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Über die Schwierigkeit, dem nackten Kaiser Kleider anzuziehn

Anmerkungen zur Postmoderne-Debatte

März 2006

I.

Der marxistischen Postmodernekritik wird, dort, wo sie radikal ist, d.h. die Sache an der Wurzel packt, oft vorgeworfen, sie wäre einseitig, dogmatisch und borniert und würde das, wie es so schön heißt, ‚Bemerkens- und Bedenkenswerte’ am kritisierten Gegenstand nicht zur Kenntnis nehmen. So konstatieren Müller/Weingarten einen „ideologiekritischen Vorbehalt“ der Negation postmoderner Theorien (MW 137), und Radewald beklagt, daß der Marxismus diese als „‘bürgerliche Wissenschaft’ behandle, also „pauschal unterstelle“, „Herrschaftsideologie, Irrationalismus, politische Unmündigkeit (...) zu verbreiten“ (ER 153). Bereits an diesem Punkt, fürchte ich, läuft theoretisch einiges schief. Was, in aller Teufel Namen, sind postmoderne Theorien anderes als ‚bürgerliche Wissenschaft’ (wenn man diese Klassifikation verwenden möchte), proletarisch oder feudalistisch sind sie sicher nicht. Aber was heißt das? In keinem ernstzunehmenden Marxismus ist ‚bürgerliche Wissenschaft’ ein Schimpfwort gewesen. Es gibt und gab progressive und regressive ‚bürgerliche Wissenschaft’. Und was heißt „ideologiekritischer Vorbehalt“ bzw. was ist das empfohlene Gegenteil? Soll das eine Deutsche Ideologie ohne Ideologiekritik sein? Was verstehen die dekonstruktiven Geister überhaupt unter Ideologiekritik? Im marxistischen Sinn bedeutet Ideologiekritik nicht nur die Destruktion des Falschen am kritisierten Gegenstand, sondern zugleich auch das Herausarbeiten seines Wahrheitsmoments – in diesem Sinn gibt es gar keinen Dissens mit den Verfechtern des ‚Bedenkenswerten’ in den postmodernen Diskursen. Nur gibt es hier keinen Automatismus. Es gibt taktische Unterschiede der Gewichtung, und es gibt kritische Strategien. In diesem Zusammenhang dann hat auch die Form der polemischen Kritik ihre Berechtigung (siehe TM 116f.). Auch ist das Herausarbeiten eines Wahren nur möglich, wo ein solches Wahrheitsmoment vorliegt. Bei den postmodernen Theorien freilich, dies ist mein Verdacht nach recht ausführlicher Beschäftigung mit ihnen (über Jahre hinweg wurden in meinen Bremer Seminaren postmoderne Theorien thematisiert), gibt es wenig an bedeutender theoretischer Substanz. Gegenüber den ‚klassischen’ Philosophien der bürgerlichen Moderne – und ich nenne hier ausdrücklich: Nietzsche, Heidegger, Wittgenstein, Sartre – ist hier, ganz unabhängig von der Einschätzung der theoretischen Grundpositionen, ein deutlicher Abfall an denkerischem Gehalt zu konstatieren. So gibt es selbst bei einem philosophischen Apologeten des Barbarismus, wie es Nietzsche war, wichtige und gründliche Einsichten in die Mechanismen der bürgerlichen Kultur, auf die keine dialektische Theorie ohne Erkenntnisverlust verzichten kann, und Heidegger war sicher mehr als nur ein gestandener Naziphilosoph (einen Hinweis dazu habe ich in meinem Essay gegeben). Die Bedeutung Wittgensteins als Denker von äußerster Radikalität und Schärfe steht für mich, unabhängig von aller notwendigen Kritik, ebenso außer Frage wie die Sartres als Protagonist der Existenzphilosophie. Bei den postmodernen Theoretikern habe ich bisher noch nichts von gleichem Niveau entdecken können. Immer wenn ich sie verstanden habe, trat Bekanntes hervor. Für theoretische Entdeckungen ist da nur geringer Raum. Neu ist meist nur der Jargon. Da drängt sich der Gedanke auf, daß der postmoderne Kaiser nackt ist. Was meine Bereitschaft, mich belehren zu lassen, keineswegs ausschließt. Vielleicht hat ja jemand Kleider für den nackten Kaiser im Gepäck, und vielleicht ist der Kaiser auch gar nicht nackt. Übrigens habe ich in meinem Essay das Problem solcher Differenzierungen ausdrücklich auf methodischer Ebene diskutiert und Unterscheidungen vorgeschlagen, die, wenn angewendet, zur Versachlichung der Diskussion beitragen könnten. Aus Zeit- und Raumgründen kann ich mich hier nicht wiederholen, der Text liegt ja vor (TM 115-119). Ich möchte allein festhalten, daß ich dort die These interner Differenzierung innerhalb ideologischer Formationen entwickle und diese ausdrücklich auch auf postmoderne Theorien angewendet wissen will (TM 119). Dies trotz meiner recht eingefleischten Skepsis gegenüber deren philosophischem Gehalt. Ich frage mich, ob mein wackerer Kritiker diesen Teil meines Essays überhaupt gelesen hat. Außer auf eine der heroischen Epik geschuldeten Metapher (der ‚Besichtigung des geschlagenen Gegners’), deren ironischen Gebrauch er übrigens verkennt, geht er auf den Text meines methodologischen Zwischenstücks mit keiner Silbe ein – dabei behandelt dieser genau das Problem, das ihn nach eigenem Bekunden umtreibt.

