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Zur "Geschichte der Aufklärung und des Atheismus" von Hermann Ley (Teil II)

Von der Reformation zum Vorabend der französischen Revolution

Juni 2010

Anmerkung der Red.: Zu den bedeutendsten in der DDR erbrachten philosophischen Leistungen gehört das Werk von Hermann Ley „Geschichte der Aufklärung und des Atheismus“. Erschienen sind zwischen 1966 und 1989 insgesamt neun umfangreiche Bücher. In Teil I des Beitrags von Wolfgang Förster (erschienen in Z 81, März 2010) wurden die Studien zu Frühformen aufklärerisch-atheistischen Denkens in der Antike (Bd. 1) und zum Übergang von der Gnosis bis zur Frührenaissance (Bd. 2/1 und 2/2) vorgestellt. Im vorliegenden Heft bespricht Wolfgang Förster die folgenden Bände.

Revolutionierung des Weltbildes und Antitrinitarismus

Im ersten Teil des dritten Bandes analysiert Ley zunächst die Fortentwicklung reformatorischen Gedankengutes bei Zwingli und Calvin. Die Leistung des Calvinismus bestehe in der weitgehenden Ausschaltung wirtschaftshemmender ideologischer Faktoren, die damit ihrerseits ihre Ansprüche an die manuelle und geistige Tätigkeit des Menschen zu stellen vermögen. Calvins Begriff der Entfremdung stelle den Menschen vor eine Alternative besonders zwiespältiger Art. Sie deklariere ihn als absolut abhängig von einem radikal dualistischen Gott, produziert aber unbedingte Innerweltlichkeit. Irrationalität im Verhältnis zu einem verborgenen Wesen und Intention auf Naturerkenntnis, Geldwirtschaft und Technik korrespondieren miteinander. Theologie und Antitheologie sind im Calvinismus in einer Ideologie vereint. Einer Erörterung von Rabelais’ „Gargantua und Pantagruel“ folgt eine Würdigung des literarischen Antiklerikalismus von Montaigne. Seine neue Denkmethodik gehe vom politischen Geschehen aus, entkleidet es der Rechtfertigung durch den Glauben, bereitet damit eine Destruktion der bestehenden Glaubenshaltung vor. Es entstehe innerhalb einer vom Glauben überformten Gesellschaft ein glaubensfreier Raum.

Der Revolutionierung des Weltbildes durch Copernicus ist das nachfolgende Kapitel gewidmet. Die Lehre des Copernicus wirke nicht allein durch ihren praktisch angewandten Materialismus, die Verbindung von Beobachtung und Theorie, sondern auch durch die Konsequenz einer monistischen weltanschaulichen Haltung, die sich methodologisch auswirkt. Der Zentralbegriff der Religion ist zu einer bloßen Benennung abgewertet. Im Folgenden behandelt Ley das Weiterwirken aristotelisch-averroistischer Naturphilosophie (Achellini, Caesalpini, Cremonini) sowie Cardanos Kritik am Antiaverroismus. Cardano bringe zwischen Reformation und Tridentinum zurückhaltender als das 13. Jh., aber gezielt, den averroistischen aktiven Intellekt erneut in die Debatte und sichere sich damit den Ruf extremer Radikalität. Weiterhin analysiert der Verfasser die Ansichten von Paracelsus, seine Konzeption des Gemeineigentums, die ihn als Protagonisten bäuerlicher Kleinproduzenten ausweist, sowie seine Impulse für Naturwissenschaft und Medizin.

Mit Giordano Bruno als einem Theoretiker eines pantheistischen Weltbildes ist nach Ley die Gipfelleistung der italienischen Naturphilosophie der Renaissance erreicht. Ley notiert, bei Bruno erzeuge der neuplatonische Einschlag des heterodoxen Averroismus den Zugang zur Einheit der objektiven Realität, die dichterisch überhöht wird und an Aggressivität gegen den Dualismus gewinnen lässt. An Vanini hebt Ley hervor, dass er aktualisierten Averroismus für das Volk predigte, indem er im Verständnis der radikaldemokratischen Wirkung des allen Menschen gemeinsamen einen, ewigen und ungeschaffenen Intellekts von der Kirche unabhängige Gesinnung zu befördern suchte. Einem eher torsohaften Abriss der Gesellschafts-, Religions- und Sozialkritik Campanellas folgt ein inhaltsreicher Abschnitt zu Galileo Galilei und der Funktion der Weltanschauung in der Forschung. Ley stellt hier die Aristoteleskritik Galileis und seine Überlegungen zu den Möglichkeiten des Abbildens von Naturprozessen in den Vordergrund. Er setzt sich an dieser Stelle u. a. auch mit den Ansichten von F. Borkenau auseinander, wonach die mechanistische Naturwissenschaft durch den Übergang des Handwerksystems zur Manufaktur entstanden sei, ein Vorgang, der zu dem Begriff der abstrakten homogenen sozialen Arbeit geführt habe. Es sind Ley zufolge vielmehr die Naturwissenschaften selbst, die die Möglichkeiten des theoretischen Abbildens bewirken. Indem Wissenschaften Naturobjekte abbilden, sind sie der Sache und den Grundstrukturen der zu verwendenden Methode nach nicht von den Ansichten der Klasse abhängig, mit denen sie ihre Klassenherrschaft zu stabilisieren sucht. Der Einfluss der Klassen, der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse betrifft die Möglichkeiten, Wissenschaft zu betreiben, die aus den gesellschaftlichen Bedingungen entspringenden Anregungen und Bedürfnisse. Ebenso erfährt die Auffassung von Th. Kuhn, wonach etwa der Übergang von Copernicus zu Bruno, von Galilei zu Newton ein bloßer Paradigmenwechsel sei, eine Ablehnung. Das Durchsetzen der Einsicht in neue Strukturebenen der Realität ist für Ley ein absoluter Entwicklungsprozess. Der Wechsel der Paradigmen führt nach Kuhn nicht näher an die Realität heran. Diese Lehre ist für Ley „ein pseudoaktuelles idealistisches Manövrieren, um scheinmodern den Materialismus der Naturwissenschaftler loszuwerden”. (3/1, 389)

