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Diffamierung, Denunziation und Manipulation

Methoden der bürgerlichen Publizistik im Kampf gegen Oskar Lafontaine und die LINKE

Juni 2008

Alle sprechen derzeit über die LINKE bzw. deren sich (auch in Westdeutschland) häufende Wahlerfolge, aber kaum ein Journalist tut das halbwegs unbefangen oder ist ihr wohl gesonnen. Vielmehr dominiert der mediale Versuch, sie mit allen – auch manipulativen – Mitteln zu diskreditieren und in der Gunst ihrer Wähler/innen herabzusetzen. Da der Antikommunismus im hessischen Landtagswahlkampf 2007/08 wiederbelebt und – wenngleich erfolglos – vom dortigen Ministerpräsidenten Roland Koch instrumentalisiert wurde, um seine Parlamentsmehrheit zu behaupten, aber auch im anschließenden Hamburger Bürgerschaftswahlkampf eine Schlüsselrolle spielte – zu erinnern ist an den Bericht des Fernsehmagazins „Panorama“ über angebliche Wünsche der frischgebackenen niedersächsischen LINKEN-Landtagsabgeordneten Christel Wegner (DKP) nach einer „neuen Stasi“ –, kümmert sich kaum noch jemand um den Rechtsextremismus. Dies verwundert umso mehr, als die Mittelschichten in Deutschland ihre Angst vor dem sozialen Abstieg bisher nie mit einem „Linksschwenk“ oder „-ruck“ beantwortet haben, von dem heute wieder so viel die Rede ist. Beinahe inflationär wird gleichzeitig der Populismusbegriff verwendet, der zumindest dann fragwürdig ist, wenn er als Kosename für den Rechtsextremismus bzw. zur Verharmlosung von dessen Gefahrenpotenzial dient und/oder gegen die demokratische Linke gekehrt wird.[1] Beispiele dafür gibt es genug; hier steht die publizistische Treibjagd vieler Medien auf Oskar Lafontaine im Fokus der Inhaltsanalyse.

Die demagogische Gleichsetzung von Links und Rechts:
Populismus statt Extremismus?

Offenbar geht heute ein neues Gespenst in Europa um: der „Linkspopulismus“, welcher laut Frank Decker vom globalisierungskritischen Netzwerk attac bis zur Partei DIE LINKE reicht. Decker gibt auf der anderen Seite des politischen Spektrums hingegen vorschnell Entwarnung, wenn er von einer „allgemeinen Erschöpfung des europäischen Rechtspopulismus“ spricht und behauptet, die etablierten Parteien hätten ihren Herausforderern „die Migrationsfrage entwunden.“[2] Das klingt nach einer politischen Kraftanstrengung und einer anerkennenswerten Leistung, meint jedoch nichts weiter als die Anpassung demokratischer Regierungen an den Rechtspopulismus bzw. die Nachgiebigkeit gegenüber seiner Forderung nach Verschärfung der Zuwanderungs- und Asylgesetzgebung. Man besiegt den Rechtspopulismus aber nicht, indem man Kernelemente seiner Programmatik in abgeschwächter Form oder homöopathischen Dosen übernimmt.

Höchst problematisch erscheint die Verwendung des Populismusbegriffs, wenn mit seiner Hilfe die während des Kalten Krieges zur westdeutschen Staatsdoktrin avancierte Extremismus- bzw. Totalitarismustheorie im modischen Gewand wiederaufersteht und neuerliche staatliche Ausgrenzungsbemühungen gegenüber linken Systemkritiker(inne)n, z.B. Oskar Lafontaine als früherem SPD-Vorsitzenden und heutigem Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, legitimiert werden. Dabei wird der Populismusbegriff sowenig mit Inhalt gefüllt wie seinerzeit die beiden Termini „Totalitarismus“ und „Extremismus“. Nicht zufällig erfährt die Extremismustheorie seit geraumer Zeit eine Renaissance, was sich auch in mehreren neuen Buchpublikationen dazu niederschlägt.[3]

