EU-Osterweiterung

Die Rolle der BRD im Prozess der Osterweiterung der Europäischen Union

Juni 2003

Der Europäische Rat in Kopenhagen hat am 13. Dezember 2002 beschlossen, zehn Beitrittskandidaten, darunter acht mittel- und osteuropäische Länder[1][1] (MOEL), in die Europäische Union zum 1. Mai 2004 aufzunehmen. Der weitere Verlauf sieht – nach der mittlerweile erfolgten Unterzeichnung der Beitrittsakte durch die Staats- und Regierungschefs der EU und der Beitrittsländer in Athen am 16. April 2003 – die Ratifizierung in allen Beitritts- und Mitgliedsländern vor (vgl. Lippert 2003: 60). Damit geht eine lange Phase der Beitrittsverhandlungen zu Ende, in denen die EU – nachdem sie den MOEL 1993 die Beitrittsperspektive eingeräumt hatte – sich nicht auf einen verbindlichen Beitrittstermin festgelegt und den Beitrittskandidaten wiederholt „widersprüchliche Signale“ gegeben hatte (Bohle 2002a: 353).

Die BRD tritt seit Anfang der 90er Jahre aktiv für eine Aufnahme der MOEL in die EU ein. In offiziellen Erklärungen wird das Engagement für eine Osterweiterung zunächst aus der historischen Verantwortung und dem Beitrag der MOEL zur deutsch-deutschen Vereinigung begründet (Regierungserklärung vom 19.01.2001 und 19.12.2002). Bundeskanzler Schröder verweist in diesem Kontext stets auf die „Kontinuität“ in der Außenpolitik (u.a. Schröder 1999). Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration – ein weiteres Voranschreiten der Erweiterung und Marktintegration muss folglich durch einen Fortschritt der politischen Integration ergänzt werden – bilden daher auch für die rot-grüne Bundesregierung keinen Gegensatz (vgl. Koalitionsvereinbarung der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Oktober 2002). Ähnlich wie die konservativ-liberale Regierung betont die rot-grüne Regierung die „deutschen Interessen“ im Erweiterungsprozess (vgl. Lippert 2001: 380). Besonders Bundeskanzler Schröder rückt deutlich die Interessen der BRD im ökonomischen und sicherheitspolitischen Bereich in den Vordergrund, die in engem Zusammenhang mit der längsten Außengrenze – damit auch den größten gemeinsamen Grenzregionen – mit den Beitrittsländern stehen: „Die Beitrittsländer zählen damit zu den dynamischsten Wachstumsregionen in der Welt. Das ist nicht zuletzt eine Chance für unsere Wirtschaft; denn wir sind auf diesen Märkten, was sowohl die direkten Investitionen als auch den Handel angeht, fast überall die Nummer eins.“ (Regierungserklärung vom 19.12.2002)

Innerhalb der EU stehen – trotz Festlegung des Beitrittstermins – noch wichtige und sichtlich umstrittene Reformen in institutioneller und finanzieller Hinsicht bis zum Beitritt der acht MOEL an. In der Agrar- und Strukturpolitik sind die finanzielle Weichen zwar infolge der Agenda 2000 und des Kopenhagener Gipfels gestellt, jedoch muss in der Strukturpolitik die entscheidende Frage der (finanziellen) Neugestaltung noch verhandelt werden.

Die Rolle der BRD im Prozess der Osterweiterung der EU lässt sich anhand dieser zentralen Themen und Interessen skizzieren, wobei zunächst auf die wirtschaftliche Verflechtung der BRD mit den MOEL und daran anschließend auf die politischen Interessen der BRD im Prozess der Osterweiterung der EU einzugehen ist. Zugleich stellt sich auch die Frage nach einer möglichen Hegemonie der BRD innerhalb der EU. Hegemonie wird hierbei verstanden als „die Fähigkeit eines handelnden Subjekts, über Machtmittel und Konsenstaktik, mit Mitteln der ideologisch-kulturellen Vorherrschaft die Machtverhältnisse und Strukturen innerhalb eines (internationalen Raumes), wie die EG, bzw. deren weitere Entwicklung für sich abzusichern und gleichzeitig dafür die Zustimmung einer Reihe der in diesem Raum mitwirkenden Kräfte zu erreichen.“ (Kotzias 1993: 111) Die gegenwärtige Situation der EU zeichnet sich jedoch durch einen offenen Prozess – erinnert sei hierbei insbesondere an die tiefgreifende Krise der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Beratungen um die zukünftige Verfassung der EU – aus. Eine abschließende Bewertung der Frage von Hegemonie[2][2] der BRD innerhalb der EU ist – so die These – gegenwärtig nicht möglich.

