Berichte

Stadt, Klassen, Klassenkampf/Alle Berichte

von Alan Ruben van Keeken/Patrick Ölkrug
Juni 2015

Stadt, Klassen, Klassenkampf

8. Marxistische Studienwoche, Frankfurt am Main, 16. bis 20. März 2015

Welche Rolle spielt die Stadt als räumlicher Kristallisationspunkt der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit, zwischen dem Potential des urbanen Lebens und der Verwertungslogik von Wohn- und öffentlichem Raum? Und wie kann eine marxistische Soziologie der Stadt helfen, diese Zusammenhänge zu verstehen und vielleicht sogar – den Aktiven vor Ort in die Hände gegeben – die Kämpfe unterstützen? Mit einem reichhaltigen Programm an Vorträgen, Arbeitsgruppen und einem Reader mit ausgewählten Texten als theoretische Grundlage nahm sich die diesjährige Marxistische Studienwoche mit 60 überwiegend Studierenden aus dem Umfeld des SDS, sozialer Bewegungen und anderer politischer Jugendgruppen der Diskussion dieser Problematik an. Die Tagung wurde wie in den letzten Jahren von „Z“ und der Heinz-Jung-Stiftung (Frankfurt/M.) in Verbindung mit dem Förderkreis für demokratische Volks- und Hochschulbildung e.V. und einer aktiven Vorbereitungsgruppe organisiert.

Frank Deppe (Marburg) warf in seinem Einführungsvortrag einige historische und aktuelle Schlaglichter auf den Konnex Klassen und Stadtentwicklung und versuchte, diese Tendenzen in breitere polit-ökonomische Entwicklungen einzubetten, verbunden mit einer kurzen, durchaus kritischen Einleitung in David Harveys Thesen zur Stadt.1 So zeigten sich an einer „new era of social unrest“, die vor allem in den Städten sichtbar werde, die Widersprüche, welche der Neoliberalismus, der seinen Zenit überschritten habe, nun immer öfter mit Zwang anstelle von Konsens beantworte. Notwendig sei eine stadtsoziologisch informierte marxistische Klassentheorie und -praxis, die auf neue, breitere Bündnisse setze – schon die Geschichte zeige z.B., dass Revolutionen sich immer auch auf die heterogenen Exponenten der Stadtarmut gestützt hätten.

Mit Bernd Belina (Universität Frankfurt/M.) konnte einer der profiliertesten marxistischen Geographen Deutschlands gewonnen werden. Sein Vortrag richtete sich vor allem auf das theoretische Handwerkszeug. Neben dem schwer zu fassenden Begriff der Gentrifizierung, der in seinen verschiedenen Dimensionen (kulturalistisch, angebots/nachfrageorientiert und politikorientiert) beleuchtet wurde, ging es um die zentralen Begriffe einer politischen Ökonomie der Stadt und des Wohnungsmarktes: Grundrente, Bodenpreis fiktives Kapital (als das z.B. die zukünftigen Mieteinnahmen behandelt werden).

Von Teilnehmenden der MaWo selbst organisiert wurde ein Panel über die Stadt im globalen Kapitalismus. Sophie Dieckmann (zu Städten in China), Sarah Nagel (über Istanbul), Patrick Ölkrug (Lissabon und europäische Austerität) und Johanna Hoernig (Sao Paulo als Megacity) stellten darin die Gemeinsamkeiten (Stadt als Ort der konzentrierten Verwertung des Kapitals/Segregation zwischen reichen und armen Gegenden/Gentrifizierung) und Unterschiede (z.B. rigide Stadtplanung in China vs. wildwuchernde Favelas in Sao Paulo) heraus und diskutierten im Anschluss über soziale Bewegungen und die hier schon zu stellende Frage nach Alternativen zum neoliberalen „Angebot“ von Wohnen und Leben in den Metropolen des 21. Jahrhunderts.

Wie Belina vom Frankfurter Institut für Humangeographie kommend, zeigte Susanne Heeg (Universität Frankfurt/M.) den engen Zusammenhang zwischen neoliberalem Paradigma und der aktuellen Verfasstheit des Immobilienmarktes auf.2 Auf der „Nachfrage“seite der Wohnungssuchenden habe die Politik wie auf anderen Feldern der Sozialpolitik die „Responsibilisierung“ vorangetrieben. Seit Rot-Grün ist auf der „Angebots“seite der Wohnungsmarkt für Hedge-Fonds und andere institutionelle Groß- und Risikoanleger mit katastrophalen Folgen für erschwingliches und gutes Wohnen zu einer attraktiven Anlagesphäre für überschüssiges Kapital geworden. Zudem verwies sie darauf, dass in den meisten Städten die Kommunalpolitik aktiv an der Kommodifizierung der Stadt mitwirke. Eine Alternative sei vorerst z.B. der Ausbau von Sozialwohnungen als Kompensation und Druckmittel gegenüber dem privaten Markt.