Genauso wie jene Extremismustheoretiker, die während der frühen 1990er-Jahre teilweise mit Spitzenrepräsentanten der so genannten Neuen Rechten gemeinsam publizierten,[4] beschwören führende Populismusforscher hauptsächlich eine Gefahr von links. Während der Rechtspopulismus aufgrund der NS-Vergangenheit hierzulande in einem „höchst empfindlichen öffentlichen und medialen Umfeld“ agiere, leicht stigmatisiert werden könne und keine charismatischen Spitzenpolitiker habe, verfügt der Linkspopulismus nach Ansicht von Frank Decker und Florian Hartleb durch die feste gesellschaftliche Verankerung und gute organisatorische Vernetzung der PDS in Ostdeutschland über eine tragfähige Basis, genügend Ressourcen sowie geeignetes Führungspersonal. DIE LINKE könne trotz ihrer „DDR-Vergangenheit“ und des gegen sie fortbestehenden „Extremismusverdacht(s)“ nicht auf Dauer delegitimiert werden, zumal sich die Partei „in ihrer ideologischen Gegnerschaft zum Rechtsextremismus scheinbar (?!) von niemandem überbieten“ lasse: „Gerade weil sie über den Faschismusverdacht in jeder Hinsicht erhaben ist, kann es sich die Linkspartei relativ gefahrlos leisten, mit Themen und Methoden auf Stimmenfang zu gehen, die man normalerweise dem Rechtspopulismus zuschreibt.“[5]

Belege für ihre These blieben die Verfasser zwar schuldig, schlossen damit aber erfolgreich an ein in der Medienöffentlichkeit verbreitetes Klischee an, das in dem früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine den (Links-)Populisten schlechthin verkörpert sieht. Frank Decker und Florian Hartleb weisen kurz auf „Lafontaines Einlassungen zur Zuwanderungspolitik“ hin,[6] die ihrer Meinung nach „genauso gut von Jörg Haider oder Franz Schönhuber hätten stammen können“, ohne sie auch nur sinngemäß zu zitieren oder zu erwähnen, dass der WASG-Spitzenkandidat zum Zeitpunkt der inkriminierten Äußerungen noch gar nicht der Linkspartei.PDS angehörte, die übrigens auch längst nicht mehr PDS hieß. Doch was interessieren Daten, Fakten und Details im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung, wenn durch ihr Verschweigen das Hauptziel erreicht wird, linke Politik, Politiker und Parteien im Rahmen des fortwirkenden antikommunistischen Grundkonsenses der Bundesrepublik zu diskreditieren?

„Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“, hatte Oskar Lafontaine auf einer Wahlkampfveranstaltung in Chemnitz am 14. Juni 2005 gesagt.[7] Indem er den Begriff „Fremdarbeiter“ für osteuropäische Arbeitsmigranten benutzte, verstieß Lafontaine zweifellos gegen die als Political Correctness bezeichneten Sprachregeln, wiewohl er nur ausdrückte, was die deutsche Arbeitsmarktpolitik mit dem so genannten Inländerprimat seit Jahrzehnten praktiziert. Wenn Politiker des Establishments – wie etwa der seinerzeit für das Thema „Migration und Integration“ zuständige frühere Bundesinnenminister Otto Schily – in und außerhalb von Wahlkampfzeiten Ähnliches tun, stellt sie deshalb bezeichnenderweise kaum jemand zur Rede und/oder mit Vertretern rechtsextremer Parteien auf eine Stufe. In einem Interview, das am 2. November 2000 in der „ZEIT“ erschien, warb Schily, auf Probleme der Integration von Türk(inn)en und Tendenzen ihrer Gettoisierung (Stichwort: Berlin-Kreuzberg) angesprochen, für all jene Migrant(inn)en um Verständnis, die im Aufnahmeland zu Menschen mit der ihnen vertrauten Sprache und vergleichbaren Gewohnheiten ziehen: „Das ist (...) eine Eigenschaft, die auch dem deutschen Volkscharakter nicht fremd ist. Deutsche haben in Übersee auch immer die Nähe zu Deutschen gesucht.“ Mit einem Begriff wie „deutscher Volkscharakter“ leistet man der Ethnisierung sozialer Verhaltensweisen selbst dann Vorschub, wenn er im Rahmen der Argumentation für Migration, Integration und multikulturelles Zusammenleben benutzt wird.

DIE LINKE als parlamentarische Kraft und Gegenstand
unsachlicher Kritik

Spätestens seit dem 13. Mai 2007, als die Linkspartei mit 8,4 Prozent der Stimmen in die Bremische Bürgerschaft (Landtag) einzog, ist sie auch im Westen des Landes eine von ihren Konkurrentinnen ernst zu nehmende politische und parlamentarische Größe, die vor allem bei der SPD und ihr nahe stehenden Kommentatoren scharfe Abwehrreflexe auslöst. Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) qualifizierte die unliebsame Konkurrenz in der Rubrik „Auf eine Zigarette – Helmut Schmidt“ des ZEITmagazins Leben der von ihm mit herausgegebenen Wochenzeitung (v. 28.6.2007) kurzerhand als „linksextrem“ ab: „Einige SPD-Wähler möchten an Regeln festhalten, die nicht mehr realistisch sind. Sie möchten an dem Wohlstand festhalten, den ihnen der Sozialstaat verschafft hat. Dass die Welt sich ändert und dass wir Deutschen viel älter werden als früher, dass das Renteneintrittsalter steigen muss, schafft Unsicherheit und Besorgnisse. Dann gibt es Leute wie diesen Lafontaine, die auf diesem Klavier spielen und Ängste schüren.“

