Kapitalismus im 21. Jahrhundert

Vom „goldenen Zeitalter" zur Ära der Turbulenzen der Globalökonomie

Überlegungen zum finanzmarktgetriebenen Kapitalismus

März 2008

Mit einem Erdrutsch endet für Hobsbawm das „Goldene Zeitalter“ des Kapitalismus. „Die Geschichte des 20. Jahrhunderts war seit 1973 die Geschichte einer Welt, die ihre Orientierung verloren hat und in Instabilität und Krise geschlittert ist. Und doch war vor den achtziger Jahren nicht klar geworden, wie unwiederbringlich die Fundamente des Goldenen Zeitalters bereits zerstört waren. Erst nachdem ein Teil der Welt - die Sowjetunion und das Osteuropa des ‚real existierenden Sozialismus’ - vollständig zusammengebrochen war, haben die entwickelten, nichtkommunistischen Regionen das globale Ausmaß der Krise erkannt oder zugegeben. Trotzdem haben sie die wirtschaftlichen Probleme noch über viele Jahre als ‚Rezessionen’ bezeichnet. Das Tabu, das ein halbes Jahrhundert lang über die Verwendung der Worte ‚Depression’ oder ‚Weltwirtschaftskrise’ verhängt worden war, weil sie an das Zeitalter der Katastrophe gemahnten, war noch nicht endgültig gebrochen.“ (Hobsbawm 1994: 503) Im Grundsatz ist das Tabu heute noch eingeschränkt wirksam, beziehungsweise macht die verbreitete Geschichtsvergessenheit eine Verständigung und Debatte über gesellschaftspolitische Zielsetzungen schwer. Die passive Revolution in den kapitalistischen Gesellschaften und die in der Folge der Machtverschiebung zu den Kapitaleigentümern und Vermögensbesitzern bewirkten Veränderungen sind bis heute nur unscharf oder in Teilen in die demokratische Öffentlichkeit vorgedrungen.

In den 1970er Jahren erfolgte unter dem Druck des Auseinanderbrechens des internationalen Währungs- und Kreditssystems sowie der Anforderung, ein zukunftsträchtigeres Produktionsmodell zu entwickeln, zunächst in den USA eine umfassende Bewegung der Gegenreform. „Die unglücklichen Erfahrungen mit der Inflation und den Lohn- und Preiskontrollen, die rasche Zunahme der Regulierung in der Johnson- und Nixon-Aministration, das hartnäckige Andauern der Inflation und dann der Ölpreisschock 1973 und die sich anschließende Rezession: all dies führte dazu, dass die gesamte Struktur der Regulierungen in Frage gestellt wurde. (...) Mit der Zeit setzte sich immer stärker die Überzeugung durch, dass Wettbewerb besser war als Regulierung.“ (Yergin/Stanislaw 1999: 431) An der Verallgemeinerung dieser Überzeugung haben die neoliberalen „think tanks“ einen erheblichen Anteil.

Als Konsequenz einer sich verschärfenden Deregulierungspolitik sind wir in den nachfolgenden Jahrzehnten mit dem Übergang zu einem veränderten Typus der Kapitalakkumulation konfrontiert. Strittig ist in der neueren marxistischen Debatte, ob die finanzmarktgetriebene Kapitalakkumulation, inklusive der Globalisierung, sich nicht doch stützt auf eine Verallgemeinerung und Durchsetzung einer neuen gesellschaftlichen Betriebsweise des Kapitals. Mit Blick auf die durch die Informations- und Kommunikationstechnologien geprägte wissensbasierte Ökonomie wird die Auffassung vertreten, dass wir es mit einem neuen Typ, dem „High-Tech-Kapitalismus“, zu tun haben[1][1]. Unbestreitbar sind im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts die Produktivkräfte der Reichtumsproduktion erheblich umgewälzt worden. Allerdings darf über der Suche nach oder den Experimenten mit einem mit der fordistischen Massenproduktion vergleichbaren Produktionsmodell (gesellschaftliche Betriebsweise) nicht die Kette der Finanzkrisen übersehen werden, die sich aus der Vorherrschaft des Shareholder Value oder des organisierten Vermögensbesitzers über den betrieblichen Wertschöpfungs- und Verwertungsprozess ergibt. Die Schranken der Finanzialisierung des Verwertungsprozesses der Globalökonomie sind offenkundig (vgl. dazu WSI-Mitteilungen 2007), denn nacheinander platzten in den zurückliegenden Jahrzehnten die Vermögensblasen der Ökonomie der globalen Turbulenzen: erst die Finanzblase in Japan, dann die Wachstumsblase der Schwellenländer („emerging countries“), anschließend die „New Economy“-Blase und jetzt die Immobilienblase. Offenkundig sind kurzfristige Anlage- und Rentabilitätsstrategien nicht das „Ei des Columbus“ des flexiblen Kapitalismus. Sie bewirken das Gegenteil der angekündigten Effekte und die ausgelösten Finanzspekulationen sind stets mit erheblicher Kapitalvernichtung verbunden gewesen. Schon früh warnte Albert, einer der ersten Theoretiker der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation, vor den Risiken der Shareholder Value-Orientierung: „Der Finanzmarkt beginnt somit, die Wirtschaft im allgemeinen und die Unternehmen im besonderen zu bevormunden. Er zwingt letztere, Verhaltensweisen und Strategien anzunehmen, die sich aus einem strikt wirtschaftlichen und industriellen Blickwinkel heraus von der Rationalität, die sie beanspruchen, weit entfernen.“ (Albert 1992: 77)