Jeweils für die Nachmittage von Dienstag und Donnerstag angesetzt waren Arbeitsgruppen, die unter Anleitung verschiedene Teilgebiete der marxistischen Stadt-Soziologie und -Analyse anhand von Lesestücken bearbeiteten. Neben theoretischen Grundlagen und der Rolle sozialer Klassen im städtischen Raum sollten auch Bewegungen und Alternativen zu Wohnungsnot, hohen Mieten und Gentrifizierung diskutiert werden. Als immer wiederkehrendes Thema erwiesen sich Letztere. Im Spannungsfeld zwischen Friedrich Engels Diktum, dass die Wohnungsfrage ohne die soziale Frage, also die Überwindung des Kapitalismus, nicht gelöst werden könne3, und der unabweisbaren Forderung, auch heute schon Alternativen zur Verteidigung des „Recht auf Stadt“ zu entwickeln, wurde über Beispiele, Möglichkeiten und Reichweite von Miet-Syndikaten und vielfältigen Formen sozialer Wohnungspolitik diskutiert, die Erleichterung der Wohnungsnot, soziale Mischung und eine emanzipatorische Aneignung des „Raumes“ Stadt bieten sollen.

Anstelle des kurzfristig verhinderten Andrej Holm (Humboldt-Universität Berlin) wurden viedeoclips mit einer Dokumentation mit ihm und über die Recht-auf-Stadt-Bewegung in Berlin gezeigt. Oliver Reschke (Berlin) beleuchtete hingegen die historische Seite: Urbanisierung, städtisches Proletariat, Wohnverhältnisse und kommunale Kämpfe. U.a. ging es um die Kiez-Kämpfe im Berlin der 20er und 30er Jahre, welche die KPD mit der NSDAP um Stadtteile und „Verkehrslokale“, also Stammkneipen, die als Zentralen für die politische Agitation dienten, führte. Die schrecklichen und prekären Wohnbedingungen in den das Berliner Stadtbild dominierenden Mietskasernen beantwortete die kommunistische Partei mit dem Engagement in sogenannten Mietstreiks, die erst durch die Machtübertragung an Hitler beendet werden konnten.4

Zum Abendprogramm der Woche gehörte ein Kulturprogramm, das aus mehreren Filmen zum Thema Stadt (unter anderem dem Brecht/Dudow-Klassiker Kuhle Wampe von 1932) und einer Lesung im Club Voltaire bestand. Hier präsentierte John Becker aus Marburg auf eindringliche Art und Weise politische Prosa, Liebes- und andere Lyrik von Heinrich Heine.

In einer Abschlussrunde wurde das Thema „Kommunale Konflikte und Auseinandersetzungen“ diskutiert. ReferentInnen aus drei verschiedenen Städten im deutschsprachigen Raum sprachen im Zusammenhang ihrer praktischen Erfahrungen und Arbeit über konkrete Kommunal- und Miet-Probleme, Kämpfe und Ziele. Aus Österreich war Ernest Kaltenegger von der Grazer KPÖ eingeladen worden. Auf dem Feld der Wohnungspolitik konnte die im Stadtrat vertretene Partei beachtliche Erfolge erzielen, wobei Kaltenegger ausdrücklich die Bedeutung der Verbindung von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit hervorhob. Die KPÖ in Graz verfolge schon seit vielen Jahren Wohnen als Schwerpunkthema und stehe für eine eigenständige linke Wohnungspolitik, die viel Wert auf konkrete Maßnahmen und Hilfen (z.B. Deckelung der Miethöhe, Mieternotruf, Anwaltshilfe, Rechtshilfefonds) lege.

