Klimakrise & Klimapolitik

Konkurrenz im Treibhaus

Klimapolitische Perspektiven nach dem Scheitern von Kopenhagen

Juni 2010

Mit dem Gipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 ist das internationale Klimaregime endgültig von einem „weichen“ Randthema der internationalen Beziehungen zu einem „harten“ Gegenstand von Staatenkonkurrenz im Weltsystem avanciert. Der Kollaps der Verhandlungen kam daher keineswegs überraschend.

Das Gipfeldesaster hat vielen bewusst gemacht, dass mit dem bisherigen Klimaregime und seinen umweltpolitischen marktbasierten Mechanismen und Instrumenten der Klimakrise weder effektiv noch gerecht begegnet werden kann. Die Kombination von Energie- und Klimakrise ist auf dem besten Wege, die Rahmenbedingungen sozialer Kämpfe weltweit in den kommenden Jahrzehnten drastisch zu verschlechtern. Gleichzeitig ist durch die Gipfelproteste die Saat einer neuen, globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit ausgebracht worden, die mit der staatlich/zivilgesellschaftlichen Klimakonferenz in Cochabamba im April dieses Jahres erste strategische Gehversuche unternommen hat.

Diplomatie des Scheiterns

Schon die Kyoto-Phase der internationalen Klimapolitik von 1990 bis 2008/2012 ist eine Geschichte des Scheiterns: Die US-Regierung stieg 2001 komplett aus dem Prozess aus, das Kyoto-Protokoll trat erst 2004 mit der Ratifizierung durch Russland in Kraft und die globalen Emissionen sind in dem betreffenden Zeitraum kontinuierlich gestiegen. Um nun zumindest die Grundlagen für eine weitere Verpflichtungsperiode nach dem Auslaufen von Kyoto zu legen, wurde 2007 auf der 13. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) die „Bali Road Map“ vereinbart.

Nach mehreren Vorverhandlungen im Jahre 2009 sollte dieser Fahrplan von Bali auf der 15. UNFCCC-Konferenz (COP 15) in Kopenhagen in ein neues internationales Klimaabkommen gegossen werden. Verhandelt wurde vom 7. bis zum 19. Dezember im „Bella Center“ in zwei getrennten „Pfaden“: Eine „Ad Hoc Working Group“ sollte die langfristige Kooperation unter der UNFCCC fortentwickeln, die andere eine neue Phase von Reduktionsverpflichtungen im Rahmen des Kyoto-Modells nach 2012 in die Wege leiten.

Zwar war der vollständige Kollaps wegen der üblichen Gipfel-Choreografierungskünste so nicht unbedingt zu erwarten, aber ein Scheitern der Verhandlungen, gemessen an dem bei der Klimakonferenz in Bali beschlossenen Zeitplan und dem klimapolitisch Notwendigen, stand schon vor der Konferenz längst fest. Sichtbar war dies sowohl für Beobachter, die sich grundsätzlich einen effektiven Klimaschutz vom UN-Prozess erwarten, als auch von denjenigen, die ihn grundsätzlich mit Skepsis betrachten.[1] Bereits Monate vorher wurden vonseiten der Regierungen die Erwartungen heruntergeschraubt. Denn gemäß der Road Map des Bali-Gipfels hätte in der dänischen Hauptstadt ein neues, völkerrechtlich verbindliches Abkommen beschlossen werden müssen, um an das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll anzuschließen. Seit dem Sommer 2009 war allerdings nur noch von einer politischen Erklärung die Rede. Und das, was an bekannten Positionen auf dem Verhandlungstisch lag, sah weder wie eine Konsensgrundlage aus, noch ließ es effektiven und gerechten Klimaschutz erwarten.

Schon in den ersten Sitzungen offenbarte sich eine zentrale Streitfrage, die auch bis zum Ende des zweiwöchigen Verhandlungsmarathons nicht gelöst werden sollte: die Frage nach dem grundlegenden Charakter eines zukünftigen Klimaregimes. Die SprecherInnen der Entwicklungsländer und Schwellenländer bestanden immer wieder vehement darauf, dass das Kyoto-Abkommen in seiner bisherigen Form fortgesetzt und von den Beratungen über die Klimarahmenkonvention getrennt gehalten würde. Hintergrund dieser unnachgiebigen Haltung war, dass die Delegationen aus dem Süden zu Recht befürchteten, dass insbesondere die Mitgliedsstaaten des Kyoto-Protokolls genau dieses abschaffen wollten.