Die Kette von Krisen der „Bubble Economy“ legen es nach Huffschmid „nahe, von der Herausbildung eines ‚finanzmarktgetriebenen’ Kapitalismus zu sprechen. Damit ist keine Veränderung der ‚Natur’ des Kapitalismus gemeint, die nach wie vor auf Klassengegensatz, Ausbeutung durch Produktion von Mehrwert und Aneignung von Profit gegründet ist. (...) Was sich geändert hat, sind aber zum einen die Proportionen zwischen produktivem Kapital und Finanzvermögen und zum andern das Verhältnis zwischen produzierendem Unternehmen und Finanzanleger.“ (Huffschmid 2007b: 8)

Der Immobilen-Goldrausch oder das Zeitalter der
ökonomischen Turbulenzen

Über die aktuelle Finanzkrise hält Josef Ackermann fest: „Am Anfang der Krise stand, wie so häufig, ein Boom. (...) Die amerikanische Notenbank (Fed) hatte nach dem Platzen der New-Economy-Blase für hohe Liquidität gesorgt, die sich auch in höheren Preisen am Immobilienmarkt niederschlug. Zudem förderten innovative Finanzierungsformen das Marktwachstum. Zu diesen Innovationen zählte auch das Subprime-Segment, dessen Anteil am Neugeschäft zwischen 2001 und 2006 von 6 Prozent auf 15 Prozent stieg. Die neuen Produkte ermöglichten es auch finanzschwachen Kunden, Kredite aufzunehmen.“ (Ackermann 2007: 13)

Die USA waren der Vorreiter. Aber auch in Großbritannien, Irland und Spanien weist der Immobilienbereich gleichermaßen deutliche Symptome einer Vermögensblase oder eines irrationalen Überschwanges auf. „Der Immobilienmarkt in den Vereinigten Staaten war Teil eines einmaligen internationalen Trends[2][2]. In Reaktion auf die sinkenden Zinsen für langfristige Anleihen stiegen die Preise für Wohnungseigentum in aller Welt von Großbritannien und Australien. (...) Die Zeitschrift The Economist, die den Preis von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen in zwanzig Ländern verfolgt, schätzt, dass in den entwickelten Nationen der Marktwert des Wohnungseigentums zwischen Jahren 2000 und 2005 von 40 auf mehr als 70 Billionen US-Dollar gestiegen ist. (...) In Australien und Großbritannien kühlte sich die Nachfrage im Jahre 2004 aus denselben Gründen ab: Wohneigentum wurde für Erstkäufer unerschwinglich und Spekulanten zogen sich aus dem Markt zurück. Mit dem Ende des Booms blieben die Preise konstant oder sanken geringfügig, doch es kam nirgends zu einem Zusammenbruch des Marktes.“ (Greenspan 2007: 266)

Die relative Milde der Rezessionen und die wenig folgenreichen Zusammenbrüche der Vermögensblasen in den USA und der Globalökonomie haben mit dem politisch verstetigten Phänomen der niedrigen Zinsen und der Expansion des Immobilienbereiches zu tun. „Die Milde der Rezession schien eine Folge globaler wirtschaftlicher Kräfte, die die Zinsen auf langfristige Anleihen immer weiter gedrückt und in vielen Teilen der Welt einen kräftigen Anstieg der Preise für Wohneigentum bewirkt hatten. In den USA waren Eigenheime derart im Wert gestiegen, dass die Privathaushalte sich in einem Rausch zu befinden schienen und immer mehr Geld ausgaben.“ (Ebd.: 260)

Politisch ist diese Tendenz durch die „Wealth Creation Theory“ des Neoliberalismus aufgegriffen worden. Wirtschaftspolitik hat danach die Aufgabe, den Markwert von Vermögenswerten ständig zu erhöhen und eine Transformation in eine Eigentümergesellschaft zu befördern. Hauptmotor des Wirtschaftswachstums in den letzten Konjunkturzyklen wird auf dieser Grundlage der private Verbrauch. Dieser hat sich auf eine wachsende Verschuldung (Schuldendienst in Prozent des verfügbaren Einkommens auf Höchststand), auf eine beispiellos expansive Geld- und Fiskalpolitik (massive Steuersenkungen), auf hohe Beleihungen von Immobilien zu Konsumzwecken („Mortgage Equity Withdrawal“) und auf eine variabel verzinsliche Hypothekenverschuldung („Adjustable Rate Mortage – ARM“) gestützt. Die vom Neoliberalismus propagierte Gesellschaft der Eigentümer hatte also für die USA eine konkrete Seite. Steuersenkungen, Absetzung für Hypothekenzinsen und eine Niedrigzinspolitik waren für die Entwicklung gleichermaßen verantwortlich wie neue Kreditinstrumente und Verbriefungen von Krediten, die eine internationale Streuung von Beleihungen ermöglichten. Die finanzgetriebene Kapitalakkumulation („Asset Based, Wealth-driven Economy“) des Neoliberalismus zielt auf die Erhöhung des Marktwerts von Vermögensbeständen und bewirkt damit eine Tendenz zur Blasenbildung.

Der niedrige langfristige Realzins hat den Immobilienboom ausgelöst[3][3], der wirtschaftspolitisch verstärkt wurde. Jetzt sind die Potentiale dieser Entwicklung ausgeschöpft. Die Notenbanken haben nach dem offenen Ausbruch der Krise einen plötzlich Kredit-Crunch verhindert: Durch Zinssenkungen und zusätzliche Notenbankkredite wurde eine Stabilisierung des Bankensystems erreicht. Die Notenbanken können den Bereinigungsprozess verzögern und abschwächen, aber die Überschuldung eines Teiles der privaten Haushalte erzwingt die Preiskorrekturen des gesamten Marktes und damit eine allgemeinere Tendenz von Wertverlusten im Immobilien- und Finanzbereich.