1. Die gegenwärtige Situation: Krise der GASP, Ende des „Dritten Weges“ und Verfassungsdiskussion

In Maastricht wurde als „zweite Säule“ der neu geschaffenen EU die GASP eingeführt, die seitdem intergouvernemental angelegt ist. In Kontinuität zur konservativ-liberalen Regierung setzt sich auch die rot-grüne Bundesregierung seit Beginn ihrer ersten Amtsperiode entschieden für die weitere Vergemeinschaftung der GASP ein. Damit geht ein Verständnis von deutscher Außenpolitik als „weitestgehend eingebunden in die Außenpolitik der EU“ einher (Müller-Brandeck-Bocquet 2002: 191). Gegenwärtig befindet sich die GASP in einer tiefen Krise, manche sprechen bereits von einer erfolgten „Todesanzeige“ (Die ZEIT vom 06.02.2003). So kam es im Vorfeld des Irak-Krieges nicht nur zu Spannungen zwischen der Regierung der USA und den Regierungen Frankreichs, Belgiens und der BRD, sondern – entscheidend für die eingangs genannte Fragestellung – auch zu tiefgreifenden Differenzen innerhalb der Mitgliedstaaten der EU und den acht mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten. Ausdruck hiervon ist die explizite Solidarisierung von fünf Regierungen der jetzigen Mitgliedstaaten der EU und drei der Beitrittskandidaten, die bereits NATO-Mitglied sind, im „Brief der acht“[3][3] vom 29. Januar diesen Jahres mit der Irak-Politik der USA. Staatspräsident Chirac, der ebenso wie die Regierung der BRD nicht von diesem Schritt unterrichtet war, kritisierte die Haltung der EU-Beitrittskandidaten ungewohnt scharf.[4][4] Die gemeinsame Position der fünf Mitgliedstaaten stellt nicht nur eine Reaktion auf das gemeinsame Vorgehen von Frankreich und der BRD in der Frage des Irak-Krieges dar (vgl. FR v. 30.1.03), sondern verstößt zugleich zumindest gegen den „Geist von Nizza“ hinsichtlich der Frage der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik[5][5] (FR v. 1.2.03). Diese wird damit in ihrer Entwicklung zunächst einmal zurückgeworfen. Doch gerade eine Stärkung der GASP würde einen wesentlichen Schritt zur politischen Integration und damit zur Vertiefung der EU darstellen. Bei der Bewertung der (zukünftigen) Rolle der BRD innerhalb der EU muss folglich auf diese Entwicklung – auch in Hinblick auf das formulierte Ziel einer weiteren Vergemeinschaftung – ein Schwerpunkt gelegt werden. Die Krise in der GASP konnte bisher – trotz gemeinsamer Erklärung beim Brüsseler Gipfel – nicht überwunden werden. Die Differenzen mit den Beitrittsländern haben zugleich verdeutlicht, dass in der EU-25 die Position der USA in Europa gestärkt wird. Hans Arnold schließt nicht aus, dass Polen zur GASP und ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) eine ähnliche Distanz wie Großbritannien einnehmen könnte (Arnold 2003: 66). Damit bleibt abzuwarten, inwieweit die von der BRD verfolgte Politik einer Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration angesichts der gegenwärtigen Krise und in einer erweiterten Union zukünftig gelingen kann.

Eine weitere tiefgreifende Veränderung ist das Scheitern des „Dritten Weges“ der neuen Sozialdemokratie auf europäischer Ebene (Dräger 2002: 8). Die VertreterInnen des „Dritten Weges“ stimmten zwar mit der grundlegenden neoliberalen Orientierung der Wirtschaftspolitik überein, versuchten diese jedoch mittels eines alternativen Weges, in dem „qualitative Wettbewerbskomponenten“ eine größere Rolle spielten, zu modifizieren (Bieling 2000: 23). In der Zeit der sozialdemokratisch geführten Mitte-Links-Regierungen von 1996 bis Mitte 2002 bekam insbesondere die Beschäftigungspolitik auch auf supranationaler Ebene einen neuen Stellenwert (Dräger 2002: 5). Mittels des „Dritten Weges“ sollte eine „gerechte Balance zwischen Globalisierung und sozialer Gerechtigkeit“ erzielt werden (Dräger 2002: 5). Im Laufe des Jahres 2002 kam es jedoch zu einem deutlichen Rechtsruck bei den nationalen Wahlen, so dass mittlerweile 9 Mitgliedstaaten von Rechtsparteien regiert werden. Auf europäischer Ebene wirkt sich diese Veränderung bereits im Rat der EU aus und wird 2004 bei der Neubesetzung der Kommission ihren Niederschlag finden. Während die neue Mehrheit „noch über kein politisches Projekt für die Europäische Union“ verfügt, wird die „verbleibende Mitte-Links-Minderheit – Großbritannien, Deutschland, Schweden, Griechenland, evtl. Belgien und Finnland – [...] in ihren außen- wie sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen heterogener [...]. Ein gewisser Minimalkonsens zwischen ‚Rechts’ und ‚Mitte-Links’ in der EU zeichnet sich ab: Ausbau von Elementen repressiver europäischer Staatlichkeit (Militärunion, Polizeiunion, Zuwanderungsbegrenzung) und fortgesetzte Marktliberalisierung in einer erweiterten Europäischen Union.“ (Dräger 2002: 12) Letzteres beinhaltet, dass die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs, der sich am Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht zu orientieren hat, weiterhin in die Bereiche der staatlichen Daseinsvorsorge und Sozialordnung „ohne rechtliche Stopp-Regelung“ europäischer Sozialgesetzgebung eingreifen wird (Scharpf 2003: 55). Für die Herstellung einer sozialen Kohäsion innerhalb einer erweiterten Union ist jedoch der Ausbau der Sozialpolitik sowie eine umfassende Finanzierung durch die Agrar- und Strukturpolitik dringend geboten. Es wird damit fraglich, ob die von der rot-grünen Bundesregierung verfolgte Parallelität von Erweiterung und Vertiefung eingehalten werden kann. Ein „europäisches Sozialmodell“ scheint nämlich angesichts der „realen Politik der Mitte-Links-Bündnisse“, die „tiefe Enttäuschung und Ernüchterung hinterlassen“ hat (Dräger 2002: 13), und der mittlerweile verstärkt erhobenen Forderung nach einer Renationalisierung von Zuständigkeiten in noch weitere Ferne gerückt zu sein.

Bundeskanzler Schröder forderte bereits in dem von ihm in seiner Funktion als Parteivorsitzender im April 2001 vorgelegten und im November auf dem SPD-Parteitag nahezu unverändert beschlossenen Leitantrag „Verantwortung für Europa – Deutschland in Europa“ eine klare, „dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten“, um „einen schleichenden Kompetenztransfer auf die europäische Ebene“ zu verhindern. Eine Renationalisierung kommt für Schröder „besonders für die Kompetenzen der EU in den Bereichen Agrar- und Strukturpolitik“ in Betracht. Trotz heftiger Kritik – vor allem aus Frankreich – hat die Position Schröders Eingang in die Erklärung von Laeken gefunden: Für eine „bessere Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten“ der EU in einer erweiterten Union könnte es auch notwendig sein, „dass bestimmte Aufgaben wieder an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden“ (Europäischer Rat, Laeken: Schlussfolgerungen des Vorsitzes vom 14./15. 12. 01). Gegenwärtig zeichnet sich infolge des bisherigen Verlaufs der Arbeiten des Verfassungskonvents und der verschiedenen Verfassungsentwürfe jedoch ein Konsens zur prinzipiellen Beibehaltung der bisherigen Kompetenzordnung ab (Göler 2003: 21). Damit wird nach dem gegenwärtigen Stand die Bundesregierung ihre entschiedene Forderung nach einer teilweisen Renationalisierung von Zuständigkeiten vermutlich nicht durchsetzen können.