Thomas Meyer, führender sozialdemokratischer Intellektueller, Mitglied der Programmkommission und Chefredakteur des Theorieorgans seiner Partei, verteidigte dort die Arbeitsmarkt- bzw. Modernisierungspolitik der Bundesregierung und warf der „Empörungslinken“ vor, die „Gestaltungslinke“ durch ihre Kritik daran zu schwächen: „Der Populismus, auch auf der Linken, ist stets mehr Form als Inhalt: maßloser Protest, Schaffung von Sündenböcken statt Kontroversen, moralische Rechthabereien gegen den Rest – im vorliegenden Falle gegen die ‚Hartz-IV-Parteien‘.“[8] An gleicher Stelle beschimpfte Klaus Harpprecht, einst Berater des damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, Lafontaine als „Ex-Bonaparte von der Saar“ und „Deutschlands Chefdemagoge“, der ein „talentierte(r) Populist“ sei: „Kaum ein Auftritt, bei dem er nicht den Geist Willy Brandts herbeizitiert, um ihn als eine Art Großpapa seiner ‚Linken‘ vorzuführen, neben dem Urgroßvater Bebel, dem Großonkel Liebknecht und der Großtante Luxemburg.“[9]

Auch die Populismusforschung schreckt im Einzelfall vor übertriebener Polemik nicht zurück. Selbst namhafte Wissenschaftler sind von solchen Anwandlungen keineswegs frei, wie folgende Bemerkung des Bonner Hochschullehrers Frank Decker zeigt: „Nicht wenige von denen, die der multikulturellen Gesellschaft das Wort reden, leben selbst in sicherem Abstand zu den Problemvierteln, um der harten Realität des zwischenethnischen Alltags aus dem Weg zu gehen.“[10] Das klingt nach einem schlagenden „Argument“, welches REPublikaner, DVU-Anhänger oder NPD-Sympathisanten fast in jeder Diskussion über Integrationsdefizite von Zuwanderern benutzen, um die Gegenseite ins Unrecht zu setzen. In dieser Klarheit und Schärfe tragen es Rechtsextremisten aber selten vor, sprechen sie doch eher davon, dass „MultiKulti-Schwuchteln“ aufgrund ihrer sozialen Privilegierung in nobleren Gegenden wohnen und deshalb den „Umweltbelastungen“ durch Ausländer, also ihrem Lärm und Dreck, überhaupt nicht ausgesetzt seien, weshalb sie – das ist die Schlussfolgerung – gefälligst zum Thema schweigen sollten. Decker hingegen stellt die im Grunde weit kühnere Behauptung auf, Befürworter des multikulturellen Miteinanders zögen gezielt in Quartiere, die abseits von Stadtteilen mit vielen Zuwanderern und Angehörigen ethnischer Minderheiten lägen.

Einen besseren Kronzeugen für ihre rassistischen Ressentiments als einen renommierten und der SPD nahestehenden Universitätsprofessor dürften Neonazis kaum finden. Das hier dokumentierte Beispiel zeigt sehr gut, warum der Rechtspopulismus überhaupt wirksam ist: Wenn zumindest Teile seiner Ideologie nicht nur am Rande virulent, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein salonfähig sind, muss er nicht fürchten, in ähnlicher Form wie DIE LINKE und ihr politisches Umfeld ausgegrenzt zu werden. Durch die Formalisierung und Sinnentleerung zu einer politischen Allzweckwaffe degeneriert, wird der Populismusbegriff neuerdings vornehmlich als semantische Keule im Kampf gegen die am 15./16. Juni 2007 durch Zusammenschluss von Linkspartei.PDS und WASG entstandene LINKE und deren Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine missbraucht.

