Kritik der neoliberalen Bildungspolitik

Neoliberale Bildungspolitik: Öffentliche Unterfinanzierung und Privatisierung der Kosten

Juni 2008

Bildung ist kein Selbstzweck, vielmehr ist Bildung elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft, sei es zur umfassenden Qualifizierung der Arbeitskraft und Herausbildung selbstbewusster Persönlichkeiten, sei es zur Integration in die Gesellschaft und zur Möglichkeit der Mitwirkung an gesellschaftlichen Prozessen innerhalb und außerhalb der Arbeitssphäre, sei es, um Ungleichheiten der sozialen Stellung und Entwicklungschancen und der gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse zumindest partiell entgegenzuwirken, oder sei es, um die Produktivität der Arbeit zu erhöhen und damit die Möglichkeit für ein materiell abgesichertes Leben aller zu schaffen. So verstandene Bildung ist keine individuelle Angelegenheit, sondern setzt entsprechende gesellschaftliche Institutionen und eine umfassende Finanzierung voraus. Bildungsinhalte und Bildungsfinanzierung sind in einer sozial gespaltenen Gesellschaft zugleich zwangsläufig Gegenstand sozialer Konflikte und Auseinandersetzungen.

Die Rolle von Bildung

Bildung ist geradezu ein Zauberwort geworden für die Lösung der Zukunftsprobleme. Alle Parteien betonen die Wichtigkeit von Bildungs-„Investitionen“, wobei sich hier grundsätzlich zwei verschiedene Bildungsbegriffe gegenüberstehen. Während ein Teil in der Debatte oft einen umfassenden humboldtianischen Bildungsbegriff zu Grunde legt (vgl. Humboldt 1792), betonen andere die entscheidende Rolle von Bildung bei der Steigerung der Produktivität der Volkswirtschaft (vgl. bspw. Hüther 2006). „Für den an Humboldt angelehnten bildungsbürgerlichen Bildungsbegriff spricht dessen Breite, aber als problematisch erweist sich, dass in der bildungsbürgerlichen Debatte der sozio-ökonomische Kontext oftmals vernachlässigt wird“ (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2006, S. 106, vgl. auch Schöller 2004, S. 516).

In den 1960er und 70er Jahren, in denen die Zuwächse des Bruttoinlandsproduktes vor dem Hintergrund der damaligen sozialen und politischen Kräfteverhältnisse noch moderiert zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt wurden, wurde auch das Bildungssystem ausgebaut und insbesondere die Hochschulen für breitere Gesellschaftsschichten geöffnet. Der Abschluss einer höheren Bildungsanstalt bot angesichts des Bedarfs an akademisch gebildeten Arbeitskräften die Chance auf Verbesserung der eigenen sozialen Lage, was sich auch im Bewusstsein der Studierenden widerspiegelte (vgl. Nitsch et al. 1965, S. 349). Im Zuge der neoliberalen Uminterpretation der sozialen Sicherungssysteme und auch des Bildungssystems wurde Bildung in den vergangenen Jahren zunehmend wie ein Wettbewerbsfaktor unter anderen behandelt. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2006, S. 105ff.) hat auf das Problem der Behandlung von Bildung als „Inputfaktor“ ausführlich hingewiesen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Produktivitätssteigerungen durch Erhöhung der Qualifikation des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens den Lebensstandard der Individuen erhöhen können. „Dies setzt jedoch voraus, dass die Bildungspolitik in eine makroökonomische Gesamtstrategie eingebettet wird, bei der das Wachstum der Binnennachfrage und gleicher verteilte Einkommensverhältnisse zum Gegenstand der politischen Zielsetzung werden. Mit anderen Worten: Bildungspolitik ist für höheres Wachstum relevant, reicht aber alleine nicht aus. Nur Bildungspolitik plus Verteilungspolitik plus makroökonomische Steuerung plus Demokratisierung können die Potentiale einer höheren Produktivität wecken und nutzen.“ (Ebd., S. 109f.) In diesem Kontext ist es durchaus sinnvoll, Bildung besser zu finanzieren – als Wert an sich und als ökonomische Größe in Verbindung mit anderen politischen Maßnahmen – denn alleine wird verbesserte Bildung der Individuen deren gesellschaftliche Ungleichheit nicht beseitigen können. Sie ist jedoch eine wichtige Voraussetzung hierfür.