Die Einsetzung des Verfassungskonvents[6][6] durch den Europäischen Rat in Laeken im Dezember 2001 wird von der BRD begrüßt. Bereits während der Regierungskonferenz von Nizza entstand auf Basis einer französischen und deutschen Initiative eine neue Debatte über die Finalität der europäischen Integration – den Beginn markierte die Rede des deutschen Außenministers Fischer am 12. Mai 2000 (Ruge 2003: 314). Neben der bereits erwähnten Diskussion um die Kompetenzabgrenzung ist die institutionelle Reform der EU vor dem Hintergrund der anstehenden Erweiterung von hoher Bedeutung. Im Vordergrund steht zunächst die zukünftige Funktionsteilung zwischen Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament (Scharpf 2003: 49). Während der französische Staatspräsident Chirac den Europäischen Rat stärken will, wird von deutscher Seite die Stärkung der Kommission favorisiert. In diesem Kontext ist die Forderung des deutschen Regierungsvertreters im Konvent nach einer Wahl des Präsidenten der Kommission durch das Europäische Parlament zu sehen, die der Forderung nach der Wahl eines europäischen Präsidenten durch den Europäischen Rat entgegensteht (Marhold 2002: 261). Bis zur endgültigen Entscheidung wird über einen Kompromiss äußerst kontrovers diskutiert werden, schließlich geht es darum, „ob die Regierungsfunktion in Zukunft primär vom Europäischen Rat oder von der Kommission wahrgenommen wird und die Union damit eher eine intergouvernementale oder supranationale Ausrichtung erhält.“ (Göler 2003: 24). Die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im Rat wird in allen Verfassungsentwürfen gefordert, umstritten ist die konkrete Ausgestaltung (Göler 2003: 23).

Die derzeitige grundlegende Diskussion um die zukünftige Verfassung unterstreicht die These eines offenen Prozesses innerhalb der EU. Infolge des EU-Gipfels in Nizza – der sich fast ausschließlich auf die institutionellen und verfahrensmäßigen Grundlagen konzentrierte und durch dessen Ergebnis Bundeskanzler Schröder die EU ab 2003 als „erweiterungsfähig“ einstufte (Regierungserklärung vom 19.1.01) – sprach Matthias Küntzel bereits vom Übergang der BRD zu einer „direkten Hegemonialpolitik“ (Küntzel 2001). Im Zuge der anstehenden Erweiterung sollten zur Sicherung der Handlungsfähigkeit die Vertretung der Mitgliedstaaten in der Kommission, die Stimmverteilung im Ministerrat, die Sitzverteilung im Europäischen Parlament und die Ausweitung der Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat reformiert werden. Heftig umstritten war die Forderung der Bundesregierung, bei der Neuverteilung der Stimmen im Ministerrat die höchste Anzahl zu erhalten und damit mit dem Prinzip der Gleichheit der Stimmen zwischen Frankreich und der BRD zu brechen, die als eine der „Grundlagen der europäischen Integration“ gilt (Müller-Brandeck-Bocquet 2002: 180). Zwar wurde im Ergebnis die Stimmengleichheit gewahrt, jedoch die doppelte Mehrheit, die die Stimmparität faktisch außer Kraft setzt, eingeführt. Eine qualifizierte Mehrheit ist danach gegeben, wenn die zustimmenden Staaten 62 Prozent der EU-EinwohnerInnen repräsentieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass für die BRD – die alleine bereits 22 Prozent der EU-EinwohnerInnen stellt – ab 2005 ein Veto bereits zusammen mit zwei anderen großen Staaten möglich ist, um die geforderten 38 Prozent zu erzielen (Küntzel 2001: 26). Im Europäischen Parlament gelang es der BRD, die Anzahl von 99 Sitzen beizubehalten, während die Zahl der Abgeordneten von Frankreich und Großbritannien deutlich reduziert wurde (Lippert 2003: 59). Eine Bewertung der Ergebnisse von Nizza muss allerdings auch Gewicht auf die erzielten Resultate bei der Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat legen, die nur in nachgeordneten Politikfeldern erfolgte. Besonders in diesem Bereich verhinderten die vielfältigen Interessen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten in verschiedenen Politikfeldern die Abkehr vom Konsensprinzip. Während Frankreich einen Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in der Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik und Visumspolitik verhinderte, lehnte Großbritannien in der Steuer- und Sozialpolitik eine Abkehr vom Konsensprinzip grundsätzlich ab (Maurer: 2001: 137). Eine umfassende Gestaltung im Sinne eines EU-Mitgliedstaates ist folglich nicht möglich.

2. Die Rolle der BRD gegenüber den MOEL – die ökonomischen Interessen

Der Wandel in MOE ist vor dem Hintergrund der doppelten, politischen und ökonomischen Transformation zu sehen (vgl. Holman 2002: 412). Der Anfang der 90er Jahre eingeschlagene Transformationsweg in Form der „Schocktherapie“, in dem Stabilisierungs-, Privatisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen an erster Stelle standen, wurde erheblich beeinflusst von den internationalen Finanzorganisationen (wie dem IWF infolge der hohen Verschuldung[7][7]) sowie internationalen Beratern[8][8] (Bohle 2002b: 117ff). Die von ihnen eingeräumten Kredite spielten bei der Umsetzung des neoliberalen „Reform“-Projektes eine entscheidende Rolle; wesentlich geringer von der Mittelausstattung, aber von gleicher Zielrichtung, waren die von der EU im Phare-Programm gebündelten finanziellen Beihilfen (Bohle 2000: 311). Bohle weist darauf hin, dass unter anderem der Aufbau von Privatisierungsagenturen und einige ausländische Direktinvestitionen (ADI) – z.B. Fiat in Polen – in dieser Region hiermit unterstützt wurden (ebd.).

