Berichte

Europäischer Polizeikongress

13. Europäischer Polizeikongress, Berlin, 2./3. Februar 2010

Juni 2010

Im Anschluss an die alte Rede vom „militärisch- industriellen Komplex“ brachten NGO-Vertreter vor einiger Zeit den Begriff des „sicherheitsindustriellen Komplexes“ in die Diskussion ein, der die zunehmende Verflechtung von Sicherheitsfirmen, IT-Unternehmen, Rüstungslobby und Politikern in Europa beschreibt. Praktisches Anschauungsmaterial, wie sich diese Verquickung von Interessen konkret darstellt, lieferte der 13. Europäische Polizeikongress, auf dem ca. 1200 Vertreter aus Militär, Polizei, Geheimdienst, Politik und Privatwirtschaft unter dem Motto „Globale Sicherheit - Herausforderungen für Europa“ zusammentrafen. Veranstalter des Kongresses war, wie in den Jahren zuvor, die private Zeitungsgruppe „Behördenspiegel“, die hauptsächlich im öffentlichen Dienst Abnehmer hat und deren inhaltliche Ausrichtung v.a. in der Forcierung von so genannten Public-Private-Partnership-Projekten besteht. Finanziert wurde die Tagung von diversen Unternehmen, darunter bekannte Namen wie Thales, EADS, Deutsche Telekom, Siemens und Panasonic, die ihre Produktpalette für den Sicherheitsmarkt im Rahmen einer „Ausstellung“ über zwei Etagen hinweg präsentierten. Auch im Rahmen des offiziellen Programms nahmen Produktwerbung und Verkaufsanbahnung einen zentralen Platz ein. Im Wechsel mit ausgewählten „industriefreundlichen“ Politikern und Behördenrepräsentanten – der stellvertretende Direktor von Europol bspw. bezeichnete sich selbst in seinem Vortrag als „link to the private sector“ – referierten Firmenvertreter und priesen mit Power-Point-Präsentationen ihre neueste Sicherheitstechnologie an – von „intelligenten“ Ohrstöpseln, Leuchtwesten, teuren Kommunikationssystemen und mobilen Computern für die Polizei über innovative Videoüberwachungskameras bis hin zum kostspieligen Datenbankmanagementprogramm. Die Redebeiträge von Behördenvertretern hatten nicht selten „Erfolgsmodelle“ für Public-Private-Partnership zum Thema. So stellte z.B. ein Mitarbeiter des Innenministeriums Baden-Württemberg das so genannte MEPA-Online-Projekt vor, ein virtuelles Trainingsprogramm für Polizisten, welches das Land Baden-Württemberg bei der Deutschen Telekom erworben hat und das nun in ganz Europa verbreitet werden soll. Dass die EU-Osterweiterung für die Sicherheitsindustrie von großem Interesse ist, zeigte u.a. der Vortrag von zwei polnischen Grenzschützern, die stolz ihr neues biometrisches Verfahren bei der Kontrolle der EU-Außengrenze präsentierten – ein Einkauf bei Panasonic, der den polnischen Haushalt um die 15 Millionen Euro kostete. Ein Schwerpunktthema des ersten Konferenztages war die Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik im Anschluss an den Lissabonner Vertrag und das Stockholmer Programm. Wenig überraschend bezogen sich die geladenen Referenten ausnahmslos positiv auf das Stockholmer Programm, das in einem so genannten Fünfjahresplan u.a. den Ausbau der Kapazitäten von Europol und Eurojust, die Schaffung einer Interoperabilität von Polizei-Datenbanken, grenzüberschreitende Onlinedurchsuchungen, ein zentrales Bevölkerungsregister und verstärkte Zusammenarbeit der Geheimdienste vorsieht. Lediglich bei Detailfragen der Umsetzung klang teilweise Kritik an. So wurde bspw. beklagt, dass es im Zuge des Lissabonner Vertrags zu einem „Flickenteppich“ europäischer Sicherheitsagenturen gekommen sei, was die Koordination erschwere. Bei der „Thesendebatte“ zum Thema bemängelte der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Schröder, dass es keine einheitlichen europaweiten rechtlichen Standards für den Datenaustausch zwischen den Behörden gebe. Ein junger Europaparlamentarier der Grünen sprach sich ebenfalls für eine bessere Vernetzung und mehr Datenaustausch zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung aus, wofür er vom Moderator des Polizeikongresses, Brigadegeneral a.D. Scherz, – nicht ohne Ironie – gelobt wurde. In einem der acht parallel veranstalteten so genannten Fachforen wurde das Thema Datenverarbeitung und Rechtssicherheit behandelt. Das „Spannungsfeld“ zwischen Behördenarbeit und datensschutzrechtlichen Vorgaben wurde dabei in der Weise aufgelöst, dass Firmenvertreter „ganzheitliche Lösungen“ präsentierten, z.B. „intelligente“ Software, die in der Lage sei, rechtliche Normen umzusetzen. Emotional wurde die Diskussion lediglich beim Beitrag des Europäischen Datenschutzbeauftragten, der von einigen Anwesenden aufgefordert wurde, das SWIFT-Abkommen, das den US-amerikanischen Zugriff auf europäische Bankkundendaten ermöglicht, zu stoppen. Dieser konnte die Gemüter beruhigen, indem er das Ergebnis des Beschlusses der EU-Kommission, das Abkommen vorerst auszusetzen, vorwegnahm. Weitere Vortragsthemen des ersten Konferenztages waren der Schutz „kritischer“ digitaler Infrastruktur vor Netz-Angriffen und die „Auswirkungen organisierter Kriminalität in Afrika auf die Europäische Union“.

