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Vergesellschaftung durch Entmenschlichung

Perspektiven der historischen Rassismusforschung

September 2005

Als der türkische Forstminister unlängst anordnete, die wissenschaftliche Nomenklatur für einige unliebsame Tiernamen zu ändern, setzte er eine Politik fort, die in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise praktiziert worden war. Der Fuchs Vulpes vulpes kurdistanica soll in Zukunft ohne seine Herkunftsbezeichnung auskommen. Das Schaf Ovis armeniana wurde gar in Ovis orientalis anatolicus umgetauft.[1]

Die Nationalisierung der Fauna wurzelt historisch in der Konstitution des türkischen Nationalstaates und der sie unterstützenden rassistischen Ideologie. Die von ihr legitimierte Praxis oszillierte zwischen dem Ethnozid an den Kurden und dem Genozid an den Armeniern.[2] Der eine zielte auf Ausrottung, der andere auf die Zerstörung kultureller Identität. Beide gehörten zum Prozeß der Schaffung eines einheitlichen Staatsvolkes. Er sollte unter anderem durch national-rassistische Initiativen wie die türkische Geschichtsthese und die Sonnensprachtheorie befördert werden.[3] Das schloß die Absetzung von allem Untürkischen ein. Sie reichte bis zur direkten und indirekten Vernichtung des Völkermords und der Zwangstürkisierung.

Etwa zur selben Zeit kamen aus China Nachrichten über öffentliche Demonstrationen gegen Japan. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die Verharmlosung der japanischen Kriegsschuld in Schulbüchern und gegen die Verehrung von Kriegsverbrechern im Yasukini-Schrein. Sie hatte aber auch einen allgemeinen Hintergrund. Nach Presseinformationen „wimmelt es im chinesischen Internet heute vor rassistischen antijapanischen Denunziationen“. Dort würden die Japaner „als ‚fremde Rasse’“ bezeichnet, „’die es nicht verdient, menschlich behandelt zu werden’“.[4]

Die Auseinandersetzung betraf unter anderem die Zwangsprostitution der sogenannten ‚Trostfrauen’ oder ‚comfort women’ und die Verharmlosung des Massakers von Nanking.[5] Sie muß aber auch vor dem Hintergrund einer langen rassistischen Tradition beider Länder gesehen werden. In ihr wurden massive Anleihen beim modernen wissenschaftlichen Rassismus des Westens mit eigenen, weit zurück reichenden Mustern kulturalistischer Diskriminierung und Entmenschlichung verbunden und entweder die ‚Han-Rasse’ oder die ‚Yamato-Rasse’ als Krönung der Menschheitsentwicklung dargestellt.[6] Noch im ausgehenden 20. Jahrhundert gab es in China ernsthafte wissenschaftliche Studien, die versuchten, die Einzigartigkeit der chinesischen Rasse bis weit ins Pleistozän zurückzuschreiben und dabei polygenetischen Überlegungen „gefährlich nahe“ kamen.[7]

Kurz danach berichtete die Presse über die Perspektiven der „neuen psychologischen Rassenforschung“ und setzte sich anhand aktueller Veröffentlichungen mit der „Rückkehr der Rassenlehre“ auseinander. Dabei ging es einerseits um die Neuauflage der rassischen Differenzierung kognitiver Fähigkeiten, andererseits aber auch um die im Zuge der Genomforschung entwickelte Ethnomedizin und um die Erforschung des Einflusses kultureller Umwelten auf rassenspezifische Hirnleistungen.[8]

Solche Nachrichten aus der Tradition des falsch vermessenen Menschen und der Debatte um die Soziobiologie sollten nach dem von Elazar Barkan diagnostizierten ‚Rückzug’ des wissenschaftlichen Rassismus eigentlich längst obsolet sein.[9] Daß sie trotz der Diskreditierung des Rassenbegriffs nach dem Zweiten Weltkrieg und der kulturalistischen Wende des Rassismus in alten Formen und neuen Varianten weiterbestehen, zeigt nicht nur das Beharrungsvermögen des Rassenkonzepts. Es macht auch deutlich, daß dessen Dekonstruktion mit der verbreiteten These „’Rassen’ gibt es nicht“[10] nur unzureichend gefaßt ist.

Nur wenig zuvor wurde im Musée Royale L’Afrique Centrale in Tervuren bei Brüssel die Ausstellung ‚Kongo – Gedächtnis und Erinnerung’ eröffnet. Mit dem Vorwurf des Völkermords, dem in der kurzen Zeit der Alleinherrschaft des belgischen Königs bis zu zehn Millionen Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, beschäftigt sie sich allerdings nur am Rande. Stattdessen steht im Eingangsbereich des Museums nach wie vor jene allegorische Figur, die verkündet: ‚Belgien schenkte dem Kongo die Zivilisation’.[11]

Der Subtext dieser Parole ruft sowohl Joseph Conrads problematische Symbolisierung der Triebhaftigkeit der Zivilisierten durch die Primitivität der Wilden als auch Hannah Arendts fragwürdigen Versuch in Erinnerung, Conrads angeblich prähistorische und geschichtslose Menschen zur Grundlage einer Theorie des Rassismus zu machen und seinen ‚Horror’ in den „Schrecken vor den Menschen Afrikas“ zu verwandeln – als „die tiefe Angst vor einem fast ins Tierhafte, nämlich wirklich ins Rassische degenerierten Volk“.[12] Der kulturalistische Kern des Rassismus hatte sich dabei von seinem biologistischen Substrat gelöst und gab sich als dessen Erklärung aus. Die Kritik des Rassismus erwies sich als anfällig gegen dessen Argumente.