Abgesehen von der Einschätzung des Krisenpotentials in der aktuellen Entwicklung sind wir mit den Widersprüchen der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation konfrontiert. Finanzkrisen sind einerseits regelmäßige Begleiterscheinungen kapitalistischer Entwicklung. Andererseits führt der Übergang zu einem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus[4][4] zu einer Veränderung der Krisenverläufe. Ein Rückblick auf die finanzmarktgetriebene Kapitalakkumulation („Bubble Economy“) zeigt zugleich die Verengung des politischen Handlungsspielraumes des Neoliberalismus.

Aufstieg und Krise der Vermögensblase in Japan

Mit der schrittweisen Verallgemeinerung der Deregulierungs- und Privatisierungspolitik Ende der 1970er Jahre entwickelt sich eine Tendenz zur irrationalen Übersteigerung von Vermögenswerten. Der herausragende Fall für die Rückkehr zu einer „Bubble Economy“ ist der japanische Aktien- und Immobilenmarkt der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Japan musste 1989/90 einen schweren Finanz-Crash verdauen, der mit enormen Vermögensverlusten, massiven Überschuldungsstrukturen und einer deutlichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums verbunden war. Zwar wurde eine spiralförmige Abwärtsbewegung der Ökonomie und ein Zusammenbruch des Finanzsystems mit entsprechenden Auswirkungen auf die Weltökonomie verhindert, aber noch mehr als ein Jahrzehnt später sind die negativen Effekte nicht vollständig überwunden.

Der Chefstratege der Deutschen Bank in Tokio, Musha, erklärt die Konstellation folgendermaßen (Musha 2006): Die japanischen Haushalte disponieren zu Beginn des 21. Jahrhunderts über Vermögenswerte von 11.000 Mrd. Euro, von denen die Hälfte auf Geldkonten angelegt ist. Die jährliche Wertschöpfung liegt bei 3.025 Mrd. Euro (2002) Würde allein das in Geldform nominierte Vermögen eine jährliche Verzinsung von 5 Prozent beanspruchen, müsste das nationale Gesamtprodukt (BIP) um mehr als 7 Prozent zunehmen, was nicht im Bereich des Realisierbaren liegt. Das Wirtschaftswachstum ist infolge der großen Eigentümeransprüche und der negativen Verteilungseffekten abgeflacht. Zusätzlich war noch der Crash im Finanz- und Immobiliensystem zu verarbeiten. Faktisch ist seit dem Crash der finanzgetriebenen Akkumulation ein deflationärer Prozess zur Verteilung der Verluste oder Abschreibungen auf die Eigentums- und Vermögenstitel praktiziert worden. Insgesamt ist das japanischen Volksmögen zwischen 1990 und 2002 um ca. 23 Prozent geschrumpft (Otte 2006: 159).

In Japan läuft gegenwärtig also eine langwierige deflationäre Zwischenperiode von über 15 Jahren aus. Der Zusammenbruch der großen Spekulationsblase, die 1989/90 auf dem Höhepunkt war, hat nicht zu einem von vielen befürchteten Umschlag in eine globale Krise und einer ernsthaften Belastungsprobe des kapitalistischen Systems geführt. Der Aktienindex Nikkei stand Ende 1989 bei 38.916 Punkten, wurde zunächst halbiert und musste längere Zeit eine Entwertung von rund Zweidritteln erdulden. Entsprechend dieser Entwertung verloren auch andere Wertpapiere. Auch die Immobilienwerte mussten entsprechende Abschläge hinnehmen.

Die politische Klasse Japans hat nach dem Crash sofort mit öffentlichen Mitteln und der Ausschöpfung des öffentlichen Kredits eine mögliche Kettenreaktion unterbunden. Die entwerteten Papiere und Immobilien samt der beteiligten Finanzinstitute wurden durch Ankauf mit öffentlichen Mitteln zu den Ursprungswerten und veränderten Bilanzierungs- und Abschreibungsbedingungen unterstützt. Die Politik zielte darauf, die Wertberichtigungen über einen längeren Zeitraum und auf alle Gruppierungen des Gesellschaft zu verteilen. Ein Großteil der vielen Konjunkturprogramme diente diesem Zweck.

Der Rückgriff auf den öffentlichen Kredit spiegelt sich im Anstieg der Staatsverschuldung von 58 Prozent (1991) auf über 170 Prozent (2006) des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist angedeutet, dass ein beträchtlicher Teil des Wertverlustes der Schuld- und Eigentumstitel von den subalternen sozialen Schichten übernommen wurde. Die öffentlichen Schulden sind eine Belastung für die Lohnabhängigen. Gegenwärtig müssen rund 20 Prozent der öffentlichen Einnahmen für den Schuldendienst aufgebracht werden. Auch der faktische Zinsverzicht auf die Notenbankkredite geht zulasten der Steuerzahler und begünstigt die Eigentümer der entwerteten Finanztitel. Zudem haben auch die Preissenkungen für Waren einen Effekt für den durchschnittlichen Lebensstandard gehabt.

Über Staatsschulden und deflationäre Preisentwicklung wurde also der Wertverlust umverteilt. Immerhin hatte diese Operation den Effekt, dass ein Totalcrash des gesellschaftlichen Reproduktionssystems ausgeblieben ist. Faktisch ist die Verschuldung noch höher, weil auch ein Teil der Rücklagen für die Alterssicherung in die Politik des kontrollierten Wertverlustes der Spekulationsblase gepumpt wurde.