Von besonderer Bedeutung ist in Leys Arbeit der Abschnitt über den Antitrinitarismus [1]. Der Angriff auf das Sakrament der Trinität galt lange Zeit für die Kirche beider Konfessionen als schwerstes Sakrileg. Der Antitrinitarismus wurde, so bei den Wiedertäufern, zum Merkmal einer antifeudalen Klassenposition. Ausführlich behandelt Ley die Weltanschauung Sozzinis, die revolutionäre gesellschaftliche und antikirchliche Impulse miteinander verbindet, und materialistische Aspekte aufnimmt. Der Sozinianismus fand in vielen Ländern Europas Verbreitung. Er besaß eine sozialrevolutionäre und eine naturwissenschaftlich begründete Komponente. Die positive Beziehung zur menschlichen Arbeit ist eines der Wesensmerkmale des Sozinianismus, das ihn in Gegensatz zur christlichen Lehre der Erbsünde bringt. Durch das Hinwenden zum Diesseits wird Christus zum menschlichen Gott und zum göttlichen Menschen. Ley erörtert besonders die Ansichten von Ernst Soner, der unter den deutschen Sozinianern eine Sonderstellung einnimmt. Er war der einzige deutsche Gelehrte, der unter den Bedingungen der Gegenreformation an einer deutschen Universität – in Nürnberg – eine Stätte heterodoxen Geistes begründet. Für Soner ist die Materie die einzige Substanz, womit er mit Plato und Aristoteles bricht. Die Materie sei sowohl früher als auch bedeutungsvoller als die Form. Auch angesichts verschiedener Erscheinungsformen bleibe die objektive Realität stets erhalten, während Plato die Materie in selbständige, isolierte Wesenheiten auflöst. Mit dem Antitrinitarismus, der wesentlich von Soner geprägt wurde, entstanden wichtige Voraussetzungen für die deutsche Aufklärung des 18. Jh., worauf F. Mehring verwies. Der letzte Teil dieses Bandes beschäftigt sich mit der sozialökonomischen und politischen Entwicklung in England und den Niederlanden im 17. Jahrhundert, mit Christower Marlowe und Francis Bacon.

Von Hobbes und Descartes zu Spinoza, Vicos
„Neuer Wissenschaft“ und der englischen Aufklärung

Mit dem zweiten Halbband des dritten Bandes setzt die Analyse des konsequent auf die mechanische Naturwissenschaft gegründeten philosophischen Denkens ein. Ley zeigt beeindruckend die Explikation dieses Denkens auf die Kritik von Kirche und Religion. Bezüglich Hobbes stellt er fest, dass dieser entgegen späterer Verfahrensweise der zur unumschränkten Macht gelangten kapitalistischen Gesellschaft Religion und Kirche in aller Radikalität in Frage stellt und ihnen jeden theoretischen Kredit zu nehmen sucht, um den Anspruch, auf Wahrheit und Offenbarung gegründet zu sein, zu destruieren. Zu Descartes hebt Ley hervor: „Ohne die weitreichende Perspektive von der als Labyrinth vorgestellten Welt aus dem Auge zu verlieren, strebt Descartes zu dem mit Ordnung und Maß als konzisen Idealtypus formulierbaren Relationsgefüge, das seine Gewissheit aus der Stringenz des Denkens nimmt und die Unbestimmbarkeit und Varianz der sinnlichen Erscheinungen als Verweis auf die Betätigung des Verstandes auffasst.“ (3/2, 40) Eingehend analysiert Ley die Positionen der Opponenten der cartesischen „Meditationes“. Der Verfasser untersucht im Weiteren verschiedene Descartesinterpretationen im bürgerlichen Denken des 20. Jh. unter dem Blickfeld der Interpretation des Dualismus von Empirie und Mathematik. In einer differenzierten Analyse erörtert Ley die Dimensionen des spinozistischen Pantheismus, der auf der Überwindung des cartesischen Dualismus und auf den Anschluss an die Hobbessche Körperlehre gründet. Zu Spinoza äussert Ley: „Aus dem Gedanken bürgerlich-demokratischer Toleranz eines Landes, das mit staatlich sanktionierter Glaubensfreiheit für Geschäftsleute jeder in ihrem Wohngebiet befohlenen oder geglaubten Konfession offenstand, suchte Spinoza nach dem Grund für sittliche Normenentstehung, der das Bändigen der von Hobbes naturrechtlich ausgewiesenen Affekte zu realisierbarer Möglichkeit erheben könnte.“ (3/2, 157) Ausführungen zur Kunstentwicklung im 17. Jh. und zu Peter Paul Rubens schließen sich an. Bemerkenswert ist die Aufnahme eines Kapitels zu den Ansichten des Ökonomen William Petty und seiner politischen Arithmetik in dieser unter dem Vorzeichen von Religionskritik geschriebenen Arbeit. Ley vermerkt: „Nach Luther, Calvin und Hobbes bedeutet das Ausmessen der inzwischen entstandenen Strukturen (bezüglich der Abschätzung der Effektivität der Arbeit – W. F.) eine außergewöhnliche theoretische Leistung, da sie neue Kategorien als zentral erkennt und sie aus der Mannigfaltigkeit von Phänomenen ausgliedert, um sie gesondert der Analyse zu unterwerfen.“ (3/2, 270) Aus allgemeinen Datenvergleichen ergebe sich, dass die Ausgaben für das Kirchenwesen gesenkt werden müssten. Entscheidend sei, die Ausgaben für die Produktion nützlicher materieller Dinge zu erhöhen.