Vom Kampf um Sozial- und Mietrechte in Berlin berichtete Matthias Clausen von Kotti & Co., der Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor. Anhand anschaulicher Fotos vermittelte er einen Eindruck verschiedener Aktivitäten seiner Initiative, wie Lärmdemos durch den Kiez, Konferenzen, Konzerte, Tür-Zu-Tür Kampagnen und Sozial- und Mietsrechtsberatung. In die Wege geleitet wurde vor kurzem zudem ein „Berliner Mietenvolksentscheid“, der es ermöglicht, über ein Gesetz für bezahlbare Mieten abzustimmen. Auch Almuth Meyer von der Nachbarschaftsinitiative NordendBornheimOstend (NBO) in Frankfurt erörterte Auseinandersetzungen um Mieterhöhungen. Unter dem Slogan „Kein Mensch in dieser Stadt darf aus seiner Wohnung vertrieben werden!“ wird MieterInnen Unterstützung geboten und sie werden ermuntert, in die politische Stadtteilvertretung zu gehen. Die drei Beispiele standen für im Einzelnen unterschiedliche Ansätze linker Wohnungs- und Stadtpolitik (Aktivitäten einer politischen Partei, einer Stadteilinitiative, einer Mieterinitiative), die jeweils auf ihre Weise einer profitorientierten Wohnungspolitik Paroli bieten können, für die aber die lokale Verankerung unabdingbare Voraussetzung ist.

Dieses Panel bildete zusammen mit dem Blockupy-Aktionstag zur Neueröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) den praktischen Schwerpunkt der Studienwoche. Da die EZB-Neueröffnung genau in die Mitte der Studienwoche fiel, wurde die ursprünglich geplante „Stadtführung“ durch Frankfurt gestrichen. Stattdessen nahmen TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen den ganzen Tag über an den Protesten (Blockaden, Demos und Kundgebungen) in der Finanzmetropole teil. Die teilweise praktizierte „ziellose“ Gewalt, die nicht nur Polizeiautos und Mülltonnen traf, wurde viel und intensiv diskutiert und in Mehrheit abgelehnt, aber auch – wie in der Rede Naomi Kleins bei der Blockupy-Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg – ins Verhältnis gesetzt zur ökonomischen Gewalt durch EZB, EU und IWF in den südlichen Krisenländern.

Alan Ruben van Keeken / Patrick Ölkrug

Wege des Marxismus-Feminismus

Internationaler Kongress der feministischen Sektion des Berliner Instituts für kritische Theorie und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, 20. bis 22. März 2015

Mit mehr als 500 Teilnehmenden, aus gut 20 Ländern angereist, war der Kongress schon Ende Februar ausgebucht. Es handelte sich um den weltweit ersten Kongress zum Marxismus-Feminismus. In zahlreichen Podien und Workshops wurde drei Tage lang über Geschichte, Gegenwart und Perspektiven von Feminismus und Marxismus intensiv diskutiert. Ausgangspunkt war die Erarbeitung des Stichworts „Marxismus-Feminismus“ für den eben erschienenen Band 8/2 des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus.

Aus der Geschichte der Frauenunterdrückung und als Ergebnis eigener langer Lernerfahrung entwickelte Frigga Haug die These: Geschlechterverhältnisse sind Produktionsverhältnisse, alle Praxen in der Gesellschaft sind durch Geschlechterverhältnisse bestimmt. Die Produktion des Lebens soll in den Produktionsverhältnissen einbegriffen sein. Für die notwendige Forschung und Politik plädiert sie in ihrem Einführungsvortrag für einen globalen Zusammenschluss marxistischer Feministinnen, die die Kritik daran eint, dass die Fragen des Lebens dem Drang nach Profit untergeordnet werden. Der Marxismus gewinne durch das Hineinnehmen des Standpunkts der Frauen an Dialektik. „Es wird offenbar werden müssen, dass das, was allen gemeinsam sein könnte, erst noch zu erringen ist.“

Wie beziehen marxistische Feministinnen einen Standpunkt der Kritik? Cynthia Cockburn (London) entwickelte den feministischen Gebrauch des Standpunktkonzepts und zeigte, wie er – diesseits routinierter akademischer Handhabung als standortbezogenes Wissen – als engagierte Einsicht und Haltung erst erkämpft werden muss. So kann der antikapitalistische Protest seit der Finanzkrise Anlass sein, einen neuen radikalen feministischen Standpunkt zu gewinnen. Dieser wird Cockburn zufolge die Überschneidung verschiedener Machtverhältnisse und ihre gegenseitige Bedingtheit beachten, aber die spezifischen Erfahrungen von Frauen dabei keinesfalls aus den Augen verlieren. Uta von Winterfeld (Wuppertal) stellte, herrschaftskritisch argumentierend, die vielfältig zu Tage tretenden Krisen der Gegenwart als Krise des „Regenerativen“ ins Zentrum ihrer Betrachtung und warnte, dass der Verlust von Anerkennung zum Nährboden für Vorurteile, Rassismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit werde. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, wie verschiedene Formen von Unterdrückung (nach „Rasse“, Klasse und Geschlecht) als ineinander Verflochtene zu fassen seien. Lise Vogel (New York) plädierte für die theoretische Durchdringung ihrer jeweiligen Spezifik mit Blick auf das Funktionieren der allgemeinen sozialen Reproduktion. Nira Yuval-Davis (London) betonte die je konkrete räumlich historische Situierung in umkämpften Prozessen, während Martha Gimenez (Boulder) die Dringlichkeit der Klassenanalyse in den Vordergrund stellte, da Klassenverhältnisse im Kapitalismus als prädominant gelten müssten. Zillah Eisenstein (Ithaka) plädierte dafür, auf einen neuen antirassistischen Feminismus zu setzen. In den Mittelpunkt zu rücken sei Gewalt gegen Frauen, die weltweit mindestens jede dritte Frau betreffe. Gayatri C. Spivak (New York) gab eine anschauliche Schilderung davon, dass ein verallgemeinerbarer Standpunkt aus der Subalternität heraus nicht denkbar ist, sondern erst durch Bildungsprozesse entwickelt werden kann.