Vermögensblase „New Economy“

Durch die neoliberale Deregulierungspolitik in den kapitalistischen Hauptländern erhielten die Informations- und Kommunikationstechnologien (Telekommunikation) starke Wachstumsimpulse, die zur Ausbildung einer „New Economy Blase“ führten. Rückblickend kann man feststellen, dass der Glaube an die enormen Gewinnpotenziale aus Investitionen in Unternehmen der „New Economy“ zu einer Rally an den Aktienmärkten geführt hat, die alles Bisherige in den Schatten stellte. Die Bewertungen von Unternehmen aus der Internetbranche erreichten Niveaus, die in jeder Hinsicht einzigartig waren. Seit März 2000 kam es nicht nur zu einem deutlichen Einbruch bei den Aktienkursen, sondern auch zu steigenden finanziellen Ungleichgewichten. Seither sind in allen kapitalistischen Metropolen spekulative Blasen bei den Vermögenswerten ins Zentrum des Interesses gerückt.

Im Frühjahr 2000 wurde an den internationalen Aktienbörsen der Scheitelpunkt des Booms überschritten. Irrationaler Überschwang und Herdenverhalten wurden für die immense Finanzblase verantwortlich gemacht. Nachfolgend setzte ein nachhaltiger Crash auf Raten ein, durch den der Großteil der Preissteigerungen der Vermögenstitel vernichtet wurde. Dieses Ende der „New Economy-Party“ hat unter den wirtschaftlichen Eliten der kapitalistischen Hauptländer einen beispiellosen Katzenjammer erzeugt. Gigantische Kapitalvernichtung und konjunkturelle Talfahrt lassen die Zukunft des Kapitalismus in einem trüben Licht erscheinen.

Die These, dass der massive Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien keineswegs auf einen Sektor der Ökonomie beschränkt ist, sondern die gesamte „Old Economy“ mittelfristig umkrempeln wird, ist mittlerweile weithin akzeptiert worden. Das bedeutet, dass nicht die hochtechnologisch fundierte „New Economy“, sondern die bekannten Widersprüche in der Verteilung und deren Rückwirkung auf den Gesamtreproduktionsprozess für die Akkumulationsdynamik verantwortlich zeichnen.

Die Wunderwirkung einer technologische Revolution auf den Akkumulationsprozess hat sich nach dem Zusammenbruch des „New Economy Booms“ zurecht gerückt. Was zunächst als bloßer Technologie-Boom verhandelt wurde, ist heute als Herrschaft der Finanzmärkte entlarvt. „In den Goldenen Neunzigern führte die neue Vormachtstellung der Finanzmärkte dazu, dass ein seit langem bestehendes System wechselseitiger Kontrollen und Machtbeschränkungen (...) in wesentlichen Hinsichten durcheinander gebracht wurde. Alle beugten sich dem Urteil der Finanzmärkte.“ (Stieglitz 2003: 15)

Die Deregulierungspolitik hat Ende der 1990er Jahre auf den internationalen Finanzmärkten zu einem irrationalen Überschwang geführt, der nachfolgend einen massiven Börsen-Crash hervorgerufen hat. Diese Korrektur der die reale Ökonomie überlagernden Spekulation ist durch die Steuerungsinstrumente der nationalen und internationalen Finanzinstitutionen aufgefangen worden. In den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde auf Basis einer Liberalisierung des Kapitalverkehrs und einer starken Expansion der Finanzmärkte der Shareholder Value zur dominierenden Unternehmensphilosophie der Kapitalgesellschaften. In den Betrieben werden überdurchschnittliche Gewinne herausgepresst zum Nachteil der Beschäftigten, zum Nachteil der Lieferanten und Kooperationspartner und zum Nachteil der Entwicklungsfähigkeit, weil selbst die Forschungs- und Entwicklungskosten beschnitten werden. Eine solche Unternehmenspolitik liefert der Gesamtökonomie auf kürzere Sicht durchaus Impulse und stützt zunächst die Shareholder-Orientierung mit einem überdurchschnittlichen Wachstumstrend.

Vermögensblase: Immobilien

Nach dem Crash des „New Economy“-Booms in den Jahren 2001ff bildete sich 2006 erneut eine Tendenz zum irrationalen Überschwang im Kreditsystem und einer Preissteigerung der Vermögens- und Eigentumstitel heraus. Die Phänomene: neues Rekordniveau bei den Unternehmensübernahmen und Fusionen, überbewertete Sachwerte, größte Gesamtverschuldung der Nachkriegsepoche, groteske kreditfinanzierte Konsumlastigkeit, niedrigste Ersparnisrate, niedrigste Nettoinvestitionen der Nachkriegszeit, größtes Außenhandelsdefizit, stark steigende Auslandsverschuldung, nach wie vor massive Einkommens- und Vermögensunterschiede sowie ein durch Hebelung („leaverage“) strapaziertes Finanzsystem.

Den Konjunkturzyklus übergreifend waren seit Anfang der 1990er Jahre die Vermögenspreise für Immobilien gestiegen. Dies hat bei vielen BürgerInnen die Illusion befördert, dass diese Aufwärtsbewegung anhalten wird und sie sich an dieser Entwicklung beteiligen sollten. Sie kauften Immobilien in der Erwartung, diese zu einem späteren Zeitpunkt mit Gewinn wieder verkaufen zu können. Das Auftreten immer neuer KäuferInnen führte dazu, dass die Preise weiter anstiegen.