Von besonderem Gewicht ist der konzentriert abgefasste Abschnitt zu Vico und dessen Analyse des „historischen Verstandes“. In Vicos „Neuer Wissenschaft” sind unter spekulativ-phantastischer Hülle, teilweise in naiver und verworrener Form, Entdeckungen von erstaunlicher Tragweite und fundamentaler Konsequenz vorweg genommen worden. Vico geht vom engen Zusammenhang von Entwicklung der Eigentumsverhältnisse, der sozialen Beziehungen mit der Entwicklung der Rechtsverhältnisse und der religiösen Auffassungen und Institutionen aus. In der Zeit vorherrschender naturrechtlicher Gesellschaftsinterpretation ragt Vico wie ein erratischer Block im Erfassen der Gesetzmäßigkeit der historischen Entwicklung hervor. Vico lenkt den Blick auf die materiellen Lebensbedingungen der Völker und ihre Bedürfnisse. Gegen die vorwiegend unhistorische Aufklärung entwickelt Vico erstmalig eine systematische Evolutionstheorie der Gesellschaft. „Anders als die Aufklärung entstand der erste Ansatz einer Theorie, die wirkungsvoller als die Aufklärung und im Kontext mit der Geschichte nicht bloß der Religion ein atheistisches Negat konfrontiert, sondern ihren Zersetzungsprozess als abhängig von dem Zustand der Gesellschaft erkennt.“ (3/2, 298) Bleibt das evolutive Geschichtskonzept Vicos dem geschichtlich-ökonomischen Verständnis Voltaires hinsichtlich des Begreifens von Entwicklung unterlegen, so übertrifft es alle Theoretiker der kommenden Dezennien, namentlich die französische, weithin unhistorische Aufklärung des 18. Jh. Vicos Einsicht, dass der Mensch Schöpfer seiner eigenen Geschichte ist, führt unmittelbar an Karl Marx heran.[2]

Bei der Erörterung von John Locke als dem Theoretiker des englischen Klassenkompromisses von 1688 würdigt Ley ausführlich dessen Toleranzidee und seinen materialistischen Sensualismus, der, wie er hervorhebt, erkenntnistheoretisch der rationalisierenden und irrationalisierenden Theologie den Boden entziehe, ein Resultat, das dem Sozinianer Locke gut anstehe. Die aufklärerische Rationalität liege bei Locke in der materialistischen Struktur. Der Abschnitt zu Leibniz stellt die erkenntnistheoretische Debatte mit Clarke in den Mittelpunkt. Bedauerlicherweise entfällt hier die Problematik der „Theodizee“. Im Folgenden erörtert Ley die Entwicklung der englischen Aufklärung in der Zeit der Wende zum 18. Jh. Zu ihrer Gesamtentwicklung notiert Ley: „Antiklerikalismus und Puritanertum, Monadologie und Freethinkerwesen repräsentierten gemeinsam Momente einer Aufklärung, die Cicero und Lukrez anzueignen begann, materialistische Prinzipien in Himmelsmechanik und Chemie umzusetzen suchte, den antiken Atomismus als geheime Weltanschauung dem 19. und 20. Jahrhundert zu wütender philosophischer Konfrontation und zu experimentellem Testen überantwortete. Die Aufklärung machte den Atheismus gesellschaftsfähig.“(3/2, 430) Ley notiert, dass aus der energischen französischen Aufklärung nur ein unbedeutender Einfluss auf die Entwicklung der Produktivkräfte resultierte, obwohl ihre Ideen das kontinentale Europa durchdringen. „Das englische Dissentertum und die Freethinkers benutzen nie die gallische Radikalität, aber exzellieren in jener Technik, die zuvor ungeahnte Produktivität, aber ebenso unvorhergesehene Antagonismen schafft.“ (3/2, 439)

Ley diskutiert die Differenzierungen der Aufklärung in ihrer historischen und gesellschaftlichen Dimension auch vor dem Hintergrund der Fragestellungen, die mit dem Verlust von Aufklärung und der Reduzierung ihrer Dimensionen im 20. Jh. erfolgen. In diesem Zusammenhang geht er auch kritisch auf das Buch von Jürgen Mittelstrass „Neuzeit und Aufklärung” ein. In der analytischen Philosophie erfolge ein Verzicht auf Weltanschauung, die Analyse sozialökonomischer Strukturen, des Verhältnisses von Basis und Überbau sowie der atheistischen Komponente der Aufklärung, die bei Mittelstrass als „theologischer Grenzfall” bezeichnet wird. Nach Ley gewinne die Arbeit von Mittelstrass jedoch an positivem Interesse, da er diese antiphilosophische Voraussetzung verlasse und der Naturwissenschaft in bestimmtem Maße durchaus Philosophie zuordne.

Des Weiteren erörtert Ley die Positionen des englischen Atheismus der Jahrhundertwende sowie die sozinianischen Einflüsse auf ihn. Der Atheismus werde zum Sammelbegriff für Auflösungserscheinungen, die mindestens auf Umfunktionierungen innerhalb der werdenden bürgerlichen Gesellschaft hindeuten, aber auch schon darüber hinaus verweisen. Ausführungen zu Coward, John Toland, zu Collins und Bolingbroke schließen den Band ab. Besonders wichtig sind die Feststellungen zu Toland, den materialistischen und atheistischen Impulsen bei ihm sowie den sozinianischen Einflüssen auf sein Denken. Ley bemerkt zur englischen Philosophie jener Zeit: „In religiös total überformter Zeit und einem religiös besonders verinnerlichten, politisch radikalen Verhalten zahlenmäßig umfangreicher Schichten konnte Locke den verhüllten sozinianischen Trend im ‘vernünftigen Christentum’ darstellen, Toland als protoatheistisch tolerieren und mit dem Ablehnen der eingeborenen Ideen erwägen, ob die Materie zu denken vermöge. Damit aber schafft er sich den Freiraum für den Entwurf einer dementsprechenden Methodologie, die sich als empirisch zugänglich angemessen erwies.” (3/2, 551)

Englische Freidenker und französische Aufklärung

Im einleitenden Abschnitt des vierten Bandes macht Ley zunächst die Ambivalenz deutlich, die sich bei Blaise Pascal aus dem Widerspruch zwischen dem Erschließen der unendlichen Weiten des Kosmos, dem daraus entspringenden Bewusstsein scheinbarer individueller Verlorenheit und dem Festhalten an bisherigen Glaubensgrundsätzen ergeben. Diese kontrastierenden Tendenzen vereinigen sich in seinen den wissenschaftlichen Fortschritt stimulierenden mathematischen Arbeiten und andererseits den „Pensées”. Im Folgenden erörtert Ley Popes „Essay über den Menschen”, den er als abgeschwächte Variante des englischen Freidenkertums wertet, und die satirischen Arbeiten Swifts. Von besonderem Interesse sind Leys Ausführungen über den englischen Freidenker Tindal, der u. a. auf die deistische Religionskritik Reimarus’ wirkte. Die Darlegungen Leys über Tindals Kritik der Wunder und seine Lehre von der „natürlichen Religion”, die zum Verzicht auf jede Kirche und ihren Apparat, zur Konzipierung der Möglichkeit einer atheistischen Gesellschaft führen, sind von besonderem Interesse. Eingehend wird der weltanschauliche Moralismus Shaftesburys behandelt, der auf Diderot und Goethe wirkte, die Aufnahme spinozistischer Ideen erleichterte und größere Verbreitung in den Mittelschichten und nichtkonservativen Teilen des Adels fand. Ley kennzeichnet ihn als Repräsentanten eines „moralischen Naturalismus”.

