Clara Zetkin zur Planung einer internationalen Sozialistenkonferenz 1917 in Stockholm

von Martin Grass
Juni 2015

Durch die russische Februarrevolution 1917 schien die Möglichkeit gegeben, die Parteien der sozialistischen Internationale, die sich nach Kriegsausbruch in verschiedene Lager gespalten hatte, wieder zusammenzuführen und eine gemeinsame Aktion für den Frieden einzuleiten. Separate Versuche, nicht zuletzt vonseiten der Parteien der neutralen Länder, waren zuvor ergebnislos geblieben. Die Reaktionen der sozialistischen Parteien schienen diese Möglichkeit zu bestätigen. Durch einen konkreten Vorschlag von Thorvald Stauning, Vorsitzender der dänischen sozialdemokratischen Partei, von Anfang April 1917 und nach einem Beschluss Mitte April seitens der provisorischen Exekutive des ISB (Internationales Sozialistisches Büro), bestehend aus Vertretern der sozialdemokratischen Partei des neutralen Hollands und des ISB-Sekretärs Camille Huysmans, wurde eine internationale sozialistische Konferenz nach Stockholm einberufen.[1]

„Recht zur Mitwirkung praktisch geltend machen“

Nachdem die Konferenzeinladung nach Stockholm publik geworden war, meldete Clara Zetkin, Sekretärin der sozialistischen Fraueninternationale, bei Camille Huysmans sofort am 23. April die erwünschte Beteiligung von Vertreterinnen an.[2] An Thorvald Stauning schrieb sie am 25. April: „Die bevorstehende internationale Sozialistenkonferenz zur Förderung des Friedens kann von großer Bedeutung werden. Die Genossinnen aller Länder müssen deshalb ihr Recht zur Mitwirkung praktisch geltend machen.“ An anderer Stelle verlangte sie, „das grundsätzliche Recht der Genossinnen zur Mitberatung und Mitentscheidung zu wahren“ und „eine Gesamtdelegation für die Genossinnen jener Länder zu haben, die keine eigene Vertretung entsenden können“. Sie hoffte, dass ihr Stauning zustimme und „Indemnität“ erteile, d.h. dieses Verlangen billige.[3] Ähnliche Formulierungen finden sich in anderen Briefen von Clara Zetkin. In einem Schreiben an Luise Zietz, Gründungsmitglied der Unabhängigen sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), im April heißt es, die internationale Konferenz sei „gesichert“ und es sei „unabweisbar notwendig, daß das grundsätzliche Recht der Genossinnen zur Mitwirkung und Mitentscheidung praktisch geltend gemacht und behauptet wird“.[4] An die Holländerin Heleen Ankersmit, die zuvor schon ein Telegramm und einen Eilbrief erhalten hatte, schrieb Clara Zetkin am 16. Mai nochmals zusammenfassend: Die Frauen müssten ihren „grundsätzlichen Rechtsanspruch auf gleichberechtigte Mitarbeit praktisch geltend und wirksam machen“.[5] In einem Brief an Anna Lindhagen, internationale Sekretärin der schwedischen sozialdemokratischen Frauenorganisation, vom 2. Juli, in dem der gesamte bisherige Vorgang rekapituliert wurde, wiederholte Clara Zetkin ihre Stellungnahme. Es sei „absolut notwendig, dass die sozialistischen Frauen überall mitwirken müssten, wo ehrlich und ernst für einen Frieden gewirkt würde, der unseren Grundsätzen entspricht“. Die Einbindung der Frauen in die Friedensarbeit sei wichtig „gerade weil wir Frauen weibliche Menschen, nicht mißratene verpfuschte Kopien der Männer sind und unsere eigenen geistigen und sittlichen Werte für die Betrachtung und Lösung der vorliegenden Probleme mitbringen“. Es seien ja die Frauen gewesen, die nach Kriegsausbruch „die ersten“ gewesen wären – was nicht ganz korrekt ist –, die „die alten Bande“ wieder geknüpft und – auf der internationalen Frauenkonferenz in Bern 1915 – Prinzipien „für das gemeinsame Ziel des Friedens und der Wiederaufrichtung des allgemeinen Bruderbundes“ formuliert hätten.[6]