II.

Der Irrationalismusvorwurf, so mein Kritiker, sei so wenig belegt und belegbar wie es die Diagnose des Antirealismus ist. Was letzteren betrifft, so behauptet er kühn, daß sich weder bei Lyotard noch bei Foucault und Derrida „eine Verneinung der materiellen Existenzgrundlage menschlichen Daseins (...) nachweisen“ lasse, wohl aber das Gegenteil“ (ER 154f.). Nun ist es aber meines Wissens von keinem Derridaianer noch von dem Meister selbst je bestritten worden, daß die Signifikanten sich auf kein materielles Signifikat mehr, sondern nur noch auf sich selber beziehen, so daß auch Weingarten, der sich ja die Rettung Derridas zur Herzensangelegenheit macht, in einer erst 2003 erschienen Schrift von dessen „lingualistischen Idealismus“ spricht, „der bestreitet, daß es überhaupt außerhalb von Sprache Materialitäten, Dinglichkeit oder außersprachliche Referenten gäbe“ (Leben (bio-ethisch), Bielefeld, 32). Auch für Foucault gilt, wie Wucherpfennig nachgewiesen hat, „sprachliche Systematik als grundlegende gesellschaftliche Wirklichkeit“ (siehe TM Bibliographie), und wenn Lyotard ausdrücklich die unterschiedlichen Wissens-, Handlungs- und Lebensformen als untereinander inkommensurable ‚Sprachspiele’ versteht, so rekurriert er damit auf einen Begriff des späten Wittgenstein, mit dem dieser den noch in seiner Frühschrift behaupteteten logischen Konnex zwischen Sprache und nichtsprachlicher Wirklichkeit rigoros in Abrede stellt. So what, Edgar Radewald? Übrigens spreche ich in meinem Essay allein von der „Leugnung der Erkennbarkeit, Relevanz, in radikalen Formen der Existenz einer vom Bewußtsein unabhängigen materiellen Welt“ als typisch für den antirealistischen Wirklichkeitsberiff der Postmoderne. Auf die Aporien des ontologischen Antirealismus weise ich ausdrücklich hin. Ich möchte doch bitten, hier genau gelesen zu werden.