Der kräftige Wirtschaftsaufschwung ab dem Jahr 2003 ließ die Erfahrungen der kurzen Rezession nach 2001 schnell vergessen machen. Das Immobilienvermögen war der wichtigste Faktor, um den Crash des „New Economy“-Booms abzufedern. Der kontinuierliche Preisanstieg des Immobilienvermögens erleichterte zudem die Beleihung bestehender Objekte und damit auch die Kreditaufnahme zur Finanzierung von Konsumausgaben. Immobilien waren demzufolge eine attraktive Anlagemöglichkeit, wodurch wiederum eine zusätzliche Nachfrage nach Häusern angeschoben wurde.

Die Zinspolitik und Liquiditätsversorgung durch die US-Notenbank unterstützten diese zyklenübergreifende Expansion des Immobiliensegments. Mit einer expansiven Geldpolitik sind grundsätzlich Inflationsgefahren sowohl bei den Güter- als auch bei den Vermögenspreisen verbunden, wenn es nicht rasch genug zu einer Ausweitung des realwirtschaftlichen Angebots kommt.

Der Ausgangspunkt war ein nachhaltiger Anstieg der Immobilenpreise in den meisten kapitalistischen Hauptländern infolge der extrem niedrigen Zinsen, die bezogen auf die Fixeinkommen bei Immobilien einen Preisanstieg generieren. Diese Entwicklung ist politisch vielfältig unterstützt worden: Die Botschaft des Neoliberalismus lautet schließlich: Bildung einer Gesellschaft von Eigentümern.

Infolge der Preissteigerungen können Hausbesitzer höhere Beleihungen (Schulden) auf ihre Grundvermögen eingehen. Die Ausnutzung des Booms führt zu Zweitbesitz und dem Engagement von KäuferInnen mit geringem Einkommen. Dies verstärkt die seit langem gegebene Tendenz zur Änderung der Bankfinanzierung, zur Verbriefung von Schuldtiteln und deren Weiterverkauf. Variable Hypothekenzinsen ermutigen Finanzinstitute wegen der attraktiven Zinsdifferenzen zu Verleihung von langfristigen Krediten, die über Kurzfristkredite refinanziert werden, was der „Banker mit Hausverstand“ ansonsten unterlässt.

Logischerweise ist diese sich selbst verstärkende Preis- oder Vermögensblase irgendwann überdehnt. Die Leute merken, dass ihre Grundstücke in der Regel nicht wegen Investitionen an Marktwert gewonnen haben, sondern in Folge einer gesamtwirtschaftlichen Bewegung eine Preissteigerung durchlaufen, an deren Ende das Platzen der Preisblase steht. Die Preise sinken und Zwangsversteigerungen drücken tendenziell den Gesamtmarkt. Der Boden der Grundstückspreise ist noch lange nicht erreicht.

Die Politik kann den Sinkflug bremsen durch diverse Fallschirme, aber aufhalten kann sie ihn nicht. Die Kurzfristzinsen steigen – die Refinanzierung der Hypotheken stockt und schon schlägt die Immobilenkrise in eine Kredit- oder Schuldenkrise um. Mit anderen Worten: Es bedarf einiger Zeit bis die Korrektur der Preise sich auf dem Immobilienmärkten durchgesetzt hat und die damit verbundenen Verlust- oder Wertberichtigungen abgeschrieben sind. Wir sind erst am Anfang der Berichtigung der Werte. Die vom US-Kongress beschlossene Stundung von variablen Zinssätzen bei Hypotheken betrifft nur ein schmales Segment und kann den Preisanpassungsprozess zeitlich strecken, aber nicht aufhalten.

Die weitaus gravierendere Folge: Die Kreditbedingungen haben sich nicht nur für Hauseigentümer verschärft. Die Zahlungsausfälle häufen sich nicht nur in der Wohnungsbaufinanzierung, sondern auch bei Kreditkartenunternehmen und Autofinanzierungen. Entscheidend ist gegenwärtig: Die Finanzinstitute geben sich wechselseitig kaum noch Kredite. Es muss damit gerechnet werden, dass die Verlustabschreibungen bei Banken (ca. 400 Mrd. $ bis Jahresende 2007) durch eine weit umfangreichere Kontraktion des Kreditsektors begleitet werden.

Theorie der vermögensgetriebenen Ökonomie

Diese Entwicklung hat zur Herausbildung der Theorie einer finanzgetriebenen Ökonomie geführt und eine entsprechende wirtschaftspolitische Konzeption begründet. Im Kern besagt diese Auffassung: Durch entsprechend ausgerichtete Notenbank- und Wirtschaftspolitik können die Marktwerte von Vermögen erhöht und für die ökonomische Stabilität nutzbar gemacht werden. „Bisher, so die Auffassung, hätten Gesellschaften nur langsam zu Wohlstand finden können, weil die Menschen zuerst sparen mussten, damit man danach investieren konnte. Heute könne man das abkürzen, indem man für ständig steigende Preise von Vermögenswerten sorge. Diese würden die Leute für Beleihungszwecke benutzen können. (...) Mit den Krediten würden sie konsumieren oder weitere Vermögenswerte kaufen können (...) Ziel der Wirtschaftspolitik müsse also Wachstum durch Wertsteigerung sein. Das Wachstum der Realwirtschaft, also die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, sei kein wirtschaftspolitisches Ziel oder höchstens ein zweitrangiges.“ (Malik 2005: 118)

Parallel zum Prozess der Deregulierung und Entfesselung des Kapitals setzt sich mit der Hegemonie des Neoliberalismus eine „neue Reichtums- oder Wertschöpfungstheorie“ durch. Der Kern dieser Konzeption, die unter US-Ökonomen vorherrscht, unter Politikern und fast unlimitiert im Management der Wirtschaft, basiert auf einer Überbetonung des Marktes und der Relativierung der Wertschöpfung durch beständig innovative Veränderungen in der Produktion. Sie ist eine plausibel erscheinende Rechtfertigung für Shareholder Value- und Wertsteigerungsstrategien und die daraus zwangsläufig resultierenden Exzesse.