Die verbindlichen und ausschließlich für die Metropolen geltenden Verpflichtungen zu Emissionsreduktionen wollten die VertreterInnen des globalen Nordens durch ein vollkommen neues Abkommen ersetzen. Nach diesem sogenannten „pledge and review“-Konzept sollen alle „großen Ökonomien“ nach eigenem Ermessen nationale Reduktionsziele zu dem neuen Vertrag beisteuern. Damit würde nicht nur die Klimarahmenkonvention in ihrer bisherigen Form hinfällig, die noch eine „gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung“ festgeschrieben hatte. Insbesondere sollten auch die aufstrebenden Schwellenländer klimapolitisch in die Pflicht genommen werden. Nicht zuletzt hätte ein solches, zunächst bloß „politisches“ Abkommen gegenüber einem völkerrechtlich bindenden Deal (in Form etwa des Kyoto-Protokolls) eine deutlich geringere Verbindlichkeit.

Auch bei anderen Kernfragen der Verhandlungen blieben die Fronten ähnlich verhärtet. Während die Staaten aus der Peripherie zu Anfang noch Finanzhilfen in Höhe von 200 bis 400 Milliarden Dollar jährlich gefordert hatten, sagten die Metropolenstaaten bloß zu, ersteren ab sofort 10 und ab 2020 100 Milliarden pro Jahr für Maßnahmen zur Emissionsverminderung und Anpassung an den Klimawandel zu gewähren. Mit dem Verlangen nach einer teilweisen Aufhebung der Patente auf Klimaschutztechnologien im Rahmen eines Technologientransfers konnten sich die Entwicklungsländer ebenfalls nicht durchsetzen. Galt die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad Celsius einige Jahre als Konsens in der internationalen Klimawissenschaft, insistierten nun einige Länder des globalen Südens (wie Bolivien und Kuba, aber auch die Vertreter der kleinen Inselstaaten und der G77 China) auf einer Zielmarke von 1,5 oder sogar 1 Grad. Streit gab es zudem über das rechnerische Basisjahr für die Reduktionsverpflichtungen. So erhoben Staaten, wie etwa die USA, den Anspruch 2005 als Ausgangspunkt zu nehmen. Ferner kritisierten viele Entwicklungsländer die obligatorische Co-Finanzierung bei Maßnahmen der Global Environment Facility, des internationalen, mit der Weltbank verknüpften Finanzierungsmechanismus für Umweltschutzprojekte, und drängten auf eine grundlegende Reform.[2]

In diesen Auseinandersetzungen traten Industrie- und Entwicklungsländer als relativ geschlossene Blöcke auf. Der globale Norden ist wesentlich für das Scheitern von Kopenhagen verantwortlich: Seine aggregierten Reduktionszusagen von 12-23% (je nach Berechnungsgrundlage) bis 2020 gegenüber den wissenschaftlich für notwendig erachteten 40% haben voraussichtlich einen Temperaturanstieg von 3 bis 3,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zur Konsequenz. Demgegenüber sind die Zusagen der Schwellenländer, ihren Emissionsanstieg um rund 28% gegenüber einem „Business-as-usual“-Szenario abzubremsen, relativ weitgehend.

Jedoch traten auch innerhalb des metropolitanen Blocks ernsthafte Differenzen zutage. Versprach die EU zumindest eine Reduktion von 20-30% bis 2020 gegenüber 1990, sagte der unter innenpolitischem Druck stehende US-Präsident Obama nur 4% für diesen Zeitraum zu. Insbesondere weigerten sich die USA weiterhin unnachgiebig, das Kyoto-Protokoll doch noch zu ratifizieren. Darüber hinaus bestehen klare Interessenunterschiede zwischen Ländergruppen im Süden wie den wenig anpassungsfähigen kleinen Inselstaaten (AOSIS), den Least Developed Countries und der African Group auf der einen Seite und der OPEC sowie den schnell wachsenden Schwellenländern auf der anderen Seite. Ordneten sich verschiedene Entwicklungsländer schließlich den Interessen der Industrieländer unter, bestanden die Protagonisten der ALBA-Gruppe (Bolivien, Venezuela, Kuba u.a.) bis zum Schluss auf der historischen Schuld des Nordens.