Hervorzuheben ist die differenzierte Bewertung der religionskritischen Positionen Humes. Der Autor erblickt in Humes Denken einerseits materialistische Restbestände, andererseits einen methodologischen Subjektivismus. Humes Skeptizismus gewinnt eine überaus produktive Relevanz in seiner „Naturgeschichte der Religion”, einem herausragenden Werk der Aufklärung. Der Verfasser umreißt die Spannweite des Skeptizismus Humes: „In Verbindung mit der Kritik der Religion und der Lehrsätze von Kirchen wendet sich die Verweisung auf rationale Wissenschaft gegen die Lehre von der Schöpfung, das Leben nach dem Tode, das Vorhandensein ewiger Strafen, ihre Abgeltung im Diesseits und Disziplinierungen im Hinblick auf spätere Vergeltung oder Rechtfertigung. Sie sind empirisch-theoretisch zurückgewiesen, und die Argumente belegen den Rückgang der innerweltlichen Bedeutung des puritanischen Elements in der Lebensführung und in der nationalen Politik.” (4/1, 215) In der Entwicklungsgeschichte der Aufklärung setzt Hume einen der wichtigsten Akzente, was sich in der Radikalität der Ansichten Diderots und d’Alemberts, der Aufnahme sensualistischer Impulse in Kants „Kritik der reinen Vernunft”, konträr aber in der Neukonstituierung des religiösen Glaubens bei Hamann äußerte.

Der zweite Teil des Bandes 4/1 und der Band 4/2 sind dem Thema „Französische Aufklärung, Atheismus und Materialismus” gewidmet. In einem Abschnitt „Politik, Ökonomie, Erkenntniszuwachs, Ideologie” beleuchtet Ley zunächst in vielschichtiger Weise die Krise des feudalabsolutistischen Frankreich, den Widerstand der herrschenden Klasse, die Konstellation der Gegenkräfte, Manufakturentwicklung und Handel, den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt im Frankreich des 18. Jh. sowie generell die Funktion der Aufklärungsideologie als Hebel zur Unterminierung des Ancien régime. Durch Pierre Bayle, den „Künder einer atheistischen Gesellschaft”, erhalte der französische Antiklerikalismus des 18. Jh. ein unerschöpfliches Arsenal von Fakten und Argumenten. Bayles Denken befinde sich bereits jenseits des Pantheismus und Deismus. Ley bemerkt: „Der Atheismus Bayles macht sich tragbar, indem er, wahrscheinlich unbewusst, antikisiert, um seine kühnste Hypothese sachlich und klassisch zu begründen. Er verfährt ähnlich wie die Altdorfer Sozinianer, die linken Aristotelismus mit theologischer, antitrinitarischer Exaktheit verbinden und außerdem beide Elemente entschieden auseinanderzuhalten verstehen.” (4/1, 355). Im Anschluss an Bayle behandelt Ley den Frühaufklärer Fontenelle, der das evolutionistische Gesellschaftsverständnis der Aufklärung bereits im 17. Jh. maßgeblich inspiriert. Ley geht ausführlich auf den Inhalt der „Totengespräche” ein, in denen bereits „eine materialistische Konzeption” entstand, „die in Frankreich auf cartesianischem Boden wuchs und den zentralen erkenntnistheoretischen Idealismus des Descartes beseitigte”. Fontenelle entband gerade „die atheistischen Momente des naturwissenschaftlichen Materialismus” (4/1, 378f). Ein besonderer Abschnitt ist Frérets „Brief von Thrasibule an Leucippe” gewidmet, in dem schon ein aggressiver Atheismus seinen Niederschlag fand. Die religionskritischen Implikationen Montesquieus, der als Moralist der bürgerlichen Gesellschaft die feudalen Bindungen der Religion zu beseitigen trachtete, sie aber in eine Sozialstruktur der neuen Gesellschaft instrumental einordnete, sind Gegenstand des letzten Abschnitts dieses Teilbandes. Montesquieu wird als Theoretiker interpretiert, der den geistigen Boden für die girondistische Phase der Französischen Revolution lieferte.

Der zweite Teilband wird mit einer eingehenden Untersuchung des Antiklerikalismus Voltaires eingeleitet. Ley erörtert die naturwissenschaftlichen Voraussetzungen der Weltanschauung Voltaires, die Quellen seines Denkens, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seiner Werke und seine wesentlich sensualistischen und deistischen Grundpositionen. Breiter Raum wird der Newton-Rezeption Voltaires eingeräumt. Der Autor erläutert die sozinianischen Voraussetzungen der Voltaireschen Lehre, die weiter durch Epikur, Straton, Bayle und die experimentelle Naturwissenschaft gespeist wird. Zur Kennzeichnung der Weltanschauung Voltaires formuliert Ley: „In den Voltaireschen Atheismus geht ein Materialismus ein, der die aus der rechten Scholastik stammende Suche nach außermateriellen Ursachen als gebräuchlichen Begriff beibehält, ohne einen Einfluss auf die in der Materie vorhandenen Eigenschaften zuzulassen” (4/2, 39). Mit Recht wendet sich Ley gegen die soziologisierende Fehlinterpretation des deistischen Konzepts Voltaires, wonach dieses unmittelbar als Begründung des Herrschaftsanspruchs der Bourgeoisie aufzufassen sei. Wie Leys Argumentation veranschaulicht, ist der Gehalt der aufklärerischen Weltanschauung Voltaires nicht zuletzt in heutigen Auseinandersetzungen aktuell, wie sie mit dem Strukturalismus Foucaults zu führen sind, der die menschliche Individualität negiert. Mit dem antidualistischen Sensualismus Condillacs sowie dessen gesellschaftstheoretischen Reflexionen beschäftigt sich ein weiterer Abschnitt.