Oskar Lafontaine als Hassobjekt sozialdemokratischer
Politiker und eines Großteils der Presse

Wahrscheinlich ist Oskar Lafontaine der derzeit am meisten gehasste Politiker der Bundesrepublik. Er polarisiert und hat aufgrund seiner wechselhaften politischen Biografie und seiner schroffen, oft als überheblich empfundenen Art vor allem bei manchen Sozialdemokraten, mit denen er früher auf der Führungsebene verkehrte, tiefe Wunden hinterlassen, was die im Folgenden exemplarisch angeführten, teilweise völlig irrationalen Ausfälle seiner Kritiker aber mitnichten rechtfertigt. Dies gilt besonders für einen Großteil der bürgerlichen Publizistik, die Lafontaine häufig in unflätigster Manier beschimpft und beleidigt. Selbst wenn man von Beleidigungen und Verunglimpfungen in der Boulevardpresse absieht, die mit Aufmachern wie „Oskar, der Brandstifter. Lafontaine beschimpft den Kanzler und spaltet das Land“ (Express v. 1.9.2004) am wenigsten zimperlich war, fällt der rüde Ton auf. Hier seien nur die Überschriften zweier ZEIT-Artikel genannt: „Oskar Haider. Die verbalen Ausfälle Lafontaines haben Methode. Sie zielen auf Links- und Rechtsaußen“ (Ausgabe v. 23.5.2005) ist der eine, „OskarXiaoping“ (Ausgabe v. 25.8.2005) der andere überschrieben.

Besonders zu jener Zeit, als sich Lafontaine an die Spitze der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV stellte, sowie zu jener Zeit, als er sich entschloss, die SPD zu verlassen und mit WASG und PDS die Gründung einer neuen Linkspartei zu versuchen, musste der frühere saarländische Ministerpräsident viele wütende Kommentare über sich ergehen lassen. Eine „neue Gruppierung hätte keine Chance“, behauptete etwa Chefkorrespondent Gunter Hofmann in einem „Die einbeinige SPD“ überschriebenen Artikel der ZEIT (v. 2.9.2004). Hofmann warnte die linken Gewerkschafter vor der „Flucht in eine Splitterpartei. Es fehlen nicht Alternativen zur SPD, wohl aber in ihr.“

Lafontaine, meinte der Soziologe Oskar Negt in einem Interview, das die ZEIT am 23. Juni 2005 veröffentlichte, sei „eigentlich eine tragische Figur. (...) Gysi und Lafontaine, das ist eine merkwürdige Verbindung von zwei Narzissten ohne politische Perspektive.“ Ein „vormals Linker“ mobilisiere mit seiner „Ausgrenzungsmentalität“ nicht zuletzt „rechtsradikales Potenzial“, äußerte Negt weiter: „Das ist der Angstrohstoff, den Populisten seit jeher ausbeuten.“ Gefragt nach den „Fremdarbeitern“, wies Negt auf die seines Erachtens „verantwortungslose Wortwahl“ hin, welche ihn im Eindruck der „Unkalkulierbarkeit und Unzuverlässigkeit“ Lafontaines bestärke.

Wie die LINKE bzw. ihre Parteiführung mittels des Populismus-Vorwurfs geschwächt werden soll, illustriert folgendes Beispiel: In einer einzigen Ausgabe der ZEIT (v. 24.5.2007) wird Oskar Lafontaine gleich drei Mal als „Linkspopulist“ klassifiziert. Christoph Dieckmann stellt in seinem Artikel „Der große Mann der kleinen Leute“ die Frage, ob Lafontaine ein Populist sei, und zitiert danach zustimmend einen Ost-WASGler unter Hinweis auf die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen mit dem Satz: „Wenn man was verlangt, das sich nicht realisieren lässt, ist es Populismus“ (S. 11). Wäre dem so, müssten alle großen Politiker, Revolutionäre und politischen Visionäre, die weit voraus dachten, Populisten gewesen sein. Wenn sich die Sklaverei nach Millennien verbieten ließ, die auch nicht sehr viel kürzer dauernden Hexenverbrennungen beendet werden konnten und das Frauenwahlrecht nach mehreren Jahrhunderten, in denen das Dogma weiblicher Unmündigkeit bzw. Politikunfähigkeit gegolten hatte, eingeführt wurde, müsste sich der kaum ein paar Dekaden alte „Finanzmarkt-“ bzw. „Aktionärskapitalismus“, gegen den Lafontaine zu Felde zieht, gleichfalls überwinden lassen. Kaum geeignet dafür erscheint die Forderung nach einem allgemeinen Grundeinkommen, zu der sich aber weder die LINKE noch ihr Vorsitzender Lafontaine bekennt, auch wenn ihm das Dieckmann und Andrea Nahles unterstellen. Nahles, (damals designierte) Stellvertreterin Kurt Becks im SPD-Vorsitz, sagte zwei ZEIT-Redakteuren, die sie interviewten und – wie könnte es anders sein – mit dem „Fremdarbeiter“-Zitat konfrontierten, so habe Lafontaine schon geredet, als er noch SPD-Parteichef war: „In Sachen Populismus hat er schon immer Schwächen gehabt.“ (ebd., S. 10) Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, ebenfalls Vizevorsitzender und führender Repräsentant der rechten Sozialdemokraten, wurde zum selben Themenkomplex befragt und widersprach der Auffassung, die LINKE treffe die Gefühlslage der Bürger/innen besser als die SPD: „Die Linkspartei argumentiert populistisch, das ist zunächst leichter. Was die vertreten, ist: Lasst uns festhalten an den jetzigen Verhältnissen oder sogar in die Vergangenheit zurückkehren, das sichert uns die Zukunft. Das funktioniert aber nicht in einer sich um uns herum stramm verändernden Welt, und das merken die Menschen, weil man sie auf Dauer nicht für dumm verkaufen kann.“ (ebd., S. 25)

