Berichte

„Boxen und Tanzen" – Revitalisierung der Gewerkschaften?

„Revitalisierung von Gewerkschaften – Aus der Krise zur Erneuerung?", Jena, 1. Dezember 2006

März 2007

Die Gewerkschaften befinden sich seit geraumer Zeit in einer Repräsentationskrise. Um Möglichkeiten einer Revitalisierung und um wissenschaftliche Forschung, die solche Möglichkeiten zum Gegenstand wählt, ging es bei einer Tagung, die die Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung und WissenTransfer ausgerichtet hatte. Im Zentrum der Tagung stand dabei die These, dass durchaus noch Spielräume für gewerkschaftliches Handeln bestehen: Insbesondere in der angelsächsischen Gewerkschaftsdebatte gibt es seit einiger Zeit Ansätze zu einem „strategic unionism“, deren Übertragung auf die deutsche Situation den Gewerkschaften helfen könne, aus der strukturellen Defensive herauszukommen.

In seiner Begrüßung wies Frank Gerlach darauf hin, dass sich die gewerkschaftspolitische Debatte dem Zusammenhang von Prekarisierung, Subjektivität und Organisierung zu stellen habe. Wichtig sei die Erkenntnis, dass politische Subjektivität kein Reflex auf politisch-ökonomische Strukturen ist. Es gelte daher, eine Strukturanalyse mit einer Akteursanalyse zu verbinden. Auch Klaus Dörre betonte den Zusammenhang zwischen strukturellen Veränderungen im Kapitalismus und der Defensive der Gewerkschaftsbewegung. Die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die steigende Zahl von Erwerbslosen verwiesen auf einen bedeutsamen Wandel in der bundesrepublikanischen Sozialstruktur, der mitunter als „Ende der Lohnarbeitsgesellschaft“ charakterisiert werde. Diese Prozesse haben nach Dörre einen entscheidenden Einfluss auf den „dramatischen Einbruch“ der Mitgliederzahl. Er betonte jedoch, dass es keine strukturelle Situation gebe, die das Handeln von Akteuren total verhindere. Insbesondere müsse das Verhältnis von „Dienstleistungsfunktionen“ der Gewerkschaften und ihres „Bewegungscharakters“, der auch gesamtgesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen thematisiert, in einem solchen Prozess bestimmt werden. In diesem Zusammenhang ging er auch auf Organizing-Konzepte ein, die durch groß angelegte Kampagnen Mitgliederzuwachs durch kollektive Politisierungsprozesse anstrebten. Dörre sieht in ihnen eine Chance, doch keinen „Königsweg“: Eine Revitalisierung der Gewerkschaften benötige vielmehr unterschiedliche Erneuerungspraktiken. Walther Müller-Jentsch erinnerte in seinem Beitrag daran, dass Gewerkschaften auch historisch nicht von den „Ärmsten der Armen“ gegründet wurden. Er betonte, dass es „Staat und Kapital“ gelungen sei, die Gewerkschaften „Hilfsdienste“ übernehmen zu lassen, die zu einem „störungsfreien Funktionieren des Kapitalismus“ beitragen, ohne dadurch ein notwendiges Element des Kapitalismus zu werden. Insbesondere sei es nun nötig, eine europäische Dimension von Sozialstaatlichkeit zu gewinnen. Um so etwas wie einen Eurokeynesianismus durchzusetzen brauche es freilich Bündnispartner. Auch Frank Deppe stellte die Frage nach der Europäisierung von Gewerkschaften ins Zentrum seines Beitrags. In den neunziger Jahren sei bei so genannten „Eurooptimisten“ die These sehr verbreitet gewesen, eine Aufwertung der Gewerkschaften auf EU-Ebene könne ein Weg aus der nationalen Krise der Gewerkschaftsbewegung sein. Inzwischen habe sich gezeigt, dass dies „keinen relevanten Beitrag zur Überwindung der nationalen Krise“ leistet. Vielmehr impliziere es die Gefahr, dass die europäischen Gewerkschaften „im Tausch für ihre Anerkennung in der EU“ in den Prozess eines „neuen Konstitutionalismus“ – nach Stephen Gill die Schaffung eines verbindlichen Rechtsrahmens für ein neoliberales Marktregime – eingebunden werden. Deppe verwies zudem darauf, dass bislang auch die europäischen Kämpfe – etwa gegen die Dienstleistungsrichtlinie – noch auf der Ebene von Abwehrkämpfen geführt würden und noch keine gestaltende Dimension erreicht hätten. Britta Rehder betonte, dass in der Debatte ein Spannungsverhältnis zwischen Strategien der „Mitgliederwerbung“ und solchen der „Mitgliederpflege“ zu konstatieren sei, das sie auf folgenden Nenner brachte: „Über mehr Mitglieder zu mehr Einfluss oder über mehr Einfluss zu mehr Mitgliedern?“ Ein zentrales Problem in einem Revitalisierungsprozess machte Rehder in der Rückkehr der Berufsgewerkschaft aus.