Eingehend würdigt Ley den vom Neoepikureismus gespeisten philosophischen Materialismus Lamettries, gegen ein Leitbild des mechanischen Materialismus, das, wie er betont, mehr den Ansprüchen der Polemik gegen den dialektischen Materialismus als dem historischen Sachverhalt entspricht. Der Verfasser des „Homme machine” ist offensichtlich weniger mechanistisch als sein Ruf. Der Verfasser veranschaulicht, dass sich Bekenntnis zu konsequentem Materialismus und Humanismus nicht ausschließen, wie Popper und andere spätbürgerliche Denker behauptet haben. In seiner Ethik der Aufklärung setzte Lamettrie das Prinzip des Vorrangs der Wissenschaften über den Krieg und machte das Bestreben einer Erforschung der Natur zu einem Merkmal der Humanität. Eine Aufspaltung in Natur- und Geisteswissenschaft als kontradiktorische Objektbereiche entfällt nach Lamettrie. An die Stelle der Theologie tritt, wie Ley bemerkt, die Gemeinschaft von Philosophie und Wissenschaften. Ein Konzentrat der Auffassungen Lamettries sei seine Anthropologie des Glücks. Gegen spätbürgerliche Fehlinterpretationen Lamettries hebt Ley hervor, das dieser zwar die Annahme der Seele als separater Substanz abgewiesen, nicht aber das Bewusstsein als Funktion der Materie abgeschafft hat. Die Leistung des Materialismus Lamettries erhärtet der Verfasser mit vielfältigem Bezug auf neuere naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse.

Sehr ausführlich kommentiert Ley den Enzyklopädisten und Aufklärer Diderot. Diderots Konzeption der Wissenschaft wird als Programm einer Veränderung der materiellen Produktionsbedingungen gekennzeichnet. Ley interpretiert Diderot als „das theoretische Gewissen der französischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts” (4/2, 319). Das bei Diderot stärker vorhandene dialektische Verständnis der Wirklichkeit belegt Ley u. a. an seiner These von der Sensibilität der Materie, an seinen erkenntnistheoretischen Gedankengängen und an der von Goethe und Hegel rezipierten Schrift „Rameaus Neffe”, die als Muster der Dialektik in der Aufklärung des 18. Jh. gelten kann. Der Radius des materialistischen Sensualismus wird von Diderot ausgeweitet. Er artikuliere nicht allein „den erkenntnistheoretischen Kontext …, sondern das Beachten der inhaltlichen Strukturen der Natur, der Gesellschaft und des in der Religion versteinerten herrschenden Bewusstseins” (4/2, 249). Den Menschen auf sich selbst zu stellen, wie es Diderot tut, komme einer ersten Deklaration der Menschenrechte gleich.

Auf Diderot folgen Erläuterungen zum religionskritischen Gehalt von Morellys „Code de la Nature”. Für Morelly ist die natürliche Gleichheit der Menschen Grunddogma des Christentums. Ferner untersucht der Autor den Stellenwert von Religion innerhalb der kommunistischen Utopie Mablys. Für den dem linken Flügel der Aufklärung zuzurechnenden Rousseau und den dem Neorousseauismus zuneigenden Mably schließt der angestrebte Status des Gemeineigentums, der wie bei Morelly aus der Gegnerschaft zur kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft entwickelt ist, Atheismus und entwickelte Naturwissenschaft aus. Eine in die Moral einbezogene Religion ist Stütze des Gemeinschaftsinteresses, um Sonderinteressen, die auf die Legitimierung von Privateigentum ausgerichtet sind, zu eliminieren. Religion ist jedoch, wie Ley betont, bei Mably kein Synonym für Flucht in wirklichkeitsfremden Mystizismus.

Im Schlussabschnitt des Bandes 4/2 „Sentimentalische Natur und Kunst im aufgeklärten 18. Jahrhundert”, verdeutlicht Ley in einer aufschlussreichen Darstellung die Vielschichtigkeit, in der sich aufklärerische Ideen in der französischen Malerei des 18. Jh. manifestierten.

Französischer Materialismus: Helvétius, D’Holbach und
die Physiokraten

Im Mittelpunkt des ersten Teilbandes des Bandes 5 stehen die Grundpositionen der Hauptvertreter des französischen Materialismus. Eine einleitende Studie befasst sich mit der antiautoritären Utopie Fénelons. Im Weiteren analysiert der Autor in differenzierter Weise die Ansichten Helvétius, bei dem der materialistische Sensualismus umfassend zur Deutung des geschichtlichen und gesellschaftlichen Lebens herangezogen wird. Helvétius setzt an die Stelle von außerweltlichen Beweggründen ein innerweltliches System von Faktoren, durch die das Entstehen von Ideen und Verhaltensweisen erklärbar zu sein scheint und Momente aufgezeigt sind, an denen die Erziehung anknüpfen könnte. Die Lehre von der Allmacht der Erziehung ist bei Helvétius, wie Ley feststellt, gleichsam überdimensioniert. Helvétius sah in der Moral eine andere Naturwissenschaft. Eingehend erörtert der Autor die Differenzen Helvétius’ zu Diderot und zu Rousseau. Gegen Rousseau und dessen retrospektives Weltbild entwerfe Helvétius die Grundstruktur öffentlicher Erziehung als Moment des Verbesserns sich manifestierender moralischer und wissensmäßig stärker bestückter Haltung. Von Interesse sind hier auch Leys Feststellungen über die Einflüsse Helvétius’ auf die Pädagogiktheorien des 20. Jahrhunderts.

