Buchbesprechungen

Kritische Theorie

von Jan Sparsam zu Michael Schwandt
Juni 2010

Michael Schwandt, Kritische Theorie. Eine Einführung. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2009, 240 S., 10 Euro

Die Reihe theorie.org des Schmetterling Verlages – die unter gleichnamiger Adresse im Internet erreichbar ist – hat es sich dankenswerter Weise zur Aufgabe gemacht, Einführungen zu linker Theorie und Praxis herauszugeben, die beanspruchen, nicht nur für ein akademisches Publikum, sondern auch für alle kritisch Interessierten ohne Vorkenntnisse verständlich zu sein. Hinsichtlich der Wiederentdeckung der Bedeutung von Theorie in der Linken ist dieses Vorhaben äußerst begrüßenswert. Auch wenn manche Themen der mittlerweile zwölf Einführungen etwas ‚altbacken’ daherkommen, sind einige der Ausgaben nicht nur für blutige AnfängerInnen von Interesse, beispielsweise die von Michael Heinrich zur Kritik der politischen Ökonomie oder von Andrea Trumann zur Feministischen Theorie.

Michael Schwandt legt mit seiner Einführung nun einen Reihentitel zur Kritischen Theorie der so genannten Frankfurter Schule vor, welche die Neue Linke in der Bundesrepublik zwar maßgeblich beeinflusst hat, generell aber als schwer zugänglich gilt. Der Autor verhandelt die ‚Frankfurter’ auf 240 Seiten, was für eine Einführung angesichts der weitaus voluminöseren Standardwälzer von Wiggershaus, Jay oder Demirovic für viele Interessierte eine weniger große Hürde sein sollte.

Der Autor hat sich zur Aufgabe gemacht, in einer unteren „Preisklasse“ (11) eine Einführung zu präsentieren, welche die „vordergründig politischen Aspekte“ des Themas (13) beleuchten soll. Sie konzentriert sich weiterhin, neben allgemeinen theoretischen, theoriegeschichtlichen und biographischen Aspekten der Hauptakteure des Horkheimer-Kreises, auf die Darstellung und den Vergleich der Spätwerke von Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno vor dem Hintergrund der StudentInnenbewegung. Dieses Vorhaben hat er wunderbar realisiert.

Insgesamt ist das Buch stilistisch überaus gelungen, die komplexen Erörterungen der vielen Originalzitate bleiben immer spannend les- und verstehbar. Gerade anhand des historischen Überblicks über die Institutsgeschichte und die Proteste um 1968 vermittelt Schwandt ein lebendiges Bild der Kritischen Theorie. Die historischen Fakten werden zu Beginn von der Darstellung der frühen programmatischen Schriften Horkheimers begleitet und geben trotz des knappen Umfangs einen guten Einblick über die Kernelemente der frühen Kritischen Theorie. Im Folgenden wird in alle zentralen Dimensionen und Stationen der Kritischen Theorie überzeugend eingeführt: den Bezug auf Marx, die Staatskapitalismusthesen, den Rückgriff auf die Psychoanalyse sowie die Erfahrung des Nationalsozialismus. Ihre eigentliche Stärke entwickelt die Einführung aber in ihrem Vergleich zwischen Marcuse und Adorno. So beleuchtet der Autor, wie die beiden Theoretiker den Zusammenhang von Kritik und Praxis fassen. Hier bleibt Schwandt zum einen ‚knietief’ in der Theorie, zeigt zum anderen aber deutlich Adornos und Marcuses ambivalente Haltungen zur Protestbewegung auf, die sich ohne ihren geschichtlichen Kontext – die Erfahrung des Nationalsozialismus und des restaurierten Deutschlands bzw. das politische Klima in den USA (S. 184ff.) – kaum begreifen lassen.

Negativ fällt leider auf, dass kein Literaturverzeichnis im Buch enthalten ist, sondern dieses lediglich als download auf der Verlagswebsite zur Verfügung steht. Auch wenn laut theorie.org die „zweckmäßige Arbeitsteilung von klassischem Medium Buch und Internet“ angestrebt wird, ist der Zweck für das vorliegende Buch nicht unmittelbar einsichtig, lästiges digitales Nachschlagen hätte vermieden werden können.

An einigen Stellen erscheint die Erklärung von Fremdworten, welche leicht in einem Wörterbuch nachgeschlagen werden können, in den Fußnoten unnötig, während viele Fachbegriffe und Diskussionen – wie etwa die Werturteilsproblematik als „ein irgendwie neutraler Standpunkt“ (35) – etwas zu kurz kommen. Ein Literaturverweis auf das Original wäre an solchen Stellen wünschenswert. An manchen Punkten verwendet der Autor zur Erläuterung viele Zitate aus der Belletristik, wodurch eine deutliche Erklärung oft ausbleibt, wie etwa beim Exkurs über Dialektik (38ff.). Auch hier hätten stattdessen Zitate aus der Fachliteratur eventuell einen klareren Einblick in die jeweilige Problematik verschaffen können.

Abgesehen davon ist nicht nur das Argument der Preisklasse überzeugend – die Leserinnen und Leser bekommen hier tatsächlich value for money –, das Buch wird der Komplexität seines Gegenstandes stets gerecht und bleibt dennoch spannend lesbar sowie gut verständlich.

Jan Sparsam