Euro-Krise und Alternativen der Linken

Die Krise der europäischen Integration und die Alternativen der europäischen Memorandumgruppe

von Hermann Bömer
September 2012

1. Neue Dimensionen der EU-Integration zur Zeit der historischen Wende

Mit der einheitlichen Europäischen Akte (1986, bis 1993 „vollendet“) wurde ein Systemwechsel in der europäischen Integration vollzogen. Statt der politischen Aushandlung der Marktintegrationsmodi wurde der realwirtschaftliche Systemwettbewerb in der Union weiter entfesselt. Die Bundesrepublik konnte ihre produktive Überlegenheit in der EU weiter entfalten, so dass Spanien und Italien 1992 gegenüber der DM drastisch abwerten mussten und Großbritannien das EWS verließ. Nach der Implosion des Realsozialismus wurde – nicht zuletzt aus politischen Gründen – mit dem Maastricht-Vertrag 1993 ein Riesenschritt auf dem Feld der monetären Integration eingeleitet. Mit den Konvergenzkriterien wurde die Wirtschaftspolitik den von der Bundesrepublik durchgeboxten obersten Zielen, der Preisstabilität und niedrigen Staatsdefiziten, untergeordnet. Der Lamfalussy-Prozess[1][1] trieb Ende der 90er Jahre die Integration und Deregulierung der Banken und Kapitalmärkte voran. Preisstabilitäts- und Lohnstückkostensenkungspolitik war und ist in Deutschland aber kein Selbstzweck, sondern das strategische Instrument, mit dem die Exportorientierung und damit der Hegemoniegewinn über die EU vorangetrieben wurde und wird. Griechenland, Italien, Spanien und auch Großbritannien konnten dem deutschen Exportdruck bis 1992 durch Abwertung bzw. das Verlassen (GB), durch Abwertung (Spanien, Italien) des EWS I bzw. den Nichteintritt (Griechenland) begegnen, wobei Griechenland von 1981 bis 1992 die Drachme um ca. 80 Prozent abwertete (Roth 2012). Maastricht war dann der qualitative Sprung, der die relative Autonomie der Währungssouveränität der Mitgliedsländer aufhob.

Eine der wesentlichen Ursachen der heutigen EU-Krise, die großen Leistungsbilanzungleichgewichte zugunsten Deutschlands, konnte sich jedoch in den 90er Jahren noch nicht entfalten, weil das vereinigte Deutschland hohe Summen zur sozial- und regionalpolitischen Stabilisierung und Integration Ostdeutschlands aufwenden musste (sozusagen die deutsche Ausgleichsunion, jährlich mindestens 100 Mrd. DM) und nach der Vereinigung die Importe aus Frankreich, Italien usw. stark zunahmen. Ab 1991 war die Leistungsbilanz Deutschlands für ein Jahrzehnt negativ und zugleich blieb nach dem Einigungsboom 1990-1992 das Wachstum sehr gering, weil die Wirtschaftspolitik „antikeynesianisch“ betrieben, also langfristig wieder auf Exportüberschüsse orientiert wurde. Dies führte auch in Westdeutschland zu niedrigen Wachstumsraten und hohen Arbeitslosenquoten.

2. Die Euromemogruppe (www.euromemo.eu)

Es lag auf der Hand, dass spätestens jetzt auch eine neue Qualität der wirtschaftspolitischen Analyse, Kommentierung und Alternativenentwicklung im EU-Raum notwendig wurde. Zwar hatte sich z.B. die deutsche Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in ihren Jahresgutachten unter der Federführung von Jörg Huffschmid und Rudolf Hickel immer wieder mit dem europäischen Integrationsprozess beschäftigt, es fehlte aber der ständige Dialog mit ÖkonomInnen aus England, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Polen, Schweden, Ungarn usw. Zusammen mit Jaques Mazier und Pascal Petit (Paris), John Grahl und Malcom Saywer (London), Miren Etxezarreta (Barcelona) und Marica Frangakis (Athen) haben Frieder Otto Wolf (Berlin, damals MdEP), Klaus Dräger (Brüssel) und Jörg Huffschmid (Bremen) 1995 die Initiative ergriffen und die Arbeitsgruppe Europäischer AlternativökonomInnen ins Leben gerufen. Die erste Tagung fand im Europäischen Parlament in Straßburg statt.