Im atheistischen „System der Natur” D`Holbachs findet das französische Naturverständnis des 18. Jh. seine radikalste Variante. Ley zeigt hier die Interrelation zwischen naturwissenschaftlichem Materialismus und dem Atheismus einer vorwiegend unhistorischen Konzeption, die der politischen Situation der Zeit adäquat war. In dem Verwerfen aller Institutionen knüpfe Helvétius an Rousseau an, meine indes mit dem Verneinen aller Institutionen ausschließlich die der tradierten feudalen Gesellschaft. Eingehend geht der Autor auf aktuelle Diskussionen ein, in denen mit Bezug auf Helvétius’ vereinfachte Determinismusauffassung auf eine Zurückdrängung von Naturforschung zugunsten des Glaubens und auf Konsumverzicht plädiert wird. Ley macht die immanenten Widersprüche, theoretischen Schwächen und Paradoxien des Weltbildes Helvétius’ sichtbar, betont jedoch, dass sich bei ihm der heiße Atem der kommenden Revolution ankündigt und dieser die links von der bürgerlichen Klasse befindlichen Schichten erreicht. Ausführlich behandelt werden die divergierenden Anti-Holbachiana, insbesondere die Ansichten Friedrich II., der die Widersprüche und Inkonsequenzen des Verfassers des „Systems der Natur“ detailliert beschreibt. Nach Friedrich II. solle sich die Auseinandersetzung auf die Kritik des haltlosen Teils der Religion beschränken.

Ein weiterer Abschnitt des Bandes ist dem Thema „Clarke im Verständnis des Akademiemitgliedes Castillon“ gewidmet. Detailliert geht Ley auf die Gegenposition Bergiers zu Holbachs Atheismus und Materialismus ein, in der das Fehlen von Dialektik und die Einseitigkeit der Determinismuskonzeption bei Holbach kritisiert wird. Ley weist nach, dass die Gegenpositionen zu Holbach ungeachtet neuer Irrtümer die philosophischen Diskussionen sehr produktiv anregten. Ein großer Teil des Bandes ist den aus der Schreibstube Holbachs hervorgegangenen religionskritischen Schriften gewidmet. Sie entstanden in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre und besaßen eine äußerst aggressive Tendenz. Umfassend beschreibt Ley die literarische Kulisse jener Jahre. Mit dem Atheismus der Holbachgruppe sei eine Barriere überschritten worden, die zuvor antiklerikales Denken bloß innerhalb der gehobenen Schichten betrieb, ohne es für das gesamte Volk allgemeinverbindlich zu machen. Das konzentrierte Programm des „Christianisme dèvoilé“ formuliere die Forderung der Bourgeoisie nach unbegrenztem Primat des bürgerlichen Staates und lastet alles Übel der Kirche an. Die im Deismus enthaltene formale Sanktionierung einer Gottheit ist ausgeräumt und den Menschen in der Gesellschaft die alleinige Verantwortung angekündigt. Der antiklerikale Affront des „Christianisme dèvoilé“ besitze wie der gesamte Atheismus des 18. Jh. eine nicht zu verkennende Nähe zu bereits 1277 verbreiteten und verurteilten Thesen.

Ley konfrontiert die Positionen Holbachs mit jenen der Gegenaufklärung und Gegenkultur des 20. Jh., die formal aufklärerische Ansichten akzeptiert, Wissenschaft und Vernunft aber ablehnt. Die Wissenschaft wird hier zum größten Sündenfall der Menschheit. Die Intention der Aufklärung wird dabei ins Gegenteil verkehrt, manche theologisierende Aussage unreflektiert übernommen. Die „Naturgeschichte des Aberglaubens“ zielt darauf ab, Wissenschaft und Technik zu befördern, während manche Kulturkritiker des 20.Jh. in der Verbindung der Aufklärung mit der Wissenschaft ein Verhängnis erblicken, woraus ein repressive Funktion der Aufklärung entspringe. Ringt die Aufklärung um die Verbesserung des Denkens, so bemühen sich Horkheimer, Adorno und die neuere Frankfurter Schule um ein Zurückbringen des Denkens. Das Bilden von Begriffen solle der Eliminierung verfallen, um dem gedanklichen Zwang von Begriffen zu entgehen. Die orthodoxeste Religion gab, wie Ley zugespitzt vermerkt, dem Denken mehr Raum als die sich radikal gebende Frankfurter Schule. Gegen die Herabsetzung der Aufklärung im heutigen bürgerlichen Denken bemerkt Ley, bezogen auf den „Essay über die Vorurteile“ von Du Marsais/Holbach: In ihm sei „eine gemeinsame Tradition der radikalen Aufklärung des 18. Jahrhunderts mit der gesamten Häresie der Vergangenheit und der philosophischen Tradition der Antike akzeptiert“ (5/1, 459). Die gegenaufklärerische Annahme vom Verlust menschlicher Handlungsfähigkeit durch Angriff auf die Natur beruht auf der Annahme, die Natur bezwinge allein Wille und Zauber. Naturgesetze engten nur ein. Eine solche Position steht, wie Ley nachdrücklich betont, in völligem Gegensatz zu den Grundansichten der französischen Materialisten.

Der abschließende Teil des Bandes 5/1 hat die Lehren der Physiokraten zum Gegenstand, eingeschlossen ihre religionskritischen Reflektionen. Mit Quesnay beginne das bewusste Ausnutzen gesamtgesellschaftlicher Gesetze, womit aber auch in den Beziehungen zwischen Menschen und Klassen die Quelle des religiösen Widerscheins gleichsam auszutrocknen begann. In der Naturrechtskonzeption und der Freiheitstheorie Quesnays gewinnt nach Ley der antiteologische Charakter der philosophischen Grundideen einen Ausdruck, der die weitere Entfaltung eines naturalistischen Weltbildes offen hält. In Quesnays religiösem Konventionalismus artikulieren sich Antiklerikalismus, Deismus und ein beträchtliches Quantum Atheismus. Eine gewisse Differenz zu den philosophischen Materialisten entstehe, da diese sich keiner einzelnen Disziplin verschrieben, während die Physiokraten eher einzelwissenschaftlich orientiert waren. Bei Turgot hebt der Verfasser dessen dialektische Geschichtskonstruktion hervor, die dem Augenschein einer biblisch angelegten Endstimmung entgegensteht. Nicht das Jüngste Gericht und der Weltuntergang gelten als Zielgebiet, sondern ein empirisch nachweisbares Faktum, das sich jederzeit bereichert und in den historischen Ereignissen nachzuweisen wäre. Der Fortschritt im Erschließen der Ressourcen der Natur und der Wissenschaft seien dabei Bezugspunkte.