Hans-Jürgen Urban formulierte die These, dass sich so etwas abzeichne wie ein Übergang vom Krisen- zum Strategieparadigma innerhalb der Gewerkschaftsdebatte. Das Krisenparadigma, das in der Analyse die Dimension der Krise und der strukturellen Defensive betone, sei deshalb erschöpft, weil seine Botschaft angekommen sei. Inzwischen würden Diskussionen um Alternativen geführt. Urban betonte, dass Abwehrkämpfe allein nicht hinreichend seien. Als erste Versuche wertete er unter anderem die Debatten um eine Humanisierung der Arbeit („Gute Arbeit“). In der Diskussion thematisierten insbesondere Sybille Stamm und Detlev Hensche das Verbot politischer Streiks in der Bundesrepublik. Das Aufbrechen dieses Verbots sei ein wichtiger Bestandteil gewerkschaftlicher Revitalisierung.

Im Anschluss an das Eröffnungsplenum wurden die angerissenen Themenbereiche auf drei Panels vertieft: Im Panel „Social Movement Unionism and Organizing – Machtressourcen durch neue Bündnisse“ wurden Kampagnen wie die Lidl-Kampagne von ver.di in Deutschland oder die französische Bewegung gegen das Kündigungsgesetz vorgestellt und diskutiert. Die Frage nach einer „Revitalisierung im Kernfeld?“, also nach neuen „Ansätzen gewerkschaftlicher Betriebs- und Tarifpolitik wurde in einem zweiten Panel erörtert. Durch das Panel „Verfall der Lobbymacht? Gewerkschaftliche Interessenvertretung im politischen Feld“ zog sich die Einsicht, dass diese Frage nicht unabhängig von der allgemeinen Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften diskutiert werden kann. So stellte Jürgen Hoffmann in seinem Eröffnungsstatement die These auf, dass die gewerkschaftliche Krise viel dramatischer sei, als es den Anschein habe, dass dies jedoch andererseits durch das Beharrungsvermögen von korporatistischen Institutionen und des Tarifvertragssystems überdeckt werde. Bei einer weiteren Schwächung drohe jedoch ein weitgehender Bedeutungsverlust. Bei der Frage nach Strategien zur Wiedergewinnung von Gestaltungsmacht zeigte sich, dass ehemals als gegensätzlich angesehene Strategien inzwischen immer weniger als Widerspruch – sondern als Ergänzung – diskutiert werden. So empfahl Wolfgang Schröder den Gewerkschaften, sowohl als „ADAC und Greenpeace der Arbeitswelt“ zu agieren als auch die Verankerung im Zentrum des Produktionsmodells und „professionelles Lobbying“ anzustreben.

Im Abschlussplenum stellte Tony Huzzard eine internationale Studie zu „Strategic Unionism and Partnership“ vor, deren Untertitel „Boxing or Dancing“ zum geflügelten Wort zu werden verspricht. In einem Koordinatensystem unterschied Huzzard einerseits eine „logic of membership“ von einer „logic of influence“, andererseits Strategien des Konflikts („boxing“) und solche der Partnerschaft („dancing“). In einem abschließenden Kommentar betonte Hans-Jürgen Urban, an Huzzards Ausführungen gefalle ihm vor allem, dass sie einen sektoren- und ebenenübergreifenden Ansatz vorstellten, der von der EU über nationale und regionale „Boxringe“ und „Tanzsäle“ bis hinunter auf die betriebliche Ebene reichten. Ein solches „Mehrebenensystem“ sei der richtige Zugang. Für eine konkrete Anwendung auf die deutsche Situation sei es zugleich entscheidend, die „Phase der Transformation“ seit 2000 zu beachten. So könne man eine „Strategische Abwertung“ von Co-Managementkonzepten auf der Unternehmerseite beobachten, was selbst das „Tanzen“ erschwere. Urban betonte, dass gewerkschaftliche Revitalisierung sowohl Konflikt als auch Kooperation benötige. Beim „Tanzen“ freilich komme es darauf an, wer führe.