Alle diese Beispiele demonstrieren nicht nur die Gegenwärtigkeit des Rassismus, sondern belegen auch seine verschiedenen Dimensionen und komplexen Strukturen. Ihre Analyse zeigt, wie eng Rassismus die bei seiner Untersuchung Inklusion und Exklusion genannten und gelegentlich als seine doppelte Logik charakterisierten Tendenzen amalgamiert.[13] Gleichzeitig macht sie deutlich, daß diese sich örtlich und zeitlich unterschiedlich entfaltet und konkretisiert haben, weshalb bei ihrer Behandlung verstärkt die differenzierte Analyse unterschiedlicher Rassismen eingefordert wird.[14] Diese Haltung betont zwar die Notwendigkeit historisch vergleichender Forschung. Über deren Reichweite herrscht trotzdem erhebliche Uneinigkeit und Unklarheit. Nach wie vor gilt die Diagnose mangelnder historischer Reflexivität im Bereich der Rassismusanalyse.[15] Sie ist Ausdruck methodischer Differenzen, die sich nicht durch die begriffliche Quarantäne idealtypischer Definitionen lösen lassen und nachdrücklich die Berechtigung der Hegelschen Forderung nach der historischen Entfaltung von Begriffen verdeutlichen. Die folgenden Thesen weisen auf einige Dimensionen der Rassismusforschung hin, die für deren Selbstverständnis einerseits zentral sind, ohne andererseits in ihren historischen Dimensionen hinreichend erfaßt oder gar vergleichend analysiert zu sein.

1

Rassistische Urteile beruhen auf kulturellen Argumenten. Diese Auffassung ist in der Rassismusforschung ebenso weit verbreitet, wie ihre Umsetzung zu wünschen übrig läßt. In der Regel bleibt sie auf die kulturalistische Ideologie des gegenwärtigen Rassismus beschränkt, die sie dadurch von seinem biologistischen Stadium absetzt. In ihm wären mit dem Begriff der Rasse natürliche Unterschiede betont worden, während heute auf kulturelle Differenzen abgestellt würde. Tatsächlich hat Rassismus für seine diskriminierenden Urteile immer schon kulturelle Beweise angeführt.

Einer der Schauplätze, auf dem die Debatte um diese These ausgetragen wird, ist die Antike. Die Frage, ob es einen antiken Rassismus gegeben habe, wird bislang nahezu ausschließlich als die Frage nach der Existenz eines Rassenbegriffs oder mit ihm vergleichbarer Vorstellungen in den griechischen Poleis und im römischen Imperium gestellt. Von daher ist es wenig verwunderlich, wenn zahlreiche Antworten zu einem negativen Ergebnis kommen und häufig apodiktisch verkünden: „Die Diskussion des Rassismus muß eine Definition von Rasse einschließen“.[16]

Demgegenüber kommt Benjamin Isaac in einer materialreichen Studie zu dem Ergebnis, daß sehr wohl von einen antiken Rassismus gesprochen werden müßte, zu dessen Bezeichnung er die Begriffe „Rassismus“, „früher Rassismus“, „antiker Rassismus“ und „Protorassismus“ weitgehend synonym benutzt. Seine Beweisführung stellt dabei darauf ab, daß entsprechende Diskriminierungen mit all jenen Merkmalen dessen operieren, „was gewöhnlich als Rasse gilt“.[17]

Diese Beweisführung ist ein argumentativer Umweg, der nicht nur unnötig ist, sondern auch eine wichtige Einsicht verstellt. Sie ergibt sich aus der Behandlung der Körperlichkeit in der aristotelischen Legitimation der Sklaverei. Sie bescheinigt der „Natur“ zwar „das Streben“, „die Leiber der Sklaven und der Freien verschieden zu bilden“, kommt aber zu der Einsicht, daß dies „oft“ fehlschlage.[18] Aristoteles argumentiert, wie Christian Delacampagne zeigt, „sehr wohl rassistisch“, weil er „für gesellschaftliche Unterschiede eine naturbedingte Rechtfertigung sucht“. Die macht er aber nicht an Äußerlichkeiten, sondern am Kriterium der Vernunft fest und erklärt jene zu „Sklaven von Natur“, die sie nicht besitzen. Teilhabe an griechischer Sprache und Kultur wird zur Voraussetzung vollendeten Menschseins gemacht und gleichzeitig die Möglichkeit ihres Erwerbs durch Barbaren auf Grund ihrer naturbedingten Defizite in Abrede gestellt.

Die Geschichte des Rassismus läßt sich deswegen nicht auf die des Rassenbegriffs einschränken. Sie reicht historisch entschieden weiter zurück und ist regional deutlich weiter verbreitet. Gegenüber dem Plädoyer für ihre Untersuchung sind Warnungen vor einer ‚primordialen Gefahr’ nicht überzeugend.[19] Sie argumentieren unhistorisch, weil sie sich der formationsspezifischen Differenzierung und Konkretisierung ihres Gegenstands verweigern – als ob Sexismus und Klassismus dadurch zu anthropologischen Größen würden, daß ihre unterschiedlichen geschichtlichen Ausprägungen zur Sprache kämen.

2

Rassen sind kein Produkt der Natur, sondern gesellschaftliche Konstruktionen. Diese Auffassung ist einerseits weniger selbstverständlich, als ihr allgegenwärtiger Bekenntnischarakter in der kritischen Rassismusforschung vermuten ließe. Andererseits ist sie auch dort häufig kein reflektierter Bestandteil analytischer Theoriebildung. Dann wird, wie Michael Omi und Howard Winant kritisiert haben, Rasse als „bloße Illusion“ ihrer Konzeption „als Essenz“ entgegengestellt, oder, wie Margaret L. Andersen bemängelt hat, Rasse als „reine Illusion“ statt als „soziale Tatsache“ behandelt.[20]