Kontradiktorisches über Religion: Meslier, Rousseau und der Rousseauismus, Rivarol vs. Necker

Der Band 5/2 enthält zunächst eine Würdigung des Testaments des radikalen Bauernabbés Jean Meslier, das außerhalb der adligen Kreise entstand und von Voltaire wie auch von Holbach publiziert wurde. Das Pamphlet distanziert sich in radikaler Weise von der Gesamtheit religiöser Denkstrukturen. Einen Gott zu akzeptieren hieße, der Natur eigenschöpferische Kraft abzusprechen. Ley verdeutlicht die Vereinigung von Materialismus und Atheismus bei Meslier und zeigt, dass das Traktat an Holbachs „System der Natur“ herankommt. Darüber hinaus aber wendet sich das Traktat gegen die auf Privateigentum beruhenden sozialen Verhältnisse überhaupt. Natürliche Gleichheit entspreche natürlicher Freiheit, Anteil an den Gütern der Erde, nützlicher Arbeit. Ley verdeutlicht, dass das Aufwerfen der Eigentumsfrage eine extreme Konsequenz der Konfrontation der gesamten Gesellschaft mit dem feudalen Besitz ist. Das Testament Mesliers weist Wesenszüge auf, die bereits über die bürgerliche Gesellschaft hinausweisen.

Ley kontrastiert die Ansichten Mesliers mit einer Interpretation der Aufklärung, wie sie von P. Sloterdijk vertreten wurde, wonach diese eine traurige Wissenschaft sei, die Melancholie erzeuge, weil sie durch den Verlust an Vergangenheit geprägt sei. Daraus entspringe Zynismus. Indes ist das Denken Mesliers durch das Aufwerten von Vernunft bestimmt, die bei ihm ihre historische Komponente entfaltet.

Einen großen Teil des Bandes widmet Ley Rousseau als Teil und Gegenpol der Aufklärung. Rousseau spüre innerhalb der Aufklärung solchen Varianten nach, die nicht zu den bereits fixierten Gewissheiten gehören, er enthülle Wesenszüge des Menschen, die bisher außerhalb der Reflexion lagen. Die großen Worte Tugend und Gerechtigkeit gewinnen bei ihm Aspekte, die keinen Kompromiss mit der vorhandenen Gesellschaft erlauben und bis zur radikalen Verneinung jeder Kultur zu gehen scheinen. Rousseau erschließt die Antagonismen des gesellschaftlichen Lebens, die im Privateigentum ihre Hauptgrundlage haben. Ley veranschaulicht, dass Rousseau die Dialektik des Fortschritts in tiefgründiger Weise akzentuiert. Er erschließt die Ambivalenz der kleinbürgerlich-demokratischen Gerechtigkeitstheorie Rousseaus und konfrontiert diese mit dem Neorousseauismus des 20. Jh., der die rousseauistische Kritik an Wissenschaft und Technik übernimmt, diese aber von der Gesellschaftskritik trennt, damit aber nur scheinbare Ursachen der Krisenhaftigkeit der heutigen Gesellschaft beleuchtet. Das Rousseaukapitel birgt eine umfassende Auseinandersetzung mit rousseauistisch gespeisten kulturkritischen Theorien des 20. Jh., wobei Ley sichtbar macht, dass die moralische Haltung des Wissenschaftlers, sein sittliches Verantwortungsbewusstsein, in hohem Maße dafür ausschlaggebend sind, ob neue wissenschaftliche Entdeckungen zum Nutzen oder zum Nachteil der Menschen zur Anwendung gelangen. Auch mit den an Rousseau anschließenden pädagogischen Theorien setzt sich Ley ausführlich auseinander. Als Gesamtbewertung hält der Verfasser fest: „Faktisch verhält sich die Theorie Rousseaus zu den Philosophen wie bäuerlich-plebejische kleinbürgerliche Mystik zur Theorie des lateinischen Averroismus, eines Siger von Brabant und Boethius von Dacien oder der esoterische philosophische Materialismus des Martin Ruarus zu Sozzinis und Lockes deistischem Sozinianismus.“ (5/2, 238) Im Gegensatz zu den französischen Materialisten restitutiert Rousseau die Religion. Sein Gesellschaftsprogramm will Rousseau durch eine moralisierende Religion absichern. Der religiöse Kultus solle zur politischen Stabilisierung erhalten bleiben. Das Evangelium selbst bleibe aber, wie Ley verdeutlicht, bei Rousseau ein Instrument zur sozialen Spaltung der Gesellschaft. Bedauerlicherweise geht Ley auf die Rousseausche Doktrin der Volkssouveränität, die zu einem Losungswort der Französischen Revolution wurde, explizit nur wenig ein.

Der nachfolgende Textabschnitt befasst sich mit der Diskussion, die 1788 zwischen Rivarol und Necker über Religion geführt wurde. Necker sucht die atheistische, antiklerikale Aufklärung abzuwehren, während Rivarol dem radikalen Atheismus nahesteht, wie er im „System der Natur“ Holbachs artikuliert ist. Halte der merkantilistisch orientierte Necker aus seiner großbürgerlichen Sicht eine deistisch geprägte Religion wegen ihrer Bindungsfunktion für das Volk für notwendig, um mit den gesellschaftlichen Wirren der Zeit fertig zu werden, so plädiert Rivarol für die Tradition des Materialismus und des Atheismus besonders deshalb, weil sie dem unumgänglichen einzelwissenschaftlichen Fortschritt adäquat sei. Rivarol wirft Necker vor, dass der Hintergrund seines Festhaltens an der Religion die Bewahrung des extremen Unterschieds der Vermögen sei.

Die von Ley umfassend geschilderten Auseinandersetzungen im unmittelbaren Vorfeld der Französischen Revolution beleuchten ein wenig bekanntes Kapitel der Konfrontation zwischen Materialismus und Idealismus im Frankreich des 18. Jh. Den Band 5/2 beschließt ein Exkurs „Madame de Staël zwischen Emotion und Geschichtskritik“.