Das größere Problem liegt in der Tat mit Blick auf den Irrationalismusvorwurf. Zwar ist es Unfug zu sagen, dieser sei an das Kriterium gebunden, „ob und inwieweit eine Theorie ‚Marxismus-adäquat’“ sei – nichts in der von mir gegebenen Definition (noch bei Lukács, auf den ich aufbaue) gibt Anlaß für diese Unterstellung (ich bitte nachzulesen, TM 126f.). Doch ist ohne weiteres zuzugestehen, ich wende die Kritik ins Positive, daß die Ausarbeitung des Irrationalismusproblems noch in den Anfängen steckt. Auf Näheres kann ich an dieser Stelle aus o.g. Gründen nicht eingehen, die Ausführungen zum konstitutionellen Irrationalismus des Imperialismus, zum Irrationalen als ‚historisch-logischem Schematismus’ sind jedenfalls in der Perspektive einer solchen Weiterentwicklung niedergeschrieben.[1] Daß es freilich noch gar nichts zum Irrationalismusproblem bei den postmodernen Meisterdenkern gäbe, stimmt nicht. So hat Rehmann den Nietzscheanismus von Deleuze und Foucault in philologisch präzisen Analysen nachgewiesen, bei Ahmad, Seppmann u.a. finden sich reichhaltig Hinweise, Sokal/Bricmont sind geradezu eine Fundgrube zum Thema (siehe TM Bibliographie). Ein marxistisches Desiderat sind freilich in der Tat detaillierte und systematische Analysen, vor allem zu Derrida und zu Lyotard, da gebe ich Radewald recht. Diese nachzuholen, ist eine dringende Aufgabe. Festhalten freilich möchte ich, daß nach den von mir niedergelegten Kriterien (TM 127) zentrale Konzepte beider Denker – sagen wir es vorsichtig – zumindest in den Umkreis des Irrationalismuskomplexes gehören: das sind z.B. Derridas Konzepte der Spur und des Messianischen (im Marxbuch), das sind Lyotards Schlüsselbegriffe des Ereignisses und des Erhabenen, seine Behauptung der Inkommensurabilität der Diskurswelten. Über diese Kategorien und ihre Probleme wird sicher noch zu reden sein. Radewald verweist auf die Verweigerung führender Vertreter des Postmodernismus, „Kategorien wie Humanität, Fortschritt, Totalität, das Ganze, das Allgemeine etc. (...) als relevant anzuerkennen“. Dies deshalb, weil diese Kategorien „metaphysisch sind“ (ER 158). Dieser Begründung aber liegt ein fundamentaler Irrtum zugrunde. Keineswegs sind die genannten Begriffe per se ‚metaphysisch’. Ihre Gebrauchsform kann metaphysisch sein (wenn damit außer der Zeit seiende, also ungeschichtliche oder von einer göttlichen Hand gelenkte Substantialitäten gemeint sind), als radikal geschichtliche oder ontologisch-geschichtliche Begriffe, wie sie ein konsequenter Marxismus faßt, sind sie antimetaphysisch. So ist, um ein Beispiel zu geben, der Begriff des menschlichen Wesens, auf dem die Kategorie der Humanität bekanntlich beruht, als „dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum“ in der Tat ein metaphysischer Begriff, als „ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx, Feuerbachthesen) ist er es nicht. Er ist hier ein geschichtlicher bzw. geschichtlich-ontologischer Begriff. An diesem Beispiel zeigt sich wieder, was so oft bei diesen Meisterphilosophen festzustellen ist: eine simple Schludrigkeit des Denkens. Ihr Problem ist eben nicht der Irrationalismus allein, ihr Problem ist (mit einem Begriff E.P. Thompsons) die Armut der Theorie.

III.