Die deutsche AG Alternative Wirtschaftspolitik war nur in gewisser Weise Vorbild. Die Euromemogruppe tagte nur einmal statt dreimal im Jahr, auf einer stärker am angloamerikanischen wissenschaftlichen Tagungsstil ausgerichteten Basis. Ein starkes wissenschaftliches Fundament waren die erfolgreich aus den EU-Forschungsprogrammen eingeworbenen Projekte zu sozialen Auswirkungen der EU-Finanzmarktregulierungen (Grahl 2009) sowie zur Entwicklung und Zerstörung der europäischen Sozialmodelle durch Privatisierung (Frangakis et al. [Ed.] 2009). Diese Projekte und Tagungen führten zu einer jahrelangen intensiven Zusammenarbeit mit dem Ergebnis vertiefter Kenntnis des Integrationsprozesses und seiner Widersprüche und zugleich zur Freundschaft vieler Euromemomitglieder, obwohl es auch zeitweise harte Kontroversen gab, z.B. bezüglich der Energiepolitik. Die Euromemogruppe gibt seit 1995 jährlich ein Gutachten heraus, manchmal auch eine Langfassung (so z.B. 2005: Etxezarreta et. al. 2005).

3. Analytische und programmatische Kernfragen

Die Disproportionen und Krisen des heutigen Kapitalismus resultieren nicht zuletzt aus der sich ständig verschlechternden Einkommens- und Vermögensverteilung. Die Umverteilung zu Lasten der subalternen Klassen lässt das spekulative Kapital rasch ansteigen. Der Abbau der Kapitalverkehrskontrollen und die Deregulierung der Finanzmärkte sind dann hinreichend, um die Entfesselung der Spekulation zu entgrenzen und die Privatisierung öffentlichen Eigentums voranzutreiben. Fragt man, wie es zur Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse kommt, so wird dies durch die Veränderung der Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital und damit den einseitigen Abbau von Verhandlungsmacht, Mitbestimmung und Demokratie seit Mitte der 70er Jahre erklärbar. Im Umkehrschluss heißt dies, dass durch Steuererhöhungen auf Gewinne und hohe Einkommen sowie durch Vermögensabgaben und durch die Reregulierung der Finanzmärkte sowie Demokratisierung die Position der abhängig Beschäftigten und des Sozialstaats gestärkt werden müssen. Trotz der Gemeinsamkeiten der Krisenursachen der kapitalistischen Welt müssen die jeweiligen, sehr unterschiedlichen institutionellen nationalstaatlichen Entwicklungspfade in den Blick genommen und bei der Ausarbeitung der Alternativen berücksichtigt werden (Mehrebenenpolitik, vgl. Lehndorff 2012). Zugleich muss eine breite öffentliche Debatte über die Zukunft der EU geführt werden. Dies ist Voraussetzung dafür, einen demokratischen, sozialen und ökologischen Ausweg aus der derzeitigen Krise zu finden.

Diese kurze Skizze kann als das theoretische Grundverständnis der Euromemogruppe gelten. Es ist allerdings unbedingt um die ökologische Komponente zu erweitern und wird es auch: Die kapitalistische Marktwirtschaft zerstört die Umwelt und maximiert den Ressourcenverbrauch. Antikrisenpolitik muss mithin zugleich progressive Umweltpolitik sein. Antizyklische Konjunktur- und Beschäftigungspolitik nach Keynes muss also mit umweltpolitischen Programmen und entsprechenden strukturellen Veränderungen verknüpft werden (siehe Euromemo 2012).

