Berichte

Nachdenken über die Zukunft der Arbeit

13. isw-forum, 15./16. April 2005 in München

Juni 2005

In den Tagen, als Müntefering überraschend wieder Kapitalismuskritik in der SPD möglich machte, veranstaltete das Münchner Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw) einen gut besuchten Kongress zum Thema „Zukunft der Arbeit“. Anliegen der Referate war die Frage, wie es gelingen könne, über das Konzept der „Guten Arbeit“ neue Strategien für den Widerstand von unten in den Büros und Betrieben zu entwickeln. Wie können mehr Selbstbestimmung und Autonomie von Beschäftigten, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gefordert und organisiert werden?

Den Anfang machte der Soziologe Oskar Negt mit einem „Brühwürfel“ seines dickleibigen Buches „Arbeit und menschliche Würde“, kombiniert mit seinem zweiten „Wozu noch Gewerkschaften?“ Nachdem die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit in der Antike eher in ihrem Gegenteil (oder auch: ihrer Frucht), der Muße gelegen und man im Mittelalter zwischen Arbeit und 165 Feiertagen im Jahr abgewechselt habe, hat Arbeit als „Beruf“ (Luther) mit der Entwicklung eines „Leistungsstolzes im Bürgertum“ ein Element von Würde bekommen. Dann allerdings habe der Kapitalismus Erwerbsarbeit dem Kapital gewaltförmig untergeordnet. Arbeitslosigkeit sei ebenso ein Gewaltakt, eine Form der Enteignung, ein Angriff auf die Integrität der Menschen. Vor dem Hintergrund, dass Negt als Kanzlerberater, sogar als Kanzlerfreund gilt, werden die Differenzen seines Vortrags zum derzeit herrschenden Diskurs besonders interessant: Negt fordert ein allgemeinpolitisches Mandat für die Gewerkschaften, ein zweites, außerbetriebliches Organisationsstandbein und ihre Sichtbarkeit im Kulturleben. Der Arbeitsbegriff müsse erweitert werden und auch Gemeinwesenarbeit umfassen, Produktionsmittel müssten dezentralisiert werden. Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, seien in der Lage, „von der lebendigen Arbeit ausgehend, die Gesellschaft neu zu überdenken“? Wie soll die von Negt geforderte Gemeinwesenarbeit jedoch entstehen, wurde in der Diskussion gefragt. Gemeinwesenarbeit setze doch einen aktiven Staat voraus, der im Interesse der Menschen Politik macht – also einen anderen, als den bei uns gegenwärtig vorfindlichen, der wesentlich Instrument des Kapitalismus sei. Diese zentrale Frage ließ Negt leider unbeantwortet. Auf die Forderung der Internationalisierung der Gegenwehr gegen die Ausbeutung durch Globalisierung entgegnete Negt sogar, er sei immer bestrebt, den Gewerkschaftsfunktionär zu überzeugen, dass er nicht für die Welt verantwortlich sei.

„Arbeit unter Druck. Wie Arbeit durch neue Produktions- und Steuerungsmodelle verändert wird“, war Thema des zweiten Vortrags von Dieter Sauer vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (isf), München. Sein leitender Begriff zur Charakterisierung der neueren Entwicklung seit der Umschlagphase der 90er ist die Radikalisierung der Vermarktlichung: Während im fordistischen Modell der Betrieb gegenüber dem Markt abgeschottet, ihm übergeordnet wurde, sei nun der Markt Motor einer permanenten Neuorganisation der Binnenstruktur, er werde zur „Naturbedingung“ der Arbeit. Bei Ford wurde kapazitätsorientiert gesteuert, heute müssen die Beschäftigten selbst nach Kennziffern steuern. Diese Anpassung an die Krise wird als alternativlos ausgegeben; wer eine Rückkehr will, wird als „Betonkopf“ diskreditiert. Sauer fordert dreierlei: schlechter Arbeit Grenzen setzen, sich einmischen und Mitbestimmung ausbauen, Widersprüche zuspitzen und Räume für Reflexion schaffen. Seinen Vortrag schloss er mit einem Plädoyer für eine „eigensinnige“ Arbeitspolitik, d.h. eine Arbeitspolitik, die ihre Ziele aus der Perspektive der Beschäftigten formuliert. In der anschließenden Diskussion wurde gefragt: Wo sind Bruchlinien in heutigen Erfahrungen z.B. der Enteignung durch Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, an die man anschließen könne? Denn man könne ja nicht einfach „einen Schalter umlegen“, und schon verabschieden sich die Gewerkschaften von ihrer überkommenen Haltung des Klassenkompromisses.