Mit Abschluss der bilateralen Europaabkommen[9][9] festigte die EU gegenüber den MOEL ihre ökonomische Machtposition (Bohle 2002b: 128; Steinitz 2001: 71). 1993 wurde in Kopenhagen allen mit der EU über die Europaabkommen verbunden MOEL die Beitrittsperspektive eröffnet. Der Beitritt wurde an die Erfüllung der „Kopenhagener Kriterien“ gekoppelt. Die Europaabkommen dienten hierbei mehr und mehr als Instrumente zur Vorbereitung des Beitritts. Mittels der „Heranführungsstrategie“ – eingeführt auf dem Essener Gipfel 1994 – sollten die MOEL wesentliche Elemente des „acquis communautaire“ übernehmen (Bohle 2000: 313). Im Zentrum standen hierbei bestimmte Liberalisierungs- und Deregulierungsnormen des europäischen Binnenmarktes (vgl. Bohle 2000: 314). Das Vorgehen der EU gegenüber den MOEL ist bilateral ausgerichtet, was zu einem Wettlauf der Kandidaten um die Mitgliedschaft gegeneinander führte und ihre Verhandlungsposition entschieden schwächte (vgl. Jacoby 2002: 292). Verstärkt wird dies seit 1997 infolge der ersten Beitrittsverhandlungen durch die „intensivierte Heranführungsstrategie“, in deren Zentrum die Beitrittspartnerschaften und regelmäßige Durchleuchtungsverfahren stehen (Bohle 2000: 315; Gowan 1998: 439). Bohle kommt zu der Einschätzung, dass spätestens mit den Beitrittspartnerschaften die EU „zum externen Motor der Reformen in der Region“ avanciert sei (Bohle 2002a: 362).

Der anstehende Beitritt zur EU führt „zu einer tendenziell gesteuerten, kontrollierten Einbindung“ in die gesamteuropäische Arbeitsteilung (Neunhöffer/Schüttpelz 2002: 378), die Ergebnis „einer grundlegenden Reorganisation des westlichen Produktionsmodells“ ist (Kurz/Wittke 1998). Im Vordergrund steht hierbei das Ziel der „Wettbewerbsfähigkeit“ der EU, insbesondere die der europäischen Industrie (Bohle 2000: 308); die einheitlichen makro-ökonomischen Bedingungen hierfür wurden über das Binnenmarktprojekt und den Prozess der Währungsunion hergestellt (Candeias 1999: 68). Erheblichen Einfluss auf die neoliberale Restrukturierung hatte der European Round Table of Industrialists (ERT), der „die Interessen und die Macht der am stärksten transnationalisierten Segmente des europäischen Kapitals vermittelt“ (van Apeldoorn 2000: 189).

Der Außenhandel hat in den MOEL eine hohe Bedeutung, die Exportanteile liegen in der Mehrzahl der MOEL zum Teil deutlich über 50 % des BIP. Eine Ausnahme stellt Polen mit vergleichsweise nur 30 % dar (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Dezember 2002: 55). Die Handelsbilanz aller MOEL ist jedoch seit Inkrafttreten der Europaabkommen negativ (Bohle 2000: 312).

Bereits mit Zusammenbruch des RGW löste die EU, hierbei insbesondere die BRD, die Sowjetunion[10][10] als wichtigste Handelspartnerin ab (Bohle 2002b: 128). 2001 betrug der Anteil der Exporte aller zehn MOEL in die EU im Durchschnitt 67 Prozent, davon gingen allein durchschnittlich 31 Prozent in die BRD (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Dezember 2002: 55). Die BRD ist unter den gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten für die meisten MOEL die wichtigste Handelspartnerin, so gingen 69 Prozent aller Exporte Polens in EU-Mitgliedstaaten, darunter 34 Prozent in die BRD, bei der Tschechischen Republik betrug der Anteil an den Gesamtausfuhren in die EU 68 Prozent darunter ein Anteil der BRD von 39 Prozent und schließlich gingen von 74 Prozent der Exporte Ungarns in die EU 36 Prozent davon in die BRD (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Dezember 2002: 56). Die BRD selbst ist wichtiges Lieferland für Polen, die Tschechische Republik und Ungarn, 75,7 Prozent aller Exporte der BRD in die zehn MOEL gingen 2001 in jene drei Länder[11][11] (errechnet nach Statistisches Bundesamt). Insgesamt weist die BRD im Jahr 2001 gegenüber den zehn MOEL eine leicht positive Handelsbilanz auf (Statistisches Bundesamt). Größte Handelspartnerin für die BRD in MOE war 2001 erstmalig die Tschechische Republik, die damit Polen ablöste.

Ein Blick auf die Güterstruktur verdeutlicht, dass die Exporte der MOEL in die EU keineswegs durch einen hohen Anteil rohstoff- und materialintensiver Güter sowie Agrarerzeugnisse geprägt sind, vielmehr kommt dem intra-industriellen Handel ein entscheidender Stellenwert zu (Kurz/Wittke 1998: 46). Die damit einhergehende zunehmende Einbindung MOEs in die internationale Arbeitsteilung gibt jedoch noch keinen Aufschluss über die Rolle innerhalb der Arbeitsteilung. Hinter dem intra-industriellen Handel verbirgt sich der Handel mit ausgesprochen unterschiedlichen Produktgruppen, wobei der Handel mit arbeitsintensiven industriellen Produkten – insbesondere Textilien und Bekleidung sowie Möbel – in den 90er Jahren überwiegt (ebd.). Die aufgezeigten hohen Exportanteile der MOEL in die EU in diesem Bereich gehen mit dem Aufbau internationaler Produktionsbeziehungen mittels der passiven Lohnveredlung[12][12] (PLV) einher (Lahmann/Konarzewska 2000: 163). Unterstützt wird dies durch die mittlerweile geltende völlige Zollfreiheit des Lohnveredlungsverkehrs zwischen den gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten und den MOEL (vgl. Hübner 1998: 289). Die BRD als wichtigste Handelspartnerin für die meisten MOEL nutzt den Lohnveredlungsverkehr am intensivsten (Hübner 1998: 286). Für alle MOEL ist sie Hauptabnehmerin der Bekleidungsexporte (Bair/Gereffi 2000: 213).

