Berichte

"Gerichtsspiel", nicht "Schauprozess"

attac-Bankentribunal, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, 9.-11. April 2010

Juni 2010

Noch bevor die Verteilung der Einladungsflyer für die Veranstaltung richtig angelaufen war, waren die Eintrittskarten bereits ausverkauft. Das Bankentribunal, veranstaltet vom globalisierungskritischen Netzwerk attac (Deutschland) zusammen mit der Volksbühne, wäre vielleicht auch dreimal so viele Karten losgeworden. Trotz der morgendlichen Stunde strömte selbst am Sonntag um 10 Uhr ein großer Teil der etwa tausend Besucher zur Urteilsverkündung in den Großen Saal der Volksbühne. An den zwei Tagen zuvor hatten mehr als zwölf Stunden Verhandlungen und ein anspruchsvolles Kulturprogramm stattgefunden, und nach dem Urteil lud attac zu Diskussion und Vernetzung in einem guten Dutzend Workshops im „Forum der Alternativen“ ein.

Das Bankentribunal wollte Gründe und Hintergründe der Banken- bzw. Finanzmarktkrise aufklären, die im Herbst 2008 nach dem Konkurs der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers ihren Höhepunkt erreichte. Weltweit wurden als „systemrelevant“ eingestufte Banken durch Kredite und Bürgschaften in Milliardenhöhe gerettet, in Deutschland u.a. die Hypo Real Estate und die Commerzbank. Im Eilverfahren verabschiedete der Bundestag ein Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das einen über 400 Mrd. Euro verfügenden Sonderfonds schuf. Dieser ist weitgehend der parlamentarischen Kontrolle entzogen und wird die öffentlichen Haushalte auf Jahre hinaus belasten.

Die Anklageschrift, die am 18. März im Zuge einer politischen Aktion attacs am Bundeskanzleramt übergeben wurde, umfasste drei Punkte: Erstens die „Vorbereitung der Krise“, zweitens die Zerstörung der Lebensgrundlagen in Nord und Süd und drittens eine Verschärfung der Krise u.a. durch Unterlassung ausreichender Maßnahmen zur zukünftigen Regulierung der Finanzmärkte. Der Allgemeinheit der Anklagepunkte entsprechend richtete sich die Anklage gegen eine Auswahl sehr prominenter, Ton angebender Politiker und Banker: u.a. gegen Gerhard Schröder, stellvertretend für die rot-grüne Bundesregierung von 1998-2005, wegen ihrer Politik der Deregulierung der Finanzmärkte und der Steuergeschenke für Investoren. Angeklagt waren auch Angela Merkel sowie ihr ehemaliger Finanzminister Peer Steinbrück, stellvertretend für die schwarz-rote Bundesregierung von 2005-2009, die auf die Bankenkrise verspätet und falsch mit verheerenden Folgen für die Bürger reagiert habe; der ehemalige Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer, der als Aufsichtsratsmitglied der HRE und deren Tochter DEPFA versagt habe, sowie Josef Ackermann, der seinen politische Einfluss genutzt habe, um rücksichtslos die Interessen der Deutschen Bank durchzusetzen.

Das Tribunal bürdete sich ein großes Vorhaben auf: viele, sehr komplexe Sachverhalte mussten in sehr kurzer Zeit verhandelt werden. Wurden hier nicht sehr selektiv Personen angeklagt, die eigentlich systemischen Zwängen ausgesetzt waren und vielleicht nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten handelten? Genau diese Fragen hatte attac aber in der Konzeption des Tribunals gestellt. „… Weil die Krise System hat“, hieß es auf dem Programmheft des Bankentribunals. Es konnte nicht nur darum gehen, einzelnen Personen Fehlverhalten nachzuweisen – juristische Tatbestände oder zumindest Taten, die sie als nicht vertrauenswürdig erscheinen lassen. Die Personen mussten auch als Charaktermasken innerhalb eines Systems dargestellt werden, welches das Bankentribunal auseinandernehmen wollte, um politische Alternativen formulieren zu können. Die Kunst wäre freilich gewesen, in den Anhörungen und auch im Urteilsspruch die konkreten Tatbestände mit der Systemkritik zu verbinden. Dies gelang leider häufig am Wenigsten den Vertretern der Anklage, deren Reden zu oft den berüchtigten, mit Klischees angereicherten „Fensterreden“ im Bundestag glichen. Dabei kam jedoch freilich attac nicht umhin, auf einer publikumswirksamen Veranstaltung den Regeln der ‚spektakulären Politik’ Tribut zu zollen. Dafür hatten die Anhörungen, insbesondere in den Befragungen geladener „Zeugen“, ein bemerkenswert hohes Niveau. Die spannendsten Momente des Tribunals waren sicherlich, als der „Zeuge“ Harald Schumann vom Tagesspiegel minutiös darstellte, wie das Finanzministerium die drohende Krise bei der HRE ignoriert hatte. Es ging unvorbereitet, in Unkenntnis der Gläubiger der HRE, in die Verhandlungen und vollzog die Rettung der Bankengruppe ganz im Sinne jener, ohne sie an den Verlusten zu beteiligen. Ihre Präzision und Überzeugungskraft erlangten Schumanns Ausführungen nicht zuletzt gerade aufgrund der kritischen Nachfragen von Wolfgang Kaden (ehem. Spiegel-Redakteur, Chefredakteur vom Manager Magazin). Kaden ist hoch anzurechnen, dass er sich als einziger offensichtlicher ‚politischer Gegner’ auf die Verteidigerbank und damit in die Höhle des Löwen gewagt hatte, denn einige Reden der Verteidiger, die von attac-Mitstreitern ‚gespielt’ wurden, wirkten leider wie schlechtes Polit-Kabarett.