Ein Gesichtspunkt von ganz grundlegender Bedeutung, den ich deshalb in aller Deutlichkeit hervorheben möchte, ist dieser: Mir wie auch Seppmann geht es bei dem Projekt einer Kritik der Postmoderne gar nicht in erster Linie um eine Kritik der postmodernen Meisterdenker (dann hätte mein Essay wie auch Seppmanns Buch in der Tat anders geschrieben werden müssen), sondern es geht um die Postmoderne als ideologische Formation – um die Kritik postmodernen Bewußtseins. Damit ist ein identifizierbarer ideologischer Komplex gemeint, der vom Alltagsbewußtsein bis in die hohe Theorie reicht und seinen zentralen Ort in der Zivilgesellschaft hat. Die Problematik habe ich in einer 2002 veröffentlichten Arbeit entwickelt[2] und auch in dem inkriminierten Essay in einer Weise entfaltet, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Ich baue dabei explizit auf Untersuchungen Seppmanns auf (wie auch auf andere in der Bibliographie genannte Arbeiten), die ich resümierend zusammenfasse. Das Profil postmodernen Bewußtseins wird unter fünf Gesichtspunkten referiert (ich bitte, TM 110-115 nachzulesen). Nun mag das alles lückenhaft oder gar falsch sein, eine Kritik aber, die nicht nur punktuell-polemisch ist, sondern gar die Debatte versachlichen will, sollte, will sie ihren Gegenstand nicht verfehlen, das Konzept dieses Projekts auch zur Kenntnis nehmen. Davon aber kann bei meinem geschätzten Kritiker die Rede nicht sein.

IV.

Dabei bin ich mit seiner Intention voll einverstanden. Versachlichung der Debatte? Ja. „Das Feld (...) ist offen“, ich sagte es (TM 119). Das heißt aber auch: das einzige, was zählen soll, ist das Argument.

Überprüfen wir die Argumente, mit denen das Bedenkenswerte und Bedeutende postmoderner Theorien herausgearbeitet werden sollen. Derrida ist das beste Beispiel dafür. Marx’ Gespenster hat fraglos etwas Faszinierendes für einen Marxisten meiner Couleur, zumindest auf den ersten Blick. Das Buch ist Chris Hani, dem ermordeten südafrikanischen Kommunisten gewidmet, und ausdrücklich versichert Derrida, daß die Dekonstruktion nie gegen Marx gerichtet war. Zudem wird die Metapher des Gespensts über Shakespeares Hamlet eingeführt – womit der Autor bei einem leidenschaftlichen Shakespearianer, wie ich es bin, natürlich ‚punktet’. Auf der anderen Seite stehen Äußerungen wie die, daß er einen Marxismus zwar mit einem „Geist der Aufklärung“ will, doch unterschieden „von anderen Geistern des Marxismus“, „jenen, die ihn dem Körper einer marxistischen Doktrin einverleiben, ihrer vorgeblichen systemischen, metaphysischen oder ontologischen Totalität (namentlich der ‚dialektischen Methode’ oder ‚materialistischen Dialektik’), ihren grundlegenden Begriffen der Arbeit, der Produktionsweise, der sozialen Klasse, und infolgedessen der ganzen Geschichte ihrer (projektierten oder realen) Apparate: den Internationalen der Arbeiterbewegung, der Diktatur des Proletariats, der Einheitspartei, dem Staat und schließlich der totalitären Monstrosität“ (Marx’ Gespenster, Frankfurt a. M. 2004, 125). Dies, tatsächlich, steht in einem Satz – man lasse sich seine gedankliche und stilistische Monstrosität am besten im Original auf der Zunge zergehen. Anstelle dieses ‚Geists’ nun soll „das Messianische ohne Messias oder die Messianizität ohne Messianismus“ treten (so auch J. Derrida, Marx & Sons, Frankfurt a. M. 2004, 120). Zumindest, bei aller Zurückhaltung, lassen sich hier einige Widersprüche konstatieren, und erwartungsvoll wende ich mich, hoffend auf Aufklärung, den profunden Kennern, hier also Müller/Weingarten zu. Die Ernüchterung freilich folgt auf dem Fuß. Zwar wird eingangs ahnungsvoll davon geraunt, daß die „Philosophie Derridas ein (...) Teilstück einer auf unsere Gegenwart bezogenen ‚Phänomenologie’“ darstellen könne (womit die Hegels gemeint ist) (MW 139), doch zu Derrida hören wir dann gar nichts mehr. Es folgt – man staunt – ein Stück Lukács-Bachtin-Debatte. (In wievielter Auflage? In den letzten Jahren der DDR hatte sie bereits eine sonderbare Konjunktur.) Die Begründung dafür: in ihr fände sich das Problem der Philosophie Derridas bereits im Rahmen marxistischen Philosophierens vor. Der Karren freilich liegt im Graben, bevor er überhaupt richtig in Gang kommt. Denn was dort unter ‚Lukács’ aufgeboten wird, ist ein Popanz. Mit dem Lukács, den man aus dessen Schriften kennt, hat der nichts mehr zu tun. Ich mache es kurz, weil die Sache eigentlich läppisch ist. Lukács, so wird behauptet, sei in der Widerspiegelungsfrage Vertreter einer naturalistischen Abbildtheorie (das „Abbilden von Dingen“ als zweistellige Relation: also als bloße Kopie) (MW 140). Diese Beschuldigung entbehrt jeder Grundlage. In allen seinen marxistischen Schriften zu diesem Problem (die vormarxistischen behandeln es noch nicht) wird die wahre Widerspiegelung (die von Lukács vorrangig als ästhetiktheoretisches Problem diskutiert wird) an die Ausarbeitung kompositorischer Modelle (so das der Erzählung) geknüpft. Solche Modelle sind die notwendige Bedingung für realistisches Gestalten, um das es ihm stets ging. Ohne sie bleibt die Widerspiegelung naturalistisch – was zu vermeiden sei. Wahre Widerspiegelung ist also an das Medium der Form gebunden (dies, die Priorität der Form, war es dann auch, was an Lukács von klugen Dogmatikern wie Wilhelm Girnus gerügt wurde). Noch absurder aber ist die Behauptung, daß es in der gesamten theoretischen Entwicklung Lukács’, also von der Theorie des Romans bis zur späten Ästhetik „Kontinuität und Bruchlosigkeit“ gibt – was auf das Leugnen eines marxistischen Lukács hinausläuft bzw. auf die Deklaration, daß der frühe Lukács bereits Marxist sei. Das eine ist so unsinnig wie das andere. Eine Beweisführung erspare ich mir, da es hier einen soliden Stand der Forschung gibt (eine Literaturliste stelle ich den Autoren gerne zur Verfügung). Der einzige Beleg, übrigens, für ihre These ist ein Zitat von Manfred Naumann aus dem Jahre 1984, das damals schon falsch war und in der Forschung entsprechend widerlegt wurde.[3] Hier wird mit Philologie und Forschung auf eine Weise Schlitten gefahren, die alle Teile des Aufsatzes diskreditiert. Rätselhaft bleibt mir, daß ein kluger Mann wie Weingarten (dessen Arbeiten zu Gegenständen seiner engeren Forschung ich schätze – da soll hier kein Mißverstehen sein) einen Text wie diesen mit seinem Namen sanktionieren konnte. Einer ‚Rettung’ Derridas freilich ist mit dem Unternehmen sicher nicht gedient.