Clara Zetkin erteilte Heleen Ankersmit und Angelika Balabanova[7] sofort, und zwar „auf eigene Faust“ und ohne vorherige Konsultation mit den angeschlossenen Frauenorganisationen und ohne einen offiziellen Beschluss, das Mandat, die Fraueninternationale in Stockholm zu vertreten. „Die außergewöhnliche Situation“ rechtfertige „die ungewöhnliche Form dieses Mandats“. Aber es sei „schlechterdings unmöglich, daß internationale Sozialisten in diesem geschichtlichen Augenblick aus irgendwelchen formalistischen, geschweige denn sachlichen Gründen eine Vertretung der sozialistischen Frauen von der Mitwirkung an dem Friedenswerk der Sozialisten aller Länder ausschließen könnten“. Sie sei überzeugt, „daß mein Handeln allgemeine Zustimmung finden wird“, so am 23. April im Brief an Angelika Balabanova.[8]

Die Wahl von Heleen Ankersmit und Angelika Balabanova begründete Clara Zetkin im Brief an letztere einerseits damit, dass beide an der sozialistischen Frauenkonferenz in Bern 1915 teilgenommen hätten, und andererseits mit dem Hinweis, dass sie „seit langem mit dem ganzen Komplex der Fragen vertraut“ seien, die in Stockholm behandelt würden. Sie hätte ursprünglich auch Anna Lindhagen ein Mandat erteilen wollen, wie sie an diese später schrieb. Aber aus mehreren Gründen hätte sie das unterlassen. Anna Lindhagen hätte nicht an der Berner Konferenz 1915 teilgenommen, die Verständigung mit Schweden dauere „besonders lange“ und sei unsicher, und sie habe angenommen, dass Anna Lindhagen als Schwedin wohl sowieso an der Stockholmer Konferenz teilnehmen würde.[9] An Angelika Balabanova schrieb sie zudem, sie sei „durch Ihre theoretische Schulung wie durch Ihre ganze Persönlichkeit zu der Vertretung geradezu berufen“. Clara Zetkin war sich aber auch bewusst, dass sie ihr damit „eine schwere Pflicht und Verantwortung aufbürde“ und „ein großes Opfer“ verlange. Sie würde selbst teilnehmen – „und wenn ich kriechen müsste und die Gewißheit hätte, daran zu sterben“ –, aber sie sei „durch äußere Umstände gefesselt“.[10] Mit Letzterem war natürlich gemeint, dass sie nicht mit einer Reisegenehmigung rechnen konnte.

Wenn auch Clara Zetkins Vorgehen und Vorschlag bald Zustimmung erteilt wurde, wie aus den genannten Briefen an Heleen Ankersmit und Anna Lindhagen hervorgeht, so gab es auch abweichende Stimmen, und zugleich wurde eine Alternative diskutiert: eine internationale Frauenkonferenz. Eine solche hatte beispielsweise Heleen Ankersmit befürwortet.[11] Allerdings hatte sich da zunächst ein „Mißverständnis“ ergeben, wie Clara Zetkin an Anna Lindhagen schrieb, weil es so ausgesehen hatte, als wolle Heleen Ankersmit eine Frauenkonferenz statt einer Teilnahme an der Stockholmer Konferenz. Auch Stauning wies in seiner Antwort an Clara Zetkin auf eine Frauenkonferenz hin, wollte im Übrigen aber die Beteiligung der Fraueninternationale an der Stockholmer Konferenz unterstützen.[12] Dagegen hatten die Schweizer Frauen vorgeschlagen, nur an der geplanten dritten Zimmerwalder Konferenz teilzunehmen, die nach der Stockholmer Konferenz stattfinden sollte.[13] Auch Aleksandra Kollontaj schrieb an Heleen Ankersmit am 22. Juli, dass „wir keinesfalls an dem Kongress der Sozialpatrioten“ – zu denen hier auch der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat gezählt wurde, der sich dem Stockholmer Vorhaben angeschlossen hatte – teilnehmen sollten. Eine Frauenkonferenz solle zudem nur in Verbindung mit der Zimmerwalder Konferenz stattfinden.[14]

