechischen Politik“ (74) ist dabei nur der Vorschein für andere Eurostaaten. Nicht mehr in Athen, sondern in Brüssel und Berlin wird heute über den griechischen Haushalt entschieden. Angesichts der Schrumpfung der griechischen Wirtschaft in diesem Jahr und einer Zuspitzung der Staatsschuldenkrise ist der Weg der griechischen Wirtschaft ins Nichts vorgezeichnet. Bezahlt wird dies mit Lohn- und Sozialkürzungen, die die Menschen in Griechenland vollends ins Elend stürzen. Angesichts dessen muten die rassistischen Kampagnen gegen „die Griechen“, in Deutschland geschürt von der Bild-Zeitung und anderen Presseorganen, geradezu grotesk an. Zu deutlich tritt ihr instrumenteller und ablenkender Charakter hervor, mit der deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihre griechischen Kolleginnen und Kollegen regelrecht gehetzt werden sollen. Ein Vorgehen, wie man es vom Auseinanderdividieren von Hartz-IV-Empfängern und Niedriglöhnern bereits kennt. (150) Der Ausblick, den Wehr auf die deutsche Debatte zu Griechenland gibt, ist geradezu paradigmatisch für den Umgang der deutschen Politik mit der Krise. Kurz: Es wird alles getan, um die Situation zu verschlimmern und die Schraube gegenüber den Arbeiterklassen an der Peripherie der EU noch weiter anzuziehen. Angesichts dessen stellt sich die Frage nach dem Fortbestand von Eurozone und EU, so wie wir sie kennen. Wehrs Analyse zeigt hier schonungslos die fatalen Lösungsansätze der Regierungsparteien, aber auch von SPD und Grünen auf (164), die alle auf eine Verschärfung des verheerenden Stabilitäts- und Wachstumspakts setzen. Für die Schlussfolgerungen des Buches gilt das Motto eines Titels der Düsseldorfer Post-Punkband Fehlfarben aus den 1980er Jahren: „Kein Anlass für Romantik!“. Kurzum: Wehrs Analyse ist das Beste, was auf dem Markt zur Eurokrise zu finden ist.

Martin Hantke