Die Mitte der 1990er Jahre aufgekommene neue Reichtumstheorie steht in engem Kontext mit der Politik der US-amerikanischen Notenbank und der Entwicklung von Vermögensblasen. „Die Reichtumstheorie beruht auf dem Glauben, dass Börsen ohne nennenswerte Rückschläge nur steigen, oder dass es – wenn eine Blase platzt – immer wieder neue Spekulationsblasen in einem anderen Sektor der Wirtschaft geben wird.“ (Ebd.: 120) Die Notenbank könne diese Blasenbildung nicht bekämpfen oder einer solchen Entwicklung entgegenwirken. Im Prinzip wird selbst eine Mitverantwortung an dieser Entwicklung bestritten.

Verständlich wird diese neue Reichtumstheorie vor dem Hintergrund der starken inflationären Entwicklung in den 1970er und 1980er Jahren. Gegenüber einer inflationär geprägten Ökonomie beharren die Vertreter der neuen Reichtumstheorie auf einem konsequenten Kampf gegen Preissteigerungen. Der Rückgang der Inflationsrate bis in die Nähe der Preisstabilität sei Vorbedingung für eine erfolgreiche Vermögenspolitik.

Der Akkumulationsprozess wird in den letzten Jahrzehnten durch die „Asset-based, Wealth-driven Economy“ geprägt. Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik sollen die Tendenz zur Erhöhung der Marktpreise von Vermögenswerten und die einseitige Vermögenspolitik stabilisiert werden. Diese Dominanz der Interessen von Finanzinvestoren, Aktionären oder Vermögensbesitzern ist Ausdruck einer Verzerrung und nicht Ausdruck einer neuen gesellschaftlichen Betriebsweise. Schwache Realinvestitionen der Unternehmen und öffentliche Investitionen sind die desaströsen Ergebnisse einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die seit Jahren die Verbesserung der Angebots- und Wertschöpfungsbedingungen proklamiert und durch Aushöhlung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage doch nur einen circulus vitiosus von immer neuen Runden der Nachfrageschwächung und Verschlechterung der Verwertungsbedingungen zustande gebracht hat. Statt Steigerung der Wertschöpfung und Erhöhung der Beschäftigung wird eine zunehmende Fehlallokation von Kapital zugunsten unproduktiver Verwendungen marktwirtschaftlich hervorgebracht: Der Verwertung der Eigentumstitel wird die produktive Aktivität der Volkswirtschaft geopfert.

Schon Mitte der 1960er Jahre stellte Joan Robinson, in der theoretischen Tradition von Keynes stehend, fest: Die kapitalistischen Gesellschaften leben immer noch nicht für die kleinen Freuden der Gegenwart, sondern für den Mythos der beschleunigten Kapitalakkumulation. Anstatt dazu überzugehen, die hohe Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit und den potentiell hohen Überschuss über das Reich der Notwendigkeit zur Ausgestaltung einer demokratischen Kultur der Muße zu nutzen, wird an der Fiktion einer Mangelökonomie und der Notwendigkeit einer rigorosen Sparökonomie festgehalten. „Die Einrichtungen und Denkweisen, die in einer Epoche entstanden, da der Überschuss herausgepresst wurde, leben weiter, auch wenn sie nutzlos geworden sind, und bis jetzt wurde noch kein Ersatz für sie geliefert.“ (Robinson 1968: 9) Statt sich an die Ausgestaltung einer Ökonomie des Überflusses zu machen, bei der auch der geschichtliche Fluch des Gegensatzes von Reichtum und Armut aufgehoben wird, beherrscht zu Beginn des 21. Jahrhunderts die vermögensgetriebene Ökonomie mit ihrer absurden Umverteilungslogik den Akkumulationsprozess. Die faktisch mögliche Vollbeschäftigung, bei gleichzeitig starker Arbeitszeitverkürzung, wird unter dem Regime des Neoliberalismus verworfen zugunsten einer finanzmarktgetriebenen Akkumulation mit Massenarbeitslosigkeit, prekären Beschäftigungsbedingungen und einer politischen Ökonomie der Unsicherheit.

Diese Entwicklung hat ein „höchst eigenartiges kapitalistisches Wirtschaftssystem“ hervorgebracht: Die Dualität von sozialer Sicherheit, die einerseits auf kapitalgedeckten Systemen beruht und anderseits auf Umverteilungs- oder Ausgleichungsprozessen von Arbeits- und Kapitaleinkommen, löst sich in eine Hegemonie des Shareholder-Prinzips von unverdienten Einkommen auf.