Die Geschichte des Rassenbegriffs zeigt, wie dieser aus Anstrengungen zur Legitimation sozialer Ungleichheit erwuchs. Bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verwandte ihn Alfonso Martinez de Toledo in Spanien ganz im Sinne der modernen Debatte um den Vorrang natürlicher oder sozialer Faktoren bei der Entwicklung menschlicher Fähigkeiten Er schlug vor, die Söhne eines Bauern und eines Ritters fernab der Zivilisation gemeinsam aufziehen zu lassen und prophezeite, daß der eine sich trotzdem für Ackerbau und Viehzucht, der andere für Reiterspiele und Waffengänge interessieren würde. Denn es läge in der Absicht der Natur, daß sich die gute und die gemeine Abstammung („rraça“) in ihren Trägern durchsetzten.[21] Im 16. Jahrhundert wurde die Kategorie Rasse in Frankreich zur Bezeichnung biologisch-kulturell begriffener Klassenzugehörigkeit benutzt, so daß er umstandslos bei der Übersetzung von Torquato Tassos Überlegungen zum Adel verwandt werden konnte, der sich edler Herkunft („race“) verdanken sollte.[22] Im England des 17. Jahrhunderts wandte Richard Rowlands den Rassenbegriff bereits auf die Geschichte und Verwandtschaft von Völkern an und erklärte, die Engländer entstammten der Rasse („race“) der Germanen.[23]

Erst vor diesem Hintergrund entwickelte sich Rasse zur naturwissenschaftlichen Ordnungskategorie, ohne daß sie dabei ihre soziokulturellen Ursprünge jemals verleugnet hätte. Das zeigte sich bei der biologisch-kulturellen Klassifizierung der Rassen, die sowohl an Äußerlichkeiten wie der Hautfarbe als auch an ihrer jeweiligen Befähigung zum Fortschritt kenntlich sein sollten. Die vom wissenschaftlichen Rassismus betriebene Epidermalisierung und Ossifizierung änderte daran nichts, sondern erlaubte auch weiterhin sehr unterschiedliche Strategien der Diskriminierung. Sie konnten rassistische Zuordnungen auch gegen den Augenschein verfolgen und sie essentialistisch an den sich durch die Geschichte aller Rassismen wälzenden Strom des Blutes binden, in dem sie es auch in vielfacher Verdünnung noch nachweisen zu können behaupteten. Sie konnten sie aber auch sozial flexibel gestalten und die Beigabe sozialen Erfolges als Mittel rassischen Aufstiegs akzeptieren, durch den sich sogar die Bezeichnung der Hautfarbe änderte und man in der Einstufung durch andere hellhäutiger wurde.[24]

3

Rassistische Diskriminierung beruht auf Entmenschlichung. ‚Andersartigkeit’ und ‚Fremdheit’ sind nicht Voraussetzung, sondern Resultat seiner Operationen. Um sie zu erzeugen, muß den anderen ihre soziale Besonderung bestritten oder genommen werden. Am Beispiel der Sklaverei hat Orlando Patterson diesen Prozeß als sozialen Tod bezeichnet und Claude Meillassoux Entsozialisierung, Entpersönlichung, Entsexualisierung und Entzivilisierung als dessen Elemente angeführt.[25]

Rassismus wäre deswegen als psychische Abwehrreaktion oder politische Legitimationsstrategie, als xenophobes Vorurteil oder fremdenfeindliche Ideologie einseitig und verkürzt begriffen. Er muß als soziales Verhältnis verstanden werden, das die sozialen Eigenschaften der in ihm Unterdrückten ignoriert und auszulöschen trachtet.[26] Rassistische Vergesellschaftung steht unter Vorbehalt. Auch wenn sie ein breites Spektrum von Verhältnissen umfaßt, werden sie alle durch ihren prekären Charakter gekennzeichnet. Er resultiert nicht aus der Betonung, sondern aus der Ablehnung von Unterschieden. Während Gesellschaftlichkeit die Berechtigung oder Verpflichtung zur Differenz einschließt, besteht rassistische Desozialisierung gerade in deren Aufhebung. Angebliche natürliche Andersartigkeit ist die Folge verweigerter oder widerrufener sozialer Besonderung. Sie liegt nicht in der Natur der anderen, sondern in deren Ausgliederung aus dem Bereich des Sozialen.

Soziale Differenzierung verbindet ihre häufig diskriminierenden Unterschiede mit der Zuweisung gesellschaftlicher Rollen. Rassismus hingegen ebnet diese ein und behandelt die ihm unterworfenen anderen als gleichgemachte Repräsentanten einer angeblich natürlichen Unmittelbarkeit. Weder die soziale Prägung der Lebensalter, noch die der Geschlechter oder der Klassen soll für sie Geltung haben. Erst der ihnen zugedachte soziale Tod erlaubt es, ihnen anschließend unterschiedliche Charakteristika der Nichtzugehörigkeit und Schädlichkeit zuzuschreiben und sie entsprechend zu begreifen und zu behandeln.

Wo die anderen als primitive Wilde konstruiert wurden, schaffte solches Vorgehen keine argumentativen Probleme. Doch war diese Konstellation keineswegs selbstverständlich. Rassistische Entmenschlichung konnte auch jene treffen, deren Kultiviertheit sich nicht einfach bestreiten ließ. Historisch zeigte das die Diskriminierung der Chinesen, der Juden oder der Türken, die erheblichen ideologischen Aufwand treiben mußte, um deren Kultur als teuflische Täuschung oder steriles Surrogat ausgeben zu können.[27]

4

Rassismus stiftet Gemeinschaft. Seine Funktion besteht nicht in der Abwehr von Fremden, sondern in deren Hervorbringung.[28] Herrschaftlich organisierte Gesellschaften können nicht nur durch Gewalt aufrechterhalten werden. Sie halten auch nicht nur durch Kultur und Tradition zusammen. Die sozialpolitische Integration von Klassengesellschaften bedarf ausgegrenzter anderer.[29]