All diese schwerwiegenden Interessengegensätze fanden ihren Ausdruck in zwei ausgesprochen konflikthaften Verhandlungswochen. So kam es immer wieder vor, dass Sitzungen unterbrochen werden mussten und die Entwicklungsländer – aber auch die EU, Australien und Japan – jeweils bestimmte Arbeitsgruppen boykottierten. In der ersten Woche sorgte ein durchgesickerter, unabgestimmter Vertragsentwurf der dänischen GastgeberInnen für Aufregung. Auch wenn die Vorsitzenden der beiden „Ad Hoc Working Groups“ für die zweite Woche jeweils Texte als Ergebnis der bisherigen Verhandlungen vorlegten, konnten diese nicht mehr eine Einigung im Plenum ermöglichen. Denn entgegen mehrfacher Beteuerungen hatte der dänische Ministerpräsident Rasmussen 25 vermeintlich repräsentative Staaten zu einem Geheimtreffen eingeladen. Gerüchten entsprechend formulierten nach hitzigen Sitzungen schließlich nur die USA, Indien, Brasilien und Südafrika den „Copenhagen Accord“. Dieses dreiseitige Dokument entspricht im Wesentlichen dem oben skizzierten „politischen“ Abkommen. Abgesehen von der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad und der Ankündigung von (unzureichenden) Finanzhilfen enthält es nur einige unverbindliche Absichtserklärungen.

Als Rasmussen das Papier dem unvorbereiteten Plenum präsentierte und zunächst keine Diskussion zulassen wollte, erzwangen venezolanische und andere Delegierte eine Debatte, indem sie fast eine Minute mit ihren Länderschildern auf die Tische schlugen. Mit ihrer scharfen Kritik setzten insbesondere die ALBA-Staaten daraufhin durch, dass die Konferenz den Accord nur „zur Kenntnis nimmt“ – eine äußerst schwache Formulierung in der UN-Sprache. Obama hatte zwar schon vor dem entscheidenden Plenum der Presse einen Erfolg verkündet, aber es gelang den Industrieländern nicht, das „taking note“ zu einem echten Abkommen umzudeuten. Die Konferenz war gescheitert.