Professionell geführte Kapitalsammelstellen – Fonds und Investmentgesellschaften aller Art – bestimmen seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts den gesellschaftlichen Kernbereich der betrieblichen Wertschöpfungsprozesse. In der Folge registrieren wir eine weitere Verschiebung der Verteilungsverhältnisse. „Der Nettoertrag einer Gesellschaft gehört den Aktionären (den Shareholdern mit ihrem breiten gesellschaftlichen Netzwerken). Sie erhalten ihn entweder in der Gestalt von Dividenden oder in der Gestalt eines Wertzuwachses bei den Aktien, welcher der durch die zusätzlichen, aus unverteilten Gewinnen finanzierten Investitionen geschaffenen, Ertragskraft entspricht. Sie können diese Kapitalgewinne ohne weiteres in Konsum umsetzen. Soweit sie das nicht tun, schreibt ihnen das System sozusagen Ersparnisse gut. Was technischer Fortschritt, Kapitalakkumulation, Arbeit und Geschäftstüchtigkeit an Vermögen schaffen, fällt damit den Rentiers in den Schoß, während sie zu Hause sitzen oder sich anderen Aufgaben widmen.“ (Robinson 1968: 73)

Kapitalistische Marktwirtschaften basieren auf sozialer Ungleichheit. Im sozial regulierten Kapitalismus der Nachkriegsperiode war diese Ungleichheit auf ein weithin akzeptiertes Maß reduziert worden. Doch in den zurückliegenden Jahrzehnten wurde dieser Ausgleichungs- und Regulierungsmodus zerstört. Der Anteil der Lohnarbeit am Volkseinkommen sinkt und die Auseinandersetzung um den Mindestlohn belegt, in welch hohem Umfang mittlerweile keine existenzsichernden Löhne mehr gezahlt werden.

Über diese Spreizung der Revenuen – Arbeitseinkommen einerseits und Kapital- und Vermögenseinkommen andererseits – gibt es in allen kapitalistischen Hauptländern ein wachsendes Unbehagen. Das reichste Zehntel der Bevölkerung in Deutschland hält 60 Prozent der Geld- und Sachvermögen. Heute tragen 10 Prozent der Steuerzahler mehr als 50 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer. Hingegen kommt die untere Hälfte der Steuerpflichtigen nur für 7,5 Prozent der Einkommensteuer auf. In den meisten anderen kapitalistischen Metropolen ist diese Ungleichheit noch größer. Das reichste Prozent der US-Bürger verfügt über 21,2 Prozent des gesamten verfügbaren Einkommens, verglichen mit einem Anteil von 14 Prozent im Jahr 1990. Dieses reichste Prozent der Bevölkerung bezahlt mit 39 Prozent auch den größten Anteil an den Einkommenssteuern. Allerdings reichen diese Steuersätze nicht aus, um die Tendenz zur Konzentration bei Einkommensbezug und -besitz zu konterkarieren.

Die Machtverschiebung zugunsten der Vermögensbesitzer wird durch die neoliberale Deregulierungs- und Privatisierungspolitik verschärft. Weitere Konsequenz dieser Konstellation ist eine beschleunigte Akkumulation von Geldkapital, die Rückkehr von Finanzmarktkrisen und damit die Gefahr des Umschlags in eine deflationäre Konstellation der kapitalistischen Weltwirtschaft. Zurecht konstatiert Huffschmid: „In den letzten 25 Jahren hat es eine außerordentlich starke Vermehrung des privaten Finanzvermögens gegeben. Es ist viel sehr stärker gestiegen als das Sozialprodukt, also die Wert- und Mehrwertproduktion. (...) Hintergründe für diese Entwicklung sind neben der Liberalisierung des Kapitalmärkte (...) vor allem zwei Entwicklungen: zum einen hat in den letzten drei Jahrzehnten eine anhaltende Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben stattgefunden. (...) Zum anderen haben die weltweiten ‚Rentenreformen’ in Richtung kapitalgedeckter Systeme zu einer Überakkumulation von Finanzvermögen geführt.“ (Huffschmid 2007b: 9)

Anknüpfend an diese Überlegungen kann man als wesentliche Gründe für die Machtverschiebung zu den Finanzmarktakteuren festhalten:

· Beschleunigte Geldkapitalakkumulation: Diese Akkumulation besteht darin, dass Geld sich als verleihbares Geld niederschlägt. „Dieser Prozess ist sehr verschieden von der wirklichen Verwandlung in Kapital... Diese Akkumulation kann ... Momente ausdrücken, die von der wirklichen Akkumulation sehr verschieden sind... Mit ihr muss sich also zugleich die Notwendigkeit entwickeln, den Produktionsprozess über seine kapitalistischen Schranken hinauszutreiben: Überhandel, Überproduktion, Überkredit. Gleichzeitig muss dies stets in Formen geschehen, die einen Rückschlag hervorrufen.“ (Marx 1964: 523f.)

· Sammlung aller (zeitweilig) überschüssigen Einkommen im Banksystem;

· Ausbau des Kredit- und Schuldensystems;

· Ansammlung von Rücklagen für Alterssicherung und der Übergang vom Umverteilungsprinzip zur Kapitaldeckung;

und schließlich

· Steuersenkungspolitik zugunsten der Gewinne und Vermögen.

Alternativen

Das im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts entstandene angelsächsische Akkumulationsmodell zielt darauf, aus dem eingesetzten Kapital eine maximale Rentabilität herauszuholen, was unbeschadet der kurzzeitigen Erfolge auf eine Ablösung der Unternehmermentalität durch die Dominanz der Finanzansprüche hinausläuft. In der Logik des angelsächsischen Modells des Kapitalismus gewinnt der Blick auf die Wertzuwächse des Portefeuille das Übergewicht gegenüber einer Revolutionierung von Produkt und Produktionsprozess. Gleichwohl werden über diesen Gesichtspunkt der Finanzialisierung des kapitalistischen Produktionsprozesses durchaus Produktivitätspotentiale und Verwertungsspielräume erschlossen. Gleichermaßen trägt die Übertragung dieser Bewertung und Einstellung auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse zunächst zu einer größeren Kosteneffizienz bei.