Als der SPD-Vorsitzende Kurt Beck im Vorfeld des Hamburger Parteitages (26. bis 28. Oktober 2007) die Forderung erhob, Älteren wieder länger Arbeitslosengeld (I) zu zahlen und 24 statt 18 Monate als neue Höchstbezugszeit ins Gespräch brachte, richtete man den Populismus-Vorwurf plötzlich gegen ihn. Roman Heflik formulierte (im stern v. 18.10.2007) unter dem Titel „Beck irrt!“ fünf Thesen gegen den Populismus, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, weshalb die von ihm für falsch gehaltene Forderung „populistisch“ sein sollte. Offenbar war dieser Begriff mittlerweile so sehr instrumentalisiert und deformiert worden, dass er als Synonym für „populär“ durchging, denn Becks Vorschlag fand nicht nur innerhalb seiner Partei, sondern auch bei einem Großteil der Bevölkerung positive Resonanz: „Erstmals seit Langem stößt der SPD-Chef mit einer politischen Forderung auf breite Zustimmung. Gewerkschaften und Linkspartei nicken zufrieden.“ (ebd.)

In der ZEIT (v. 25.10.2007) übernahm Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur des Blattes, unter dem Titel „Moses war gestern. Kurt Becks Anbiederung an Volkes Stimme könnte das Land bald wieder ein Stück politischer machen“ zwar den Populismus-Vorwurf gegenüber der SPD, suchte diesem aber gute Seiten abzugewinnen. „Es fragt sich allerdings, ob Beck die Geister, die er rief, noch beherrschen kann.“ Sogar Gerhard Schröder wurde nunmehr mit Blick auf die letzten Monate seiner Amtszeit einer „populistische(n) Wahlkampagne“ bezichtigt, welche „nichts mehr vom Geist der Agenda“ transportiert, sondern diesen ignoriert habe, um sich nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 an der Regierungsmacht zu halten, wie Matthias Geis unter dem Titel „Einmal Agenda und zurück. Vor neun Jahren begann die SPD ihre Regierungszeit mit der Revision von Reformen. Jetzt ist es wieder so weit“ in derselben ZEIT-Ausgabe schrieb.

Als Beck die SPD schrittweise nach Links öffnete und den Landesvorständen seiner Partei die Entscheidung zur Bildung einer rot-rot-grünen Koalition
überließ, erschien der Spiegel (v. 3.3.2008) mit einem Titelbild, das ihn unter der Überschrift „Vorwärts ... und vergessen! Kurt Becks riskanter Griff zur Macht“ zusammen mit Lafontaine, Lenin und Marx zeigt. In dem dazu gehörenden Artikel heißt es über Lafontaine: „Er spricht viel vom Volk. Er will eine direkte Demokratie, immer wieder Volksentscheide. Das ist die Koalition, die er sich vorstellt. Er und das Volk. Er wird es schon dahin kriegen, wo er es haben will. Es wird schwer für die SPD. So populistisch wie Lafontaine kann sie nicht werden.“