Konkurrenz im multipolaren System

Nicht der „fehlende Mut“ der 120 anwesenden Staatschefs oder schlicht „Versagertum“, wie medial getitelt wurde, bewirkte den Zusammenbruch der Verhandlungen. Vielmehr befindet sich zum einen das Staatensystem in einer Hegemoniekrise, in der die Konkurrenz der Staaten um Produktionsstandorte, Märkte und Rohstoffe an Schärfe gewinnt. Zum anderen stießen die Strukturen der bisherigen internationalen Umweltpolitik an ihre Grenzen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hatte insofern Recht, als er den Kopenhagen-Gipfel als „wichtigste Wirtschaftskonferenz unserer Zeit“ bezeichnete. Dabei hatte er allerdings eher die Exportpotenziale für deutsche Unternehmen im Bereich „Umwelttechnologien“ im Blick als die Frage, inwieweit durch ein auf internationaler Ebene ausgehandeltes Vertragswerk CO2-Emissionssenkungen – und damit Wachstumspotenziale – festgelegt bzw. Kostenverteilungen für Anpassungsmaßnahmen geregelt werden. Gegenüber dem Jahr 1997, als der Abschluss des Kyoto-Protokolls noch als „weiches“ umweltpolitisches Thema internationaler Beziehungen quasi im Windschatten von „harten“ ökonomischen und sicherheitspolitischen Themen durchgehen konnte und die finanziellen Lasten – zumindest auf dem Papier – einseitig von den Ländern des Nordens übernommen wurden, hat sich die Situation grundlegend verändert. Mit dem Aufstieg der Schwellenländer und dem relativen Abstieg der G7-Staaten hat sich die ökonomische Konkurrenz verschärft – massiv beschleunigt durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise. Denn die Krise wirkt als Katalysator für den Umbruch der hegemonialen Struktur im Weltsystem. Mit der Gründung der WTO im Jahre 1994 war zum letzten Mal ein durchschlagskräftiges internationales Vertragswerk realisiert worden. Möglich war dies, weil die USA und die EU als eindeutig hegemoniale Achse die Verhandlungen der Uruguay-Runde im Wesentlichen unter sich ausmachen konnten. Inzwischen zeichnet sich eine multipolare Konstellation ab, deren Konturen allerdings noch unscharf sind. Die Hegemonie des Nordens ist in Frage gestellt. Verdichtet hat sich diese Entwicklung in Kopenhagen mit dem erstmalig sehr aktiven Auftreten der chinesischen Diplomatie bei einem internationalen Gipfel. Es ist daher keine Überraschung, dass nach einer jahrelangen Blockade der Doha-Runde der WTO aufgrund der veränderten Kräfteverhältnisse, nach dem de facto-Ende der G8 und der Neubegründung der G20 und ihrer drei wenig ergiebigen Gipfeltreffen seit Herbst 2008 kein multilaterales Klimaabkommen zustande kam. Ohne eine neue stabile Global Governance mit einem hegemonialen Moment, wie es das neoliberale Projekt basierend auf Konsens und Zwang darstellte, sind große völkerrechtliche Würfe äußerst unwahrscheinlich.

Die Grenzen der Regulierung

Bei der Suche nach den Gründen des Scheiterns stellt sich zudem die Frage, ob diese Form von internationalen Verhandlungen auf dem Terrain globaler Umweltpolitik überhaupt dazu geeignet ist, Regeln zu finden, die zu den gewünschten ökologischen Strukturen führen. Ist also die Strategie plausibel, über ein globales Abkommen einen Handlungsdruck zu erzeugen, der Regierungen etwas umsetzen lässt, was auf nationalstaatlicher Ebene kaum möglich erscheint? Begreift man internationale Institutionen wie den gegebenen Verhandlungsprozess im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) als materielle Verdichtungen sozialer (Kräfte-)Verhältnisse „zweiter Ordnung“[3] – ausgehend von der Definition des Nationalstaates als Kristallisation gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse –, dann erscheint plausibel, dass die Vorstellung „Alle sitzen in einem Boot“ und der kosmopolitische Idealismus vieler NGOs nicht genügen, um die versammelten Staatschefs ein effektives Klimaabkommen unterzeichnen zu lassen. Die Strukturen des fossilen Regimes sind tief eingelassen in die sozialen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse und in die Logik der Akkumulation von Kapital auf dem Weltmarkt, die von den immer noch dominierenden, fossilistischen Kapitalfraktionen verteidigt werden. Ohne die weitreichende Veränderung dieser Verhältnisse ist es nicht denkbar, dass massive und schnelle CO2-Reduktionen einfach in einem globalen Regelwerk festgeschrieben werden. Der Kollaps von Kopenhagen zeigt damit die Grenzen des Regulierungsansatzes. Denn bei keinem der zentralen Akteure, der entwickelten Länder oder der Schwellenländer, sind die entsprechenden Veränderungen der Ökonomien so weit fortgeschritten bzw. die „grünen“ Kapitalfraktionen so stark geworden, dass sie die staatlichen Apparate veranlassen könnten, eine CO2-arme Wirtschaftsweise als außenpolitisches Projekt zu verfolgen. Das bedeutet nicht, dass (multilaterale) Regulierung kein notwendiges Element zur Bearbeitung der Klimakrise darstellt. Aber sie wird wohl kaum der Motor sein. Insbesondere nicht die Regulierung auf dem Feld der internationalen Umweltpolitik. Fragen von Klimaschutz werden nämlich mindestens genauso auf den Terrains von Militärpolitik und Energieaußenpolitik, von Handels-, Industrie- und Landwirtschaftspolitik sowie von Finanzpolitik entschieden, wie in den Büros der Umweltministerien. Dem unterliegen zudem die vergangenen und täglich gefällten Investitionsentscheidungen des Kapitals. Effektive Regulierung wird erst dann möglich sein, wenn Veränderungen bei den Produktions- und Konsumtionsverhältnissen schon weit vorangeschritten sind und wenn entsprechende durchsetzungsfähige Akteure eine Position gesellschaftlicher Hegemonie erlangt haben

