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Politisch wertvoll - ein deutsches Nachschlagewerk

Zum Abschluss der lexikalischen Reihe von Wolfgang Benz und Barbara Distel über die faschistischen Konzentrationslager

Juni 2010

Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel, Redaktion Angelika Königseder:

Band 6, Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. Mit 3 Karten und 30 Abb., München 2007, 840 S.;

Band 7, Niederhagen/Wewelsburg, Lublin-Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. Mit 9 Karten und 20 Abb., München 2008, 360 S.;

Band 8, Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Plaszów, Kulmhof/Chelmno, Belzec, Sobibór, Treblinka. Mit 10 Karten und 11 Abb., München 2008, 464 S.;

Band 9, Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeiterlager. Mit 11 Karten und 22 Abb., München 2009, 656 S.

Der neunte Band schließt die lexikalische Reihe über die faschistischen Konzentrationslager in Deutschland 1933-1945 und in den von ihm besetzten Ländern ab. Sie wird herausgegeben von dem Historiker Wolfgang Benz, der von 1969 bis 1990 am Münchener Institut für Zeitgeschichte forschte und 1990 die Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin übernahm, und von Barbara Distel, bis 2007 Direktorin der KZ-Gedenkstätte Dachau. Beide geben auch die Dachauer Hefte heraus. Die Redaktion der Bände besorgten Historiker des Zentrums für Antisemitismusforschung unter Leitung von Angelika Königseder. Erfahrene Historiker und Doktoranden, Gedenkstättenleiter und Mitarbeiter aus mehreren Ländern haben an dem Riesenprojekt mitgeschrieben. Der erste Band protokolliert eine Tagung zum Auftakt des Projekts. In den Bänden 2 bis 7 werden 24 Konzentrationslager (Stammlager) und ihre rund 1.200 Außenlager systematisch und vollständig vorgestellt. Ihre Anordnung folgt der Chronologie der Gründung der Lager, während die jeweiligen Außenlager alphabetisch gegliedert sind. Der abschließende Band typisiert weitere faschistische Lager in dem den deutschen Machtbereich überziehenden Terrorsystem.

Als letztes deutsches Konzentrationslager wurde am 5. Mai 1945 Mauthausen von Einheiten der US-Armee befreit. Es dauerte 60 Jahre, bis deutsche Historiker begannen, diese Terrorstätten systematisch zu dokumentieren. Von zahllosen kleineren Außenlagern sind schon lange die letzten Spuren beseitigt und die Erinnerungen an sie erloschen. Herausgebern und Autoren des Projekts ist angesichts seiner Vollendung großer Dank zu sagen und Respekt zu bekunden. Die Kritik an Anlage und Ausführung der Edition beeinträchtigt nicht im mindesten das Verdienst, daß mit diesem Werk deutsche Historiker ihrer wissenschaftlichen, humanen und nationalen Verpflichtung zur Aufdeckung und Darstellung der Wahrheit vor der Menschheit und dem eigenen Volk gerecht geworden sind.

Warum erst so spät ein solches Nachschlagewerk?

Warum aber hat es so lange gedauert, warum ist erst so spät damit begonnen worden? Schließlich bestand über die Funktionen und den Stellenwert der Konzentrationslager für die Nazidiktatur seit 1933 kaum ein Zweifel. Unübersehbar ist die Tatsache, daß die bundesdeutschen Historiker jahrzehntelang diesen Forschungsgegenstand ignorierten. Über die Konzentrationslager schrieben nur die ehemaligen Häftlinge. Den einzigen Anlauf unternahm Martin Broszat, nachdem er für den Auschwitzprozeß 1965 ein Gutachten über das nazistische Konzentrationslagersystem ausgearbeitet hatte. Daran anschließend initiierte Broszat am Münchener Institut für Zeitgeschichte ein umfassendes Forschungsvorhaben, um „die wichtigsten Entwicklungen, Daten, Zahlen der Geschichte sämtlicher Konzentrationslager im Dritten Reich“ zu untersuchen.[1] Das ehrgeizige Ziel wurde nicht erreicht, da der damalige Forschungsstand von Broszat selbst für „durchaus ungenügend“ gehalten wurde. Am Ende stand ein schmaler Sammelband mit Fallstudien über Bergen-Belsen, Dora-Mittelbau, Fuhlsbüttel, Mauthausen, Neuengamme und Ravensbrück. Dieser Versuch eines Vorläufers wird von den Herausgebern dieser Ausgabe gar nicht genannt.

Im Unterschied zum Jahre 1970 gingen die Herausgeber 2005 davon aus, daß „die Strukturen des KZ-Systems gut erforscht sind“. Auf dieser Grundlage nahmen sie sich vor, die gegebenen Forschungsergebnisse zusammenzutragen und in ein lexikalisches System zu bringen. Die Bestandsaufnahme sollte alle bekannten Tatsachen erfassen und in eine Gesamtgeschichte der Lager zusammenführen. Das ist, wenn auch nicht in jedem Fall, in den ersten Bänden mehr oder weniger geschehen. Doch mit dem Fortgang der Edition waren die Forschungslücken nicht zu ignorieren. Selbst über große Konzentrationslager gab es noch keine monographischen Arbeiten, um so mehr fehlten die Daten für zahlreiche Außenlager. Die Herausgeber wählten einen produktiven Ausweg: Sie vergaben Dissertationsthemen über solche Lager und ließen die Doktoranden dann auch die entsprechenden Artikel schreiben.