Bei der Diffamierung von Oskar Lafontaine ging Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, erheblich weiter, als er ihm per Leitartikel der Welt (v. 10.7.2007) unter dem Titel „Nationaler Sozialismus“ vorwarf, die Pressefreiheit und die Marktwirtschaft zu verhöhnen: „Das Phänomen Lafontaine leitet nicht nur eine weitere Stufe in der Entfremdung der Bürger von politischen Prozessen ein. Es besiegelt und belegt auch die Auflösung der Kategorien von links und rechts.“ Schließlich sei „der Demagoge aus dem Saarland“, geiferte Döpfner, kein linkes Phänomen: „Aus Lafontaines Weltanschauung folgt das Programm einer nationalpopulistischen Regierungspartei, bei der Jürgen W. Möllemann den Außenminister, Peter Gauweiler den Innenminister und Erich Mielke und Franz Schönhuber die Ehrenvorsitzenden hätten geben können.“ Denn die LINKE müsse eigentlich „Die Reaktionäre“ heißen, pflege sie doch „ein Weltbild des Ressentiments: protektionistisch, wirtschafts- und wettbewerbsfeindlich, nationalistisch und fremdenfeindlich.“

Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter kritisiert die Stigmatisierung der „Lafontaine/Gysi-Partei“ und weist darauf hin, dass solche Populisten nicht „wie Phönix aus der Asche“ kämen, ihr Aufstieg vielmehr ein Indiz für gesellschaftliche und politische Defizite darstelle, weshalb man sich über sie nicht selbstgerecht ereifern solle, vielmehr nach den Ursachen ihres Rückhalts in bestimmten Bevölkerungskreisen fragen müsse: „Populisten reüssieren allein dann, wenn in einer Gesellschaft etwas nicht stimmt, präziser: wenn die öffentlichen Einrichtungen an Legitimation verloren haben, wenn die Führungsschichten nicht mehr überzeugen, wenn ganze Gruppen von den entscheidenden politischen Vereinbarungen ausgenommen sind, wenn sie sich also verloren, kulturell entfremdet, ökonomisch betrogen fühlen.“[11]

Gleichwohl trägt Walter seinerseits zur Diskreditierung der LINKEN bei, weil er ihnen ebenfalls das Etikett des Populismus anhängt, statt es zu hinterfragen. Sind Gregor Gysi und Oskar Lafontaine wirklich „Linkspopulisten“, nur weil sie mit enormer rhetorischer Begabung ausdrücken, was Millionen sozial Benachteiligten unter den Nägeln brennt? Schließlich ist die SPD zur Massenpartei geworden, weil ein Volkstribun wie August Bebel mit derselben Wortgewalt die soziale Ungerechtigkeit des frühen Industriekapitalismus, die Kriegsabenteuer des Imperialismus und die Selbstherrlichkeit des kaiserlichen Halbabsolutismus geißelte, mit welcher Lafontaine und Gysi heute die weit krasseren Einkommens- bzw. Vermögensunterschiede im modernen Finanzmarktkapitalismus, den Militärinterventionismus der NATO-Staaten und die Volksferne der politischen Klasse kritisieren. Einen „populistischen Sozialismus“, den Heiko Maas der LINKEN in der ZEIT (v. 26.7.2007) vorwirft, gibt es nicht. Der saarländische SPD-Vorsitzende widerspricht sich denn auch schon ein paar Interview-Sätze später selbst, wenn er der Konkurrenzpartei unterstellt, eine nicht mehr haltbare Form von sozialer Gleichheit zu versprechen, und dies mit den Worten klassifiziert: „Das ist populistisch, aber nicht sozialistisch.“ Ja, was denn nun, möchte man fragen: Repräsentieren die Führungsfiguren der LINKEN einen „populistischen Sozialismus“, oder markieren diese beiden Begriffe (auch für Maas) inhaltliche Gegensätze?

Überhaupt scheinen die Vorwürfe gegenüber Lafontaine beliebig zu sein. In einer weiteren Ausgabe der ZEIT (v. 9.8.2007), deren Titelblatt neben dem Aufmacher „Deutschland rückt nach links“ eine Landkarte ziert, über die sich rote Farbe ergießt, wird Lafontaine zuerst als politischer Abenteurer beschrieben, der nur die für ihn günstige Stimmung erzeugen will: „Seine Macht spielt sich im Raum der öffentlichen Zuschreibungen und Ängste ab, der Sehnsüchte und Übertreibungen. Es ist keine Gestaltungsmacht, eher eine Macht zur Verformung, zur Dimensionierung von Bedeutsamkeiten, nicht zuletzt der eigenen. Es ist auch Zerstörungsmacht.“ Was immer mit diesen düsteren Andeutungen gemeint sein mag, ihr Verfasser Thomas E. Schmidt beendet seinen „Paria und Volksversteher. Oskar Lafontaine führt die erste linke Partei, die ohne Fortschrittsglauben auskommt“ überschriebenen Artikel mit folgender Einschätzung, die teilweise in Widerspruch dazu steht: „Lafontaine ist ganz Medienmutant, seine Sprache ist formelhaft, die Bereitschaft zur Diskussion ist klein, groß dagegen seine Neigung zur Wiederholung. Der Populist könnte ein einsamer Mann werden. Obwohl er doch so viele Freunde hat.“