„Politische Sammlungstaktik“

Clara Zetkin war in beiden Fragen anderer Meinung. In ihrem Brief an Heleen Ankersmit vom 16. Mai schrieb sie: Die Voraussetzungen für „getrennte Sonderkonferenzen der Frauen für den Frieden und Verständigung“ seien nicht mehr gegeben. Es gelte, „alle grundsätzlich gleichgesinnten Kräfte zusammenzufassen“. „Dies ist unser Platz und unsere Arbeitsstelle in der großen Internationale.“[15] Ebenso schrieb sie an Anna Lindhagen am 2. Juli, dass die Frauen an der Stockholmer Konferenz teilnehmen müssten und nicht nur an Konferenzen linker Gruppen. Die Frauenorganisation jedes Landes könne natürlich grundsätzlich entscheiden, an welcher der Konferenzen sie teilnehmen möchte, aber die Fraueninternationale müsse als Organisation allen Konferenzen beiwohnen, „die ehrlich und ernst für den Frieden und den Aufbau einer aktionswilligen und aktionsfähigen allgemeinen Internationale arbeiten wollen“. „Unser Rat und unsere Stimme muss überall in die Wa[a]gschale geworfen werden, wo um die Klärung und Befestigung unserer Grundsätze gerungen und gekämpft wird. Unser Platz ist nicht nur dort, wo sich gemeinsame Erkenntnis zu einem gemeinsamen Willen zu gemeinsamer Arbeit zusammenballt, sondern auch dort, wo erst noch um grundlegende gemeinsame Erkenntnis gestritten wird, dort, wo es gilt, Verantwortlichkeiten festzustellen, Legenden zu zerstören und zu zeigen, was ist, und was sein soll.“ Dies sei letztlich auch eine „Erfüllung der Verpflichtung [der] Berner Konferenz“.[16] Die Stellungnahme zur Kriegsschuldfrage und die kritische Beurteilung der Mythen der Vaterlandsverteidigung waren bei der Vorbereitung der Stockholmer Konferenz allerdings keine allgemein akzeptierten Verhandlungspunkte.

Der linke Flügel der sozialistischen Bewegung, dem Clara Zetkin wie auch Angelika Balabanova und Heleen Ankersmit angehörten, stand der Stockholmer Konferenz skeptisch bis ablehnend gegenüber, auch nach der Konferenzinitiative des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, die sich schließlich mit der des Holländisch-Skandinavischen Komitees vereinigt hatte. Aleksandra Kollontaj, der Zimmerwalder Linken zugehörig, war völlig ablehnend. Auch Angelika Balabanova, Sekretärin der ISK (Internationale Sozialistische Kommission) und Mitorganisatorin des Zimmerwalder Konferenzvorhabens, war gegen eine Beteiligung an der Stockholmer Konferenz oder eine gemeinsame Konferenz. Käte Duncker, Mitglied der Spartakus-Gruppe, betrachtete dagegen die Stockholmer Konferenz als „Strohhalm, ein bißchen Hoffnung, um das ’Durchhalten’ zu erleichtern“.[17] Hermann Duncker stimmte zu: Stockholm sei „ein Brennpunkt des Fühlens und Denkens von Millionen – wie noch nie ein internationaler Kongreß“.[18] Käte Duncker wollte nach Stockholm: „Wenn ich auch den unmittelbaren Erfolg sehr gering einschätze, so erhoffe ich doch viel von der Aussprache für später.“ Sie wollte aber auch nach Stockholm wegen der Zimmerwalder Konferenz.[19] Zusammen mit Rosa Luxemburg wurde sie am 17. Juni als Vertreterin des Wahlvereins für den Kreis Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg, Mitglied der USPD, für die Stockholmer Konferenz gewählt; ebenfalls gewählt wurde Franz Mehring.[20] Die Wahl von Rosa Luxemburg war illusorisch, da diese im Gefängnis war. Käte Duncker bezeichnete diese Wahl überhaupt in erster Linie als „Demonstration“, weil man wohl sowieso keine Pässe bewilligt bekommen würde. Man wolle sich auf diese Weise auch von „Haase, Bernstein usw. distanzieren“[21], also von der USPD, die schließlich sowohl an der Stockholmer Konferenz als auch an der Zimmerwalder Konferenz teilnahm.