4. Noch einmal: die 90er Jahre

Der Maastricht-Vertrag (1993) – im Wesentlichen von Kohl und Mitterand ausgehandelt – firmierte die EG zur EU um und nahm beschleunigten Kurs auf die Wirtschafts- und Währungsunion, faktisch nur auf eine amputierte Währungsunion, ohne der EZB die Funktion des „lender of the last resort“ zuzubilligen. Der von Bonn/Berlin vorangetriebene Stabilitäts- und Wachstumspakt (Amsterdam Vertrag 1997) sollte die potentiell inflatorischen Effekte der Einheitswährung eindämmen, hatte aber (speziell in Deutschland) deflatorische Wirkungen, insbesondere nach dem Jahr 2000.

Die Konstruktionsfehler des Maastricht-Vertrages sind häufig beschrieben worden: Die fragwürdige Hoffnung, die Einheitswährung würde sowohl die Wirtschafts- und Finanzpolitik – quasi automatisch – vereinheitlichen als auch die Lohnpolitik den unterschiedlichen Bedingungen anpassen, erfüllte sich nicht. Aus der Rückschau von heute sind auch die Wechselkurse, mit denen die EWU-Mitglieder der Währungsunion beitraten, kritisch zu diskutieren. Aufgrund der deutschen Vereinigung hatte sich die deutsche Leistungsbilanz stark ins Minus gedreht und war erst etwa im Jahr 2000 wieder ausgeglichen, um dann extrem ins Plus zu drehen. Die Wechselkursfestlegungen für den Euro erfolgten jedoch im Zeitraum 1997-1999, in dem die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der Mittelmeerländer kurzfristig besser zu sein schien als langfristig gerechtfertigt. Umso heftiger war dann im Zeitraum 2001-2010 der radikale Umschwung: Der Euro war für diese Staaten faktisch mit einer Aufwertung verbunden, welche die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland beeinträchtigte.

Auch die integrationspolitischen Grundfragen – vom Staatenbund zum Bundesstaat, Souveränitätsaufgabe in der Haushalts-, Finanz und Sozialpolitik, generell die Fragen der demokratischen Kontrolle – blieben unbeantwortet bzw. wurden, besser gesagt, im EU-Verfassungsentwurf dem neoliberalem Diktat unterworfen. Die von Maastricht vorgesehene Europäische Verfassung, die im Wesentlichen die neoliberale Grundausrichtung festlegte, scheiterte zwar infolge der verlorenen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden und wurde durch den Vertrag von Lissabon (2000) ersetzt. Dessen neurotisches Ziel, die EU zur mächtigsten Wirtschaftsregion der Welt zu machen (!), wurde bereits 2005 zu den Akten gelegt. Die geld-, fiskal- und allgemeinpolitischen Voraussetzungen für eine Bekämpfung der Krise 2007ff waren damit denkbar ungünstig, die weitgehend rechten bzw. konservativen Regierungen und das Kommissionspersonal großteils auch intellektuell unfähig, die Krise zu begreifen und adäquat zu reagieren. Oder vielleicht schlimmer: Die Überakkumulation von Finanzkapital sollte nicht durch Bank- und Staatsbankrotte korrigiert und bezahlt werden, sondern durch eine allgemeine Senkung der Lohn- und Sozialquoten. Damit trat eine Periode der EU-Entwicklung ein, in der sich die sozialen, regionalen und einkommenspolitischen Gegensätze enorm verschärften und die Interessen des Finanzkapitals ganz unverhohlen zur politischen Richtschnur wurden. Frau Merkel nannte dies „marktverträgliche Demokratie“. In den Südländern und Irland wurden „zivile Juntas“ installiert (Griechenland, Italien) während in Spanien und Portugal rechte Regierungen zum Zuge kamen. Aber auch der französische Präsident Sarkozy musste 2012 den Hut nehmen, und Bundeskanzlerin Merkel verlor eine große Serie von Landtagswahlen.