Die Pressemeldungen über ein versuchtes Bombenattentat in einem Flugzeug auf dem Detroiter Flughafen, die daraufhin einsetzende „Nacktscanner“-Diskussion sowie der Fehlalarm am Münchener Flughafen wegen eines verdächtig wirkenden Laptops waren Anlass für eine eigene Veranstaltung im Rahmen der vormittäglichen „Panel“-Reihe am zweiten Tag des Kongresses. Der Generalbevollmächtigte der Fraport AG, Zintel, hob dabei die große Bedeutung des Frankfurter Flughafens für die Sicherheit in der Region hervor. Das Bedürfnis nach Sicherheit kollidiere allerdings mit dem Rechtsstaat, weshalb es keine absolute Sicherheit geben könne. Beim Thema „Bodyscanner“ sei die Frage nach dem Persönlichkeitsschutz zwar „berechtigt“, dennoch dürfe dies eine Einführung des Geräts nicht behindern. Die von Polizeigewerkschaftern anlässlich des Münchner Fehlalarms geübte Kritik an der unterqualifizierten „Billigkonkurrenz“ privater Sicherheitsunternehmen wies der Vertreter der Flughafenbetreibergesellschaft zurück und schob den „schwarzen Peter“ den Aufsichtsbehörden zu, die den „günstigsten Anbieter bevorzugen“ und weniger auf Qualitätsstandards achten würden. Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Reedwisch, warnte dagegen bei seiner Rede davor, die Flughafensicherheit allein kommerziellen Unternehmen zu überlassen und betonte, dass der Mensch nicht durch rein „technisches Kontrollmanagement“ ersetzt werden könne. Der Geschäftsführer des Bundes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen beklagte in seinem Beitrag, dass der große Boom der Branche angesichts der Krise vorbei sei und wies auf die Wichtigkeit von Aufträgen im Bereich der Flughafensicherheit für die Industrie hin.

Von den Veranstaltern als „Highlight“ des Kongresses angekündigt, fand anschließend die live im Fernsehen übertragene Diskussionsrunde der Landesinnenminister statt. Thema waren v.a. „Gewalt gegenüber Polizeibeamten“ und der Polizeieinsatz in Afghanistan. Die Debatte der Innenminister Hamburgs, Niedersachsens, Hessens, Sachsen- Anhalts und Nordrhein- Westfalens verlief dabei weitgehend einträchtig und offenbarte teilweise ein erschreckendes Ausmaß autoritären und verfassungsnihilistischen Denkens. Die Minister präsentierten sich zunächst als guter Patron des „einfachen Beamten“ und prangerten eine um sich greifende „Brutalität“ gegenüber „Polizisten und Feuerwehrleuten“ an, die von einer „allgemeingesellschaftlichen Respektlosigkeit“ getragen sei und künftig „im Keim erstickt“ werden müsse. Hessens Innenminister Bouffier forderte eine Novellierung des Strafgesetzbuches, um Angriffe gegen Polizeibeamte härter zu sanktionieren und kritisierte eine „Sozialpädagogen-Justiz“, die den Strafrahmen nicht voll ausschöpfen würde. Diskutiert wurden ferner Strategien, um „spontanes Zusammenrotten von größeren Mengen“ im großstädtischen Raum zu verhindern. „Rechtsfreie Räume“ wie der Campingplatz der G8-Gipfelgegner in Heiligendamm 2007 dürfe es in Deutschland künftig nicht mehr geben. Weitere „Problemfelder“ wurden in „Migrationsmilieus“ und Teilen der Jugend ausgemacht, die „mit normalen Mitteln nicht mehr zu erreichen“ seien und „die Reaktion des Staates kennenlernen müssten“. Der Innenminister von Nordrhein- Westfalen forderte in diesem Kontext ein höheres Maß an Sozialkontrolle („Kontrolle geht bis zum Banknachbarn in der Schule“) und Anzeigepflichten für Schulleiter. Einigkeit zeigten die Minister auch bei der Bereitschaft, weitere Polizeikontingente als Ausbilder nach Afghanistan zu entsenden.

Letzter Themenschwerpunkt des Kongresses war das Verhältnis von Polizei und Medien bei Amokläufen und anderen „Großlagen“. Ein Germanist warb für seine Dienste als „Medientrainer“ für Behörden. Auf der abschließenden Podiumsdebatte, an der Vertreter der Polizeigewerkschaften, ein Professor für Kommunikationswissenschaften und Journalisten von ZDF und Phoenix teilnahmen, kam leichte Kritik an der „sensationsgierigen Presseberichterstattung“ auf. Einig waren sich die Redner allerdings darin, dass die Kooperation zwischen Polizei und Medien verbessert und intensiviert werden müsse.

Mit dem Schlusswort des Chefredakteurs des Behördenspiegels, Proll, dass der Kongress „hoffentlich die Geburtsstunde für die eine oder andere Unternehmung“ gewesen sei, endete schließlich die unerfreuliche Mélange aus Profitinteressen und antidemokratisch-repressiver Sicherheitspolitik.

Sonja Mangold und Florian Flörsheimer