Das Konzentrationslager war nicht der einzige „Ort des Terrors“ in Nazideutschland. Neben den Lagern, die der Inspektion der KZ im Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS unterstanden, gab es Hunderte weitere Lager, die sich als Orte des Terrors von jenen nicht unterschieden. Und neben der terroristischen Gewalt gegen die KZ-Häftlinge gab es den Judenmord in den Vernichtungslagern, gab es den Justizterror und den Terror der Militärgerichte, den der Gestapo und den der Ämter. Ungeachtet dessen trifft die Titelwahl den Kern. Das Konzentrationslager und kein anderer Ort war der vergegenständlichte Ausdruck des einseitigen Bürgerkriegs und Klassenkampfs von oben. Das Konzentrationslager hat viele Funktionen erfüllt, so als Exekutionsort für die Gestapo, als Ort der Zwangsarbeit und der „Vernichtung durch Arbeit“, eingerichtet worden war es als zentraler und hochsignifikanter „Ort des Terrors“, um die politischen Gegner der faschistischen Diktatur auszuschalten.

Häftlingsarbeit für deutsche Industrie

In den Bänden 2 bis 7 wurde angestrebt, die 24 Stammlager und ihre Außenlager vollständig zu erfassen und zu beschreiben. Jedes Stammlager wird zunächst in einem ausführlichen Beitrag vorgestellt, der im wesentlichen einem Muster folgt: 1. Gründungs- und Baugeschichte, 2. Aufbau des Lagers, 3. Kommando- und Personalstruktur (SS), 4. Einlieferung und Aufnahme der Häftlinge, 5. Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft, 6. Häftlingsfunktionäre, 7. Lageralltag, Lebensbedingungen, 8. Außenlager, 9. Arbeitseinsatz, 10. Selektionen, Vernichtungsaktionen, 11. Räumung des Lagers und Evakuierung der Häftlinge, 12. Verfolgung der SS-Verbrecher, 13. Geschichte der Gedenkstätte. Dieses Muster wird je nach Kenntnisstand modifiziert, ganze Bereiche können entfallen.

Die Außenlager eines jeden Stammlagers werden alphabetisch angeordnet, was als Suchprinzip seinen Vorteil hat, die Erkenntnis ihres zeitlichen und örtlichen Stellenwerts aber erschwert. Die Zahl der Außenlager wuchs ja in den Jahren des Krieges sprunghaft an, sie wurden meist bei den Betrieben angesiedelt, in denen die KZ-Häftlinge arbeiten mußten. Von zahlreichen Außenlagern sind inzwischen sämtliche Spuren getilgt oder erloschen, ihre Existenz ist längst aus dem Bewußtsein der Einwohner dieser Orte entschwunden, selbst ihre Lage z. T. nicht mehr bekannt. Die Quellenlage ist bei vielen so dürftig, daß die Autoren manchmal nur drei Zeilen darüber schreiben konnten. Bei einer Summierung von rund 1.200 Außenlagern bzw. Außenkommandos besteht in einigen Bänden die Gefahr, daß deren Bedeutung in einem Meer von Kleinstartikeln untergeht.

Die Erschließung und Dokumentation der Außenlager aber ist konstitutiv, um zu zeigen, wie deutsche Firmen unterschiedlichster Art und Größe an ihren eigenen Standorten KZ-Häftlinge ausgebeutet und geschunden haben. Diese Außenlager waren für den Arbeitseinsatz der Häftlinge entscheidend, zum Ende des Krieges waren in ihnen oft mehr Häftlinge als im Stammlager selbst. Daher bietet dieser Riesenfundus ein außerordentlich detailliertes Bild des Häftlingseinsatzes und der Zusammenarbeit der deutschen Industrie mit der SS.

Die Berichte zeigen, je mehr Außenlager ein Stammlager hatte, zu Groß-Rosen z. B. gehörten 100, zu Stutthof 210, je dichter ihr Netz, desto enger war die Verflechtung mit der regionalen Industrie und desto direkter die Beziehung mit der umgebenden Gesellschaft. Ob in Bayern, Schlesien oder im Südharz, das Netz der Außenlager breitete sich wie ein Flickenteppich im Territorium aus, ein Wegsehen war für die umwohnenden Menschen nicht möglich. Die Verbrechen geschahen sprichwörtlich „vor der eigenen Haustür“ und „vor aller Augen“. Oft war das Lagergelände einsehbar, im Falle Hinzert führte die Landstraße mitten durch das KZ. Die Berichte über die Außenlager zeigen, daß deutsche Anwohner die Existenz der KZ und das, was sie von der Lagerwirklichkeit sahen, weitgehend akzeptiert haben müssen. Das Maß der Identifikation mit Handlungen der SS zeigte sich bei der Beteiligung von Einwohnern an der Jagd auf flüchtige Häftlinge und bei den Mordorgien auf den Todesmärschen.