Das System ist unterfinanziert[1]

Im Folgenden sollen einige Anhaltspunkte gegeben werden, an welchen Stellen eine bessere Finanzierung des Bildungssystems der Bundesrepublik notwendig und sinnvoll ist. So muss das Angebot an Kindergartenplätzen ausgebaut werden – auch mit Blick auf die Professionalisierung der Erziehungsarbeit. Schulen müssen ausreichend mit Lernmitteln (Bibliotheken, Computer) versorgt, die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen überwunden und Weiterbildung als Teil des Lebenslangen Lernens als öffentliche Aufgabe institutionalisiert werden. Ergänzend sind teilweise kostenintensive Reformen des Bildungssystems wie der Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen, die Ganztagsöffnung von Kindergärten und Schulen, bessere personelle Ausstattung von Schulen und Hochschulen und ein Ausbau der Unterstützung der Schüler/innen und Studierenden (BAföG) zu nennen.

Inzwischen fordern zahlreiche Organisationen von ver.di bis zum Verband der Bayerischen Wirtschaft höhere Bildungsausgaben, ohne allerdings den gleichen Bildungsbegriff zu Grund zu legen. Einigkeit herrscht jedoch in der Notwendigkeit der Steigerung der öffentlichen Bildungsausgaben. Der Fachbereich Wissenschaft und Forschung von ver.di (2007) kommt auf zusätzlich notwendige Ausgaben von rund 43 Mrd. Euro jährlich, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (2004) errechnet öffentliche und private Mehrausgaben von 34,3 Mrd. Euro pro Jahr, wovon 3,3 Mrd. Euro auf den Bund, 21,3 Mrd. Euro auf die Länder und 4,6 Mrd. Euro auf die Gemeinden entfallen würden.

Bildungsausgaben von 1975 bis 2004

Die Unterfinanzierung des bundesdeutschen Bildungssystems wird offensichtlich, wenn die langfristige Entwicklung und der internationale Vergleich herangezogen werden. Die Bund-Länder-Kommission wertet seit den 70er Jahren die Bildungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus (vgl. BLK 2006). Eine Zeitreihe des Bildungsfinanzberichtes liegt von 1975 bis 2004 vor – zunächst für Westdeutschland, seit 1992 für Gesamtdeutschland. Ohne an dieser Stelle auf die methodischen Probleme eingehen zu können, lässt sich festhalten, dass die Bildungsausgaben in Relation zum BIP trotz gestiegener Anzahl der Bildungsteilnehmer/innen rückläufig sind. 1975 wurden – auch als Folge der Bildungsexpansion der 70er Jahre – öffentlich (!) 3,14 % des BIP für allgemein- und berufsbildende Schulen ausgegeben, 1990 waren es noch 2,17 %. Nach einem „vereinigungsbedingten“ Anstieg auf 2,41 % (1995) folgte ein neuerliches Absinken auf 2,26 % (2004). Analog sieht es bei den Hochschulen aus: 1975 wurden öffentlich 1,08 % des BIP, 1990 noch 0,83 % aufgewendet, aktuell (2004) sind es lediglich 0,82 %. Berücksichtig man die zwischenzeitlich stark gestiegene Bildungsbeteiligung insbesondere an Hochschulen (1975 gab es 800.000 Studierende, 2004 waren es knapp 2 Millionen), dann wird der Rückgang der Ausgaben noch deutlicher. Der Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung (1998) schlägt daher vor, die Bildungsausgaben in Prozent des BIP je einer Million Studierender bzw. Schüler/innen zu messen und damit die Bildungsbeteiligung zu berücksichtigen. Demnach wurden für die Hochschulen 1975 1,26 % des BIP je Million Studierender aufgewendet, 2004 sind es lediglich noch 0,42 %. Nachdem die Hochschulen in den 1960er und 70er Jahren zunächst ausgebaut worden waren, macht der berühmte Öffnungsbeschluss der Hochschulen vom November 1977 deutlich, dass der „Studentenberg“ durch „Untertunnelung“, nicht durch einen weiteren Ausbau der Hochschulen bewältigt werden sollte. Der Wissenschaftsrat hatte bereits 1975 ein Ziel von 850.000 flächenbezogenen Studienplätzen[2] empfohlen – diese „galten bis zur Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau […] als Richtwert für die Hochschulen in den alten Bundesländern“ (Bartz 2007, S. 131). Um die gleiche öffentliche Ressourcenausstattung je Studierenden in Relation zum BIP wie im Jahr 1975 zu erreichen, müssten die öffentlichen Hochschulausgaben heute verdreifacht werden. Bei den allgemein- und berufsbildenden Schulen sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch, was vor allem an den vergleichsweise stabilen Schüler/innenzahlen liegt. 1975 wurden noch 0,26 % des BIP je Million Schüler/innen ausgegeben, 2004 sind es gerade noch 0,18 %. Um diese Entwicklung zu verdeutlichen: Wollte man den gleichen Ausstattungsstand bezogen auf das BIP je eine Million Studierende bzw. Schüler/innen von 1975 erreichen, dann hätten allein im Jahr 2004 öffentlich gut 56 Mrd. Euro mehr ausgegeben werden müssen, 19,9 Mrd. für allgemein- und berufsbildende Schulen, 36,3 Mrd. für Hochschulen – und dies dann Jahr für Jahr (vgl. Himpele 2007, S. 27).

