Buchbesprechungen

Rosa Luxemburgs Leiche

von Ingo Materna zu Annelis Laschitza und Klaus Gietinger
Juni 2010

Rosa Luxemburgs Tod. Dokumente und Kommentare. Hrsg. von Annelies Laschitza und Klaus Gietinger (=Rosa-Luxemburg Forschungsberichte 7), Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2010, 204 S., 11,50 Euro

Eine sehr traurige Publikation: Dokumente und Kommentare zu Rosa Luxemburgs Tod, genauer: ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über ihren Tod und „den Verbleib ihrer sterblichen Überreste“. Diese Debatte wurde provoziert durch Prof. Michael Tsokos vom Rechtsmedizinischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, der in der Presse die Entdeckung der „vermeintlich wirklichen Leiche“ Rosa Luxemburgs verbreitete (Mai 2009). Annelies Laschitza, der wohl kompetentesten Biografin, Editorin der Werke und Briefe Luxemburgs, und Klaus Gietinger, der bereits 1993 eingehend quellenorientiert über „Eine Leiche im Landwehrkanal“ publiziert hat, legen nun „historische Wertungen und Dokumente“ vor, „die in dieser Vollständigkeit bisher noch nicht veröffentlicht wurden“ (so der Herausgeber der Reihe Klaus Kinner im Vorwort). Das Ziel: das Wissen über „die Infamie dieser Mordtat und über die Reichweite bis in unsere Tage“, das heißt auch über die vermeintliche Entdeckung von Prof. Tsokos, zu verbreiten.

Das gelingt zweifellos überzeugend. Annelies Laschitza gibt einen komprimierten instruktiven Überblick über „Rosa Luxemburg – Persönlichkeit, Leben und Werk im aktuellen Diskurs – die jüngste Entdeckung einer rätselhaften Leiche“ (13-25). Bisher gab es für alle Luxemburg-Biografen keinen Grund, an der Echtheit der Leiche Rosa Luxemburgs zu zweifeln, die am 31. Mai 1919 aus dem (Berliner) Landwehrkanal geborgen und am 13. Juni 1919 beerdigt worden ist (19); die Mehrheit der Biografen hielt es auch aus Pietätsgründen nicht für angezeigt, Probleme der Identifizierung zu berichten. Bisher hat Prof. Tsokos keine Beweise für seine Annahme vorgelegt, das verabredete Gespräch mit Laschitza nicht geführt und ist auch nicht zu einer verabredeten Pressekonferenz erschienen. Hier erklärte Annelies Laschitza sehr abgewogen und zurückhaltend: Letzte Gewissheit gibt es nicht.

Gewissheit gibt es aber über den „Doppelmord“, den Klaus Gietinger in seinem Kommentar (26-49), gestützt auf umfangreiche Literatur und z. T. von ihm erstmalig genutzte Quellen (aus dem Bundes-Militärarchiv, dem Nachlass W. Papst), darstellt. Eine präzise Auseinandersetzung mit den Argumenten von Tsokos (59) führt Gietinger im Aufsatz „Die Auffindung der Leiche“ (50-66). Man muß dringend empfehlen, die grundlegende Arbeit Gietingers (zudem seine Biografie über W. Papst 2009) nochmals zur Hand zu nehmen.

Eine „gutachterliche Stellungnahme zur Leichensache Rosa Luxemburg“ gibt der ehemalige Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Humboldt-Universität Berlin, Volkmar Schneider, also der Vorgänger von Tsokos (67-73): „… aus einem Verdacht (ist) eine Gewissheit geworden, ohne dafür den Beweis bis heute angetreten zu haben – ein wahrhaft unwissenschaftliches Vorgehen“ – so das Fazit (73).

Einen wichtigen Beitrag zum Thema leistet Jürgen Hofmann: „Das Grab der Rosa Luxemburg auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde“ (74-90). Bedeutsam hier: Die heutige Gedenkstätte der Sozialisten ist mit dem Standort des ehemaligen Revolutionsdenkmals (von 1926) und dem Grabfeld der Januarkämpfer von 1919 nicht identisch (vgl. dazu die Dokumente 42-61). Hofmann zeichnet den komplizierten Gang der Dinge nach: vom ursprünglichen Gräberfeld, vom durch die Nazis geschändeten und zerstörten Denkmal zum symbolischen Grab Rosas in der heutigen Gedenkstätte der Sozialisten, einem würdigen Ort des Gedenkens

Den zweiten Teil des Bandes bilden 61 Dokumente (92-201), die im Kommentarteil u.a. direkt zitiert werden. Hervorzuheben sind die wohl erstmalig publizierten Archivalien aus dem Bundes-Militärarchiv sowie aus dem SAPMO-Bundesarchiv Berlin. Besonders beweiskräftig die Schriftstücke des Kriegsgerichtsrates Ehrhardt, der unmittelbar die Untersuchung leitete, die medizinischen Gutachten der Professoren Strassmann und Fraenckel, des Arztes Maxim Zetkin, vor allem alles, was Rosas nächste Freundin Mathilde Jacob zu sagen wusste. Zu beachten sind auch die Aussagen weniger prominenter Zeugen, die unmittelbar zur Identifikation der Leiche aussagten: Schleusenwärter Gottfried Knepel, Leutnant Walter Kaehler, Polizeileichendiener Fritz Eberhardt, die Freundin Wanda Marcusson. Diesen Feststellungen über die Identifikation und Beisetzung von Rosa Luxemburg sind bislang keine widerlegenden Beweise entgegengestellt worden.

Es ist der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, namentlich Klaus Kinner und Manfred Neuhaus, zu danken, diese Publikation als 7. Heft in ihre Forschungsberichte aufgenommen zu haben. Man vermisst Anmerkungen zu den Dokumenten (erst ab Dok. 44 einiges) und ein Namenregister. Schwerwiegender ist allerdings, dass immer noch keine ausführliche überzeugende Stellungnahme der Sozialdemokratie über ihre Verantwortung für den politischen Mord vor 90 Jahren vorliegt.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Leiche, eigentlich nur ein Torso, zur Bestattung freigegeben, sie ist beigesetzt, und man sollte sich wieder den Werken und Briefen von Rosa Luxemburg, den wissenschaftlichen Arbeiten über ihr fortdauerndes Wirken zuwenden.

Ingo Materna