Beim Rückblick auf die nun abgeschlossene Serie verwundert nicht nur einmal die Auswahl der Autoren. Die Annahme, daß für ein Projekt dieser Größenordnung möglichst der beste und ausgewiesene Forscher über diesen Gegenstand als Autor gewonnen wird, erweist sich als naiv und falsch, in einigen Fällen ist die Auftragsvergabe nur eine Verlegenheitslösung. Als eine gelungene Wahl erwies es sich, wenn ein Leiter oder Wissenschaftler einer KZ-Gedenkstätte den Beitrag über das Stammlager schrieb, dessen Geschichte er erforschte und dessen Gedenken er vermittelte, selbst wenn dabei die Aussagen eigener früherer Monographien wiederholt wurden. Dies ist in mehreren Fällen geglückt, so schreiben Tomasz Kranz über Majdanek, Jens-Christian Wagner über Dora-Mittelbau, Thomas Rahe über Bergen-Belsen. Noch besser war, wenn der Autor des Hauptartikels auch über die oder wenigstens einige Außenlager schrieb. Die Aufsplitterung des Hauptartikels über das Stammlager Auschwitz in Band 5 auf ein halbes Dutzend Autoren, die allesamt selbst darüber nicht geforscht hatten, erwies sich als fataler Mißgriff und wurde nicht wiederholt. Da über viele Außenlager nur sehr wenig bekannt war, war es sicher schwer, für die einzelnen Artikel Autoren zu finden. Die für Band 6 gewählte Variante, den Kreis der Autoren auf 56 zu erweitern, darunter Journalisten, Heimatforscher, Lehrer, Sozialpädagogen, Heimerzieher, Oberstudienräte und Gymnasiallehrer, war sicher gut gemeint, aber auch ein Fehlgriff, der die gesetzten wissenschaftlichen Maßstäbe tendenziell auflöste. Mit dem Voranschreiten der Edition hatte die schließlich bevorzugte Lösung Erfolg, über unerforschte Haupt- und Außenlager Dissertationsthemen an junge Wissenschaftler zu vergeben und sie als Autoren zu gewinnen.

Die letzten Bände

Band 6 behandelt die drei großen Lager Natzweiler im Elsaß, Groß-Rosen in Niederschlesien und Stutthof bei Danzig. Das im Mai 1941 gegründete KZ Natzweiler war ursprünglich ein Steinbruchlager wie Flossenbürg oder Mauthausen, eingerichtet vor allem als Lager für politische und NN-Häftlinge (NN = „Nacht und Nebel“). Hier waren 52.000 Menschen aus 17 Nationen inhaftiert. Die 52 Außenlager befanden sind in Elsaß-Lothringen, Baden, Württemberg und im Rheingau. Die Häftlinge wurden meist zur Rüstungsverlagerung in unterirdische Anlagen eingesetzt. Diese Funktion der Außenlager erhöhte die Sterblichkeit, sie lag für das gesamte Lager bei 40 Prozent. Die Todesrate wurde noch erhöht durch pseudomedizinische Experimente, die der Virologe Otto Bickenbach und der Bakteriologe Eugen Haagen durchführten. Im Lager wurden Häftlinge nach Plan für die Skelettsammlung des Anatomen Hirt in Strasbourg ermordet.

Das Stammlager mußte im Herbst 1944 aufgegeben werden und wurde von der US-Army besetzt, während die Außenlager in Deutschland weiterhin für die Rüstung genutzt wurden. Den Beitrag über das Stammlager sowie über die Außenlager in Frankreich hat der französische Zeitgeschichtsforscher Robert Steegmann geschrieben, einer der besten Kenner des KZ Natzweiler, der darüber sieben Bände verfaßt hat. Über die Außenlager besteht oft nur eine geringe Kenntnis, was sich in vielen Kleinstartikeln niederschlug.

Das im August 1940 errichtete und ab Mai 1941 selbständige KZ Groß-Rosen blieb für die deutschsprachige Forschung weithin unbekannt. Das lag nicht nur an der Sprachbarriere, der Ort liegt heute in Polen. Die Lagerakten wurden 1945 systematisch vernichtet. Die 120.000 Häftlinge im Stammlager und in den 100 Außenlagern waren vorwiegend Polen und Russen, von denen in den Außenlagern jeder zweite jüdischer Herkunft war. Groß-Rosen war wie Mauthausen, Flossenbürg und Natzweiler ein Steinbruchlager, hier wurde Granit abgebaut. Wie Mauthausen erhielt Groß-Rosen 1942 die Lagerstufe III zuerkannt, die mit den härtesten Bedingungen und dem schlimmsten Mordterror. In Groß-Rosen starben 40.000 Menschen.