Clara Zetkin betonte zwar deutlich, dass die Fraueninternationale „auf dem grundsätzlichen Boden der Zimmerwalder“ stünde,[22] trat aber, wie die oben zitierten Briefe gezeigt haben, für die Teilnahme der Fraueninternationale an der Stockholmer Konferenz, von der sie allerdings nicht viel erwartete, und gegen eine einseitige Beteiligung an der Zimmerwalder Konferenz ein. Dies formulierte sie zusammenfassend u.a. in einem kritischen Brief an Franz Mehring, Parteifreund in der Spartakus-Gruppe, am 1. Juli 1917: Es gelte in Stockholm „grundsätzliche Klarheit und Wucht“ in einer oppositionellen Haltung gegenüber den Mehrheitssozialisten zu vertreten, man müsse „klären & vorantreiben“, und zwar „wegen der Massen“ und im Hinblick auf „die Psyche der Arbeitermassen“. „Lediglich auf die muss es uns ankommen, wenn wir politisch kämpfen & nicht propagieren wollen.“[23]

Clara Zetkins rasche, offene und energische Stellungnahme ist angesichts ihrer politischen Beheimatung etwas überraschend. Sie zeigt hier eine „Eigenständigkeit“, wie Ottokar Luban ganz richtig schreibt, der dies aber nicht erklärend einordnet.[24] Der Grund ist ihr starkes Interesse am Frieden. Dies hatte sie bereits Anfang November 1914 mit ihrem Appell „An die sozialistischen Frauen aller Länder“ dokumentiert, erschienen stark zensiert in „Die Gleichheit“ und auch als illegales Flugblatt verteilt. Darin forderte sie einen raschen Frieden ohne Annexionen und sprach den Frauen eine besondere Rolle zu. Der Aufruf endete mit dem Appell: „Wir sozialistischen Frauen werden im Kampf gegen den Krieg immer zu den Fortschrittlichen gehören, zu den Stürmenden“.[25] Bereits Ende 1914 plante sie eine internationale Frauenkonferenz, die dann am 26.-28. März 1915 in Bern stattfand. Die Konferenz forderte die Frauen u.a. auf, Massenkundgebungen gegen den Krieg und für den Frieden zu organisieren und bei internationalen Frauenaktionen mitzumachen.[26] Nach Tânja Puschnerat sah Clara Zetkin nach dem Ausbruch des desillusionierend wirkenden Krieges in der Forderung nach Frieden „den einzigen Ausgangspunkt für sinnvolle integrative sozialistische Aktion“. Nur so entstünde die Möglichkeit, die Massen für die sozialistische Aktion zurückzugewinnen, aber auch für die notwendige Sammlung der gespaltenen Internationale und damit des Proletariats aller Länder. Clara Zetkin warnte die Linken und die Spartakus-Gruppe vor der verhängnisvollen Haltung, nur an Konferenzen mit Gleichgesinnten teilzunehmen. Die Friedensarbeit sei „Vorarbeit für die Zukunft“, da „eine zielgerichtete und effektive sozialistische Massenarbeit“ zu Kriegszeiten nicht ergiebig sein könnte, sondern erst im Frieden. Der Versuch, nach der Februarrevolution in Russland die Internationale durch die Stockholmer Konferenz wieder zusammenzubringen und die Friedensfrage auf die Tagesordnung zu setzen, war für Clara Zetkin eine logische Konsequenz und absolute Notwendigkeit der „politischen Sammlungstaktik“. Daher ihre eigenständige Position. Hierin stimme ich Tânia Puschnerat zu, auch wenn ich ansonsten mit ihren Interpretationen nicht immer einverstanden bin.[27]