Entsprechend sind auch von der 16. Vertragsstaatenkonferenz Ende 2010 in Cancun (Mexiko) keine Durchbrüche zu erwarten. Deutlich wurde dies bei den ersten Klima-Zwischenverhandlungen nach dem Scheitern von Kopenhagen vom 9. bis 12. April 2010 in Bonn. Zwar haben die beiden „Working Groups“ wieder getagt und man verständigte sich darauf, nach dem nächsten Treffen Anfang Juni zwei weitere Zusammenkünfte vor Cancun zu organisieren. Doch die grundlegenden Konflikte sind nach wie vor nicht ausgeräumt: die Frage nach der Gestalt eines neuen Klima-Abkommens und der Rolle von Kyoto bzw. des Copenhagen Accords darin. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Kopenhagen als Bewegungssprungbrett

Jenseits der offiziellen diplomatischen Verhandlungen erlebte Kopenhagen einen enormen Auflauf zivilgesellschaftlicher Akteure. Etwa 30.000 Beobachter von Unternehmenslobbyisten über Kirchen und Wissenschaftsorganisationen bis zu sozialen Bewegungen waren bei der Konferenz selbst akkreditiert. Konnte der UNFCCC-Prozess seinen Status als „Flaggschiff internationaler Demokratie“ noch aufrechterhalten, war damit spätestens Schluss, als in einem bisher beispiellosen Vorgang anlässlich der Ankunft der Staats- und Regierungschefs zehntausende der offiziell akkreditierten Beobachter aus dem Konferenzgebäude schlicht ausgesperrt wurden. Es steht bisher aus, ob die Erfahrung des Ausschlusses und des Zusammenbruchs der Verhandlungen eine ähnliche Desillusionierungswirkung auf NGOs haben werden wie in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nach der Stagnation des Rio-Prozesses[4]. Die Erkenntnis der strukturellen Selektivität internationaler Organisationen in Bezug auf die Einwirkungsmöglichkeiten von NGOs ist zumindest ein Faktor, der die Entstehung der globalisierungskritischen Bewegung befördert hatte. Kritik am UN-Prozess selbst und am Lobbyismus vieler Nichtregierungsorganisationen begann sich bereits seit einigen Jahren zu formieren. Insbesondere initiierte eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen eine Spaltung des zivilgesellschaftlichen Feldes während der Klimakonferenz in Bali im Dezember 2007. Das bisherige de facto Monopol des Climate Action Network (CAN)[5] auf die Vernetzung der international aktiven klimapolitischen Umweltszene bei dem UNFCCC-Verhandlungsprozess wurde durch die neu gegründete Struktur Climate Justice Now! (CJN!)[6] abgelehnt. Signifikante Unterschiede bei Forderungen und Politikverständnis unter der Vielzahl von NGOs und sozialen Bewegungen wurden somit erstmals durch einen neuen Akteur auf dem Terrain der internationalen Klimapolitik sichtbar.