Die Außenlager befanden sich vorwiegend in Schlesien und im Sudetengebiet, die Häftlinge schufteten und starben bei monströsen Bauprojekten, die der Industrieverlagerung in den „Luftschutzbunker Schlesien“ dienten. Parallel dazu baute die SS-Organisation Schmelt ein neues „Führerhauptquartier“ („Projekt Riese“) und unterhielt dafür 170 Lager. Als der Bau aufgegeben wurde, führte das KZ Groß-Rosen 24 davon als Außenlager weiter. Den Text über das Stammlager Groß-Rosen haben Isabell Sprenger und Walter Kumpmann verfaßt. Sprenger ist Historikerin und hat 1997 eine Monographie über das Lager veröffentlicht, ihr Koautor, Verlagsredakteur und Übersetzer, war über den Gegenstand bisher nicht hervorgetreten. Über die meisten Außenlager haben junge polnische Historikerinnen geschrieben, die an der Gedenkstätte Groß-Rosen forschen: Grazyna Choptiany, Aneta Malek, Barbara Sawicka, Danuta Sawicka, Dorota Sula, Aleksandra Kobielec.

1944/45 wurde Groß-Rosen dem Komplex Auschwitz angeschlossen und nahm viele Häftlinge aus weiter östlich gelegenen und geräumten Lagern auf. Das aus Auschwitz verstärkte und kommandierte Wachpersonal umfaßte 3.222 SS-Männer für 52.000 Häftlinge und 906 Aufseherinnen für 26.000 weibliche Häftlinge (1945). Die Vergessenheit dieses KZ in der deutschen Literatur hängt auch damit zusammen, daß es nach 1945 keinen eigenen Prozeß gegen die SS-Verbrecher aus diesem Lager gegeben hat, obwohl einzelne Angehörige in anderen Prozessen vor Gericht standen.

Stutthof wurde 1939 als Internierungslager der Gestapo Danzig gegründet und 1942 zum Konzentrationslager erklärt. Hier waren 110.000 Häftlinge aus 28 Nationen eingesperrt, von denen 65.000 ermordet wurden bzw. starben. Die Geschichte dieses Konzentrationslagers endete im April 1945 mit einem Massaker an den evakuierten und auf Lastkähnen verladenen Häftlingen. Stutthof hatte 210 Außenlager, die größte Zahl aller KZ überhaupt. Sie bildeten ein weitverzweigtes Netz über Stadt und Gebiet Danzig, ganz Nordpolen und Westpreußen, vereinzelt noch in Ostpreußen. Über zahlreiche dieser meist kleineren Außenlager liegen kaum Daten vor. Im Unterschied zur polnischen Historiographie, die sich der Geschichte Stutthofs angenommen hatte, ist dieses Lager von der deutschen Forschung kaum beachtet worden. Den Beitrag über das Stammlager hat die Mitarbeiterin der Gedenkstätte Danuta Drywa verfaßt, während ihr Kollege Marek Orski alle Außenlager erfaßt und beschrieben hat.

Band 7 versammelt neben den kleineren Lagern Wewelsburg und Arbeitsdorf die Beiträge über Lublin-Majdanek in Polen, Herzogenbusch in den Niederlanden, Dora-Mittelbau bei Nordhausen und Bergen-Belsen. Den Text über das Stammlager Lublin-Majdanek verfaßte der Direktor der dortigen Gedenkstätte Tomasz Kranz, jene über sechs Außenlager stammen von einem Mitarbeiter der Gedenkstätte (Wojciech Lenarczyk) und den Doktoranden am Zentrum für Antisemitismusforschung Verena Walter, Angelika Benz und Andreas Mix. Majdanek bei Lublin war zunächst ein Kriegsgefangenenlager der SS, ab 1942 war es sowohl Konzentrationslager als auch Vernichtungsstätte, zunächst von regionaler Bedeutung, ab 1943 erlangte es überregionale Bedeutung. In Majdaneks Gaskammern wurden die Menschen sowohl durch Zyklon B als auch durch Kohlenmonoxyd vergiftet. Kranz korrigiert aufgrund eigener Forschungen die in der Literatur bisher angegebenen Zahlen. Er gibt eine Zahl von 78.000 Ermordeten an, davon allein 60.000 Juden. Im Mai 1943 umfaßte das Lager noch 25.000 Häftlinge. Bei der „Aktion Erntefest“ am 3. November 1943 erschoß die SS alle jüdischen Zwangsarbeiter des Distrikts Lublin, zusammen über 18.000 Menschen.

Nachdem die britischen Truppen am 15. April 1945 Bergen-Belsen befreit hatten, machten die Bilder ihrer Reporter dieses Lager in der ganzen Welt zum Symbol der faschistischen Bestialität: Sie trafen auf Zehntausende im ganzen Lagergelände herumliegende Leichen, die schließlich mit Planierraupen fortgeschafft wurden, auf offene Massengräber und Zehntausende völlig entkräfteter, verhungernder, kranker Häftlinge, von denen nach der Befreiung noch 13.000 starben. Zunächst als Kriegsgefangenenlager für französische, belgische und sowjetische Soldaten eingerichtet, wurde Bergen-Belsen 1943 ein „Aufenthaltslager“ für ausländische Juden, die gegen internierte Deutsche ausgetauscht werden sollten. Bis zum Herbst 1944 waren 6.000 jüdische Häftlinge eingeliefert worden. Dann verlor das Lager diesen Sonderstatus und wurde ein „reguläres“ Konzentrationslager. Mit dem neuen Status kam auch eine neue SS-Besatzung, die das übliche Terrorregime einführte. Ab Herbst 1944 wurde Bergen-Belsen das Ziel von Evakuierungsmärschen von Häftlingen aus Auschwitz, Groß-Rosen, Sachsenhausen, Buchenwald, Natzweiler, Flossenbürg und Dora. Die zunehmende Überfüllung führte zum Kollaps der Lagerverwaltung und zum Inferno für die Häftlinge. Weder die räumlichen noch die sanitären Bedingungen waren vorhanden, um die Menschen zu versorgen, in den letzten Wochen wurden sie auch nicht mehr ernährt. Die unbehausten, nicht verpflegten, nicht versorgten Menschen starben massenhaft, die SS war nicht mehr in der Lage, auch nur die Leichen zu beseitigen und ließ dem Chaos freien Lauf.