Zudem ist eine Zunahme der Exporte von Maschinen und Ausrüstungen, ein Teil hiervon geht ebenfalls auf PLV zurück, von Fahrzeugen und elektrotechnische Erzeugnisse in die EU zu verzeichnen (Kurz/Wittke 1998). Die zunehmende Bedeutung der Automobilindustrie geht insbesondere auf deutsche Direktinvestitionen in MOE zurück (Lahmann/Konarzewska 2000: 162). Allerdings erfährt die dortige Zulieferindustrie keinen Bedeutungszuwachs; zumeist werden bei Beteiligung westlicher Unternehmen an bestehenden Unternehmen die traditionellen Zulieferbeziehungen sogar durchbrochen (Kurz/Wittke 1998). Zudem zeigt sich, dass hiermit kein Austausch qualitativ gleichwertiger Produkten einhergeht. Von Bedeutung ist vielmehr der vertikale intra-industrielle Handel. Hubert Gabrisch weist für den Zeitraum von 1993 bis 2000 nach, dass die Zunahme des intra-industriellen Handels fast ausschließlich auf die Zunahme des vertikalen Handels zurückzuführen ist (Gabrisch 2002: 511). Die Qualitätsvorteile liegen nach seinen Untersuchungen mehrheitlich auf Seiten der EU-Firmen, womit auf eine Divergenz der Spezialisierungsmuster geschlossen werden kann (Gabrisch 2002: 512).

Wichtig ist ein Blick auf die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in MOE. Zwar machten ADI im internationalen Vergleich bis 1997 in MOE stets weniger als 5 Prozent der weltweit getätigten ADI aus (Bohle 2002b: 170), doch ist eine fast kontinuierliche Zunahme zu verzeichnen. Zwischen 1993 und 1996 hatte sich der Bestand der ADI nahezu vervierfacht (Kurz/Wittke 1998). Seit 1998 haben die MOEL stark steigende Netto-Zuflüsse an ADI zu verzeichnen. Bevorzugte Regionen sind hierbei Ungarn, die Tschechische Republik und seit 1996 Polen; bezogen auf die kleine Bevölkerung spielt Estland ebenfalls eine große Rolle (Meißner 1999: 18). Die meisten ADI stammen aus der EU, insbesondere aus der BRD. In Ungarn und der Tschechischen Republik waren deutsche Unternehmen zwischen 1990 und 1996 mit knapp 30 Prozent die wichtigsten Investoren (Kurz/Wittke 1998), 1998 lösten sie die US-amerikanischen Unternehmen als größte Investoren in Polen ab (Bohle 2002b: 171).

Ein hoher Anteil aller ADI in MOE fließt in die Bereiche verarbeitendes Gewerbe (Chemische Industrie, Maschinenbau, Elektrotechnik und Kraftfahrzeugbau), Handel/Instandhaltung/Reparatur, Kreditinstitute und Versicherungsgewerbe (Dey 2003: 100). Zwischen 1992 und 2000 entfielen von den deutschen Direktinvestitionen auf Polen, Ungarn und die Tschechische Republik im Durchschnitt 81,9 Prozent auf die genannten vier Bereiche; 51,2 Prozent flossen im Durchschnitt in das verarbeitende Gewerbe (Dey 2003: 101). Die deutschen Direktinvestitionen sind sowohl vom Motiv des Marktzugangs, vor allem im Dienstleistungsbereich[13][13], als auch von Kosteneinsparungen geleitet, wobei die Hälfte aller deutschen Direktinvestitionen in Polen, Ungarn und die Tschechische Republik das Motiv der Kosteneinsparungen verfolgten (ebd.).

Insgesamt zeigt sich eine starke wirtschaftliche Verflechtung der bundesrepublikanischen Wirtschaft mit den MOEL, insbesondere mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik. Die Strategien westlicher– damit auch deutscher – Unternehmen im industriellen Bereich gegenüber den MOEL sind zum einen durch das Motiv der Niedriglöhne, zum anderen durch die „komplementäre Spezialisierung“ geprägt (vgl. Kurz/Wittke 1998). Beide stehen im Kontext der eingangs genannten „Reorganisation des westlichen Produktionsmodells“ (Bohle 2002b: 173). Seit Anfang der 90er Jahre wird besonders von bundesdeutschen Unternehmen mit dem Ziel der Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit“ das Instrument der PLV genutzt (Hübner 1998: 286). Zudem geht die hohe Bedeutung des intra-industriellen Handels nicht mit einem Austausch qualitativ gleichwertiger Produkte einher (vgl. Weise 2001: 563). Die Verteilung deutscher Direktinvestitionen auf die Länder MOEs ist, geographisch betrachtet, sehr unterschiedlich. Hübner weist nach, dass dies der generellen Verteilung in MOE entspricht (Hübner 1998: 281). Für die MOEL bedeutet diese Entwicklung, dass die Einbindung in die gesamteuropäische Arbeitsteilung selektiv erfolgt und folglich nur bestimmte Industriezweige, Marktsegmente und Regionen einbezogen werden (Bohle 2002a: 367; Neunhöffer/Schüttpelz 2002: 385). Die Zunahme räumlicher Ungleichheiten – und die damit verbundene Peripherisierung neuer Regionen – ist jedoch „funktionaler Bestandteil einer neoliberalen Strategie zur Differenzierung der Angebotsbedingungen.“ (Candeias 1999: 69).

3. Die politischen Interessen der BRD im Rahmen der Osterweiterung der EU

Die politische Rolle der BRD im Rahmen der Osterweiterung soll anhand der von der Bundesregierung formulierten Interessen skizziert werden. Zentral sind hierbei die Forderungen nach den Übergangsfristen für ArbeitnehmerInnen, nach Übernahme des Schengener Abkommens sowie die Frage der Finanzierung.