Die Frage einer sozialistischen Frauenkonferenz

Clara Zetkin stand einer gesonderten Frauenkonferenz skeptisch gegenüber, zumal als Alternative zu einer Teilnahme an der Stockholmer Konferenz, wie übrigens auch andere Frauenvertreterinnen, z.B. Anna Lindhagen und die Österreicherin Adelheid Popp. Aber sie betonte, dass sie „grundsätzlich eine Konferenz für notwendig halte, allerdings aber auch eine erfolgreiche Konferenz“. Eine baldige Frauenkonferenz sei in der Tat „sehr wünschenswert“, da eine Menge besonderer Frauenfragen anstünden. Es müssten aber mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: gute Vorbereitung, und dazu müssten im Voraus Anregungen und Vorschläge zur Tagesordnung von allen Frauenorganisationen eingeholt werden, sowie allgemeine Beschickung „auf breitester demokratischer Grundlage“. Also müssten u.a. die gegenwärtigen Reiseschwierigkeiten gelöst sein und ein passender Tagungsort gefunden werden. Sie schlussfolgerte, die Voraussetzungen dafür seien zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben, und als Tagungsort sei Stockholm besonders ungeeignet, da dort die Friedensarbeit im Mittelpunkt stünde und die Frauenfragen sowie die Diskussionen der Probleme der Frauen, die durch den Krieg verschlimmert worden seien, verdränge. Eine gesonderte Frauentagung sei erst „zweckdienlich, ja notwendig“, wenn der Stockholmer Konferenzversuch scheitere, und sie sei letztlich erst realistisch nach dem Krieg. Aber Clara Zetkin schlug dennoch schon jetzt Tagesordnungspunkte vor, und zwar die Themen, die für die Frauenkonferenz im Zusammenhang mit dem nicht stattgefundenen internationalen Sozialistenkongress 1914 geplant gewesen waren: Frauenwahlrecht, Arbeiterinnenschutz, Rechte für Arbeiterinnen einschließlich der Lohnfrage sowie soziale Fürsorge für Mutter und Kind.[28]

Die Frage einer Frauenkonferenz wurde im Vorstand bzw. im Exekutivkomitee der schwedischen sozialdemokratischen Frauenorganisation dreimal diskutiert, jeweils mit der internationalen Sekretärin Anna Lindhagen als Berichterstatterin und treibende Kraft.[29] Am 23. Mai erwähnte sie im Vorstand, dass sie „unter der Hand“ von einem Vorschlag, „nach Stockholm einen Int. Soz. Frauenkongress von verschiedenen Meinungsrichtungen einzuberufen“, erfahren hätte. Es sieht fast so aus, als wären die Stockholmer Konferenz und die Frauenkonferenz vermischt worden. Das war vielleicht verständlich, weil auch die Diskussion Clara Zetkins mit Heleen Ankersmit, wie berichtet, zunächst etwas missverständlich verlaufen war. Der Vorstand der schwedischen Frauenorganisation beschloss, „sich zum Vorschlag nicht zu äußern, sondern weitere Informationen abzuwarten“.

Am 21. Juni informierte Anna Lindhagen, dass sie „persönlich“ eine Einladung zu einem „Frauenkongress mit Teilnehmerinnen von verschiedenen Parteien“ mit unterzeichnet hätte. Der Kongress sollte „möglicherweise“ zur gleichen Zeit wie die Stockholmer Konferenz abgehalten werden. Hier handelt es sich wahrscheinlich um einen geplanten Kongress des International Committee of Women for Peace, dem Anna Lindhagen angehörte. Sie hatte auch ihre dänische Parteifreundin Helene Berg in dieser Angelegenheit kontaktiert.[30] Anna Lindhagen nannte aber auch die Themen, die Clara Zetkin für eine sozialistische Frauenkonferenz, allerdings erst nach Kriegsende, vorgeschlagen hatte. Es gab also offensichtlich Pläne für eine solche internationale Konferenz, was Clara Zetkin nicht befürwortete, wohl aber verschiedene Frauenorganisationen vorgeschlagen hatten. Im Vorstand der schwedischen Frauenorganisation teilte Anna Lindhagen am 1. August mit, dass sie wegen eines Frauenkongresses Anfragen an eine Reihe von Genossinnen gesandt hätte, „ob sie nach Sthlm [Stockholm] zum Zeitpunkt der eventuellen Abhaltung des Kongresses zu erwarten wären“. Sie hätte Briefe von Clara Zetkin und Angelika Balabanova in dieser Sache erhalten, „mit Programm“. Damit war Clara Zetkins Brief vom 2. Juli gemeint. Was Angelika Balabanova geschrieben hat, habe ich nicht feststellen können. Nicht erwähnt wurde allerdings Clara Zetkins Skepsis gegenüber einer Frauenkonferenz zum derzeitigen Zeitpunkt, eine Position, die Anna Lindhagen letztlich teilte, wie aus ihrem Brief an Clara Zetkin vom 21. Juli hervorgeht. Dort votierte sie übrigens auch für eine Teilnahme an der Stockholmer Konferenz und hoffte, diese würde stattfinden.[31] Gleichzeitig war sie aber selbst irgendwie an der Planung einer Frauenkonferenz beteiligt. Hier liegt eine Unklarheit vor, die – wie insgesamt eine Reihe von ungeklärten Fragen – an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden kann, nicht zuletzt auch wegen der begrenzt zur Verfügung stehenden Quellen. Den Vorschlag „einer kleineren vorbereitenden Konferenz“ der an der Stockholmer Konferenz beteiligten Frauen schob der Vorstand der schwedischen Frauenorganisation auf. Abgewiesen wurde dagegen die von Anna Lindhagen vorgelegte Einladung zur Zimmerwalder Konferenz in Stockholm.