Deutschlands öffentliche Bildungsausgaben sind
unterdurchschnittlich

Im internationalen Vergleich sind die öffentlichen Bildungsausgaben, die durch die regelmäßigen Veröffentlichungen der OECD trotz methodischer Probleme vergleichbar sind, in der Bundesrepublik unterdurchschnittlich. Die privaten Ausgaben für Bildung sind nach diesen Daten hingegen überdurchschnittlich.

Werden die öffentlichen Bildungsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt betrachtet, so werden für Deutschland im Jahr 2004 von der OECD (2007, Tab. B4.1) 4,6 % ausgewiesen. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 5,2 %, die Bundesrepublik erreicht bei den öffentlichen Bildungsausgaben Platz 21 der 30 untersuchten Staaten, gemeinsam mit Korea und Italien. Demgegenüber wendet Spitzenreiter Dänemark öffentlich 8,4 % seines BIP für Bildung auf, gefolgt von Island (7,6 %), Norwegen (7,6 %) und Schweden (7,4 %).

Bei den privaten Bildungsausgaben liegt Deutschland hingegen nach Korea, den USA, Kanada, Japan, Mexiko, Neuseeland und Großbritannien im vorderen Drittel. Die vergleichsweise hohen privaten Bildungsausgaben in Deutschland (0,9 %) erklären sich dabei vor allem durch die Mitfinanzierung des KiTa-Bereiches durch die Eltern und das Duale Ausbildungssystem, indem die Unternehmen einen erheblichen Anteil der Kosten tragen. Die kürzlich eingeführten Studiengebühren in verschiedenen Bundesländern sind in der aktuellen Statistik noch nicht erfasst, werden die privaten Bildungsausgaben aber weiter erhöhen.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die öffentlichen Ausgaben für Bildung in Deutschland unterdurchschnittlich sind. Dies erklärt sich zu einem Teil aus der demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung – andere Staaten haben einen vergleichsweise größeren Bevölkerungsanteil im bildungsrelevanten Alter. Insgesamt hat Deutschland jedoch im internationalen Vergleich auch unter Berücksichtigung demografischer Aspekte bei der öffentlichen Bildungsfinanzierung den Anschluss an zahlreiche Industriestaaten verloren. Um dies noch deutlicher zu machen: Um den durchschnittlichen Wert der öffentlichen Bildungsausgaben der OECD am BIP zu erreichen, müsste die Bundesrepublik jährlich gut 18 Mrd. Euro mehr aufwenden. Um den Wert von Spitzenreiter Dänemark zu erreichen wären es sogar fast 80 Mrd. Euro (vgl. Himpele 2007, S. 37).

Rhetorik versus Realität: Gründe für geringe
Bildungsausgaben

Trotz der allgemein deklarierten Einsicht und Zustimmung seitens aller Parteien, dass höhere Bildungsausgaben notwendig sind, verweilen diese auf unterdurchschnittlichem Niveau. Von den vielschichtigen Gründen hierfür sollen an dieser Stelle zwei benannt werden: Die Ideologie des schlanken Staates und die föderale Struktur der Bundesrepublik.