Zum Ertrag dieses Werks

Die „Geschichte der Aufklärung und des Atheismus“ ist ein Werk von erstaunlicher Sachkenntnis, immensem Gedankenreichtum und beeindruckender Originalität. Die Vielseitigkeit der Sicht Leys imponiert. Durchgängig verwertet Ley die internationale philosophische Literatur zu den einzelnen Problemkreisen. Die Bewertung bürgerlicher Konzeptionen fällt dabei differenziert aus. So findet Ley in der Philosophiegeschichtsschreibung von Karl Jaspers bemerkenswerte rationelle Elemente. Kritisch analysiert der Verfasser die Aktualisierungen früheren Denkens im Rahmen philosophischer Konzeptionsbildungen des 20. Jh., die häufig die Sachverhalte verfehlen. Das betrifft die Bezugnahmen zu mittelalterlichen philosophischen Theoremen ebenso wie Darstellungen zu Hobbes oder zu neorousseauistischen Konzeptionen. Das Werk des Autors enthält tiefdringende und diffizile inhaltliche Analysen der Leistungen einzelner Denker und grundsätzliche Wertungen der behandelten Strömungen. Kritisch kann man anmerken, dass in verschiedenen Passagen jedoch auch Lebensschilderungen oder referierende Wiedergabe des Inhalts einzelner Schriften dominieren; besonders in den letzten beiden Bänden stört eine zu große Breite der Ausführungen.

Ley geht umfassend auf fortwirkende Fragestellungen früherer philosophischer Lehren in der heutigen Wissenschaftsentwicklung ein, was die Lebendigkeit des philosophischen Erbes auch in dieser Hinsicht verdeutlicht. Naturwissenschaft und Technik werden bei Ley konstitutiv für die philosophischen Konzeptionsbildungen ihrer Zeit, ebenso werden die philosophischen Vorleistungen der Vergangenheit als Elemente und Bausteine heutiger umfassenderer wissenschaftlicher Theoriebildungen, sei es zur Quantenphysik, zur Biologie oder zur Anthropologie, sichtbar gemacht. Die Arbeit des Autors veranschaulicht die integrative Erkenntnisfunktion der Philosophie sowie ihre Orientierungsfunktion für das Handeln der verschiedenen Gesellschaftsschichten. Überzeugend macht Ley bestimmte Kontinuitätslinien philosophischen Denkens, die über Jahrhundert wirkten, deutlich. Das betrifft z. B. die Relevanz des arabischen philosophischen Denkens für das mittelalterliche Europa oder das Fortwirken sozinianischer Gedankengänge im 18. Jh. Jede Schablone bei der Beurteilung philosophischer Denker wird vermieden. Gegenüber Auffassungen mancher Autoren, wonach das Ausgehen von der Grundfrage der Philosophie – der Frage nach dem Verhältnis des Denkens zum Sein, des Geistes zur Materie, nach deren Primat – eine Enge der Betrachtungsweise implizieren würde, macht Ley deutlich, dass diese Sicht Komplexität und Tiefe im theoretischen Durchdringen der Wirklichkeit erst ermöglicht. Die Grundfrage der Philosophie expliziert sich in einer Vielzahl von Aspekten. Wurde in der Vergangenheit in der marxistischen Literatur sozialistischer Länder zuweilen der Maßstab der Enge und Einseitigkeit früherer philosophischer Doktrinen in den Vordergrund gestellt, so tritt diese Sicht durch das Herangehen Leys in den Hintergrund. Der Autor akzentuiert die nicht selten anzutreffende Vielschichtigkeit früherer philosophischer Theoreme, ihre Relevanz in den zeitgenössischen theoretischen Diskussionen und die in ihnen enthaltenen vorwärts weisenden Gedankenkeime.

Gegenüber der Auffassung vom bloßen Paradigmenwechsel in der Geschichte des philosophischen Denkens macht Ley dessen innere Progression von seinen Anfängen an in Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte, von Wissenschaft und Technik, mit Charakter, Intensität und der Zielrichtung der sozialen Kämpfe und Auseinandersetzungen, dem wachsenden Selbstbewusstsein der nach Fortschritt strebenden Klassen und Schichten deutlich. Der Verfasser veranschaulicht zugleich, dass die philosophische Entwicklung im vormarxschen Denken nicht selten durch Brüche, Diskontinuitäten, auch durch scheinbaren Verlust bereits gewonnener Erkenntnis, gekennzeichnet ist. An diese wird in späterer Zeit auf höherer Warte unter neuen Gesichtspunkten angeknüpft, wobei frühere Theoreme eine weitere Transformation erfahren. Hervorzuheben ist schließlich, das Ley auch für die Philosophie relevante Themen der Literatur und Kunst in seine Analysen einbezieht. Die Weltanschauung einer Epoche manifestiert sich in hohem Maße in ihren literarischen und Kunstwerken. Deren weltanschaulicher Gehalt hat Rückbezug auf die abstrakte philosophische Verallgemeinerung, umgekehrt beeinflussen bestimmte dominante philosophische Strömungen das Weltbild des Künstlers.

Die Kenntnisnahme der „Geschichte der Aufklärung und des Atheismus” ist für heutige und künftige Arbeit auf dem Gebiet der Geschichte der Philosophie unverzichtbar.

[1] Zum Antitrinitarismus vgl. auch die frühere umfangreiche Studie von H. Ley „Zur Entwicklungsgeschichte der europäischen Aufklärung”, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der TH Dresden (4), 1954/55, H. 3, S. 385-444. Zusammenfassend bemerkt H. Ley hier: „Der Antitrinitarismus kann als eine revolutionäre ideologische Bewegung der beginnenden Neuzeit bezeichnet werden. Er kämpft gegen die feudale und bürgerlich-kompromisslerische Kirche, steht mit seinen besten Vertretern wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit, enthält auf dualistischer Folie Elemente des Materialismus und verkörpert durch seinen internationalen Charakter den Zusammenhalt aller fortschrittlichen Menschen verschiedener Nationalität im Kampf gegen das Überlebte.“ Ebd. S. 387.

[2] Zu Vico vgl. auch den Beitrag von W. Förster, Die Geschichtsphilosophie Vicos und ihre Inspirationen für Karl Marx, in: D. Losurdo (Hg.), Geschichtsphilosophie und Ethik. Annalen der Internationalen Gesellschaft für Dialektische Philosophie – Societas Hegeliana, Bd. 10, Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 607 ff.