Eine vernünftige Zukunft ist nur durch einen Politikwechsel zu verwirklichen, der ausgehend von den realen kapitalistischen Strukturen eine aktive Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mehrheitsfähig machen will: Es gilt, bisherige Ursachen für eine stagnierende, absturzgefährdete Ökonomie aufzuheben und in dieser Arbeits- und Lebensweise mit großen technologischen Anstrengungen den Übergang zu einem neuen Energiesystem durchzusetzen.

Kapitalistische Marktwirtschaften produzieren soziale Ungleichheit. Im sozial regulierten Kapitalismus der Nachkriegsperiode war diese Ungleichheit auf ein weithin akzeptiertes Maß reduziert worden, doch in den zurückliegenden Jahrzehnten ist dieser Ausgleichungs- und Regulierungsmodus zerstört worden. Der Anteil der Lohnarbeit am Volkseinkommen sinkt und in wachsendem Umfang werden keine existenzsichernden Löhne mehr gezahlt. Daher die Auseinandersetzung um einen Mindestlohn.

Was weniger im Focus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit steht, ist, dass unter den Bedingungen des Finanzmarktkapitalismus auch die allgemeinen Produktions- und Lebensbedingungen – also die Infrastruktur des gesamten Raumes – zunehmend prekär werden. Brückenzusammenbrüche, geborstene Dämme, marode Schienennetze u.a. sind der konkrete Ausdruck dieser Fehlentwicklung. Für die USA wird das Defizit bei der Erhaltung der Infrastruktur für die nächsten fünf Jahre auf 1,6 Billionen $ taxiert. Die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur sowie die öffentlichen Dienste haben nicht nur die Aufgabe, eine flächendeckende Versorgung aller BürgerInnen und Unternehmen mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen, sondern auch einen sozialen oder regionalen Ausgleich zu gewährleisten.

Bis in die 1970er Jahre hinein wurden die Strukturen der öffentlichen Güter und ihrer Produktion nicht in Frage gestellt. Anschließend setzte eine Tendenz zur fortschreitenden Privatisierung ein. Die Transformation erstreckt sich sowohl auf die allgemeinen Bedingungen der Produktion, die Institutionen sozialer Sicherung (Rente, Krankenversicherung etc.), sowie auf Kerninstitutionen des Staates. Wir werden solange keine wesentlichen Fortschritte in Richtung einer anderen Produktions- und Lebensweise erreichen können, solange wir die Gestaltung dieser Bereiche selbst der Kapitalverwertung übertragen. Die mächtige Phalanx aus Big Business und Finanzmarkt-Akteuren widersetzt sich nicht nur einer neuartigen Vollbeschäftigungs- und Arbeitszeitpolitik, sondern nimmt zugleich eine unzureichende Entwicklung der Technologien, die negativen Folgen des fossil geprägten Energiesystems und den Verfall der gesellschaftliche Infrastruktur in Kauf.

Schon Keynes warnte zurecht: „Wenn die kapitalistische Gesellschaft eine gleichmäßigere Einkommensverteilung verweigert (...), dann wird am Ende eine andauernde Tendenz in Richtung Unterbeschäftigung von Ressourcen diese Form der Gesellschaft schwächen und zerstören.“ (Keynes 1930: 138) Die Schlussfolgerung ist m.E. eindeutig: Nach der Rekonstruktion und mit Herausbildung einer Vollbeschäftigungskonstellation gilt es in die Verteilungsverhältnisse einzugreifen, den Übergang in einen neuen Energiemix durchzusetzen und durch Arbeitszeitverkürzung, Ausweitung sozial-kultureller Dienste und Förderung „sinnvollen“ Konsums den Übergang in eine andere Ökonomie zu organisieren. Keynes entwirft in dem Essay über die „Wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ die konkrete Utopie einer Gesellschaft des Überflusses: Weil die materiellen Bedürfnisse befriedigt sind, „können wir unsere Energie wieder nicht-ökonomischen Zielen zuwenden“. Es gibt wichtigere Dinge im Leben als Wirtschaft und Arbeit. Nachdem den Enkeln ein um das Vier- bis Achtfache üppigerer gesellschaftlicher Wohlstand zur Verfügung stünde, könnten sie es sich leisten, ihr Leben völlig frei und ungezwungen zu genießen. Doch ganz ohne Arbeit hält es niemand aus, befürchtet Keynes, weshalb er für eine Fünfzehn-Stunden-Woche für alle plädiert. Der Kapitalismus schrumpft zur Nebensache. „Drei Stunden täglicher Arbeit müssen reichen, um den alten Adam in uns zufrieden zustellen.“

Literatur

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[1][5] Vgl. dazu Haug 2003, Candeias 2004, Klein 2006.

[2][6] Ausnahmen sind Japan, wo wegen der deflationären Entwicklung eine massiver Preisverfall bei Grundstücken und Gebäuden zu verarbeiten war, und Deutschland, wo infolge der Vereinigung mit der früheren DDR eine spezifische Markt- und Preiskonstellation existiert.

[3][7] „Die Preissteigerungen am amerikanischen Immobilienmarkt (...) waren besonders mit Blick auf das starke Bevölkerungswachstum in den USA teilweise fundamental begründet, teilweise waren sie von niedrigen Zinsen getrieben. Die amerikanische Notenbank (Fed) hatte nach dem Platzen der New-Economy-Blase für hohe Liquidität gesorgt.“ (Ackermann 2007: 13)

[4][8] Siehe dazu Bischoff 2006; Brenner 2006; Huffschmid 2007a.

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