Im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung der Gesellschaft hat sich in Deutschland die Ideologie eines „schlanken Staates“ durchgesetzt. Mit Blick auf die Bildung wurden dabei einerseits die Kosten teilweise privatisiert – die Lehrmittelfreiheit ist in den meisten Bundesländern abgeschafft worden, Studiengebühren gehören für die meisten Studierenden zum Alltag und Kindergartengebühren sind seit langem Usus – andererseits wurde und wird durch die knappen Kassen auch der Bildungsinhalt selbst beeinflusst. So greifen Schulen zunehmend auf private Angebote zurück, Hochschulen lassen sich durch die von der Bertelsmann-Stiftung mitfinanzierte private Einrichtung ‚Centrum für Hochschulentwicklung’ beraten und umstrukturieren. Schlechter werdende, weil kaputtgesparte öffentliche Angebote sorgen daneben für einen Boom an Privat(hoch)schulen, oft – wie bspw. 1999 die damalige International University of Bremen mit 115 Mio. Euro – mit Steuergeldern großzügig anschubfinanziert. Und selbst wo kein expliziter Wille der Umstrukturierung durch die handelnden Akteure vorhanden ist, führt die Steuerpolitik – durch Steuersenkungen insbesondere der rot-grünen Regierung hat die öffentliche Hand Milliarden weniger zur Verfügung – und die damit verbundene Finanznot der Länder und Kommunen zu entsprechend ungenügenden Ausgaben bei der Bildung. Knappe öffentliche Kassen und der dadurch erzeugte Handlungsdruck sind dabei durchaus politisch gewollt, zudem lange vor einer „Akademikerschwemme“ gewarnt und gefordert wurde, auch weniger junge Menschen zum Abitur zu führen.

Ein weiterer Grund für die geringen Bildungsausgaben dürfte in der föderalen Struktur der Bundesrepublik zu sehen sein. Es kann für ein Bundesland rational sein, die Kosten für die Ausbildung auf andere Bundesländer zu überwälzen – ein Problem, dass durch die Föderalismusreform I verschärft wurde.[3] Seit dieser Reform ist die Finanzierung der Bildung in Deutschland fast ausschließlich Ländersache. Ausnahmen gibt es zwar etwa beim BAföG, dennoch kann diese Fokussierung auf die Gliedstaaten als deutscher Sonderweg bezeichnet werden. In anderen föderalen Staaten werden zumindest die Bildungsausgaben nach der Pflichtschulzeit oder im Hochschulbereich auch durch die zentrale Ebene getragen oder es gibt verpflichtende Ausgleichssysteme wie in der Schweiz (vgl. hierzu Schneider 2005).[4] Die Idee dahinter ist vergleichsweise einfach: Während der Pflichtschulzeit tragen die einzelnen Länder die Kosten für ihre Schülerinnen und Schüler. Hierbei kann es kaum Verzerrungen geben, da die Kinder in diesem Alter eben alle zur Schule gehen. Nach der Pflichtschulzeit ist dies jedoch nicht mehr der Fall und die Bundesländer mit einem höheren Anteil an Schüler/innen in der gymnasialen Oberstufe haben höhere Kosten zu tragen. Noch offensichtlicher wird dies bei den Hochschulen. Da jedoch die Schüler/innen und Studienabsolvent/innen nicht zwangsläufig im entsprechenden Bundesland arbeiten (und Steuern und Sozialabgaben bezahlen) und so der Nutzen der Ausbildung (sowohl monetärer Art als auch nichtmonetärer Art) nicht unbedingt im entsprechenden Bundesland verbleibt, fallen Kosten und Nutzen der Ausbildung aus Sicht der Länder auseinander.

Anders formuliert: Es gibt einen Anreiz für Bundesländer, ein Trittbrettfahrerverhalten an den Tag zu legen. Hier lassen sich theoretisch zwei Arten von Bundesländern unterschieden: Erstens Länder, die ökonomisch stark sind und sich Absolvent/innen von Hochschulen nach dem Studium „einkaufen“ können. Zweitens Länder, die ökonomisch schwächer sind und sich fragen müssen, ob sie bereit sind, viel Geld in die Ausbildung ihrer Jugendlichen zu investieren, wenn sie Gefahr laufen, dass diese später abwandern, bspw. auf Grund ökonomischer Zwänge. Um nicht missverstanden zu werden: Nichts spricht gegen eine freiwillige Mobilität. Sie darf nur nicht politisch dafür herhalten, dass die Kosten für Bildung reduziert und auf andere Bundesländer überwälzt werden. Die Lösung aus einem solchen Dilemma kann jedoch nur in vertraglichen Absprachen bestehen.