Die Spaltung kam nicht von ungefähr. Im Jahr 1989 hatten sich umwelt- und entwicklungspolitische NGOs, die mit Beobachterstatus bei den UN-Klimaverhandlungen akkreditiert waren, zum Climate Action Network (CAN) zusammengeschlossen, um ihre Schlagkraft in den Gesprächen zu erhöhen. Zentrale Organisationen im CAN sind zum Beispiel der US-amerikanische Sierra Club oder finanzkräftige transnationale NGOs wie WWF und Greenpeace. Der Großteil der dort versammelten Akteure unterstützt den offiziellen Verhandlungsmarathon, sieht das Kyoto-Protokoll als alternativloses internationales Vertragswerk und in den marktbasierten Instrumenten wichtige Bausteine zum Klimaschutz. Expertise und Lobbying sind die Hauptaktivität dieses Netzwerks. Bereits seit Langem hatten insbesondere Süd-NGOs innerhalb des CAN Fragen von sozialer Gerechtigkeit wesentlich stärker betont als die großen NGO-Tanker aus dem Norden, die sich und das Netzwerk vor allem umweltpolitisch positionierten. Eine kritische Begleitung der Verhandlungen aber reichte vielen NGOs und sozialen Bewegungen aus dem Süden nicht mehr aus. So wurden unter anderem die asiatische NGO Focus on the Global South und der globale Kleinbauernverband Via Campesina[7], zu treibenden Kräften von Climate Justice Now!. Mit diesem neuen Netzwerk begann sich eine bisher vereinzelt am UNFCCC-Prozess geäußerte Kritik zu einer programmatischen Alternative zu verdichten, die zudem von einer breiten sozialen Basis vor allem im Süden getragen wird. Zu dieser gehören insbesondere auch indigene Gruppen. Deren zunehmende Vernetzung und politische Organisierung wurde zuerst sichtbar beim Weltsozialforum 2009 in Belém in Amazonien mit seinem Fokus auf die globale Biokrise (d.h. der Komplex aus Klimakatastrophe, Verlust von Biodiversität, Erosion fruchtbarer Böden etc.) und anschließend bei der internationalen Klimakonferenz der indigen geprägten bolivianischen Regierung im April 2010.

Zusätzlich zu Climate Justice Now! enstanden im Vorfeld des Kopenhagen-Gipfels das Netzwerk Climate Justice Action, welches sich insbesondere auf aktivistische Szenen im Umfeld der westeuropäischen Klima-Aktionscamps stützt, und ein vor allem skandinavisch geprägter Vorbereitungskreis für einen Alternativgipfel im Dezember 2009. Diese drei progressiven Netzwerke betrachteten das globale Aufmerksamkeitsfenster für das Thema Klimakrise vor und während des Gipfels als Sprungbrett für eine zu schaffende Klimagerechtigkeitsbewegung. Mit 50.000 TeilnehmerInnen des Klimaforums sowie zahlreichen Vernetzungsaktionen und Straßenprotesten im öffentlichen Raum konnte zwar nicht durchschlagend in die globale Öffentlichkeit vorgedrungen werden, dennoch wurden konzeptionelle und Netzwerkarbeit stark vorangetrieben.

Soziale Bewegung auf Strategiesuche

Nachdem Kopenhagen als Kristallisationspunkt genutzt wurde, um ein an Sozialkritik und dem Konzept der Klimagerechtigkeit orientiertes Feld der Klimapolitik zu konstituieren und Bewegungsnetzwerke auszubauen, gesellte sich zur programmatischen die strategische Frage. Zwar kann der neue Klimagerechtigkeitsdiskurs dazu dienen, einzelne (lokale) Auseinandersetzungen in einen politischen Bezugsrahmen zu integrieren. Das Bedürfnis nach einem neuen Ansatzpunkt für international koordinierten Klimaschutz angesichts der nach der Zäsur von Kopenhagen entstandenen Gewissheit, dass es kein gerechtes Abkommen im UN-Rahmen geben wird, kann er nicht erfüllen. Zwar betrachten viele Akteure lokale Auseinandersetzungen als das privilegierte Terrain, um das fossilistische System zu konfrontrieren, aber die meisten gehen dennoch von der Notwendigkeit globaler Regulierungs- und Umverteilungsmechanismen aus, um eine Perspektive zu eröffnen, die Klimakrise abbremsen zu können.

