In der Fläche

März 2008

„Die Linke.“ ist nun also auch in den Landtagen von zwei westdeutschen Flächenstaaten vertreten. (Stadtstaat kann jeder.) Damit zeigt sich, dass die von Schröder angerichtete Spaltung des SPD-Potentials sich verfestigt hat und auch nicht durch ein Blendwerk, das Beck, Nahles und Ypsilanti veranstalteten, beseitigt werden kann.

Auf ihrem Hamburger Parteitag 2007 hatte die SPD links geblinkt: mit einem neuen Parteiprogramm, in dem der „Demokratische Sozialismus“ vorkommt, mit einer Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld II für Ältere und einer Gestikulation für einen gesetzlichen Mindestlohn. All dies diente dem Zweck, „Die Linke.“ aus den westdeutschen Landtagen fernzuhalten.

Es sieht so aus, als sei diese Strategie vorerst gescheitert. Analysten werden Beck zu einer Marketing-Offensive geraten haben, aber die Agenda 2010, Hartz IV und die Rente mit 67 blieben. Davon kann er nicht weg. Sonst bekäme er Ärger mit dem rechten Flügel seiner Partei, mit den Unternehmern und auch mit den von Schröder geschaffenen vollendeten Tatsachen. Diese haben sich inzwischen so etabliert, dass eine einfache Rückkehr zu den von Bismarck und Adenauer eingeführten bzw. ausgebauten öffentlich-rechtlichen Systemen sozialer Sicherung nur unter schweren Kämpfen möglich sein wird.

Es kann keine Rede davon sein, dass eine neue Kraft in die westlichen Landtage eingezogen sei. Sie war immer schon da: als sozialdemokratische Linke – einst innerhalb der SPD, jetzt eben für einige Zeit außerhalb.

Diesem Befund scheint zu widersprechen, dass nur wenige westdeutsche Repräsentanten der neuen Organisation aus der SPD kommen, die meisten aber aus anderen Gruppen: ChristInnen für den Sozialismus, Deutsche Friedens-Union, Deutsche Kommunistische Partei, Gruppe Internationaler Marxisten, Linksruck, Sozialistische Initiative Voran. Auch in der Vergangenheit haben sich sozialdemokratische Parteien durch zugewandertes Personal erneuert. 1964 zum Beispiel, nach dem Tod Erich Ollenhauers, wurde die SPD von einer Troika geführt, deren Mitglieder 1933 allesamt keine Beiträge für sie gezahlt haben: Willy Brandt (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands), Herbert Wehner (KPD), Fritz Erler (Gruppe „Neu Beginnen“, wegen Linksabweichung aus der SPD ausgeschlossen).

Immerhin: wir haben es jetzt nicht mehr mit einer einzigen sozialdemokratischen Partei zu tun, sondern mit zweien. In Skandinavien gibt es das schon lange. In Schweden zum Beispiel führte dieses Nebeneinander dazu, dass sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierungen in einem Parlament, dessen Stellung dadurch gestärkt wurde, sich ihre Mehrheiten zusammensuchen mussten. Dem Land ist das nicht schlecht bekommen. Wenn die größere sozialdemokratische Partei Steuern senkte und Sozialleistungen schmälern wollte, wurde sie von den Bürgerlichen unterstützt. Ging das zu weit, wanderten Wählern zur linken Konkurrenz ab und mussten nach einer Wahlniederlage erst wieder zurückgeholt werden. Von den sozialstaatlichen Resultaten dieses Gegeneinander- und Zusammenspiels kommen selbst liberale und konservative Regierungen in diesen Ländern nicht mehr herunter. Ein Teil der Medien befürchtet dies jetzt auch hierzulande und unkt von einer Sozialdemokratisierung sogar der Merkel-CDU.

Für Kurt Beck wird dies kein Trost sein. Es ist zurzeit noch nicht klar, ob er sich das Scheitern seines Hamburger Manövers bereits eingesteht. Steinmeier scheint ihn dazu zu drängen: die SPD dürfe nicht in erster Linie eine Umverteilungspartei sein, sondern sie müsse sich mehr um die „Leistungsträger“ kümmern. Dies ist das Stichwort, das Beck selbst kurz nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 2006 ausgegeben hatte.