Gründlicher und philologisch profund ist sicher Esers Arbeit zu Foucault. Umso deutlicher tritt die theoretische Armut des Faucoultschen Denkens hervor. Es geht, so hören wir, um Macht, Staat (wie immer bei Foucault) und, so verstehe ich Eser, um einen möglichen Beitrag zur Differenzierung, Verfeinerung, Ergänzung, Revision (wie auch immer) der marxistischen Theorie dazu. Wenn ich dann aber lese, daß der „moderne Staat abendländischer Gesellschaften, so eine zentrale historische These Foulcaults, dadurch gekennzeichnet sei, daß er die Machttechniken des christlichen Pastorats übernommen hat“ (PE 157), ohne daß diese These in eine Beziehung gesetzt wird zu bisherigen (etwa formationsgeschichtlichen) Erklärungen, so kann ich hier keine über den bisherigen Erkenntnisstand hinausführende Einsicht erblicken – zumal solche Fragen in der marxistischen Geschichtsforschung (so bei Hill in Bezug auf das frühneuzeitliche England) durchaus diskutiert wurden. Was bestenfalls ein historischer Gesichtspunkt unter anderen ist, macht noch keinen theoretischen Sommer. In allem, was zur ‚neoliberalen Gouvernementaltät’ gesagt wird, finde ich auch beim genauen Hinsehen nur alte Hüte. Die Stamokaptheorie war da schon genauer. Und daß der Wohlfahrtsstaat den Kapitalismus stabilisiert – ja wer hätte das wohl gedacht! Das wirkliche Problem, das sich der revolutionären Arbeiterbewegung damit immer wieder stellt – das Verhältnis von Reform und Revolution als konkret-dialektisches zu fassen –, wird dabei gerade nicht behandelt. Ein Grund zur Reform meines Foucaultbildes ist die Arbeit Esers jedenfalls nicht.