Manchmal wurden umstrittene familienpolitische Äußerungen der Lafontaine-Ehefrau Christa Müller ihrem Mann nach Art einer politischen Sippenhaft zugerechnet. So erweiterte Thomas Gesterkamp den Vorwurf des Rechtspopulismus auf die ganze Familie, als er das „Fremdarbeiter“-Zitat (in der taz v. 9.8.2007) unter dem Titel „Die Wacht an der Saar“ mit dem von Christa Müller auf öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen gemünzten Begriff „Fremdbetreuung“ in Verbindung brachte und nach Ausführungen über die Unruhe, welche das Fremde „für das deutsche Gemüt“ seit jeher mit sich bringe, schlussfolgerte: „So strandet der linke Populismus aus dem Hause Lafontaine genau dort, wo er hingehört: rechts außen, wo Fremdarbeiter und Fremdbetreuung nicht nur sprachlich zusammenpassen.“ Stefan Willeke knöpfte sich in der ZEIT (v. 25.10.2007) Lafontaines Zwillingsbruder Hans vor, der Oskar mit einer „kleine(n) Expertise“ zur Seite gesprungen sei, als dieser wegen des Begriffs „Fremdarbeiter“ unter Druck geriet: „Das sei kein Naziwort gewesen, der ‚Fremdarbeiter‘ habe denen nicht rassistisch genug geklungen.“ Im selben Artikel „Dem Lafontaine sein Bruder“ heißt es über Oskars Bücher: „Liest man seine Veröffentlichungen chronologisch, spürt man, dass er mit den Eliten, gegen die er hetzt, mehr und mehr die politischen Eliten meint. Stärker denn je neigt Lafontaine dazu, sich den Bürgern anzubiedern, indem er das politische System nicht mehr allein von innen angreift, als Redner der Opposition im Parlament, sondern auch von außen, als vermeintlich Unbeteiligter, der im Herzen nie wirklich dazugehört, jedoch die herrschenden Machenschaften durchschaut habe. Bei dem Antipolitiker Schill überraschte dieses fadenscheinige Manöver nicht, bei Lafontaine grenzt es an Selbstverleugnung.“

Kurzes Fazit und Schlussfolgerungen

Was in diesem Zitat anklingt, kann man zusammenfassend so formulieren: Populismus ist heute in Europa entweder Rechtspopulismus oder überhaupt keiner. Wer – wie das alle Populisten tun – in der politischen Arena den „natürlichen Menschenverstand“ bzw. das „gesunde Volksempfinden“ bemüht, stellt die neoliberale Standortlogik nicht in Frage, sondern stützt den gesellschaftlichen Status quo, stabilisiert die im globalisierten Kapitalismus bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse und kann schon deshalb kein Linker bzw. Linkspopulist sein, weil er neue Erfahrungen und kritische Einsichten in das Prokrustesbett überlieferter Traditionsbestände, „bewährter“ Denkschablonen und pragmatischer „Durchwurstelei“ presst. „Der Alltagsverstand begünstigt einen gewissen Konservatismus im Denken und Handeln, sein Potential zur Bewältigung von großen Überraschungen und ungewohnten Anpassungszwängen bleibt jedoch nur ein begrenztes.“[12]

Allerdings greift auch hier die Mode um sich, bisher politisch-inhaltlich gefüllte Begriffe wie „Konservatismus“ alltagssprachlich zu entleeren, was darin zum Ausdruck kommt, dass der Linkspartei neben dem Populismus auch eine Wende zum Konservatismus unterstellt wird. Franz Walter spricht von der möglicherweise bevorstehenden „Fusion von Populismus und Konservatismus“, die Folge einer „Vergreisung der Kernländer des klassischen, mittlerweile überkommenen Industriekapitalismus“ sei und einen „konservativen Linkspopulismus“ hervorbringe.[13] Hier meint „Konservatismus“ jedoch nicht mehr eine politische Grundströmung, die zur Zeit der Großen Französischen Revolution entstand, wegen ihrer Betonung des traditionellen Familienbildes, der christlichen Religion und der Ehre der Nation unter Aristokraten viel Resonanz fand und darauf gerichtet war, deren Herrschaft wiederherzustellen, sondern nur noch den Wunsch nach Rekonstruktion oder Bewahrung überholter Zustände gleich welcher Art.