Tatjana Fuchs vom einladenden isw ging in ihrem Beitrag auf eine Reihe neuerer Untersuchungen ein, die aufzeigten, dass die Prekarisierung in der Arbeitswelt in den letzten Jahren mit rasender Geschwindigkeit fortgeschritten ist. Es sei kaum noch möglich, von einem „Normalarbeitsverhältnis“ zu sprechen. Besonders eklatant sei der Verfall der Einkommen: bei den befristet Beschäftigten und bei den LeiharbeiterInnen erzielen drei Viertel nur sehr geringe Einkommen. Darüber hinaus haben diese Beschäftigtengruppen sehr häufig schlechte Perspektiven auf beruflichen Aufstieg oder auch nur Anerkennung ihrer Leistung. Diese mangelnden Perspektiven bei hohem Anforderungsniveau führen nicht selten zu psychischen Krankheiten (Gratifikationskrisen), die sich seit den 90er Jahren verdoppelt haben sollen. Die Anforderungen der abhängig Beschäftigten an die Zukunft der Arbeit gliedern sich in drei Gruppen: Einkommens- und Beschäftigungssicherheit steht obenan, aber auch soziale Merkmale wie Kollegialität und soziale Kompetenz der Vorgesetzen sowie sinnhafte Merkmale – man möchte auf sinnvolle, befriedigende Arbeit stolz sein können – rangieren unter den ersten zehn Positionen. Interessant ist die hohe Sensibilität aller Beschäftigten, auch derer ohne eigene Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und unsicherer Erwerbstätigkeit, für sozial bestimmte Begrenzungen und Regelungen: Mehr als zwei Drittel verlangen eine Begrenzung der Einkommensunterschiede, drei Viertel befürworten eine Begrenzung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit. Für gewerkschaftliche Politik zieht Tatjana Fuchs die Folgerungen, die vorhandenen Existenzängste ernst zu nehmen, die Prekarisierung ins Zentrum von Arbeitspolitik zu stellen und angesichts der Auswirkungen der Globalisierung auf alle Lebensbereiche „untere Haltelinien“ zu definieren. „Arbeitspolitik muss bei den Prekarisierten beginnen.“ In der Diskussion wurde auf die besondere Situation von Frauen, insbesondere im Einzelhandel, verwiesen; es wurden nicht nur Unter-, sondern auch Obergrenzen verlangt.

Klaus Pickshaus von der IG Metall stellte als vierter Referent das auf drei Jahre angelegte Projekt „Gute Arbeit“ vor. Es sei auf gleicher Ebene angesiedelt, wie das vielleicht bekanntere „Arbeitnehmerbegehren“ und knüpfe an frühere Kampagnen zur „Humanisierung der Arbeit“ an. Themen des Projekts seien erstens ein gesundes Maß der Arbeit, zweitens altersgerechte und lernförderliche Gestaltung der Arbeit und drittens die Einschränkung prekärer Beschäftigung. Sinn des Projektes sei die „Repolitisierung der Arbeitsbedingungen“; die Qualität der Arbeit solle zu einem gesellschaftspolitischen Thema gemacht werden. „Gute Arbeit“ sei Widerstandskonzept, Interventionschance und Zukunftskonzept. Man habe festgestellt, dass dieser Begriff soziale Phantasie freisetzt – was viel verspricht für die Zeitschrift „Gute Arbeit“ (früher: „Arbeit und Ökologie-Briefe“) und den zum Thema geplanten Kongress im November 2006 (www.igmetall.de/gutearbeit). Die Konzentration auf Arbeitzeit, Arbeitsgesundheit und überhaupt Prozesse – im Unterschied zu Ergebnissen, Produkten – wurde kritisch hinterfragt. Wäre beispielsweise auch Rüstungsproduktion als „Gute Arbeit“ möglich?

Margret Mönig-Raane vom Verdi-Vorstand sah in überbetrieblich geführten „Arbeitszeitkonten“ eine Möglichkeit, das Thema der Umverteilung von Arbeit neuerlich auf die Tagesordnung zu setzen. „Biographieorientierte Lebensarbeitszeitkonten“ seien für Beschäftigte durchaus eine Chance. In der Diskussion problematisierte Tatjana Fuchs die Lebensarbeitszeitkonten; sie sehe z.B. die Gefahr, dass, um Zeit anzusparen, die tägliche Arbeitszeit weit über 8 Stunden steigen müsse, was bei der heutigen Arbeitsverdichtung gesundheitlich problematisch sei. Ein „Arbeitszeitkonto“ suggeriere zudem eine falsche Gleichsetzung von Arbeit mit Geld. Gewerkschaften sollten stattdessen den Kampf um die Beschränkung der täglichen Arbeitszeit fortführen. Verwiesen wurde auf den Kampf bei Druck & Papier gegen die Zurückdrängung der 35-Stunden-Woche, sowie um die Auseinandersetzung im Einzelhandel bei Karstadt und Kaufhof, die einzigen Bereiche, in denen Tariföffnungsklauseln noch nicht durchgesetzt werden konnten. Zur internationalen Vernetzung, die in der Diskussion gefordert wurde, nannte Mönig-Raane das Beispiel des Konzerns Walmart, wo bisher nur in Deutschland Betriebsräte erkämpft wurden.

Für das isw fasste Tatjana Fuchs zusammen: „Zukunft der Arbeit“ sei das zentrale Thema der Gesellschaftspolitik. Oskar Negt habe am ersten Tag den Blick über die Erwerbsarbeit hinaus erweitert, die Referate und Diskussionen des zweiten Tages hätten die Ansprüche der Beschäftigten im Betrieb für menschengerechte Arbeit formuliert. Das isw-forum „Zukunft der Arbeit“ hat Akteure aus unterschiedlichen Hintergründen zusammengeführt, die Kenntnis der verschiedenen Realitäten verbessert und Positionen geklärt. Auf dem Ersten Sozialforum in Deutschland in Erfurt vom 21.-24. Juli 2005 wird die Diskussion zusammen mit dem isw fortgesetzt werden. Zu hoffen ist, dass auch Gewerkschaften dieses Forum intensiv nutzen werden, um außerbetrieblich wahrgenommen zu werden und Anschluss an die anderen sozialen Bewegungen zu finden. Die Dokumentation des 13. isw-Forums wird in der Reihe „isw-report“ erscheinen. Dort ist bereits erhältlich: Tatjana Fuchs, Arbeit und menschliche Würde, isw-report 51 (Juli 2002), 36 Seiten, Schutzgebühr 3,00 Euro. Über www.isw-muenchen.de kann man den newsletter abonnieren, der über Neuerscheinungen informiert.