In der Geschichte des modernen Rassismus zeigte sich das sowohl an verschiedenen Formen des weißen Suprematismus wie an der Entwicklung des politischen Antisemitismus. Herrenvolkdemokratien und Volksgemeinschaften sind ausgeprägte Beispiele der Vergesellschaftung durch Entmenschlichung. In den Rassenstaaten Deutschlands und Südafrikas nahmen sie ihre extremste Form an.[30] In den Vereinigten Staaten und Australien wurden die Konstitution der Arbeiterklassen wie die Entwicklung nationaler Identität durch ihre Logik bestimmt.[31]

Das australische Beispiel zeigt, wie die Entwicklung weißer Suprematie, die Konstitution der Arbeiterbewegung und die Bildung des Nationalstaates zusammenfielen. Sie waren eingebettet in die Entwicklung und Verteidigung eines ‚weißen’ Selbstbewußtseins, das angesichts der exponierten Lage des Landes im Bereich einer als ‚Orient’ imaginierten Fremde besonders dramatisch ausgestaltet wurde und in die Politik des ‚weißen Australiens’ mündete.[32]

Der Zwang zur nationalen Einigung wurde durch Hinweise auf äußere und innere Bedrohung erklärt. Die Vorstellung äußerer Gefährdung kulminierte in einer Invasionsfurcht, die sich gegen Deutschland, Rußland und Japan richtete. Als inneres Problem galten vor allem die aus China (‚Kulis’) und Melanesien (‚Kanaken’) nach Australien geholten Arbeitskräfte. Die Rassisierung ausländischer Arbeitskräfte beschränkte sich nicht auf Asiaten, sondern bezog zunehmend Südeuropäer mit ein. Sie wurden nicht als Weiße akzeptiert und als Gefahr für die rassische Homogenität und Reinheit der Nation gesehen.[33] Das allgemeine rassistische Potential, das selbst die Identitätsbildung emanzipatorischer Bewegungen wie der der Arbeiter und der Frauen prägte, fand sich durch das Verhalten gegenüber den Aborigines noch verstärkt. Die dabei angewandten unterschiedlichen Formen genozidaler Politik werden durch die Theorie der zum Aussterben verurteilten Rassen legitimiert.[34]

Daß rassistische Gemeinschaftsbildung über Leichen geht, zeigt sich auch im Zusammenhang mit der Diffusion des modernen, europäisch geprägten Rassismus in zahlreiche nichteuropäische Gesellschaftsbilder mit zum Teil weit zurückreichenden eigenen rassistischen Traditionen.

So wurde in Indien der arische Mythos zur Grundlage einer ideologischen Kooperation zwischen der englischen Kolonialbürokratie und den lokalen Eliten.[35] Die Adaption der Brahmanen als indoarischer Juniorpartner der angelsächsischen Herrenrasse ermöglichte die Erfindung der Hindurasse, des zentralen ideologischen Bezugspunktes des Hindunationalismus, der schon früh gewaltsam auftrat und 1992 für die Zerstörung der Moschee von Ayodhya oder 2002 für die Pogrome in Gujarat verantwortlich war.

So überlagerte in Ruanda die Hamitentheorie die traditionelle religiöse Legitimation der sozialen Differenzierung zwischen Hutu und Tutsi. Sie war von den Europäern entwickelt worden, um alles, was sie in Afrika nur irgend als Kultur anzuerkennen sich gezwungen sahen, einer entfernt mit der weißen verwandten dunkelfarbigen Rasse zuschreiben zu können, deren Angehörige als ‚Niloten’, ‚Äthiopiden’ oder eben ‚Hamiten’ bezeichnet wurden.[36] Dieser rassistische Mythos wurde von den Kolonialmächten Deutschland und Belgien benutzt, um die Tutsi zu einem hamitischen Volk zu erklären. Die Politik ihrer Privilegierung gegenüber den Hutu schlug sich in allen sozialen Bereichen nieder. Auf der Grundlage der sie legitimierenden Ideologie wurden die Tutsi nach der Dekolonisierung von interessierten Gruppen der Hutu zu einer fremden Rasse erklärt. Eine intensive Propaganda beschuldigte sie schließlich der heimlichen Verschwörung zur Übernahme der Macht und trug damit wesentlich zur ideologischen Vorbereitung des Genozids von 1994 bei.[37]

5

Rassistische Vergesellschaftung wird durch flexible und umkämpfte Grenzen gekennzeichnet. Das gilt selbst dort, wo sie sich auf Rassen berief, sich aber weder auf deren Anzahl oder ihr Verhältnis zueinander einigen noch sich zu ihrer Bestimmung auf den Augenschein verlassen konnte. Auch in ausgeprägten Rassengesellschaften wurde deswegen immer wieder die Justiz bemüht, um die Frage der Rassenzugehörigkeit zu klären.

Ian F. Haney López hat die dabei zutage tretende juristische Beweglichkeit zwischen alltäglichem und wissenschaftlichem Rassismus wie zwischen dessen biologischen und sozialen Elementen eindrucksvoll analysiert und damit daran erinnert, daß Rassismus immer auch soziales Handeln ist, das rassistische Argumente immer wieder anpassen, korrigieren und modifizieren muß. Als etwa 1878 der aus China stammende Ah Yup in Kalifornien beantragte, als ‚Weißer’ anerkannt zu werden, verwies das Gericht gegenüber dem Augenschein seiner hellen Hautfarbe auf eine Anzahl von wissenschaftlichen Rassennomenklaturen. In keiner würden Kaukasier oder Weiße mit Mongolen oder Gelben zusammengefaßt. Sein Begehren wurde abgelehnt. Mit besseren Aussichten glaubte 1923 der Inder Bhagat Singh Thind, seine Einstufung als ‚Weißer’ vor dem Supreme Court der Vereinigten Staaten durchsetzen zu können. Er berief sich darauf, Indoeuropäer und damit Arier zu sein und glaubte die Wissenschaft auf seiner Seite. Das sah das Gericht nicht anders. Im Unterschied zum Kläger war es allerdings der Meinung, daß die Wissenschaft in dieser Frage entschieden zu weit gegangen wäre. Was ein ‚Weißer’ wäre, müßte nach der klaren Vorstellung des gesunden Menschenverstandes und nicht auf Grund undurchschaubarer wissenschaftlicher Überlegungen entschieden werden. Danach mochte ein Inder zwar arisch sein – weiß wurde er dadurch nicht.[38]

Diese und viele andere Fälle und Konstellationen machen deutlich, daß Rassismus kein der ihrer Natur zugeschriebenes unabänderliches Schicksal über die Menschen verhängt, sondern wie alle sozialen Beziehungen ein umkämpftes Verhältnis ist. Dem wird in der Rassismusforschung häufig zu wenig Rechnung getragen, auch wenn mittlerweile eine wachsende Zahl von Studien auf seine verschiedenen Dimensionen aufmerksam macht.