Die Gedenkstätte gibt seit einigen Jahren die Bergen-Belsen-Schriften heraus, so daß die Geschichte dieses Lagers nicht unbekannt ist. Ihr Leiter Thomas Rahe, der schon viel publiziert hat, verfaßte die Texte über das Stammlager und die drei Außenlager.

Die Geschichte des KZ Dora-Mittelbau beginnt mit der Bombardierung des Raketenzentrums der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde im Sommer 1943. Danach sollte die Montage der Rakete A4 unterirdisch erfolgen. Ausgewählt wurde der Kohnstein bei Nordhausen. Im August 1943 zunächst als Außenlager von Buchenwald gegründet, wurde Dora-Mittelbau im Oktober 1944 ein selbständiges Konzentrationslager. Es bestand aus einem Komplex aus 39 Lagern, drei größeren (Dora, Ellrich-Juliushütte, Harzungen) und vielen kleineren und kleinsten, die nicht hierarchisch gegliedert waren. Um sie alle zu bewachen, wurde das Rekrutierungsfeld der Wachmannschaften ständig erweitert, die Außenlager wurden von der Wehrmacht bewacht.

Kein anderes selbständiges KZ ist so ausschließlich für die Rüstungsindustrie gegründet worden. Beim Aufbau der unterirdischen Fertigungsanlagen und bei der Raketenproduktion wurde der rasche Verschleiß der Häftlingsarbeiter einkalkuliert, 12.000 Häftlinge mußten in den feuchten Stollen nicht nur arbeiten, sondern „lebten“ auch hier, bis nach dem Aufbau der Produktionsanlagen Barackensiedlungen errichtet wurden. In Dora gab es Häftlingsgruppen, die in anderen KZ nicht bekannt waren, sog. Wifo-Häftlinge. Im November 1944 produzierten 32.475 Häftlinge 662 Raketen. Die Häftlingszahl stieg mit den Evakuierungstransporten aus dem Osten an, die Produktion wurde im März 1945 eingestellt. Insgesamt waren in Dora rund 60.000 Menschen inhaftiert, von denen 20.000 ihr Leben verloren.

Die Texte über das Stammlager Dora und über seine Außenlager schrieb der Leiter der Gedenkstätte, Jens-Christian Wagner, der bereits zuvor Ähnliches publiziert hat. Für viele der kleineren Außenlager ist die Quellenlage schlecht. Dora stellt hinsichtlich des schnellen Verschleißes der Häftlinge ein extremes Beispiel höchster Sterblichkeit dar. Aber auch im Hinblick auf die weitgehende Akzeptanz des KZ durch die Bevölkerung im Umfeld der Lager stellt es ein Muster dar. Das Lagernetz von Dora im Südharz war besonders dicht. Die Verbrechen geschahen nicht selten vor den Augen der Anwohner, von denen sich immer wieder einige an der Jagd auf flüchtige Häftlinge beteiligten.

War Dora bereits durch die mörderischen Lebensbedingungen ein Lager mit höchster Sterberate, so wurde das terroristische Regime ab Ende 1944 noch einmal gesteigert: Bis März 1945 kamen 16.000 Häftlinge aus Auschwitz hinzu, mit ihnen 1.000 Mann SS-Personal aus Auschwitz. Im Februar 1945 traf die Abwicklungsstelle Auschwitz in Dora ein, ihr Kommandanturstab übernahm nun alle wichtigen Posten im Lager. Kommandant wurde Richard Baer. Die Auschwitzer SS-Mannschaft übertrug nun ihre Praktiken auf das Lager Dora.

Schwierige Quellenlage, respektable Ergebnisse

Band 8 setzt die Reihe der chronologisch geordneten Bände über die einzelnen Lager fort, allerdings mit strukturellen Brüchen gegenüber dem Aufbau der vorangegangenen Bände. Mit der Aufnahme der Konzentrationslager in den baltischen Ländern (Riga-Kaiserwald, Kaunas, Vaivara, alle seit 1943) wurde die chronologische Anordnung aufgegeben, um diese drei Konzentrationslager von den übrigen abzuheben. Da es sich in allen drei Fällen um ehemalige Ghettos handelt, die umbenannt und modifiziert wurden, und in denen fast ausschließlich jüdische Häftlinge arbeiteten und starben, sehen die Herausgeber sie als Sonderfall an. Und schließlich wurden in den Band jene Vernichtungsstätten aufgenommen, die niemals Konzentrationslager waren und Häftlinge nicht vor ihrer sofortigen Ermordung registrierten: Chelmno nad Nerem im Wartheland, Treblinka, Sobibór und Belzec an der Ostgrenze des „Generalgouvernements“.