In zahlreichen Workshops ging es u.a. um Themen der aktuellen Care-Debatte, um die Herausbildung neuer weiblicher Proletariate, um Bildungspolitik im Neoliberalismus, um die Rolle der feministischen Bewegung in den aktuellen Krisen und Auseinandersetzungen in Griechenland und Spanien oder um „Kämpfe um Zeit“ – so in dem Workshop mit Katja Kipping zur „Vier-in-einem-Perspektive“: „Wir brauchen einen Kompass, der uns auf dem Weg in eine andere Gesellschaft auf Kurs hält. Dieser Kompass ist für mich die 4in1-Perspektive. Also die Vorstellung, dass im Leben von Männern und Frauen (...) Zeit ist für die gleichermaßen wichtigen vier Bereiche: 1. Erwerbsarbeit, 2. Reproduktions- bzw. Care-Arbeit, 3. politische Einmischung und 4. Arbeit an sich selbst, vorstellbar als Muße und kulturelle Entfaltung.“ Gabriele Winker (Hamburg-Harburg) gab bei der Podiumsdiskussion um „Perspektiven einer menschlichen Gesellschaft“ dem Verlangen nach einer Care-Revolution Ausdruck. Was als individuelles Versagen gegenüber den alltäglichen Anforderungen erscheine, sei, um einen grundlegenden Wechsel zu erreichen, als Folge neoliberaler Krisenbearbeitung kenntlich zu machen.

Der Kongress markiert den Aufbruch: Eine Folgekonferenz in Lund/Schweden wurde beschlossen und die Arbeit daran aufgenommen.

Ruth May

Linke Woche der Zukunft

Veranstaltet von DIE LINKE, Rosa-Luxemburg-Stiftung und DIE LINKE im Bundestag, Berlin, 23. bis 26. April 2015

Als „Partei der Zukunft“ wollte sich DIE LINKE über vier Tage lang in Berlin präsentieren und lud Kulturschaffende, WissenschaftlerInnen, GewerkschafterInnen, AktivistInnen und andere dazu ein, sich über linke Projekte, Ansatzpunkte für emanzipatorische Veränderungen, Themenfelder einer modernen sozialistischen Linken und mögliche Transformationsprojekte auf dem Weg zu einem „Sozialismus 2.0“ auszutauschen. Gemeinsame Grundlage für einen solchen Sozialismus sollte der Marxsche Imperativ sein, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Mit knapp 1.000 TeilnehmerInnen und mehr als 80 Veranstaltungen wurde eine breite Palette linker Themen zur Sprache gebracht, ohne dabei den Anspruch zu erheben, alle (Zukunfts)Themen umfassend abgebildet zu haben.

Fünf thematische Schienen bildeten das Gerüst der Tagung: „Zukunft der Arbeit“, „Zukunft des Gemeinwesens“, „Produktion der Zukunft“, „Gleichheit als Chance“ und „Zukunft von Demokratie“. Hinzu kam ein kultureller Auftakt mit Volker Braun, Ingo Schulz und Dietmar Dath. Das Verhältnis von Linker und Kultur als expliziter Zukunftsfrage wurde jedoch nicht in einer eigen thematischen Schiene in den Blick genommen.