Scheitern der Vorbereitung

In den mir verfügbaren Quellen konnte ich keine Informationen finden, ob und wie die Frage einer Beteiligung von Frauen an der Stockholmer Konferenz weiter diskutiert wurde. Thorvald Stauning, den Clara Zetkin, wie erwähnt, am 25. April kontaktiert hatte, hatte sehr positiv geantwortet und versprochen, mehr Vertreterinnen zu finden; Belege für entsprechende Vorschläge im Holländisch-skandinavischen Komitee oder anderweitig gibt es jedoch nicht. Am 5. Juni schrieb der Holländer Johan Willem Albarda an seinen Landsmann Florentinus Marinus Wibaut, beide Mitglieder des Holländisch-skandinavischen Komitees, einerseits, dass „die sozialistische Frauenorganisation nicht getrennt auftreten darf“, und deshalb befürworte er auch nicht eine „separate Frauenkonferenz“; denn in der Friedensfrage müssten die „Parteien als Ganzes“ handeln. Es werde ja „nicht eine separate Männerkonferenz abgehalten“, und „es gibt doch keinen Separatfrieden für Frauen“. Andererseits stand er dem Frauenmandat für Heleen Ankersmit und Angelika Balabanova skeptisch gegenüber, weil diese kaum „die am meisten geeigneten Personen“ seien.[32] Dies gibt wohl die vorherrschende Meinung im Organisationskomitee wieder, das offensichtlich gegen eine gesonderte Beteiligung seitens der Fraueninternationale und der Frauenorganisationen war, wie Anna Lindhagen in ihrem Brief an Clara Zetkin vom 21. Juli berichtete. Sie hätte Arthur Engberg, einen der Sekretäre des Komitees, gefragt, ob die schwedische Frauenorganisation Vertreterinnen zur Stockholmer Konferenz schicken könnte, und in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle und Aktivitäten von Clara Zetkin hingewiesen. Aber sie hätte nur „die entmutigende Antwort“ bekommen, dass Frauen nur durch ihre Parteien delegiert werden könnten und eine „besondere Repräsentation der Frauen ausgeschlossen“ sei. Auch wenn die schwedische Frauenorganisation sie abordnen würde, würde sie kein solches Mandat der sozialdemokratischen Partei bekommen, konstatierte Anna Lindhagen. Aber sie hoffte, dass mehrere Frauen von ihren Parteien delegiert und wenigstens die Mandate von Angelika Balabanova und Heleen Ankersmit akzeptiert werden würden.[33]

Diese Frage wurde aber nicht auf die Probe gestellt, da die geplante Stockholmer Konferenz trotz sechsmonatiger Vorbereitungszeit nicht stattfand. Auch eine an diese Konferenz gekoppelte internationale Frauenkonferenz fand nicht statt. Sie wurde aufgeschoben, bis eine allgemeine sozialistische Konferenz stattfinden könnte.[34] Die Dänin Nina Bang, die dem Holländisch-skandinavischen Komitee angehörte, und Luise Zietz (als Mitglied der Delegation der USPD zu einer der separaten Vorkonferenzen) waren die einzigen Frauen, die an der Vorbereitung der Stockholmer Konferenz beteiligt waren, von Sekretärinnen und Übersetzerinnen im Hintergrund abgesehen.