Dazu gehört zunächst, daß die Opfer des Rassismus in dessen Analyse nicht nur als Projektionsfläche seiner Zuschreibungen und Objekte seiner Dis­kriminierung und Unterdrückung vorkommen. Zumal in Zeiten postmoderner Textorientierung schließt das die Rückbesinnung auf strukturorientierte und konfliktbezogene Dimensionen historisch soziologischer Forschung ein.[39]

Dazu gehört weiter, daß die von Rassismus Betroffenen in ihrer sozialen und individuellen Besonderung wahrgenommen werden. Wenn sie nicht als Handelnde in die Analyse einbezogen sind, bleibt die vom Rassismus betriebene zwangsweise Zusammenfassung und Nivellierung von nach Herkunft, Lage, Kultur und Einstellung unterschiedlichen Menschen zu einheitlichen Gruppen ebenso undiskutiert wie die Erfahrung derer, die solchen Bedingungen unterworfen sind.[40]

Dazu gehört ferner, daß die Beteiligung der im rassistischen sozialen Verhältnis Unterdrückten an dessen Ausformung und Prägung berücksichtigt wird. Eine historisch orientierte Rassismusforschung kann durch die Würdigung ihres Beitrags zur Ästhetik des Widerstands gleichzeitig den kulturellen Solipsismus aufdecken, der nicht nur die Grundlage rassistischer Diskriminierung ist, sondern auch in deren Analyse und Kritik häufig unreflektiert mitschwingt.[41]

PS

Nach Fertigstellung dieses Beitrags berichtete die Presse über drei amerikanische Politologen, die herausgefunden haben wollen, daß politische Einstellungen genetisch determiniert sind.[42] Ihre Studie gehört zu der Vielzahl von Versuchen, die mit der Fahndung nach möglicherweise angeborenen und vererbbaren Dispositionen sozialen Handels und Verhaltens und der genetischen Erfassung ethnischer Gruppen, Entwicklung genetischer Stammbäume und Vermessung von Genkarten zur Entwicklung „vorgestellter genetischer Gemeinschaften“ beitragen. Daß dabei der ‚Genpool’ die ‚Rasse’ ersetzten könnte, läßt sich nicht ausschließen. Auf die Idee, Sozialisten zur Rasse zu erklären, ist allerdings noch nicht einmal der deutsche Faschismus gekommen.

[1] Vgl. Die Tageszeitung, 8. 3. 2005 („Separatistische Tiere“) u. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 4. 2005 („Eine Welle des Nationalismus“).

[2] Vgl. David McDowall: A Modern History of the Kurds. 3rd rev. Ed. London etc. 2004; Vahakn N. Dadrian: The History of the Armenian Genocide. Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus. 6th rev. Ed. New York etc. 2003.

[3] Vgl. Desmond Fernandes, Ronald Ofteringer: Verfolgung, Krieg und Zerstörung der ethnischen Identität. Genozid an den Kurden in der Türkei? Frankfurt: Medico International 2001; Jens Peter Laut: Das Türkische als Ursprache? Sprachwissenschaftliche Theorien in der Zeit des erwachenden türkischen Nationalismus. Wiesbaden 2000.

[4] Die Zeit, 14. 4. 2005 („Kampf der ‚fremden Rasse’“); zum Vorhergegangenen siehe Financial Times Deutschland, 10. 4. 2005 („Welle antijapanischer Proteste erfasst China“), Kurier, 19. 4. 2005 („Konflikt China-Japan spitzt sich zu“), Junge Welt’, 19. 4. 2005 („Aggressives Machtkalkül“).

[5] Vgl. Yoshimi Yoshiaki: Comfort Women. Sexual Slavery in the Japanese Military During World War II. New York etc. 2000; Iris Chang: The Rape of Nanking. The Forgotten Holocaust of World War II. New York 1997; Joshua A. Fogel (Hrsg.): The Nanjing Massacre in History and Historiography. Berkeley etc. 2000.

[6] Vgl. Barry Sautman (Hrsg.): Racial Identities in East Asia. Hong Kong 1995 u. Frank Dikötter (Hrsg.): The Construction of Racial Identities in China and Japan. London 1997 sowie Frank Dikötter: The Discourse of Race in Modern China. London 1992 u. Michael Weiner (Hrsg.): Japan’s Minorities. The Illusion of Homogeneity. London etc. 1997.

[7] Frank Dikötter: Racial Discourse in China. Continuities and Permutations. In: ders., (Hrsg.): The Construction of Racial Identities in China and Japan, a. a. O., S. 12 - 33, hier S. 28 (hier und im folgenden sind alle fremdsprachigen Zitate von mir übersetzt).

[8] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 5. 2005 („Kopflastig. Blick ins ‚soziale’ Hirn: Was die Rassenforschung dort sucht“), Spiegel online, 4. 5. 2005 („Rückkehr der Rassenlehre“ – http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,druck-353677,00.html); zum Hintergrund siehe Alexander Alland, Jr.: Race in Mind. Race, IQ, and other Racisms. New York etc. 2002.