Den Auftakt machten die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger mit der Vorstellung ihres Manifests „Die kommende Demokratie: Sozialismus 2.0“. Schon die sprachliche Anspielung an den „kommenden Aufstand“ gab den betont anderen, pluralen, bewegungsoffenen Duktus dieses Manifestes vor, in dem DIE LINKE nichts weniger vorlegt als die Beschreibung möglicher sozialistischer Transformationsansätze im Hier und Jetzt und ihre Rolle als sozialistischer Partei und Teil einer linken Bewegung auf dem Weg zu dieser Transformation. Fünf Politikfelder und „Einstiegspfade“ wurden von den Vorsitzenden skizziert, die für den Weg zu einem Sozialismus 2.0 zentral seien: (1) die Arbeit der Zukunft, beschrieben als kürzer, gerecht verteilt, kollektiv selbstbestimmt, (2) Wirtschaftsdemokratie, verbunden mit einer sozial-ökologischen Energiewende, (3) die Stärkung des Öffentlichen als Weg zu einem „Infrastruktur-Sozialismus“, (4) die Demokratisierung der Kommune, verbunden mit einem „Recht auf Stadt“ und schließlich (5) eine „demokratische Revolution“ in Europa, verbunden mit einem Ende der Austerität und einer Überwindung des autoritären neoliberalen Modells. Gelungen ist Kipping und Riexinger die Verknüpfung der Anliegen der Partei mit den realen Bewegungen in Deutschland und Europa, die für eine Überwindung des Kapitalismus stehen und denen sie DIE LINKE als schlagkräftigen Partner anbieten.

Zahlreiche der im Manifest angesprochenen Themen wurden in den ca. 80 Workshops und Podiumsdiskussionen vertieft. Die weltweite Armuts- und Reichtumsverteilung, die Zukunft der sozialen Sicherung und Bedingungen veränderter Erwerbsarbeit, die Arbeit der Zukunft, die Verknüpfung von ökologischer und sozialer Frage, Geschlechterfragen und die Digitalisierung von Lebens- und Arbeitswelt wurden in zahlreichen Veranstaltungen thematisiert. Immer wieder wurde deutlich, dass die Frage von Demokratie und Beteiligung entscheidend für eine Linke ist, die mehr Menschen für das Projekt einer Transformation des Kapitalismus gewinnen will. Und hier machte sich der neue Tonfall der Debatte innerhalb der LINKEN bemerkbar, der die Beschreibung des gegenwärtigen Zustands der Gesellschaft in seiner Widersprüchlichkeit für die Individuen zum Ausdruck brachte. So heißt es im Manifest von Kipping/Riexinger: „Der Widerspruch zwischen den Möglichkeiten eines guten Lebens für alle und der öden Wirklichkeit im Krisenkapitalismus schafft eine Spannung, die lähmen, aber auch mobilisieren kann. Viele Menschen erleben schon heute größere Freiheitsspielräume als früher: weniger Patriarchat, weniger Fabrikdisziplin, mehr digitale Zugänge, mehr individuelle Ansprüche, mehr Bildung.“ An welchen Punkten muss die Linke interventionsfähig werden, um mehr Menschen für die Überwindung der Barriere zu gewinnen, die der Kapitalismus den realen Möglichkeiten für ein besseres Leben entgegenstellt? Auch diese Frage war zentral im Rahmen der Zukunftswoche.

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Griechenland und Spanien wurde deutlich, vor welchen Herausforderungen, Chancen und Gefahren eine Linke im Zeichen der Krise steht. Während Syriza und Podemos zum Kristallisationspunkt der fundamentale Unzufriedenheit in ihren Ländern geworden sind, ist eine Partei wie die IzquierdaUnida an der Herausforderung der Krise gescheitert – ein Fakt, der auch für die deutsche LINKE von großem Interesse ist.

Generell wurde deutlich, dass DIE LINKE mit der Zukunftswoche ein politisches Angebot an vorhandene linke Bewegungen im Land machen will, ohne dabei zentrale Aspekte linker Klassenpolitik aus dem Auge zu verlieren. Zentrale Themen und die aktuelle Kampagne der Partei unter dem Titel „Das muss drin sein“ beziehen sich vor allem auf die Themen Arbeit und soziale Sicherung. Ob dieser Spagat gelingt, wird die in den vier Tagen viel beschworene Zukunft zeigen.

Gerd Wiegel

1 David Harvey, Rebellische Städte, Frankfurt am Main 2013.

2 Vgl. Susanne Heeg, Wohnungen als Finanzanlage. Auswirkungen von Responsiblisierung und Finanzialisierung im Bereich des Wohnens, in: suburban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 1/2013, S.75-99.

3 Friedrich Engels, Zur Wohnungsfrage, in: MEW 18, S.226.

4 Vgl. den Beitrag von Oliver Reschke „Proletariat und Großstadt“ in diesem Heft, S. 130-140.

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