Die Möglichkeit, erste Antworten zu finden ergab sich bei der „Peoples’ World Conference on Climate Change and the Rights of Mother Earth“ vom 19. - 22. April in Cochabamba.[8] Zu dieser hatte der bolivianische Präsident Morales kurz nach den Kopenhagenverhandlungen Regierungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Bewegungen eingeladen. In siebzehn offiziellen Arbeitsgruppen tagten in einem auf internationalem Parkett bisher völlig neuen Format Regierungsbeamte – an erster Stelle aus Bolivien selbst und Venezuela – gemeinsam mit Vertretern von NGOs und sozialen Bewegungen. Im Unterschied zum Weltsozialforum, welches zwar erheblich von Mitteln des brasilianischen Staates abhängt, aber gemäß den Statuten ohne unmittelbare Regierungs- oder sogar Parteienbeteiligung abläuft, bildet die Bewegungsnähe der bolivianischen Regierung die Grundlage für ein neues Modell transnationaler Politik. Die Ergebnisse der Konferenz werden zum einen in den offiziellen UN-Prozess eingespeist, z.B. die Forderung nach einem internationalen Umweltgerichtshof. Des Weiteren wurde ein globales Referendum zur Klimakrise auf den Weg gebracht, dessen Konzeption allerdings an einem idealistischen Kosmopolitismus krankt. Es wird wohl kaum über einige sozialen Bewegungen in Lateinamerika hinaus Bedeutung erlangen. Das Fazit der Konferenz: Das Konzept Klimagerechtigkeit wurde gestärkt und weiterentwickelt. In Bezug auf Politikprozesse blieb – abgesehen von der Forderung nach einem Umweltgerichtshof – die Orientierung auf den laufenden UNFCCC-Prozess aber alternativlos, und damit auch das Dilemma, auf diesem Terrain nur Schadensbegrenzung betreiben zu können, wie es ein Vertreter von Friends of the Earth International formulierte. Die gerade entstehende Klimagerechtigkeitsbewegung hat bisher keine Antwort, wie sich – und mit welchen Akteuren – auf nationaler oder internationaler Ebene Kräfteverhältnisse so verschieben lassen, dass eine sozial gerechte, post-fossilistische Transformation möglich erscheint. Denn selbst in den lateinamerikanischen Ländern, in denen Regierungen eine dezidiert anti-kapitalistische Klimapolitik postulieren, ist der „neue Extraktivismus“[9] und damit eine Neuauflage der auf Bodenschätze gestützten, nachholenden Entwicklung Grundlage der ökonomischen Dynamik. Von Seiten der Bewegung ist daher eine kritische Solidarität mit insbesondere den ALBA-Regierungen auf internationalem Parkett plausibel, ohne dass auf eigenständige Projekte zur Verschiebung der jeweils nationalen Kräfteverhältnisse (auch in den genannten Ländern) verzichtet werden kann. Was bisher in dieser Post-Kopenhagen-Phase fehlt, sind solche sozialen Auseinandersetzungen um die gesellschaftlichen Naturverhältnisse mit einer weithin wahrgenommenen paradigmatischen Ausstrahlung.

[1] Vgl. Passadakis, Alexis/Müller, Tadzio (2009): Kopenhagen: Der Gipfel des Scheiterns, in: Blätter für deutsche u. Internationale Politik, 11/2009, S. 26-28.

[2] Vgl. Third World Network (2010) Copenhagen News Updates and Climate Briefings, December 2009 (www.twnside.org.sg).

[3] Vgl. Brand, Ulrich/Görg, Christoph/Wissen, Markus (2007): Verdichtungen zweiter Ordnung. Die Internationalisierung des Staates aus einer neo-poulantzianischen Perspektive, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 2/2007, S. 217-234.

[4] Wahl, Peter (2001) „Sie küssten und sie schlugen sich“ - Zum Verhältnis von NGO und internationalen Regierungsorganisationen, in: Brand, Ulrich (Hrsg.) u.a., Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates, Münster, S. 121-139.

[5] Climate Action Network (CAN): www.climatenetwork.org

[6] Climate Justice Now!: www.climate-justice-now.org

[7] Via Campesina: http://viacampesina.org/.

[8] Website und Abschlusserklärung der Konferenz siehe: http://pwccc.wordpress.com.

[9] Vgl. Eduardo Gudynas (2010) The New Extractivism of the 21st Century.Ten Urgent Theses about Extractivism in Relation to current South Anmerican Progressivism, http://americas.irc-online.org/pdf/reports/1001theses.pdf.