Das Trittbrettfahrerverhalten einiger Bundesländer lässt sich auf Grund fehlender Daten nicht eindeutig nachweisen, aber es gibt zahlreiche Indizien für ein solches Verhalten. Während bspw. Bayern eine Studienberechtigtenquote von 34 % ausweist, sind es in Nordrhein-Westfalen über 50 % mit den entsprechenden Kosten für NRW. Oliver Stettes (2007) vom Institut der deutschen Wirtschaft hat das Verhältnis der Absolvent/innen mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer eines Jahrgangs zur Anzahl der Beschäftigten in der Forschung gesetzt. Das Ergebnis: Diejenigen Bundesländer mit der höchsten Forschungsintensität bringen relativ am wenigsten Absolvent/innen der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer hervor. „Dies impliziert, dass bereits heute die forschungsintensiven Standorte auf den Zuzug mobiler Hochqualifizierter angewiesen sind und von ihnen profitieren“. Nun geht es sicherlich nicht nur um die Naturwissenschaften, deren enger Verwertungszusammenhang für das Institut der deutschen Wirtschaft vermutlich besonders interessant ist. Deutlich wird jedoch, dass Länder unterschiedlich in Bildung investieren, und insbesondere das Recht auf Bildung unterschiedlich verwirklicht ist.

Ein nationaler Bildungspakt muss her

Um tatsächlich eine Steigerung bei den Bildungsausgaben zu erreichen, müssen die strukturellen Voraussetzungen hierfür geschaffen werden. Im Gutachten für die Linksfraktion (vgl. Himpele 2007) werden dazu zwei Überlegungen zu Grunde gelegt: Erstens darf kein Bundesland finanziell dafür bestraft werden, dass es mehr als andere Länder ausbildet – vielmehr muss das Recht auf Bildung in jedem Bundesland verwirklicht werden – und zweitens ist Bildungspolitik auch Regionalpolitik. Dabei ist eine marktliche (nachfragegesteuerte) Finanzierung keine sinnvolle Option.[5]

Zentraler Bestandteil der Föderalismusreform II muss ein nationaler Bildungspakt sein, der die strukturellen Probleme der Bildungsfinanzierung im Föderalismus überwindet. Hierin ist einerseits festzuschreiben, dass das Recht auf Bildung in jedem Bundesland gewährleistet werden muss. Hierzu können hilfsweise Quoten verwendet werden, d.h. jedes Bundesland muss einen gewissen Anteil seiner Bevölkerung die Hochschulberechtigung ermöglichen und studieren lassen. Wer diese Quote verfehlt, muss finanziell sanktioniert werden, so dass ein Verfahren, wie es analog für die Ausbildungsplatzumlage diskutiert wird, implementiert wird. Im Sinne der Kulturhoheit kann es den Ländern überlassen werden, welchen Weg sie zur Zielerreichung wählen. Jedenfalls könnten Gesamtschulen und Gebührenfreiheit im Bildungssystem es erleichtern, keine Strafe zahlen zu müssen. Ferner dürfen Bundesländer nicht dafür bestraft werden, so genannte bildungsferne Schichten zu fördern. Es kann also nicht sein, dass ein Bundesland höhere BAföG-Ausgaben hat, weil es sein Bildungssystem öffnet. Das BAföG muss daher künftig alleine vom Bund getragen werden. Zudem muss der Bund bei der Kinderbetreuung und -erziehung und im Schulsystem Förderungen zur Integration bildungsferner Schichten finanzieren können. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht auf dem Altar der Länderinteressen der eigenen „Elite“ geopfert werden darf.

Schließlich sind die öffentlichen Bildungsausgaben je eine Million Schüler/innen bzw. Studierende zu indexieren. Einsparungen im Bildunsgbereich sind nur dann zulässig, wenn die Anzahl der Schüler/innen zurückgeht. Dann ist es u.U. notwendig, öffentlich einen größeren Anteil des BIP für die Altenbetreuung aufzuwenden. Kurzum: Es bedarf letztlich eines nationalen Bildungspaktes, der auf Bildungsermöglichung, und nicht auf Bildungsverhinderung zielt.

Literatur

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2006): Memorandum 2006. Mehr Beschäftigung braucht eine andere Verteilung, Köln.