Falls nicht alles täuscht, wird „Populismus“ mehr und mehr zu einem Allerweltsbegriff, der bloß noch das tiefe Missbehagen seiner Benutzer gegenüber dem damit bezeichneten Gegenstand ausdrückt. Eine weitere Popularisierung des Terminus birgt die Gefahr seiner völligen Entgrenzung, Entkernung und Entleerung in sich. Wenn ein analytischer Begriff zum bloßen Schimpfwort degeneriert, geht seine aufklärerische Wirkung verloren. Insofern leidet die Tiefenschärfe des Populismusbegriffs nicht nur unter seiner Inflationierung, sondern mehr noch unter seiner Instrumentalisierung zur Delegitimierung von Oskar Lafontaine und der von ihm geführten Partei DIE LINKE.

Hier wird dafür plädiert, den Populismusbegriff derart weiterzuentwickeln und inhaltlich zu konkretisieren, dass er nur solche Phänomene umfasst, die überprüfbare Kriterien erfüllen. Populistisch wäre dann jene Teilmenge innerhalb des organisierten Rechtsextremismus wie des Brückenspektrums zwischen diesem und dem (National-)Konservatismus zu nennen, die besonders das verunsicherte Kleinbürgertum anspricht, dessen Vorurteile gegenüber dem Wohlfahrtsstaat nährt, dabei wirtschaftsliberale Ziele verfolgt, Minderheiten abwertende Stammtischparolen aufgreift, den Stolz auf das eigene Kollektiv, die Nation bzw. deren Erfolge auf dem Weltmarkt (Standortnationalismus) mit rassistischer Stimmungsmache oder sozialer Demagogie verbindet und die verständliche Enttäuschung vieler Menschen über das Parteien- bzw. Regierungsestablishment für eine Pauschalkritik an der Demokratie schlechthin nutzt. Daraus folgt: Nicht alle Rechtsextremisten sind Populisten, aber sämtliche Populisten tendieren in letzter Konsequenz nach rechts, weil sie die durch sozioökonomische Herrschaftsverhältnisse und politische Machtungleichgewichte im Rahmen der Globalisierung bzw. neoliberalen Modernisierung verursachte Zerklüftung unserer Gesellschaft entweder ignorieren oder deren Widersprüche bzw. Klassengegensätze auf die verkürzte Frontstellung zwischen „Volk“ und „korrupter Elite“ reduzieren.

[1] Vgl. hierzu und zum Folgenden: Christoph Butterwegge, Definitionen, Einfallstore und Handlungsfelder des Rechtspopulismus, in: ders./Gudrun Hentges (Hrsg.), Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Opladen/Farmington Hills 2008, S. 11 ff.

[2] Frank Decker, Die Renaissance der Sozialisten. Warum der linke dem rechten Populismus den Rang ablaufen könnte, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 5/2007, S. 36.

[3] Vgl. z.B. Steffen Kailitz, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden 2004; Uwe Backes, Politische Extreme. Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Göttingen 2006; Hans-Gerd Jaschke, Politischer Extremismus, Wiesbaden 2006.

[4] Vgl. Christoph Butterwegge, Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Erklärungsmodelle in der Diskussion, Darmstadt 1996, S. 74.

[5] Siehe Frank Decker/Florian Hartleb, Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien in der Bundesrepublik, in: Frank Decker (Hrsg.), Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006, S. 212 f.

[6] Ebd., S. 211.

[7] Zit. nach: Harald Neuber, Kein Blatt vorm Mund. Immer wieder kommt es bei deutschen Politikern zu rechtspopulistischen Äußerungen. Kritisiert wird dies nur selten, in: Telepolis v. 24.3.2006 (www.heise.de/telepolis 1.7.2007).

[8] Thomas Meyer, Zwischenruf: Warnsignal oder Demokratiegefahr?, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 5/2007, S. 40 (Hervorh. im Original).

[9] Klaus Harpprecht, Die Glosse: Der Friedhofsdieb, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 12/2007, S. 16 und 17.

[10] Frank Decker, Der neue Rechtspopulismus, 2. Aufl. Opladen 2004, S. 225.

[11] Franz Walter, Die Linkspartei zwischen Populismus und Konservatismus. Ein Essay über „Vergreisung als Chance“, in: Tim Spier u.a. (Hrsg.), Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden 2007, S. 339

[12] Oliver Geden, Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung, Wiesbaden 2006, S. 222

[13] Siehe Franz Walter, Die Linkspartei zwischen Populismus und Konservatismus, a.a.O., S. 343