[9] Vgl. Stephen Jay Gould: The Mismeasure of Man. New York 1981; Richard C. Lewontin, Steven Rose, Leon J. Kamin: Not in our Genes. Biology, Ideology, and Human Nature. New York 1984; Elazar Barkan: The Retreat of Scientific Racism. Changing Concepts of Race in Britain and the United States Between the World Wars. Cambridge etc. 1992.

[10] Brigitte Kossek: Gegen-Rassismen. Ein Überblick über die gegenwärtige Diskussion. In: dies. (Hrsg.), Gegen-Rassismen. Konstruktionen, Interaktionen, Interventionen. Hamburg 1999, S. 11 - 51, hier S. 17.

[11] Vgl. Berliner Zeitung, 26. 5. 2005 („Dieser grandiose afrikanische Kuchen“) zum Stichwort Völkermord u. Die Welt, 1. 3. 2005 („Im Herz der Finsternis“) zu den allegorischen Figuren.

[12] Vgl. Joseph Conrad: Heart of Darkness. Hrsg. v. Robert Kimbrough. 3rd Ed. New York etc. 1988 – der Band dokumentiert auch die Kritik von Chinua Achebe: An Image of Africa: Racism in Conrad’s Heart of Darkness, a. a. O., S. 251 - 262; Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München 1986 ­– dort, S. 322, auch das Zitat; vgl. Anne Norton: Heart of Darkness. Africa and African Americans in the Writings of Hannah Arendt. In: Feminist Interpretations of Hannah Arendt. Hrsg. v. Bonnie Honig. Philadelphia 1995, S. 247 - 263 u. Richard H. King: Race, Culture, and the Intellectuals, 1940 - 1970. Washington etc. 2004, S. 96 ff.

[13] Siehe u. a. David Theo Goldberg: Racist Culture. Philosophy and the Politics of Meaning. Oxford etc. 1993, S. 103, der das „Konzept der Ausschließung“ als zentral für die Untersuchung und Unterscheidung rassistischer Diskriminierungen herausstellt; George M. Fredrickson: Racism. A Short History. Princeton etc. 2002, S. 9, der den „Rassismus der Inklusion“ vom „Rassismus der Exklusion“ abhebt; Robert Miles: Racism After ‚Race Relations’. London etc. 1993, S. 89, der nach innen oder außen gerichtete Rassismen unterscheidet; Michel Wieviorka: The Arena of Racism. London etc. 1995, S. 44, der von „Herabminderung und Differenzierung“ als den „zwei Logiken” des Rassismus spricht; vgl. auch Wulf D. Hund: Inclusion and Exclusion: Dimensions of Racism. In: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, 3, 2003, 1, S. 6 - 19.

[14] Vgl. Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Theorien über Rassismus. Hrsg. v. Nora Räthzel. Hamburg 2000, S. 7 - 17, hier S. 11, der fordert, „nicht von Rassismus, sondern von Rassismen“ zu sprechen; bei Stephen Small: Racisms and Racialized Hostility at the Start of the New Millennium. In: A Companion to Racial and Ethnic Studies. Hrsg. v. David Theo Goldberg u. John Solomos. Malden etc. 2002, S. 259 – 282, ist der Plural bereits Programm.

[15] Vgl. John Solomos, Les Back: Racism and Society. Basingstoke etc. 1996, S. 57, die einen Mangel an historischer Reflexion über die Hintergründe des modernen Rassismus und die je nach Zeit und Ort unterschiedliche Ausprägung rassistischer Ideologien und Praktiken beklagen.

[16] Christopher Tuplin: Greek Racism? Observations on the Character and Limits of Greek Ethnic Prejudice. In: Ancient Greeks. West and East. Hrsg. v. Gocha R. Tsetskhladze. Leiden etc. 1999, S. 47 - 75, hier S. 47.

[17] Benjamin Isaac: The Invention of Racism in Classical Antiquity. Princeton etc. 2004, S. 46; zur Verwendung verschiedener Rassismusbezeichnung siehe u. a. S. 82, 36, 482, 5 und passim.

[18] Aristoteles: Politik. Reinbek 1994, S. 53 (1254 b 25 ff.); dort findet sich auch das folgende Zitat (‚Sklaven von Natur’). Siehe weiter Christian Delcampagne: Die Geschichte des Rassismus. Düsseldorf etc. 2005, S. 19 ff. und zu den Zitaten S. 57 u. 60. Vgl. auch Wulf D. Hund: Im Schatten des Glücks. Philosophischer Rassismus bei Aristoteles und Kant. In: ders., Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit. Münster 1999, S. 110 - 126.

[19] Bei Karin Priester: Rassismus. Eine Sozialgeschichte. Leipzig 2003, S. 20, heißt es in diesem Sinne: „Geht man […] davon aus, dass es Rassismus immer und überall gab, von der Antike bis heute, von Feuerland bis Grönland, dann unterliegt man der Gefahr, ihn zu einer universalen, anthropologisch verankerten Konstante menschlichen Verhaltens zu machen“ – vgl. auch meine Rezension in Wulf D. Hund: Der Weißheit letzter Schluss. Neue Studien zur Rassismusforschung. In: Archiv für Sozialgeschichte, 44, 2004, S. 580 - 605, hier S. 582 f.

[20] Michael Omi, Howard Winant: Racial Formation in the United States. From the 1960s to the 1990s. 2nd Ed. New York etc. 1994, S. 54 u. Margaret L. Andersen: Whitewashing Race: A Critical Perspective on Whiteness. In: White Out. The Continuing Significance of Racism. Hrsg. v. Ashley W. Doane u. Eduardo Bonilla-Silva. New York etc. 2003, S. 21 - 34, hier S. 33.

[21] Vgl. Max Sebastián Hering Torres: ‚Limpieza de sangre’ – Rassismus in der Vormoderne? In: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, 3, 2003, 1, S. 20 - 37, hier S. 28.

