USA: Demokratie und Imperialismus

von Peter Wiener zu Frank Unger
September 2011

Frank Unger, Demokratie und Imperium. Die Vereinigten Staaten zwischen Fundamentalismus, Liberalismus und Populismus. (Hg. von Richard Faber und Wolf-Dieter Narr), Würzburg 2010,264 S. 29,80 Euro

Die mediale aber auch die politikwissenschaftliche Diskussion über die USA ist geprägt von Antinomen wie „Ideologie vs. Realismus“ oder „Internationalismus vs. Isolationismus“. Das politische Nebelwerfer als analytische Begriffe angesehen werden liegt am Charakter der „American Studies“. Sie wurden nach 1945 an den Universitäten mit der Intention eingerichtet, die USA als legitime Führungsmacht und politisches Leitbild vorzustellen und vertraut zu machen. Der leider früh verstorbene Frank Unger war einer der wenigen kritischen Vertreter dieses Faches, der historisch fundierte sozialwissenschaftliche Analysen mit der bildhaften Sprache der politischen Essayistik verband (wie langjährige Z-Leser wissen). Sein Interesse galt der Sonderrolle, die die USA „nicht nur objektiv durch ihre militärische und wirtschaftliche Macht, sondern auch subjektiv im rhetorischen Selbstverständnis ihrer politischen Eliten und weitgehend auch im politischen Massenbewusstsein“ (63f) einnehmen. Dies begreift er als Resultat eines Sonderweges kapitalistischer Entwicklung, dessen einzelne Aspekte im vorliegenden Band dargestellt werden.

Ein Element des Gesamtkomplexes USA ist die „objektive Existenz einer kollektiven 'Idee Amerika'„ (30). Sie ist eine verpflichtende politische Weltanschauung, zu der sich „jeder Amerikaner, der als Amerikaner politisch oder gesellschaftlich ernst genommen werden will, ausdrücklich bekennen“ (33) muss. Sie umfasst nicht nur die politische Legitimation der US-Gesellschaft als liberale Republik individueller Staatsbürger, „sondern auch die Apotheose ihrer kapitalistischen Produktionsweise als gemeinwohlförderndes Betätigungsfeld“ (34). Diese „Auserwähltheit“, die zur Rechtfertigung politischer Handlungen immer wieder in Anspruch genommen wird, gründet sich auf Unabhängigkeitserklärung und Verfassung, wobei unterschlagen wird, dass diese Produkte des Eigennutzes einer kleinen, gut vernetzten Gruppe von Kaufleuten und Sklavenhaltern waren. Ihre ideologische Bedeutung war und ist jedoch eine andere: „Mit der Etablierung dieser Gesellschaft auf dem Boden der neuen Welt war nicht nur der Traum aller Menschen von Freiheit und Wohlstand prinzipiell realisiert, sondern damit überhaupt die menschliche Gesellschaft zum ersten Mal in das ihr von Natur aus zukommende Organisationsmodell versetzt worden.“ (34)

Ein weiteres Merkmal des Sonderweges ist die enorme Bedeutung der Religion in Gesellschaft und Politik. Ursächlich dafür ist die seit Staatsgründung bestehende Trennung von Kirche und Staat, die die Religionsgemeinschaften zwingt, um die Gläubigen, d.h die finanziellen Unterstützer, zu konkurrieren und so „die nachhaltige Möglichkeit der unaufhörlichen Wiedererweckung eines theistischen Religionsverständnisses“ (132) schafft. Da die Religion nie mit der Staatsmacht verbunden war, blieb sie stets die natürlich nicht klassenneutrale „Sache des Volkes“ und angesichts der Bedeutung des „gesunden Menschenverstandes“ (common sense) innerhalb des Protestantismus auch fruchtbare Basis des christlichen Fundamentalismus.

Von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklung eines Sonderweges war, wie Frank Unger hervorhebt, dass der Sieg der Demokratie in den USA weder das Ergebnis eines Kampfes Bürgertum vs. feudale Mächte noch einer Arbeiterklasse vs. Bourgeoisie war, sondern Produkt einer internen bürgerlichen Auseinandersetzung. Zugleich formierte sich ein bis dahin einzigartiger Nationalismus, „dessen Maxime nicht der selbstlose Dienst an der Nation, sondern die unkontrollierte Verfolgung des individuellen ökonomischen Privatinteresses wurde“ (40). Im Vergleich zu den westeuropäischen Demokratien, wo die verschiedenen Parteien unterschiedliche politische Ziele und Klasseninteressen repräsentieren, sind die USA streng genommen ein Einparteienstaat. Programmatisch gibt es nur die Partei des bürgerlichen Besitzindividualismus, die sich zu Zwecken der praktischen Organisierung von Wahlentscheidungen und um der demokratischen Legitimation willen in zwei Filialen mit unterschiedlichen symbolischen und regionalen Identitäten aufgespalten hat. Der einzig nennenswerte Versuch, dieses Monopol aufzubrechen, war die im Kern bürgerliche Bewegung des „Populismus“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts. In seiner Analyse rückt der Autor die historischen Fakten zurecht und macht deutlich, dass „die erste systematisch mit Hilfe der Medien organisierte Mobilisierungs- und Diskriminierungskampagne in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ (120) nicht nur dieser Bewegung das Rückgrat brach, sondern auch dazu führte „den Begriff ‚Demokratie‘ so erfolgreich mit der Praxis einer elitär konstruierten liberalen Republik zu identifizieren, dass der ursprünglich egalitäre Sinn von Demokratie vollkommen verschüttet wurde“ (123). „Populismus“ hingegen wurde – „in deutlicher Anlehnung an die Faschismustheorie des amerikanischen Liberalismus“ (123) – ein eindeutig negativ besetzter Begriff.

Nicht zuletzt wegen der immer noch verbreiteten Illusionen über Obama ist Frank Ungers Analyse des Wilsonismus (siehe auch seinen Aufsatz in Z 49), der theoretischen Basis der westlichen Globalpolitik, von eminent aktueller Bedeutung. Der erste Weltkrieg brachte das Ende des goldenen (Freihandels-)Zeitalter der Pax Britannica und den Schock revolutionärer Erhebungen. Präsident W. Wilson verfolgte in seiner Außenpolitik zwei Ziele: die Wiederherstellung der „internationalen Arbeitsteilung“ unter neuem Management und mit dem Völkerbund weniger das Selbstbestimmungsrecht der Völker als die zivilisierte Beschlussfassung gebildeter Eliten über die Völker. Doch erst mit Roosevelt wurde dies 1941 praktisch und mit Truman 1947 offen deklariert zum leitenden Prinzip der US-Außenpolitik. In unterschiedlicher Ausformung und Rhetorik ist der Wilsonismus vom Cold War-Liberalism über den Vietnamkrieg bis zu Bush und Obama die außenpolitische Konzeption des Establishments. Deshalb hatte die liberale Empörung über den Irakkrieg durchaus Züge von Heuchelei. „Vom objektiven Tatbestand kann Bush und seiner Regierung – abgesehen von bestimmten rhetorischen Felgriffen – nicht ernsthaft vorgeworfen werden, Verstöße gegen das ‚Völkerrecht‘ oder gegen die allgemein-menschliche Moral begangen zu haben, die nicht ebenso und zum Teil weitaus brutaler von jedem ihrer Vorgänger seit Harry S. Truman begangen worden sind: entweder direkt durch militärische Aktionen oder indirekt durch geheimdienstliche Unterstützung lokaler Kräfte.“ (248)

Peter Wiener