Am 14. September 1917 fanden dennoch zwei Konferenzen in Stockholm statt, allerdings als Zusammentreffen der Zimmerwalder Bewegung: also zwei separate Konferenzen, was Zetkin, wie gesehen, nicht empfohlen hatte. Fünf Frauen nahmen an der dritten Zimmerwalder Konferenz teil: Angelika Balabanova als Mitglied des Organisationskomitees und Sekretärin der Konferenz, Käte Duncker (Deutschland), Rosa Bloch (Schweiz), Therese Schlesinger und Madame Luzzato (Österreich). In Verbindung mit der Zimmerwalder Konferenz versammelte sich am gleichen Tag eine gesonderte Frauenkonferenz unter dem Vorsitz von Angelika Balabanova mit Teilnehmerinnen aus Deutschland, Österreich, Bulgarien, Russland, Rumänien, der Schweiz, Finnland und Schweden. In einer Erklärung bedauerte man tief, dass Clara Zetkin nicht teilnehmen könnte, und schickte ihr ein Grußtelegramm. Ihr wurde auch das Vertrauen als Sekretärin der Fraueninternationale ausgesprochen. Die Teilnehmerinnen sprachen über die Notwendigkeit einer neuen internationalen Zeitung wie „Die Gleichheit“, da Clara Zetkin am 16. Mai 1917 wegen ihrer linken Einstellung als Herausgeberin vom Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) entlassen worden war.[35] Weiter wurde hervorgehoben, dass der Krieg „in bezug auf die Frauenarbeit und das Frauenleben überhaupt ungemein nivellierend, ja direkt ‚internationalisierend’“ gewirkt habe, wie die Berichte aus den verschiedenen Ländern gezeigt hätten. Es wurde versichert, dass die Frauen und die Arbeiterklasse insgesamt im Einklang mit den Beschlüssen von Bern 1915 und der Zimmerwalder Konferenzen für den Frieden arbeiten würden.[36]

Der Krieg wurde jedoch, wie bekannt, mit einem Friedensschluss nach den Bedingungen der siegreichen Großmächte beendet – und nicht entsprechend den Forderungen der Sozialisten und der sozialistischen Frauen unter maßgeblicher Führung von Clara Zetkin.

[1] Siehe meine Edition der Protokolle des Organisationskomitees mit entsprechenden Kommentaren und Literaturhinweisen unter: www.labourhistory.net/stockholm1917. Eine Edition der Korrespondenz zur Stockholmer Konferenz bearbeitet Agnes Blänsdorf (Kiel).

[2] Nachlass Clara Zetkin, SAPMO-BArch, Berlin, NY 4005 (Kopie des Originals in Moskau). – Clara Zetkin und die Stockholmer Konferenz von 1917 habe ich kurz behandelt in meinem Beitrag: Briefe Clara Zetkins in Archiv und Bibliothek der Arbeiterbewegung in Stockholm, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 20011/III, September, S. 50-57, S. 34-57.

[3] Nachlass Thorvald Stauning, 29 A, in: Arbejderbevægelsens bibliotek og arkiv (ABA) [Bibliothek und Archiv der Arbeiterbewegung], Kopenhagen.

[4] Nachlass Clara Zetkin, SAPMO-BArch, Berlin, NY 4005 (Kopie des Originals in Moskau).

[5] Abgedruckt bei Wilhelm Eildermann, Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1967, Nr. 4, S. 685-688. Als Anlage auch im Brief von Clara Zetkin an Anna Lindhagen, 2.7.1917, nachgewiesen in Anm. 6.

[6] Clara Zetkin an Anna Lindhagen, 2.7.1917, Bestand Sveriges socialdemokratiska kvinnoförbund [Sozialdemokratischer Frauenverband Schwedens, [SSKF], Box E 05:01, in: Arbetarrörelsens arkiv och bibliotek (ARAB) [Archiv und Bibliothek der Arbeiterbewegung], Stockholm.

[7] Noch im Exil in Zürich und ab Mitte Mai als ISK-Sekretärin in Stockholm tätig.

[8] Brief und das Mandat als Anlage im Nachlass Angelika Balabanova, Box 01, in ARAB.

[9] Nachgewiesen in Anm. 6.

[10] Nachgewiesen in Anm. 8.

[11] Telegramm von Heleen Ankersmit vom 9.5.1917, zitiert in: Clara Zetkin an Anna Lindhagen, 2.7.1917, nachgewiesen in Anm. 6.

[12] Undatiertes Konzept einer Antwort auf Clara Zetkins Brief vom 25.4.1917, in: Nachlass Stauning, 29 A, ABA.

[13] Clara Zetkin an Anna Lindhagen, 2.7.1917, nachgewiesen in Anm. 6.