Übergangsfristen für ArbeitnehmerInnen

Europäische Kommission und Rat haben sich Mitte 2001 auf die so genannte „Flexibilitätslösung“ für Übergangsfristen bei der „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ verständigt (Dräger 2001: 2). Hatte Bundeskanzler Schröder anlässlich eines Regierungsbesuches in Warschau 1998 noch eine Übergangsfrist von 15 Jahren gefordert (Dräger 2001: 1), so nimmt die jetzige Einigung wesentliche Vorschläge von Schröders späterer Forderung nach einer flexiblen Übergangslösung für maximal sieben Jahre vom Dezember 2000 auf. Die Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen wird hiernach zunächst für zwei Jahre ausgesetzt. Diese Frist kann auf Antrag eines Mitgliedstaats für dessen Gebiet anschließend automatisch um drei weitere Jahre und zusätzlich noch einmal um zwei Jahre verlängert werden (Brücker/Weise 2001: 474). Die besondere „Flexibilität“ liegt darin, dass jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden kann, wie lange er die Übergangsfristen aufrecht erhalten will. Die BRD und Österreich können so die von ihnen geforderte Übergangsfrist von sieben Jahren verhängen, während andere Länder die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die neuen EU-Mitgliedstaaten bilateral sofort gewähren können.

Nur der BRD und Österreich wurden auch die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit im gleichen Rahmen wie der Arbeitnehmerfreizügigkeit gestattet. Hierbei kann während dieser Fristen auf Antrag die Entsendung von Arbeitskräften in bestimmten Branchen ausgesetzt werden. Die BRD hat bereits Übergangsfristen für die Entsendung von Lohnarbeitskräften in den Branchen Bauwirtschaft, Innenausstattung und industrielle Reinigung beantragt (Brücker/Weise 2001: 474). Es zeigt sich, dass „Bundeskanzler Schröder und die schwarz-blaue Koalition in Wien [...] so ihre ursprünglichen Ziele zunächst als EU-Position durchgesetzt“ haben (Dräger 2001: 2).

Übernahme des Schengener Abkommens

Ein deutlich formuliertes Ziel der BRD im Erweiterungsprozess ist die Sicherung der zukünftigen Außengrenzen der EU, so zuletzt Schröder in der Regierungserklärung vom 14.03.2003: „Dabei ist klar, dass die Grenzkontrollen gegenüber den neuen Mitgliedstaaten erst dann abgebaut werden können, wenn diese Länder in der Sicherung ihrer Außengrenzen das realisiert haben, was man den Schengen-Standard nennt.“ Besonderes Augenmerk der BRD gilt hierbei der 1200 km langen Grenze Polens zu Weißrussland, der Ukraine und Kaliningrad (vgl. Arnold 2003: 65). Zur Sicherung dieses Ziels, das der zukünftigen Sicherung der Festung Europa dient, wurde in Kopenhagen beschlossen, für einen Zeitraum von drei Jahren den MOEL 286 Millionen Euro jährlich zur Verfügung zu stellen (Lippert 2003: 52).

Bereits in den Beitrittsverhandlungen zuvor hatte die EU gegenüber den damaligen Beitrittskandidaten der ersten Runde die Forderung erhoben, das Schengener Abkommen anzuerkennen, bevor es überhaupt Teil des acquis communautaire war (Bohle 2002b: 198; Gowan 1998: 438). Die Übernahme des Schengener Abkommens widerspricht den Interessen der MOEL an einer eher durchlässigeren Grenze zur vertieften wirtschaftlichen Integration mit ihren östlichen Nachbarstaaten (vgl. Dräger 2001: 21; Gowan 1998: 438).

Die Frage der Finanzierung

Die größten Ausgabenbereiche im EU-Haushalt sind die der Agrar- und Strukturpolitik. Beide Politikbereiche machten im Jahresdurchschnitt 1995 bis 2001 88 Prozent der EU-Ausgaben aus (Axt 2003: 3). In diesen beiden Bereichen stehen bei einer Erweiterung die größten Ausgaben an. In den MOEL hat der landwirtschaftliche Sektor ein starkes Gewicht, 22 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeiteten im Jahr 2000 in der Landwirtschaft, in der EU-15 waren es nur 4,5 Prozent (Axt 2003: 4). Das regionale BIP pro Kopf nach Kaufkraftparitäten liegt in fast allen Regionen MOEs deutlich unter dem Durchschnitt der gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten (Weise 2001: 562).

Bundeskanzler Schröder hat vor dem Hintergrund der Einhaltung der Maastrichter Kriterien[14][14] stets mit „bisher unbekannter Hartnäckigkeit“ (Müller-Brandeck-Bocquet 2002: 215) einen „strikten Sparkurs“ gefordert (FR vom 27.01.2003). Im Zentrum des Kopenhagener Gipfels stand die Verabschiedung des Finanzpakets für die Erweiterung. Die Staats- und Regierungschefs hielten sich an die Ausgabenobergrenze der Agenda 2000, die während der deutschen Ratspräsidentschaft im März 1999 beschlossen worden war und lediglich die Finanzierung für die Aufnahme von sechs Beitrittskandidaten im Jahr 2002 vorsah[15][15] (Lippert 2003: 48). Schröder bewertete dies als „vernünftiges Ergebnis“ und unterstrich, dass die für die zehn Beitrittsländer von 2004 bis 2006 zur Verfügung gestellten 40,9 Milliarden Euro noch mit 1,7 Milliarden Euro unter dem zuvor verabschiedeten Finanzrahmen bleiben (Regierungserklärung vom 19.12.2002). Bei diesem Betrag sind jedoch auch Sonderzahlungen, beispielsweise die erwähnten finanziellen Mittel zur Sicherung des „Schengen-Standards“, die im Interesse der gegenwärtigen Mitgliedstaaten liegen, mitberücksichtigt (vgl. Axt 2003: 6).

Der Europäische Rat in Brüssel konnte die Festlegungen in der Agrarpolitik erst auf Basis eines deutsch-französischen Kompromisses beschließen. Der schrittweisen Einführung von Direktzahlungen in den Beitrittsländern bis 2013 steht die Festlegung der Obergrenze in der Agrarpolitik ebenfalls bis 2013 gegenüber, wonach die jährlichen Ausgaben höchstens den für 2006 festgelegten Betrag erzielen sollen (Axt 2003: 5; Lippert 2003: 49). Schröder hatte zuvor die Forderung, die sukzessive Einführung von Direktzahlungen für die Beitrittsländer durch eine entsprechende jährliche Rückführung der Direktzahlungen in den gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten zu finanzieren, gegenüber dem am status-quo interessierten französischen Staatspräsidenten nicht durchsetzen können. Damit ist die BRD mit der Zielsetzung einer Reform der Agrarpolitik vor der Erweiterung, wie auch die Niederlande, Großbritannien und Schweden, gescheitert (Lippert 2003: 53).