Radewalds Argumente für die Bedeutung Lyotards gehen über den Status der Andeutung nicht hinaus – so muß ich es dann selbst bei der Andeutung einer Widerrede (wie oben getan) belassen. In einem Punkte freilich hebt sich der Beitrag Radewalds (trotz seiner kritischen Grenzen) von den beiden anderen wohltuend ab: durch die Benennung offener Problemfelder, auf denen weitergearbeitet, geforscht und auch gestritten werden kann. So ist fraglos die Sprache ein defizitärer Bereich marxistischer Theorie, wenn es auch nicht stimmt, daß es hier gar nichts gibt (auf die Arbeiten von Holz weisen ja auch Müller/Weingarten hin). Möglicherweise kann in diesem Zusammenhang die Lyotardsche Theorie der Diskursarten fruchtbar gemacht werden, das Wittgensteinsche Sprachspielkonzept kann es sicherlich. Dies ist zu überprüfen, wenn die Argumente vorgetragen werden. Gleiches gilt für den Bereich des Ästhetischen. Ich sehe zwar noch nicht, in welcher Weise das Lyotardsche Konzept des Erhabenen über vorhandene Konzepte, auch marxistische (so das Treptows)[4] hinausführt, aber ich warte nach wie vor auf Argumente. Zwar sehe ich auch Welschs Konzept des Ästhetischen, soweit ich es kenne, mit dem meinen kaum kompatibel, aber auch hier betrachte ich die Sache als offenes Feld.

V.

Auf Argumente warte ich also immer noch. Ich hoffe nicht, ich fürchte es fast, daß es dem Warten auf Godot gleicht. Zwischenzeitlich halte ich mich immer noch an Christian Andersen. Dessen Kaiser ging bekanntlich zwei gerissenen Betrügern auf den Leim. Die machten Kleider, die keine waren, der Hofstaat machte die Honneurs dazu, und alle Welt fand die Kleider des nackten Kaisers schön.. Nur ein kleines Kind rief: „Aber er hat ja gar nichts an!“ Ich spiele gern die Rolle des kleinen Kindes. Nach wie vor scheint es mir, daß der postmoderne Kaiser nackt ist. Ganz offenkundig jedenfalls ist seine Ankleidung mit Schwierigkeiten verbunden. Was bisher aufgeboten wurde, reicht kaum dazu aus, seine Schamteile zu bedecken.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Das ärgerte den Kaiser, denn es schien ihm selbst, als ob das Volk recht habe, aber er dachte: „Nun muß ich die Prozession bis zum Ende durchhalten.“ Und so schritt er noch stolzer, und die Kammerherren gingen noch steifer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

[1] Vgl. dazu auch T. Metscher, „Der Zerfall des Bewußtseins in der imperialistischen Gesellschaft, Marxistische Blätter 5/2005, 27-38 (leider fielen die weiterführenden Fußnoten einem editorischen Malheur zum Opfer, der vollständige Text kann bei der Redaktion angefordert werden). Eine größere Untersuchung zum Problem ist in Arbeit und wird voraussichtlich 2006/07 erscheinen.

[2] „Zivilgesellschaft und postmodernes Bewußtsein“. In: Kopp, H./Seppmann, W., Gescheiterte Moderne? Zur Ideologiekritik der Postmoderne, Essen 2002, 145-175 (jetzt auch auf Persisch, Teheran 2005).

[3] Siehe G. Pasternack (Hrg.), Zur späten Ästhetik von Georg Lukács, Frankfurt/M. 1990.

[4] Siehe dazu meinen Beitrag in Marxistische Blätter 2/2005.