Die neunziger Jahre und das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts waren geprägt von tief greifenden neoliberal orientierten Reformen des Banken- und Finanzsystems in Europa (Lamfalussy-Plan, siehe Fußnote 1). Diese Deregulierung erleichterte zunächst die Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der Südländer, um dann zusammen mit den anderen Krisenursachen (vgl. Abschnitt 3) die europäische Bankenkrise sowie die Euro- und Staatsschuldenkrise auszulösen. Zugleich wurde das Finanzkapital als Akteur im wirtschaftspolitischen Geschehen enorm gestärkt und diktiert seither weitgehend die Politik, deren Orientierungspunkt nun nicht mehr die Rentabilität des Kapitals sondern, spezifischer, das ‚Vertrauen der Finanzmärkte’ geworden ist.

Die Mittelmeerländer Spanien, Griechenland, Portugal und Italien konnten in den neunziger Jahren anfangs stark von den durch den Konvergenzprozess sinkenden Zinssätzen profitieren, die Ergebnis der Einleitung des Maastricht-Prozesses waren. Die recht starken Produktivitätssteigerungen und Reallohnerhöhungen – im Wesentlichen ein bekannter Effekt hoher Wachstumsraten – sowie die Investitionen hauptsächlich in die Infrastruktur, die Wohnungswirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe, waren z.B. in Griechenland und Spanien problemlos zu finanzieren. Ihre Leistungsbilanzen verschlechterten sich aber rapide, insbesondere als Deutschland seit 2001 stagnierte und eine „erfolgreiche“ Lohndumping-Politik (Hartz IV usw.) betrieb, gestützt durch eine deflatorische makroökonomische Politik. Der Export wurde dadurch aggressiv gesteigert, die Lohnpolitik war ebenfalls deflationär. Auf Kosten der deutschen Binnenmarktnachfrage, insbesondere der Beschäftigten des sich schnell ausdehnenden Niedriglohnsektors und der öffentlichen Investitionen und Dienstleistungen, wurde die Hegemonie in Europa massiv gestärkt.

Eine weitere zentrale Kritik der Euromemogruppe ist das viel zu geringe Transfer- und Ausgleichpotential des europäischen Haushalts, mit dem regionale und strukturelle Disproportionen bekämpft werden könnten. Der Gesamthaushalt der EU beträgt jährlich weniger als ein Prozent des Inlandsprodukts der EU, was kaum bekannt ist. Davon gehen etwa 40 Prozent in die Kohäsions- und Regionalfonds, 40 Prozent in die gemeinsame Agrarpolitik GAP sowie der Rest in alle anderen Politikfelder. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, eine Währungsunion für ca. 300 Mio. Einwohner (also etwa die Größe der USA) mit einem derart mickrigen Zentralhaushalt auszustatten und zu glauben, man könne diese regional sehr zerklüftete Makroregion hauptsächlich monetaristisch steuern. Die Sparideologie hat es sogar geschafft, den EU-Haushalt relativ zu senken (von 1,27 auf unter 1 Prozent des BIP). Die Euromemogruppe fordert dagegen, den EU-Haushalt schrittweise bis 2020 auf 5 Prozentpunkte anzuheben und das Kapital der Europäischen Investitionsbank drastisch zu erhöhen. In der öffentlichen Meinung kommt die EU dagegen als bürokratischer Moloch (big government) daher, wobei immer nur absolute Haushaltszahlen genannt werden, zumeist über die 7-Jahresperioden. Nur wenige Experten kennen das geringe relative Gewicht des Europahaushalts.

5. Die große Krise und das Berliner EU-Diktat

Die neoliberal deformierte Integrationsvariante reagierte einerseits mit zumeist verspäteten ad hoc-Maßnahmen, also zunächst individuellen Kreditpaketen sowie – daran gekoppelt – mit knallharten Austeritätsprogrammen für Irland, Griechenland und Portugal. Dies reflektiert die von Berlin und Brüssel lange geforderte Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Durch drastische Lohnsenkungen und die Beschneidung des Sozialstaats soll die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer wieder hergestellt werden (sog. interne realwirtschaftliche Abwertung). Die drastische Reduzierung der investiven Staatsausgaben zerstört aber jeden Ansatz eines produktiven Auswegs aus der Krise sowie darüber hinaus die politische Stabilität. Die jüngst dazu erfundene „Wachstumspolitik“ ist einerseits Symbolpolitik, anderseits wird sie auf „Wachstum durch Strukturreformen“ nach deutschem Vorbild hinauslaufen, zunächst also nicht zu ausreichend dimensionierten Investitions- und Beschäftigungsprogrammen führen.