Für die behandelten fünf Konzentrationslager – die drei genannten sowie Warschau und Plaszów – war die Quellenlage besonders schwierig. Die Forschung zu ihnen hat erst begonnen. Die Artikel über das Stammlager Riga-Kaiserwald und 16 bekannte Außenlager hat Franziska Jahn verfaßt, die darüber ihre Dissertation schreibt. Sie geht von der Feststellung aus, Riga entspricht nicht dem Muster eines KZ, es setzte die Ära der Ghettos fort. Ihr Artikel über das Stammlager folgt dann aber in seinem Aufbau geradezu mustergültig der Gliederung der Abhandlungen über die großen Lager in den früheren Bänden, nicht zu seinem Nachteil. Über manche Außenlager kann sie nur drei Zeilen schreiben, so schlecht ist die Quellenlage.

Die Dürftigkeit der Quellen gilt in noch höherem Maße für das KZ Kaunas, über das Jürgen Matthäus vom Center for Advanced Holocaust Studies, US Holocaust Memorial Museum, Washington geschrieben hat, während der Doktorand Mario Wenzel alle 17 Außenlager vorstellt, über die es zum Teil kaum Daten gibt. Zwar holt Matthäus weit aus und beginnt mit der deutschen Okkupationspolitik gegenüber Litauen, doch aufgrund der Quellenlage bleibt der Beitrag dürftig und umfaßt nur wenige Seiten. Das Ghetto Kaunas wurde im September 1943 zum Konzentrationslager erklärt, aber nicht deren Inspektion unterstellt, sondern dem „SS-Wirtschafter beim Höheren SS- und Polizeiführer Ostland“. Am Alltag des früheren Ghettos änderte sich wenig, in diesem KZ gab es ausschließlich jüdische Häftlinge, neue wurden nicht eingewiesen.

Eine ähnlich dürftige Quellenlage gilt für den KZ-Komplex Vaivara in Estland, der am 19. September 1943 eröffnet wurde, um die Ölschiefervorkommen in Nordostestland von Häftlingen abbauen zu lassen. Ruth Bettina Birn hat sich daran gemacht, das nicht nur in Deutschland weitestgehend unbekannte und zudem recht unübersichtliche KZ-System zu rekonstruieren, sie hat den Beitrag über das Hauptlager und auch alle Artikel über die 21 Außenlager verfaßt. Dabei folgt sie im Aufbau dem in den vorangegangenen Bänden eingeübten Muster und behandelt Gründung, Personal, Häftlinge, Stammlager und Außenlager, Arbeits- und Lebensverhältnisse, Krankheit, Mißhandlung, Tod, Evakuierung, Lagerauflösung und Ende sowie rechtliche Ahndung und Memorialisierung. Das ganze ist allerdings sehr knapp, da es die erste Forschung zu diesem Komplex ist und wir insgesamt noch sehr wenig darüber wissen.

Zu Vaivara gehörten über 20 Außenlager auf estnischem Territorium, einige nicht kleiner als das Stammlager. In Kiviöli, dem Zentrum der Schieferölindustrie, arbeiteten im Sommer 1944 1.700 Häftlinge, in Klooga, dem größten Außenlager mehr als 2.000. Die einzelnen Außenlager hatten verschiedene Bezeichnungen und gehörten verschiedenen Kategorien an, manche unterstanden der Organisation Todt oder dem Konzern Baltöl. Im Unterschied zu Riga und Kaunas gab es im Vaivara-System außer jüdischen Häftlingen zahlreiche sowjetische Kriegsgefangene sowie Zwangs- und Zivilarbeiter aus verschiedenen Ländern. In Klooga, dem größten Außenlager arbeiteten die Häftlinge für die Organisation Todt, die hier Marineaufträge erledigte. Da Klooga bei der Evakuierung der weiter östlich gelegenen Lager des Vaivara-Systems als Zielort und Verschiffungshafen fungierte, schwoll im Herbst 1944 die Zahl der Häftlinge stark an. Der hierher übersiedelte Kommandanturstab des Hauptlagers Vaivara entledigte sich dieser Häftlinge durch eine Massenerschießung am 19. September 1944.