[22] Vgl. Werner Conze, Antje Sommer: Rasse. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. Stuttgart 1984, S. 135 - 178, hier S. 138.

[23] Vgl. Ivan Hannaford: Race. The History of an Idea in the West. Washington etc. 1996, S. 180.

[24] Die erste Strategie war die des ‚one drop rule’ in den Vereinigten Staaten, die zweite prägt bis heute den Rassismus in Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas – vgl. Shawn Michelle Smith: American Archives. Gender, Race, and Class in Visual Culture. Princeton etc. 1999, S. 189, die darauf hinweist, daß die durch die Regel des einen Tropfen fremden Blutes gezogene Farbgrenze, die Personen mit bis zu einem Zweiunddreißigstel afrikanischer Abstammung rechtlich als ‚schwarz’ einstufte, „Objekte rassischen Wissens schuf, die von einem erkenntnistheoretischen Paradigma, daß auf visuelle Beweise setzte, nicht unterschieden werden konnten“; Edward E. Telles: Race in Another America. The Significance of Skin Color in Brazil. Princeton etc. 2004, der einerseits S. 85 betont, „daß Brasiliens informelle Ein-Tropfen-Regel jemandem mit einem Tropfen weißen Blutes erlaube, die Klassifizierung als schwarz zu vermeiden“ und andererseits S. 105 resümiert, in Brasilien wäre Rasse „mehrdeutig“, weil es „verschiedene Klassifikationssysteme“ gäbe, die zudem durch die Faktoren Klasse und Geschlecht mitbestimmt würden.

[25] Vgl. Orlando Patterson: Slavery and Social Death. A Comparative Study. Cambridge (Mass.) etc. 1982 u. Claude Meillassoux: Anthropologie der Sklaverei. Frankfurt etc. 1989.

[26] Vgl. z. B. Theodore W. Allen: The Invention of the White Race. 2 Bde. London etc. 1994 u. 1997, dessen Analyse der Rassisierung der Iren nicht nur zeigt, wie Rassismus vor der Arrondierung des Rassenbegriffs funktionierte und daß er auch ohne augenfällige natürliche Merkmale auskam. Sie macht auch deutlich, wie eine auf Desozialisation gerichtete englische Politik danach trachtete, einen klassenlosen, geschlechtslosen, ehrlosen und kulturlosen Typus ‚Ire’ zu erzeugen.

[27] Vgl. u. a. Ying Sun: Wandlungen des europäischen Chinabildes in illustrierten Reiseberichten des 17. und 18. Jahrhunderts. Frankfurt 1996; Sander L. Gilman: Die schlauen Juden. Über ein dummes Vorurteil. Hildesheim 1998; Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Europa und die Türken in der Renaissance. Tübingen 2000.

[28] Vgl. Alois Hahn: ‚Partizipative’ Identitäten. In: Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Hrsg. v. Herfried Münkler unter Mitarbeit von Bernd Ladwig. Berlin 1997, S. 115 - 158, hier S. 134 („Fremdheit ist keine Eigenschaft, auch kein objektives Verhältnis […], sondern die Definition einer Beziehung“) u. Julia Reuter: Ordnungen des Anderen. Zum Problem des Eigenen in der Soziologie des Fremden. Bielefeld 2002, S. 13 („der Fremde ist ein Konstrukt […] und gewinnt erst […] als Gegen-Bild […] seine Bedeutung“).

[29] Das gilt, wie Jürgen Mansel, Wilhelm Heitmeyer: Spaltung der Gesellschaft. Die negativen Auswirkungen auf das Zusammenleben. In: Deutsche Zustände. Folge 3. Hrsg. v. Wilhelm Heitmeyer. Frankfurt 2005, S. 39 - 72, hier S. 62, erst kürzlich belegt haben, auch umgekehrt, weil „Personen mit Desintegrationserfahrungen hohe Werte für Fremdenfeindlichkeit aufweisen“. Eine aktuelle Studie, die zu dem Ergebnis kommt, daß in Deutschland rund 19 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder zu „rechtsextremen Ansichten“ und „ausländerfeindlichen, antisemitischen und antidemokratischen Meinungen“ neigen, verdeutlicht dies – Spiegel online, 28. 6. 2005 („Jeder fünfte Gewerkschafter steht rechts“ – http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,362290,00.html; die Studie ist unter http://www.polwiss.fu-berlin.de/projekte/gewrex/gewrex_downl.htm dokumentiert).

[30] Vgl. Michael Burleigh, Wolfgang Wippermann: The Racial State. Germany 1933 - 1945. Cambridge etc. 1991 u. William Beinart, Saul Dubow (Hrsg.): Segregation and Apartheid in Twentieth-Century South Africa. London etc. 1995.

[31] Vgl. David R. Roediger: The Wages of Whiteness. Race and the Making of the American Working Class. Rev. Ed. London etc. u. Ann Curthoys, Andrew Markus (Hrsg.): Who are our Enemies? Racism and the Working Class in Australia. Neutral Bay 1978.

[32] Als Überblicke zur Herausbildung der ‚white Australia policy’ und ihrer weiteren Entwicklung siehe Jürgen Matthäus: Nationsbildung in Australien von den Anfängen weißer Besiedlung bis zum Ersten Weltkrieg (1788 - 1914). Frankfurt 1993 u. Herbert I. London: Non-White Immigration and the ‘White Australia’ Policy. New York 1970; vgl. auch Wulf D. Hund: Mit der Weißheit am Ende. Australien und das Erbe des Rassismus. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 46, 2001, 5, S. 600 - 609.

[33] Vgl. Andrew Markus: Australian Race Relations 1788 - 1993. St. Leonards 1994; eine beispielhafte regionale Untersuchung ist Raymond Evans, Kay Saunders, Kathryn Cronin: Exclusion, Exploitation and Extermination. Race Relations in Colonial Queensland. Sydney 1975; eine vergleichende Untersuchung liefert Andrew Markus: Fear and Hatred. Purifying Australia and California 1850 - 1901. Sydney 1979.