Das Ausmaß seines Fehlschlags wird durch einen genaueren Hinblick auf die Wahlen in den beiden Flächenstaaten sichtbar. In Hessen wollte es die SPD unbedingt wissen. Sie hat dort in den Wahlkampf alles hineingeworfen, was sie hat. Auch die neue Führung der IG Metall war im Januar zu einem demonstrativen Fototermin mit Beck bereit. Fast hätte es ja geklappt: in den ersten drei Hochrechnungen war „Die Linke.“ draußen und Rot-Grün hatte die Mehrheit der Mandate. Ypsilanti: „Die hessische Sozialdemokratie ist wieder da.“ Weil „Die Linke.“ es dann nur knapp schaffte, könnte die SPD sich veranlasst sehen, nach einigem Manövern im Patt auf eine Auflösung des Landtags und Neuwahlen hinzusteuern. Unklar bliebe vorerst der Zeitpunkt: Herbst 2008 oder zeitgleich mit der Bundestagswahl 2009. „Die Linke.“ jedenfalls täte gut daran, sich auf diese Eventualität einzustellen. Für sie müsste eigentlich jetzt ein Wahlkampf in Permanenz – bis zum Herbst 2009 – beginnen.

War die Beck-Niederlage in Hessen nur relativ, so fiel sie in Niedersachsen saftig aus. Der SPD-Spitzenkandidat Jüttner trat auch dort links auf. Da CDU und FDP dort aber von Anfang an uneinholbar erschienen, half ihm dies nichts: es gab keine Wechselstimmung. Randwählern der SPD fiel es in Niedersachsen deshalb auch leichter, für „Die Linke.“ zu stimmen.

Natürlich beginnen jetzt die Farbenspiele. Besonders bunt sind sie in Hessen. In Niedersachsen werden sie ausbleiben. Sehr heftig aber wird schon jetzt über etwaiges Rot-Rot-Grün in Berlin 2009 oder 2013 spekuliert. Ob „Die Linke.“ sich darauf einlässt, ist ihre innere Angelegenheit. Fest steht allerdings: 2008 ist sie ausschließlich als Opposition gewählt worden (in Hessen vielleicht zusätzlich als Sicherheitsbremse zur Verhinderung einer etwaige CDU-FDP-Mehrheit, und dies ist ja auch gelungen.) Daraus müsste doch etwas zu machen sein.

Wer nicht als Fundamentalist beschimpft werden will und eher Freude an konstruktiver Politik hat, muss deshalb nicht verzagen. Jetzt könnte nämlich die Schnittmenge aus den hessischen Wahlprogrammen von SPD, Grünen und der „Linken.“ bearbeitet werden.

Zum Beispiel: Abschaffung der Studiengebühren. Das hätte Folgen, denn die Ausfälle an den Hochschulen müssten vom Staatshaushalt beglichen werden. Und schon wären wir bei der Einnahmen-Seite: einer Steuerreform mit Umverteilung von oben nach unten. Auf Landesebene allein ist das gar nicht zu stemmen, also ist eine Bundesrats-Initiative notwendig.

Oder die von der SPD geforderte „Solidarische Bürgerversicherung“: alle Einkommensarten werden einbezogen. Die Beiträge sind nach Leistungsfähigkeit gestaffelt, die Auszahlung erfolgt nach Bedarf. Dehnt man dies über den Gesundheitsbereich auf alle Formen der sozialen Sicherung aus, haben wir tatsächlich einen Systemwechsel.

Die SPD wird da allenfalls unter Hinterlassung ihres rechten Flügels mitmachen können. Also bliebe angesichts solcher Vorstöße viel Platz neben ihr.

Dieses Experiment könnte in Hessen übrigens sofort gemacht werden, auch wenn die CDU-Administration noch geschäftsführend im Amt ist. Am 27. Januar ist nämlich keine Regierung gewählt worden, sondern ein Gesetzgeber. Und der ist im April sofort funktionstüchtig.