Das im Januar 1944 in Kraków errichtete KZ Plaszów existierte nur ein Jahr, die Quellenbasis ist schmal, dennoch berichtet Angelina Awtuszewska-Ettrich, Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung, die den Text über das Stammlager und alle sechs Außenlager verfaßte, relativ ausführlich über seine Geschichte, und die Herausgeber heben seine Bedeutung noch hervor, weil es der Handlungsort für den Hollywood-Film „Schindlers Liste“ war. 1943 wurde das Ghetto in Kraków in ein Zwangsarbeitslager für Juden umgewandelt und dieses im Januar 1944 der Inspektion der Konzentrationslager im SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt unterstellt. Seine 24.000 Häftlinge arbeiteten in der Rüstungsindustrie. Die meisten Häftlinge wurden im Herbst 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Die Vernichtungsstätten Chelmno nad Nerem, Belzec, Sobibór und Treblinka gehörten nicht in das von der Inspektion der Konzentrationslager organisierte und zentral gesteuerte System der KZ. Diese Mordstätten unterstanden den regionalen Befehlshabern bzw. Inspekteuren der Sicherheitspolizei und des SD. Für die „Aktion Reinhardt“, der Belzec, Sobibór und Treblinka zugeordnet waren, war dies der Inspekteur der Sipo und des SD im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik. Alle vier wurden zu dem einzigen Zweck errichtet, die Ghettos des Warthelandes bzw. des „Generalgouvernements“ leer zu morden. Sie existierten nur relativ kurze Zeit und wurden dann aufgelöst und ihre Spuren beseitigt.

Die Herausgeber haben sich entschieden, Artikel über diese Vernichtungsstätten aufzunehmen und zwei davon selbst zu schreiben. Peter Klein verfaßte den Text über Chelmno (Kulmhof). Der Beitrag Robert Kuwaleks, Kurator der Ausstellung in Belzec, über die dortige Vernichtungsstätte ist klar und übersichtlich, Barbara Distels über Sobibór ein wenig dürftig. Wolfgang Benz holt über Treblinka weit aus, vom Mord an psychisch Kranken in Deutschland bis zur „Aktion Reinhardt“, bei der ca. 100 Mann des „Euthanasie“ genannten Mordprogramms unter dem Kommando von Wirth nach Polen geschickt wurden. Benz urteilt über Treblinka: Der effizienteste Mordapparat, den es je gegeben hat (407). Keiner der Mörder von Treblinka mußte sich je vor einem polnischen Gericht verantworten. Schließlich setzt Benz Richard Glazer, einem der Überlebenden des Aufstandes von Treblinka, ein literarisches Denkmal (438ff.).

Für Band 9 war mit der Aufnahme der Vernichtungslager in den Band 8 eine Vorentscheidung getroffen, auch die anderen Lagertypen vorzustellen. Der erste Teil des Bandes behandelt Polizeihaftlager, die unter den verschiedensten Bezeichnungen firmierten: erweiterte Polizeigefängnisse, die faktisch kleine KZ waren, Arbeitserziehungslager, Jugendschutzlager, das Polenjugendverwahrlager in Lodz, Zwangsarbeitslager für Juden, das Lagersystem der Organisation Schmelt, Ghettos, Sonderlager für ungarische jüdische Zwangsarbeiter oder für Zigeuner sowie Lager für ausländische Zivilarbeiter. Von letzteren gab es ca. 30.000, von den Zwangsarbeitslagern in Polen und der Sowjetunion 750 bis 800. Diese Lager wurden allesamt von den Opfern als KZ empfunden, Haftbedingungen wie Organisation und Bewachung unterschieden sich kaum von diesen.

Parallel zu dieser Typisierung der Zwangslager soll eine Darstellung wichtiger Regionen des besetzten Europas verdeutlichen, wie dicht und vielfältig das System der Zwangslager dort war; vorgestellt werden Frankreich, Italien, Ungarn, Dänemark, Norwegen, Kroatien, Serbien Transnistrien und Weißrußland. Das ist jeweils informativ, enthält aber zahlreiche Wiederholungen zu den vorherigen Teilen. In dieser Reihe fehlt nun ausgerechnet Polen, das okkupierte Land mit den systematischen Vernichtungsstätten. Ein dritter Teil behandelt „Lager mit besonderer Bestimmung“, verstanden als „einzelne Lager, die herausragende Bedeutung haben oder in kein System einzuordnen sind“ (13). Hier finden wir so wichtige Lager wie Theresienstadt oder Maly Trostinez und Trawniki, doch erscheint die Auswahl der zwölf Beispiele inhaltlich kaum begründet, und dieser dritte Teil des Bandes insgesamt irreführend.

Überblickt man die ganze nun vollendete Edition, so nötigt die große Arbeitsleistung der Herausgeber und Autoren Respekt ab. Die neun Bände sind ein nützliches und künftig unentbehrliches Nachschlagewerk bei der Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Es ist ein antifaschistisches Werk, seine politische Bedeutung schwer zu überschätzen. Es handelt sich im allgemeinen und besonders in den ersten Bänden um die Zusammenstellung des je gegebenen Forschungsstandes, in den letzten wird mit eigenen Forschungen der Autoren dieser Stand zum Teil selbst bestimmt. Es handelt sich dennoch um ein praktikables Nachschlagewerk, keine vergleichende und keine problemgeschichtliche Analyse. Die Reihe kann und soll daher alle bisherigen und künftigen Monographien, in denen offene und strittige Fragen zur Geschichte der Konzentrationslager erörtert werden, weder ersetzen noch überflüssig machen. Ihre Aufgabe war nicht, einen gravierenden Forschungsfortschritt zu gewinnen, sondern bestehende Kenntnisse übersichtlich zusammenzufassen. Dies ist meist gelungen. Der Hauptverdienst liegt in der vollständigen Erfassung der Außenlager.