[14] Abgedruckt in Horst Lademacher, Die Zimmerwalder Bewegung. Protokoll und Korrespondenz. Bd. 1, Den Haag-Paris 1967, S. 538f.

[15] Nachgewiesen in Anm. 5.

[16] Nachgewiesen in Anm. 6.

[17] Käte Duncker an Hermann Duncker, 5.5.1917, in: Heinz Deutschland (Hrsg.), „Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten“. Briefwechsel zwischen Käte und Hermann Duncker 1915 bis 1917, Bonn 2005, S. 126.

[18] Herrmann Duncker an Käte Duncker, 23.5.1917, nachgewiesen in Anm. 17, S. 129.

[19] Käte Duncker an Hermann Duncker, 19.6.1917, nachgewiesen in Anm. 17, S. 134.

[20] Siehe Mitteilungs-Blatt [USPD] Nr. 13, 24..6.1917, S. 6f.

[21] Käte Duncker an Hermann Duncker, 5.6. und 20.6. 1917, nachgewiesen in Anm. 17, S. 131 und 135.

[22] Brief an Anna Lindhagen, 2.7.1917, nachgewiesen in Anm. 6.

[23] Ausführlich wiedergegeben bei Ottokar Luban, Der Einfluss Clara Zetkins auf die Spartakusgruppe 1914-1918, in: Ulla Plener (Hrsg.), Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen, Berlin 2008 (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Manuskripte 76), S. 82f. (S. 79-85); siehe auch Ottokar Luban, Die „innere Notwendigkeit, mithelfen zu dürfen“. Zur Rolle Mathilde Jacobs als Assistentin der Spartakusführung bzw. der KPD-Zentrale, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK), 4/1993, S. 435f.; Tânia Puschnerat, Clara Zetkin: Bürgerlichkeit und Marxismus. Eine Biographie, Essen 2003. S. 221.

[24] Luban 2008, S. 83, nachgewiesen in Anm. 23.

[25] Hier zitiert in Übersetzung nach dem Abdruck in: Morgonbris [Organ der schwedischen sozialdemokratischen Frauenorganisation], 1915, Nr. 1, S. 7. Zum Aufruf siehe Karin Bauer, Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung, Berlin 1978, S. 144.

[26] Dazu Eckhard Müller, Clara Zetkin und die Internationale Frauenkonferenz im März 1915 in Bern, in dem in Anm. 22 nachgewiesenem Sammelband, S. 54-71.

[27] Tânia Puschnerat, S.218-221, ab 1914 S. 197ff., nachgewiesen in Anm. 23,. Siehe auch Beiträge von Eckhard Müller und Ottokar Luban, nachgewiesen in Anm. 23 bzw. 25.

[28] Siehe Briefe an Heleen Ankersmit, 16.5.1917, und an Anna Lindhagen, 2.7.1917, nachgewiesen in Anm. 5 bzw. 6.

[29] Bestand SSKF, Box A 02:01, in ARAB.

[30] Siehe Protokoll des Parteiausschusses von Socialdemokratisk Forbund 3.8.1917, ABA.

[31] Briefkonzept Anna Lindhaben an Clara Zetkin, 21.7.1917, Bestand SSKF, Box E 05:01, in ARAB.

[32] Nachlass Wibaut, 227, in: Internationaal Instituut Voor Sociale Geschiedenis [IISG], Amsterdam.

[33] Briefkonzept vom 21.7.1917, nachgewiesen in Anm. 30. Anna Lindhagen an Arthur Engberg, 17.7.1917, Camille Huysmans-Archief, Stockholm Corr. 1917, Nr. 62a, in: AMSAB-Institute of Social History, Antwerpen.

[34] Siehe Notiz in: Politiken [Stockholm] 6.9.1917, S. 2.

[35] Siehe dazu: Miriam Sachse, „Ich erkläre mich schuldig.“ Clara Zetkins Entlassung aus der Redaktion der „Gleichheit“ 1917, in: Clara Zetkin in ihrer Zeit (Anm. 23), S. 72-78.

[36] Siehe Bericht in: Politiken [Stockholm] 18.8.1917, S. 3; Angelika Balabanoff, Die Zimmerwalder Bewegung, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung („Grünberg-Archiv“) 12, 1926, S. 411-413; Zitat S. 412.