In der Strukturpolitik werden den neuen EU-Mitgliedern von 2004 bis 2006 21.847 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zur Finanzierung der Aufstockung der Direktzahlungen in der Agrarpolitik sind die vom Europäischen Rat im Oktober 2002 veranschlagten Mittel von 23.000 Millionen Euro noch gekürzt worden (Axt 2003: 5). Die neuen Mitgliedstaaten erhalten zudem nicht die ihnen rechnerisch zustehenden Strukturfondsmittel, da diese nicht mehr als 4 Prozent ihres BIP betragen dürfen (Eltges 2003: 11). Die Transfers aus der EU müssen zudem von ihnen aus nationalen Mitteln kofinanziert werden und es sind spezifische Vergabekriterien und Auflagen der EU in Bezug auf konkrete Förderprojekte zu berücksichtigen (Lippert 2003: 52).

Entgegen der Agrarpolitik wurden in der Strukturpolitik für die Zeit nach 2006 noch keine Festlegungen getroffen. Jüngste Vorschläge der EU-Kommission, die bisherige Grenze von 0,45 Prozent des addierten BIP in einer Förderperiode – derzeit werden sogar nur 0,32 Prozent ausgeschöpft – beizubehalten, wurden von Schröder deutlich zurückgewiesen (FR v. 27.1.03). Die zukünftige Ausgestaltung der EU-Strukturfonds ist bereits voll in Gang, seit einiger Zeit werden dabei Szenarien zur Weiterentwicklung der Strukturfonds erstellt (vgl. Weise u.a. 2001). Bisher scheint sich abzuzeichnen, dass das am BIP pro Einwohner des jeweiligen Mitgliedstaats ausgerichtete „Nettofondsmodell“ vermutlich keine Zustimmung erhalten wird (Eltges 2003: 12). Auch aus Sicht der rot-grünen Koalition sollen die Struktur- und Kohäsionsmittel auf „wirklich bedürftige Regionen“ konzentriert werden; „insbesondere im Hinblick auf die neuen Länder muss dabei gelten, dass vergleichbare Regionen in der gegenwärtigen Europäischen Union gleich behandelt werden.“ (Koalitionsvereinbarung der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Oktober 2002) Die Bundesregierung hat sich in ihren Eckpunkten Ende vergangenen Jahres für das „Konzentrationsmodell“ ausgesprochen, wonach die EU-Strukturmittel sich in einer erweiterten EU auf die Ziel-1-Förderung – weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts des BIP pro Einwohner – konzentrieren soll. Jenseits der Ziel-1-Förderung sollten jedoch zukünftig maximal 5-10 Prozent der EU-Strukturfondsmittel ausgegeben werden (vgl. Eltges 2003: 13). Welche Form der Neugestaltung in der Strukturpolitik sich letztlich durchsetzen wird, ist derzeit nicht ersichtlich.

Die Beschlüsse der Agenda 2007 unterliegen infolge des intensiven Drucks Spaniens, das zurzeit die meisten Strukturfondsmittel erhält, noch dem Prinzip der Einstimmigkeit (Eltges 2003: 15). Die Interessen der gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten stellen sich in der Frage der Agrar- und Strukturpolitik sehr gegensätzlich dar: Während Frankreich in der Agrarpolitik an dem status quo festhalten will und Spanien, Portugal, Griechenland und Irland sich für eine weitere Begünstigung sowohl in der Agrar- als auch in der Strukturpolitik einsetzen werden, sind die derzeitigen Nettozahler Großbritannien, Schweden, BRD, Niederlande, Belgien sowie Österreich eher an Einsparungen interessiert (Axt 2003: 7). Auf den Kompromiss darf also gespannt gewartet werden.

4. Fazit

Das aktive Engagement der BRD für eine Erweiterung ist stark durch die ökonomischen Interessen bedingt. Die wirtschaftliche Verflechtung der BRD mit den MOEL ist – bezogen auf Exporte und Importe sowie die Herkunft von Direktinvestitionen – äußerst hoch. Dieses wirtschaftliche Interesse geht allerdings mit einer Erweiterungspolitik einher, die sich nicht für die gleichen ökonomischen und sozialen Rechten der Beitrittsländer einsetzt, sondern sie vielmehr entschieden verhindert. In der Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat die rot-grüne Bundesregierung, in Einklang mit Österreich, eine lange Übergangsfrist innerhalb der EU durchgesetzt und zudem noch die gleichen Übergangsfristen für die Dienstleistungsfreiheit erzielt. Im Vorfeld der Diskussionen erklärte Bundeskanzler Schröder die Frage der Freizügigkeit für die BRD als wirtschaftlich „existenziell“ und schürte so Ängste vor einer Erweiterung. In der Frage der Finanzierung wurde mit zumeist rhetorischen Schärfen von Bundeskanzler Schröder ein strikter Sparkurs verfolgt, der damit im Gegensatz zu dem Engagement für eine Erweiterung steht. Gerade in diesem Bereich hat sich allerdings gezeigt, dass die jeweiligen Interessen der EU-Mitgliedstaaten äußerst gegensätzlich sind – deutlich wurde dies bereits bei den institutionellen Entscheidungen – und die Reformen innerhalb der EU daher immer wieder aufgeschoben wurden. In der Agrarpolitik konnte so die von Schröder geforderte grundlegende Reform vor der Erweiterung nicht erzielt werden und in der Strukturpolitik liegt – trotz Festlegung des Beitrittstermins und der mittlerweile erfolgten Unterzeichnung der Beitrittsakte – die Neugestaltung noch an.