Wenn die Analyse stimmt, dass die Zuspitzung der Verteilungsungleichheit letztlich die Finanz- und Bankenkrise und dann die Staatsschuldenkrise hervorgebracht hat, bleiben letztlich nur drei wirtschaftspolitische Optionen:

Variante Berliner Diktat: Die Finanzmärkte werden nicht straff rereguliert. Stattdessen wird in den schwachen Ländern der Sozialstaat zerschlagen, in den anderen weiter demontiert (GB, aber auch Deutschland). Der Fiskalpakt sowie die Auflagenpolitik der ESMS und seiner Nachfolgeorganisation, des EMS, sind die Umsetzungsinstrumente. Dies wird die EWU in eine tiefe Depression stürzen. Da der Fiskalpakt wie die Schuldenbremse in Deutschland in den meisten Ländern verfassungsmäßig verankert werden soll, wird es politisch extrem schwierig werden, ihn wieder auszuhebeln.

Variante Euromemorandumgruppe (2012): Die Banken und Finanzmärkte werden straff rereguliert („zerschlagen“ und verkleinert, wie Rudolf Hickel formuliert). Eine Europäische Staatsbank begibt Eurobonds und senkt so die Finanzierungskosten der Staaten. Der EU-Haushalt wird drastisch ausgeweitet (s.o.). Zur Bekämpfung der aktuellen Krise wird ein großes länderspezifisches und ökologisch ausgerichtetes Investitionsprogramm mit mittelfristiger Perspektive (5 Jahre) aufgelegt. Eine Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik muss sich an den genannten sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen und nicht an der gegenwärtig vorherrschenden Austeritätspolitik orientieren. Es muss eine einschneidende Umverteilung von Oben nach Unten und eine Stärkung des Sozialstaats eingeleitet werden. Die EZB muss sich diesem Konzept unterordnen, d.h. die derzeitige Politik des billigen Geldes fortsetzen. Das Europäische Parlament braucht einen stärkeren Einfluss auf die Gesamtpolitik und für diesen Ansatz eine progressive Mehrheit. Dieses Konzept setzt darauf, die Weiterentwicklung der Währungsunion durch demokratische Integrationsprozesse zu sichern und ihren Charakter zu verändern.

Unter-Variante IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Böckler-Stiftung): Mit ausgefeilten Szenarien auf der Basis einer keynesianischen makroökonomischen Strategie hatte das IMK schon 2010 nachgewiesen, dass Griechenland und andere Krisenstaaten unter bestimmten Bedingungen und anstelle der von Deutschland erzwungenen Austeritätspolitik ihre Probleme würde lösen können. Diese Position wird gestützt durch die jährlichen Kongresse des FMM (Research Network Macroeconomics and Macroeconomic Policies der Hans-Boeckler-Foundation), einer der größten postkeynesianischen Vereinigungen weltweit. Die Schnittpunkte mit der Euromemogruppe sind bemerkenswert.

Variante Rückzugsposition: Die politischen Kräfteverhältnisse erlauben es nach dieser Meinung nicht, Variante 2 durchzusetzen. Folglich wird ein Teil der EWU-Mitglieder mehr oder weniger geordnet oder brutal ausscheiden müssen. Dahinter steht die Hoffnung, den Status quo ante von 1992 wieder zu erreichen, also vor allem die relative oder absolute Autonomie über die Wechselkurspolitik wieder zu erlangen. Beispiele wären hier GB, Dänemark und Schweden. Mit Ausnahme von Polen mit seinem großen Binnenmarkt sind die anderen osteuropäischen EU-Mitglieder sowie Griechenland und Portugal nicht in der Lage, eine relativ eigenständige Wechselkurspolitik zu betreiben. Es ist zudem nicht garantiert, dass das Ausscheiden aus der Währungsunion nicht mit einer wirtschaftlichen und sozialen Großkrise einhergeht. Vor allem die jetzt schon schwer angeschlagenen Länder Griechenland, Spanien, Portugal und auch Italien dürften sich mit riesigen Kapitalfluchtproblemen konfrontiert sehen (Nölke 2012).