Widerstand peripher behandelt

Nach Abschluß der Reihe lassen sich auch einige Kritikpunkte, die nicht nur auf die vier letzten Bände bezogen seien, leichter formulieren.

1. Der ganzen Serie eignet zunehmend eine Sicht aus der Verwaltungsperspektive, und zwar sowohl auf das Funktionssystem der Lager als auch auf die SS-Mannschaften und sogar auf die Häftlinge. Unter dieser stark administrativen Sicht kommen die Opfer als Zahlenkolonne vor und nur noch selten selbst zu Wort.

2. Der Werk heißt zwar „Der Ort des Terrors“, doch die Terrorfunktion der im Konzentrationslager ausgebrüteten und systematisierten Bestialität wird insgesamt zu wenig thematisiert. Das betrifft zum einen die innere Strukturierung der Lager, ihrer Häftlingsgesellschaften wie ihrer SS-Besatzung durch den Terror, zum anderen die Terrorfunktionen dieser Lage in bezug auf die umgebende Gesellschaft, mit der sie nicht nur über den Arbeitseinsatz in Wechselwirkung standen.

3. Die Beziehungen zwischen den Konzentrationslagern und der deutschen Gesellschaft werden zwar am Beispiel des Arbeitseinsatzes der Häftlinge und aus den Außenlagern benannt, aber nicht analysiert und erörtert. Der Flickenteppich der Lager und ihrer Außenlager war in den Ortschaften unübersehbar. Das Verstecken der terroristischen Gewalt hinter KZ-Mauern und Zäunen erfüllte zwar die Funktion, abzuschrecken und befriedigte das Bedürfnis, selber nichts Genaues über die Schrecken wissen zu wollen, doch die Lager konnten ohne Wechselwirkung mit der umgebenden Gesellschaft nicht existieren. Sie mußten versorgt und entsorgt werden, damit waren viele Menschen beschäftigt. Die Häftlinge wurden von und zur Arbeit durch Ortschaften getrieben. Soweit die SS-Wachmannschaften nicht kaserniert waren, wohnten wenigstens die Offiziere und Unteroffiziere außerhalb des Lagers und damit mitten unter den Menschen, für die das KZ ihre alltägliche Umgebung bildete.

4. Es wird versucht, den Lageralltag für jedes Stammlager umfassend und detailliert zu zeichnen. Probleme der Selbstbehauptung, der Resistenz und des Widerstandes aber nehmen einen peripheren und manchmal auch gar keinen Platz ein. Was darüber in den Erinnerungen ehemaliger Lagerhäftlinge geschrieben steht, wird selten zu Rate gezogen.

5. Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Bei einem Nachschlagewerk gilt dies nur cum grano salis. Jeder Informationsartikel hat unabhängig von den anderen den gesetzten Qualitätsstandards zu genügen. Dennoch sollte ein solches Opus magnum keine elementaren Fehler enthalten. Auschwitz war das größte und grausamste Konzentrationslager und zugleich die wichtigste und größte Stätte technisierter Menschenvernichtung. Hier wurden über eine Million Menschen umgebracht. Es ist historisch zum Synonym für die Vernichtungspolitik der Nazis, deren Verquickung mit der Rüstungsindustrie und dem Völkermord an den Juden geworden. Zweifellos müßte Auschwitz in der neunbändigen Buchreihe „Der Ort des Terrors“ im Mittelpunkt stehen und der Stichwortartikel den Kern der Serie bilden. Die Herausgeber schreiben selbst „Auschwitz ist zur Metapher für das Menschheitsverbrechen schlechthin geworden“, doch zogen sie daraus nur die sehr bescheidene Schlußfolgerung: „Daraus folgt für den Historiker als Auftrag das Minimum der exakten Beschreibung: Was ist an diesem Ort geschehen, wer waren die Opfer, wer die Täter, in welchen Zusammenhängen wurde Auschwitz gegründet, welche Entwicklung nahm der Komplex des Konzentrations- und Vernichtungslagers, was geschah mit den Schuldigen, wie konnten die Opfer das Überleben ertragen?“ (79) Faktisch wurden für den Text über Auschwitz I und II die Anforderungen dort herabgesetzt, wo sie in besonderem Maße nötig waren. Das Kapitel kommt über Stückwerk nicht hinaus und wird durch Forschungsmängel, Fehlinformationen und manchen oberflächlichen Eklektizismus dem selbst gesteckten Anspruch der Herausgeber nicht gerecht.

6. Auf eine Historiographie der Erforschung ihres Gegenstandes haben die Herausgeber verzichtet. Damit fehlt eine selbstkritische Reflexion zum Umgang der Historiker mit dieser Wirklichkeit, damit aber auch eine kritikfeste Begründung der eigenen Editionsprinzipien und Qualitätsmaßstäbe für die einzelnen Artikel.

[1] Martin Broszat (Hrsg.), Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, Stuttgart 1970, S. 7.