Berichte

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse unter besonderer Berücksichtigung von MigrantInnen

Konferenz von Friedrich-Ebert-Stiftung u.a., 18. Oktober 2005, Bonn

Dezember 2005

„Migrantinnen und Migranten sind in besonderer Weise von der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse betroffen. Obwohl die Datenlage schwierig ist, kann davon ausgegangen werden, dass sie in bestimmten Branchen und Tätigkeitsfeldern überproportional niedrig bewertete und gering entlohnte Tätigkeiten ausüben.“ Die Tagungs-Veranstalter – die Friedrich-Ebert-Stiftung, der Gesprächskreis Migration und Integration sowie das DGB Bildungswerk, Bereich Migration und Qualifizierung – erhofften sich laut Ankündigungstext eine genauere Analyse dieses Zusammenhangs sowie eine Erörterung über die Möglichkeiten der Gesetzgeber und der Tarifparteien, einen Mindestlohn festzusetzen.

Klaus Dörre (FSU Jena) wies in seinem Vortrag „Prekäre Arbeit – Ursachen, Ausmaß und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse“ zunächst darauf hin, dass die Thematisierung von prekären Beschäftigungsverhältnissen in der BRD im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unterentwickelt ist. Obwohl wir in einer der reichsten und sichersten Gesellschaften lebten, könnten wir seit geraumer Zeit eine „Wiederkehr der Unsicherheit“ (Castel) beobachten. Dörre benennt in Anlehnung an Castel drei Kristallisationspunkte für Prekarität: Erstens der drohende soziale Absturz von Teilen der integrierten Arbeiterklasse und der lohnabhängigen Mittelschichten; zweitens ein „Sich-Einrichten in der Prekarität“, d.h. die Herausbildung einer sozialen Lage, in der Perioden der Arbeitslosigkeit sich mit Phasen einer unsicheren und ungeschützten Tätigkeit abwechseln. Drittens schließlich das Entstehen einer „Position von Überzähligen“, die tatsächlich nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar sind. Die Tendenz zur Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse führt Dörre auf den Übergang zu einem „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ zurück, der der Wirtschaft mehr abverlange, als sie produktiv zu leisten im Stande sei. In der BRD handele es sich bei ca. 29 Prozent der Arbeitsverhältnisse um nicht-standardisierte Beschäftigung. Beim Zusammenhang von Migration und Prekariät sei zu beobachten, dass die Beschäftigungsquote von Personen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt deutlich geringer ist als die der Deutschen. Zudem sind MigrantInnen relativ häufiger teilzeitbeschäftigt und geringfügig entlohnt. Anhand von eigenen Forschungsergebnissen stellte Dörre dar, dass prekäre Arbeitsverhältnisse ein Desintegrationspotenzial beinhalten, welches primär auf unsichere Beschäftigung und/oder einer nicht dauerhaft die Existenz sichernden Entlohnung, sekundär auf der Blockierung qualitativer Arbeitsansprüche, mangelnder Anerkennung, eingeschränkter Partizipationsmöglichkeiten und relativer sozialer Isolation beruht. Aus seinem Vortrag leitete Dörre drei wesentliche Forderungen ab: Qualitätsstandards für „gute Arbeit“ müssen wieder ins Bewusstsein gerückt werden; Gewerkschaften könnten spezifische Organisationsangebote für prekär Beschäftigte schaffen und die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als Instrument, um der Prekarisierung durch Armutslöhne Grenzen zu setzen.

Im Anschluss daran berichteten GewerkschaftsvertreterInnen über prekäre Beschäftigungsverhältnisse in unterschiedlichen Branchen. Zunächst stellte Annelie Buntenbach (IG Bauen-Agrar-Umwelt) dar, wie im Bauhauptgewerbe die Güterproduktion ausgelagert wird und ortsunabhängige Dienstleistungen an Zulieferer vergeben werden. Nach Buntenbach ersetzt prekäre Entsendearbeit zunehmend Arbeitsmigration. EntsendearbeiterInnen arbeiten oft unter schlechtesten Bedingungen; so werden beispielsweise Überstunden nicht ausbezahlt oder ein großer Teil des Lohns wird direkt vom Lohn für Unterkunftskosten abgezogen. Vor diesem Hintergrund sei es schwierig überhaupt Solidarität zu organisieren. Die IG BAU versuche aber, mit der Gründung einer grenzüberschreitenden Wanderarbeitergewerkschaft mit maßgeschneiderten Angeboten neue Wege zu beschreiten. Bedauerlicherweise äußerte sich Buntenbach nicht zur Kampagne „Ohne Regeln geht es nicht“, mit welcher dazu aufgefordert wird, illegal Beschäftigte im Bauhauptgewerbe anzuzeigen. Diese Idee wurde schließlich sogar von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten kopiert.

Klaus Schroeter (NGG) schilderte anhand von Beispielen in der Fleischindustrie, in der Hauswirtschaft und im Hotel- und Gaststättengewerbe wie die Betriebs- und Lohnstruktur in den letzten 5-10 Jahren zerstört wurde. So liegen beispielsweise die Einkommen in der Hotel- und Gaststättenbranche inzwischen ein Drittel unter den Durchschnittseinkommen – und das bei deutlich längeren Arbeitszeiten. Neben einer öffentlichen Skandalisierung der Verhältnisse forderte auch Schroeter die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Wiegand Cramer (IG Metall) thematisierte in seinem Beitrag prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Hightech-Bereich. Er schilderte sehr anschaulich, unter welchen Bedingungen Siemens und Infineon in so genannten Freihandelszonen produzieren und wie dadurch Druck auf die inländischen Löhne ausgeübt wird.

In einer abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Britta Altenkamp (SPD-NRW), Leo Monz (DGB-BildungswerkI), Robert Reichling (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und Alexandra Willer (Personalrat Uniklinik Essen) über unterschiedliche Strategien zur Regulierung prekärer Beschäftigung. Während Reichling erwartungsgemäß „Mut zur Differenzierung“ und „Mut zur Spreizung“ der Löhne und Gehälter forderte, ging es für Leo Monz in erster Linie um die Klärung zentraler Fragen wie „Was bedeutet Existenzsicherung?“ oder „Was ist heute unter Solidarität zu verstehen?“. Alexandra Willer stellt am Beispiel der Uniklinik Essen dar, wie im Pflegebereich prekäre Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Nach der Ausbildung werden viele Auszubildende gar nicht mehr übernommen oder sie werden befristet für drei Monate eingestellt bzw. landen in ungewollter Teilzeitbeschäftigung. Britta Altenkamp wies auf die besondere Lage von MigrantInnen hin. Aus unterschiedlichen Aufenthaltstiteln ergeben sich für viele MigrantInnen enorme rechtliche Schwierigkeiten, überhaupt in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden zu können.

Insgesamt fiel auf, dass der Zusammenhang zwischen prekärer Beschäftigung und Migration bisher noch wenig untersucht und erforscht worden ist. Ohne die Kategorie Rassismus als Analyseraster einzuführen, bleibt die Diskussion wohl auch auf einer rein deskriptiven Ebene stehen. Ein geschlechtssensibler Blick auf die besondere Situation von Migrantinnen fehlte auf der Tagung leider.