Das Tribunal endete in einem Schuldspruch. Das Gericht, u.a. besetzt mit dem hessischen Sozialrichter Jürgen Borchert und dem Wirtschaftsethiker Friedhelm Hengsbach, stellte eine bedeutende Mitschuld der Angeklagten an der Finanzkrise fest. Publikumsstatements ließen mit ihren ‚Strafvorschlägen’ darauf schließen, dass einige im Saal sich die Verhängung einer Strafe gewünscht hätten – ein Wunsch, der in Ermangelung einer Vollzugsgewalt des Gerichts zu Recht nicht erfüllt wurde. Dass das Urteil vergleichsweise milde formuliert war, veranlasste ein populäres Nachrichtenmagazin gar zu behaupten, es wäre kein Schuldspruch erfolgt. Diese Häme widerspricht dabei einem anderen Klischee der Berichterstattung: Es habe sich beim Bankentribunal um einen „Schauprozess“ gehandelt. Unter einem Schauprozess versteht man jedoch einen inszenierten Prozess mit einer fabrizierten Anklage, in der sowohl die Zuschauer als auch die Angeklagten (die gleichfalls in die Rolle von Zuschauern gezwungen werden) instrumentalisiert werden. Am Ende ergeht ein wirkliches Urteil, das den Vollzug einer Strafe zur Folge hat. Beim Bankentribunal handelte es sich eher um ein „Gerichtsspiel“, dessen theatralische Inszenierung zwar einerseits zur Agitation/Mobilisierung diente, andererseits einen Rahmen für einen Aufklärungsprozess bieten sollte. Die Angeklagten waren geladen, sich zu verteidigen. Angela Merkel hätte sogar jemanden vorbeischicken können, der sie vertritt und sich in diesen Sachen besser auskennt als sie selbst. Über das Erscheinen des Staatssekretärs und Mitglied des Bankenrettungsfonds SoFFin Jörg Asmussen hätte sich das Bankentribunal sehr gefreut. Kein falsches Geständnis wäre von ihm erfoltert worden, das Tribunal hätte ihm die Möglichkeit gegeben, das zu präsentieren, was er als wahrheitsgemäß hätte darstellen wollen. Tatsächlich war das Bankentribunal weniger voreingenommen als die typische deutsche TV-Polit-Talkshow, in der ganz demokratisch darüber gestritten wird, wie viel ein Hartz-IV-Empfänger zum Leben braucht, bei der aber allein letzterer nicht eingeladen wird.

Die Wahrheit ist, dass das ‚marginale Bankentribunal’, aus nachvollziehbarem taktischem Kalkül, vom politischen Mainstream und allen parlamentarischen Kräften (mit Ausnahme der stark vertretenen Linken) ignoriert werden konnte. Merkel kann auf ihre Informationsketten in den Massenmedien vertrauen, die jegliche beiläufige Äußerung, dass auch sie eine Finanztransaktionssteuer für eine sympathische Idee halte, dahingehend interpretiert, dass Globalisierungskritik ja nun Mainstrean und attac der Wind aus den Segeln genommen sei – unabhängig davon, ob die Steuer nun eingeführt wird oder nicht.

Die „Sehnsucht nach Schuldigen“ (Berliner Zeitung) – wenn es um Hartz-IV-Empfänger geht, nennt man sie in der deutschen Medienlandschaft gerne „Einforderung von Verantwortung“ – wurde auf dem Bankentribunal mit einer Systemkritik austariert. Nicht zufällig wurde am Ende keine Ackermann-Puppe guillotiniert. Wie auf dem „Forum der Alternativen“, u.a. im Workshop des Mitgründers der Berliner attac-Finanzmarkt-AG Philipp Hersel über die Möglichkeiten einer Regulierung des Finanzmarkts klar wurde, steht ein sehr viel schwererer Weg bevor. Dazu, dass unsere Lebensgrundlagen (Rohstoffe, Energie, Bildung usw.) nicht immer intensiver kapitalistischen Verwertungsinteressen unterworfen werden, dass stattdessen ein Bankenwesen zum Instrument der Zukunftsgestaltung einer solidarischen Gesellschaft wird, dazu bedarf es – aus Sicht von attac – nicht nur eines Komplexitätsabbaus im Finanzdienstleistungsbereich, der diesen wieder ‚beaufsichtigbar’ werden ließe. Es müsste auch in großem Maßstab von oben nach unten umverteilt werden, damit der Druck der spekulativen Verwertungsinteressen des Kapitals gesenkt würde. Dies alles wird nur auf dem Rücken einer breiten politischen und wirtschaftlichen Alphabetisierung der Bevölkerung möglich sein, die sich dann nicht länger entgegen ihrer Interessen regieren ließe. Attac führt keine Schauprozesse, sondern arbeitet darauf hin, dass die Geschichte, ein zivilisatorischer Fortschritt, Merkel, Ackermann & Co verurteilen werden.

Matthias Meindl