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Alle erwähnten Dokumente der Bundesregierung sind abrufbar unter: www.bundesregierung.de

[1][16] Zu den acht MOEL zählen Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen. Die Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien sollen bis 2007 abgeschlossen sein.

[2][17] Eine umfassende Bewertung der Hegemonie-Frage bedarf zudem u.a. einer grundlegenden Analyse der Außenpolitik der BRD nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und der deutsch-deutschen Vereinigung sowie einen Vergleich der rot-grünen Europapolitik seit 1998 zu der ihrer konservativ-liberalen Vorgängerregierung.

[3][18] Unterzeichnet von den Staats- und Regierungschefs Großbritanniens, Spaniens, Dänemarks, Portugals, Italiens sowie Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik.

[4][19] Chirac warf den drei Beitrittskandidaten „schlechtes Benehmen“ sowie „mangelndes Verantwortungsgefühl“ vor und warnte zugleich offen vor Risiken der bevorstehenden Ratifizierung der Beitrittsverträge in einigen EU-Ländern. Den weiteren fünf Beitrittskandidaten, die sich bereits in einer Erklärung auf die Seite der USA gestellt hatten, hielt er vor, sie hätten „eine gute Gelegenheit verpasst, zu schweigen.“ (FR vom 19.02.2003).

[5][20] In Artikel 11 Abs. 2 des Vertrages von Nizza, der erst am 01.02.2003 in Kraft getreten ist, verpflichten sich die Mitgliedstaaten zu einer aktiven und vorbehaltslosen Zusammenarbeit in der GASP, um „ihre gegenseitige politische Solidarität zu stärken“, und alles zu unterlassen, was der Wirksamkeit der EU „als kohärente Kraft in den internationalen Beziehungen schaden könnte.“

[6][21] Bereits beim EU-Gipfel in Nizza wurde „die Aufnahme einer eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der EU“ auf Drängen der deutschen Bundesregierung beschlossen (Müller-Brandeck-Bocquet 2002: 210). Der „Konvent zur Zukunft der Europäischen Union“ konstituierte sich am 28.2.2002, als Präsident des Konvents hat Chirac gegenüber der BRD und Großbritannien den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’ Estaing durchgesetzt. Dieser betonte in seiner Eröffnungsrede, dass es Ziel sei, eine gemeinsame Empfehlung an den Europäischen Rat zu geben (Wolff/Leiße 2003: 329). Am 28.10.2002 wurde vom Präsidium des Konvents ein „Vorentwurf des Verfassungsvertrages“ vorgelegt (Göler 2003: 17).

[7][22] Bedingt durch die in allen MOEL seit den 70er Jahren verfolgte Strategie der kreditfinanzierten Modernisierung.

[8][23] Bohle zeigt anhand des Beispieles Polens, dass es sich beim Zustandekommen des Reformprogramms keinesfalls um reinen externen Zwang handelt. Vielmehr spricht sie von einer „Konvergenz der Interessen“ zwischen den genannten Finanzorganisationen und internationalen Beratern sowie der polnischen „Reformelite“ (Bohle 2002b: 120f).

[9][24] Zunächst stellten die handelspolitischen Interimsabkommen das Kernstück der Assoziierung dar (Bohle 2000: 310). Ziel war die sukzessive Schaffung einer Freihandelszone für Industrieprodukte, die eine asymmetrische Marktöffnung zugunsten der MOEL vorsah. Allerdings wurden die längsten Zollsenkungsfristen und mengenmäßigen Beschränkungen gerade in den Bereichen – Stahl, Kohle, Chemie, Textil und Bekleidung – vorgesehen, in denen die MOEL Konkurrenzvorteile gehabt hätten (Hübner 1994: 75). Erst seit 2002 ist – mit Ausnahme des Agrarbereichs – der Güterhandel vollständig liberalisiert (Weise 2001: 562).

[10][25] Der Anteil Russlands an den Exporten der MOEL beträgt 2001 im Durchschnitt nur 2 Prozent (Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Dezember 2002: 55).

[11][26] Hiermit geht insgesamt eine Neuorientierung des Außenhandels der EU-Mitgliedstaaten einher, insbesondere Polen, Ungarn und die Tschechische Republik erlangten einen beachtlichen Stellenwert im Außenhandel (vgl. Kurz/Wittke 1998). Der Anteil der MOEL am deutschen Außenhandel nimmt mittlerweile einen höheren Anteil ein als der deutsche Handel mit Nordamerika.

[12][27] PLV ist eine „klassische Strategie westlicher Unternehmen der Reorganisation ihrer Wertschöpfungsketten als Antwort auf den Kostendruck“. Ausgelagert werden hierbei insbesondere arbeitsintensive Be- und Verarbeitungsprozesse (Bohle 2002b: 168). So werden bspw. Bekleidungsteile, Zubehör etc. zur Weiterverarbeitung nach MOEL exportiert und nach Fertigstellung wieder re-importiert (Bair/Gereffi 2000: 212).

[13][28] Holman weist darauf hin, dass sich ADI nicht nur auf die attraktivsten und meist strategisch bedeutenden Industriezweige konzentrieren, sondern auch auf den Bereich der Dienstleistungen (Holman 2002: 414). Notwendig wäre daher ebenso eine Analyse des Finanzsektors, der Telekommunikation und der öffentlichen Einrichtungen.

[14][29] Die Kommission befasst sich gegenwärtig mit drei Strafverfahren, u.a. gegen die BRD, infolge der Überschreitung der 3 %-Marke für die Neuverschuldung des Staatshaushalts.

[15][30] Den MOEL werden bei der Erweiterung damit keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Deutlich wird dies nicht nur daran, dass das in Kopenhagen beschlossene Finanzpaket sich noch unter dem engen finanziellen Rahmen der Agenda 2000 bewegt, sondern auch im Vergleich zur Süderweiterung der EU. Spanien, Portugal und Griechenland konnten erheblich von der umfassenden Reform des Strukturfonds 1988 profitieren, während es Spanien auf Druck zur Zustimmung einer weiteren Vertiefung zur Wirtschafts- und Währungsintegration gelang, noch einen zusätzlichen Kohäsionsfonds einzufordern (Holman 2002: 417).

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