[34] Vgl. Patrick Brantlinger: Dark Vanishings. Discourse in the Extinction of Primitive Races, 1800 - 1930. Ithaca etc. 2003; Russell McGregor: Imagined Destinies. Aboriginal Australians and the Doomed Race Theory, 1880 - 1939. Carlton South 1997.

[35] Vgl. Dorothy M. Figueira: Aryans, Jews, Brahmins. Theorizing Authority through Myths of Identity. New York 2002; Ronald Inden: Imagining India. Oxford etc. 1990; Nicholas B. Dirks: Castes of Mind. Colonialism and the Making of Modern India. Princeton etc. 2001; zum folgenden siehe Christophe Jaffrelot: The Hindu Nationalist Movement in India. New York 1996.

[36] Zur Hamitentheorie siehe allgemein Peter Rohrbacher: Der Hamiten-Mythos. Ein Beitrag zum Geschichtsbild des afrikanischen Kontinents. Diss. Universität Wien, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften 2001; zu ihrer Anwendung in Ruanda vgl. Mahmood Mamdani: When Victims Become Killers. Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda. Princeton etc. 2001, S. 76 ff.

[37] Vgl. Robert Melson: Modern Genocide in Rwanda. Ideology, Revolution, War, and Mass Murder in an African State. In: The Specter of Genocide. Mass Murder in Historical Perspective. Hrsg. v. Robert Gellately, Ben Kiernan. Cambridge etc. 2003, S. 325 - 338, der S. 335 schreibt: „der Genozid […] war in der ‘Hamitenhypothese’ bereits angelegt“.

[38] Beide Fälle werden ausführlich behandelt in Ian F. Haney López: White by Law. The Legal Construction of Race. New York etc. 1996.

[39] Vgl. Martin Bulmer, John Solomos: Introduction. In: dies., (Hrsg.), Researching Race and Racism. London etc. 2004, S. 1- 15, hier S. 10, die gegenüber „offenkundig textorientierten Forschungsansätzen“ darauf bestehen, „daß sich die Forschung den Auswirkungen des Rassismus auf Umstände des wirklichen Lebens widmet“. Rassistische Diskriminierung und Gewalt wären „keine Fiktionen oder Figuarationen“, die ein „freies Spiel der Bezeichnung“ zuließen.

[40] Das gilt selbst für Ausgrenzungsformen wie die transatlantische Sklaverei, die Angehörige unterschiedlichster Völker in eine einheitliche soziale Lage zwang, die durch den Gegensatz von Schwarz und Weiß gekennzeichnet war. Sie bewahrten trotzdem kulturelle Muster der Identität, die nach gemeinsamen Aktionen gegen ihre Ausbeuter nicht selten zu Gegensätzen und Trennungen führten: „Die Vorstellung nationaler Identität war unter Sklaven im ländlichen Amerika stark genug, um sie selbst dann zu beeinflussen, wenn sie sich entschieden, zu rebellieren oder zu fliehen. […] Entlaufene Sklaven trennten ihre Gemeinschaften oft nach Nationalitäten.“ (John Thornton: Africa and Africans in the Making of the Atlantic World, 1400 - 1800. 2nd Ed. Cambridge etc. 1998, S. 201). Das gilt insbesondere für unterschiedlich integrierte soziale Gruppen wie etwa das jüdische Bürgertum im deutschen Kaiserreich, deren Geschichtsschreibung immer noch weitgehend von Assimilationsvorstellungen und Minderheitskonzepten geprägt wird, so daß die „florierende Bürgertumsforschung das jüdische Bürgertum bisher fast vollständig“ ignoriert (Andreas Gotzmann, Rainer Liedtke, Till van Rahden: Einleitung. In: dies. (Hrsg.), Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800 - 1933. Tübingen 2001, S. 1-7, hier S. 5) und damit auf unreflektierte Prämissen hindeutet, auf die der Schatten der antisemitischen Ausgrenzungspolitiken der Vergangenheit fällt.

[41] Zu den in diese Richtung weisenden Pionierarbeiten gehört Eugene D. Genovese: Roll, Jordan, Roll. The World the Slaves Made. New York 1976 (1. Aufl. 1972), der seine Forschungsperspektive einleitend in die Hypothese faßt, die Sklaverei in den Südstaaten der USA hätte Weiße und Schwarze gleichzeitig vereint und getrennt und folgert: „Herren und Sklaven prägten einander und können nicht unabhängig von einander untersucht und diskutiert werden“ (a. a. O., S. XXI f.). In den Studien zum ‚schwarzen Atlantik’ ist diese Forschungsperspektive mittlerweile fest verankert und weit vorangetrieben worden. Sie betont nicht nur transethnische Beziehungen und interkulturelle Verhältnisse (vgl. Paul Gilroy: The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness. London 1993), sondern erlaubt mit dem Blick von unten auch, „etwas von der verloren gegangenen Geschichte jener multiethnischen Klasse wieder zu entdecken, die für den Aufstieg des Kapitalismus und der modernen globalen Ökonomie von wesentlicher Bedeutung war.“ (Peter Linebaugh, Marcus Rediker: The Many-Headed Hydra. Sailors, Slaves, Commoners, and the Hidden History of the Revolutionary Atlantic. Boston 2000, S. 6 f.).

[42] Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 7. 2005 („Politgenom“); der Artikel bezog sich auf John R. Alford, Carolyn L. Funk, John R. Hibbing: Are Political Orientations Genetically Transmitted? In: American Political Science Review, 99, 2005, 2, S. 153 - 167; zum folgenden siehe u. a. Bob Simpson: Imagined Genetic Communities. Ethnicity and Essentialism in the Twenty-First Century. In: Anthropology Today, 16, 2000, 3, S. 3 - 6.