6. Zur Organisation der Euromemogruppe

Derzeit (2012) wird die Euromemogruppe durch ein elfköpfiges Gremium (Steering Committee) geleitet. Der Generationenwechsel in Bezug auf die Gründergruppe (1995) ist teilweise vollzogen. Die nächste Jahrestagung findet vom 28. bis 30. September 2012 in Poznan statt und beschäftigt sich – natürlich – mit der gigantischen Europakrise.

Kontaktadressen: Diana Wehlau (euromemo@uni-bremen.de[2]), Frieder Otto Wolf (fow [at] snafu.de ) und Trevor Evans (evans@hwr-berlin.de[3]).

Netzadresse: www.euromemo.eu[4].

Literatur

Euromemogruppe (2012): Europäische Integration am Scheideweg: Mehr Demokratie für Stabilität, Solidarität und soziale Gerechtigkeit. www.euromemo.de[5] Druckfassung: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 3/2012

Etxezarreta, M./Grahl, J./Huffschmid, J./Mazier, J. u.a (2003): Vollbeschäftigung, Wohlfahrt und ein starker öffentlicher Sektor. Demokratische Herausforderungen in einer erweiterten Union, Hamburg

Etxezarreta, M./Grahl, J./Huffschmid, J./Mazier, J. u.a (2005): Demokratische Politik gegen die Herrschaft der Märkte. Vorschläge für eine integrierte Entwicklungsstrategie in Europa, Hamburg

Frangakis, M./Hermann, C./Huffschmid, J./Lóránt, K.(Ed.) (2009): Privatisation against the European Social Model. A Critique of European Policies and Proposals for Alternatives. Palmgrave Macmillan, Hampshire and New York

Grahl, John, (Ed) (2009): Global Finance and Social Europe, Cheltenham UK, Edward Elgar

IMK Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Böckler-Stiftung (http://www.boeckler.de/index_imk.htm)

Lehndorff, Steffen (Hrsg.): Ein Triumph gescheiterter Ideen. Warum Europa tief in der Krise steckt. Zehn Länderstudien, Hamburg

Nölke. Andreas (2012): Rettet Europa! Ohne Euro? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3/2012, S. 55-62

Roth, Karl Heinz (2012): Griechenland: Was tun? Eine Flugschrift, Hamburg

[1][6] Ab Ende der 90er Jahre wurde die Integration der EU-Finanzmärkte und ihrer Kontrolle vorangetrieben, zunächst mit dem Aktionsplan für Finanzdienstleistungen (Financial Services Action Plan), dem Risikokapital Aktionsplan sowie dem Lamfalussy Prozess, in dem Kommission, Ministerrat und EU-Parlament die Rahmengesetzgebung für die Ausgestaltung der Kontrollmechanismen der Finanzmärkte vornahmen, während die technische Ausgestaltung einer speziellen Kommission unterliegt, in der auch die Finanzindustrie, nicht aber Verbraucherverbände vertreten sind. Vgl. ausführlich Maric Frangakis, EU financial market integration policy, in: John Grahl 2009, S. 91-114. Der Franzose Alexander Lamfalussy war der Sprecher des „Rats der Weisen“, der Expertenkommission, die den Plan ausgearbeitet hat.

Links:

  1. https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de#_ftn1
  2. euromemo@uni-bremen.de
  3. evans@hwr-berlin.de
  4. http://www.euromemo.eu/
  5. http://www.euromemo.de/
  6. https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de#_ftnref1