Bartz, Olaf (2007): Der Wissenschaftsrat. Entwicklungslinien der Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1957-2007, Stuttgart.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK, 2006): Heft 137 – II. BLK-Bildungsfinanzbericht 2004/2005. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Bonn.

Butterwegge, Christoph (2005): Krise und Zukunft des Sozialstaates, Wiesbaden.

Himpele, Klemens (2007): Bildungsfinanzierung in Deutschland. Probleme und Lösungsansätze. Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Kommissionsdrucksache 050, Berlin.

Humboldt, Wilhelm v. (1792): Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, in: Leitzmann, Albert (Hrsg., 1903): W. v. Humboldt. Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 99 ff.

Hüther, Michael (2006): Stellungnahme zur gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesrates zur „Föderalismusreform Bildung, Forschung und Hochschulen“. Stellungnahme des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln und Berlin.

Mahnkopf, Birgit (2000): Formel 1 der neuen Sozialdemokratie: Gerechtigkeit durch Ungleichheit. Zur Neuinterpretation der sozialen Frage im globalen Kapitalismus, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 121, 30.Jg., 2000, Nr. 4.

Nitsch, Wolfgang / Gerhardt, Uta / Offe, Claus / Preuß, Ulrich K. (1965): Hochschule in der Demokratie. Kritische Beiträge zur Erbschaft und Reform der deutschen Universität, Berlin.

Organisation for Economic Co-operation and Development - OECD (2007): Education at a Glance., Paris.

Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung (1998): Für ein verändertes System der Bildungsfinanzierung. Diskussionspapiere Nr. 1, Düsseldorf.

Schneider, Hans-Peter (2005): Struktur und Organisation des Bildungswesens in Bundesstaaten. Ein internationaler Vergleich. Hrsg. vom Forum Föderalismus 2005 der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Bertelsmann-Stiftung, der Stiftung Marktwirtschaft und der Friedrich-Naumann-Stiftung, Gütersloh, Berlin und Potsdam.

Schöller, Oliver (2004): Vom Bildungsbürger zum Lernbürger. Bildungstransformationen in neoliberalen Zeiten, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 137, S. 515-534.

Stettes, Oliver (2007): Die föderale Ordnung im Bildungswesen: Eine Analyse aus bildungsökonomischer Perspektive, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.): Föderalismus in Deutschland. Ökonomische Analyse und Reformbedarf, Köln, S. 101-129.

Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di (2007): Fachbereich Wissenschaft und Forschung. Bundesfachbereichsvorstand. Beschlussvorlage Antrag N 19. Chancengleichheit: Umfassende und sozial gerechte Finanzierung lebenslanger Bildung, Berlin.

Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.) (2004): Bildung neu denken! Das Finanzkonzept, Wiesbaden.

[1] Die folgenden Abschnitte basieren auf einer Studie, die ich für die Linksfraktion im Bundestag im Rahmen der Föderalismusreform II verfasst habe. Siehe hierzu Himpele (2007). Eine Zusammenfassung findet sich auch unter www.nachdenkseiten.de.

[2] Flächenbezogene Studienplätze sind politisch definierte Größen, die zum Ausdruck bringen sollen, wie viele Studierende an einer Hochschule mit einer bestimmte Größe studieren können.

[3] Die erste große Bildungsreform der 1960er Jahre war unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass dem Willen des Ausbaus auch durch eine Änderung des Grundgesetzes Ausdruck verliehen wurde. Dabei wurden bestimmte Bildungsbereiche wie etwa der Hochschulbau als Gemeinschaftsaufgaben festgeschrieben (vgl. Bartz 2007, S. 110ff.), ein Schritt, der durch die Föderalismusreform I im Jahr 2006 wieder rückgängig gemacht wurde.

[4] In Österreich wird derzeit darüber diskutiert, auch Lehrkräfte in der Pflichtschulzeit in die Obhut des Bundes zu übertragen (vgl. Der Standard vom 29.03.2008).

[5] Über eine nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung soll dafür gesorgt werden, dass die Hochschulen ihrer Gelder nach der Anzahl der Studierenden erhalten. So soll ein Wettbewerb um die Studierenden einsetzen. Abgesehen von der Unsinnigkeit eines solchen Vorhabens – wer wechselt schon semesterweise den Wohnort, wenn das Angebot an der Hochschule nicht stimmt – wird hierdurch völlig negiert, dass Hochschulen auch regionalpolitisch relevant sind.