Buchbesprechungen

Konzernlobbyismus in der EU

von Pia Eberhardt zu ALTER EU
September 2010

ALTER EU (Hg.), Bursting the Brussels Bubble. The Battle to Expose Corporate Lobbying at the Heart of the EU, Brüssel 2010, 214 S., 10 Euro, Bestellung: www.lobbycontrol.de, kostenloser Download: www.alter-eu.org

Wie kam es, dass die EU-Chemikalienrichtlinie REACH nicht wie geplant die VerbraucherInnen vor Giften in Alltagsgegenständen schützt, sondern die Chemieindustrie vor neuen Kosten? Und wie kommt es, dass die EU trotz Finanzkrise weiter auf laxe Finanzmarkt-Regulierung setzt?

Ein jüngst erschienenes Buch des europäischen lobbykritischen Netzwerks ALTER-EU gibt auf derartige Fragen eine einfache Antwort: Die Lobbyisten waren's.

Geschätzte 15.000 von ihnen tummeln sich auf den Fluren der Brüsseler EU-Institutionen – 70% davon im Auftrag von Konzernen, Industrieverbänden, ihnen nahestehenden Lobbyagenturen und Denkfabriken. Nur 20% setzen sich für Menschen- und Arbeitsrechte, Umwelt- und Klimaschutz sowie wirtschaftliche Entwicklung im globalen Süden ein – mit ungleich weniger Ressourcen.

Seit fünf Jahren tritt ALTER-EU dafür ein, diesen Lobbydschungel zu lichten und den privilegierten Zugang, den Kapitalinteressen auf EU-Ebene genießen, zu beenden. 160 Organisationen tragen die Koalition, darunter die deutsche Sektion von Transparency International, Lobbycontrol und Attac.

Pünktlich zu seinem fünften Geburtstag zieht ALTER-EU in „Bursting the Brussels Bubble. The battle to expose lobbying at the heart of the EU“ nun Bilanz. Und zeigt in 20 knappen, informativen Artikeln, wie sich Lobbyisten an Schlüsselstellen des EU-Entscheidungsprozesses einschalten.

Zum Beispiel über so genannte Expertengruppen. Davon gibt es über 1000, die von der EU zu Beginn eines Politikprozesses eingesetzt werden, um hinter verschlossenen Türen die groben Linien vorzugeben. Vielen von ihnen sind industrie-dominiert. In einer achtköpfigen Gruppe zur 'Lösung' der Finanzkrise saßen z.B. fünf Vertreter des privaten Finanzsektors und stellten sicher, dass Banken und Hedge Funds auch in Zukunft nicht streng reguliert werden.

Auch Interessenkonflikte, die in „Bursting the Brussels Bubble“ breiten Raum einnehmen, sind Alltag in der Hauptstadt der EU. Ein Spezialberater der Kommissarin für Verbraucherfragen, der auch für Microsoft und den Pharma-Riesen Pfizer arbeitet und ehemalige Kommissare, die nun reihenweise lukrative Jobs in der Industrie annehmen – das regt kaum jemanden auf.

Möglich wird das laut den AktivistInnen von ALTER-EU durch laxe Verhaltenskodizes der EU-Institutionen und eine politische Kultur, in der es völlig normal ist, dass Konzerne und Wirtschaftsverbände hinter verschlossenen Türen an politischen Entscheidungen mitstricken.

Die Folgen dieses Systems kommen in „Bursting the Brussels Bubble“ zwar etwas kurz, werden aber doch deutlich: eine verwässerte Chemikalienrichtlinie beispielsweise, die, obwohl seit 2007 in Kraft, bis heute noch zum Verbot keiner einzigen gefährlichen Substanz geführt hat; eine neo-koloniale EU-Handelspolitik; oder das 'Weiter So!' bei der Selbstregulierung der Banken.

Was bleibt also zu tun? Dieser Frage widmet sich das letzte Drittel des Buches. Hier geht es einerseits um Lobbytransparenz. Ein verbindliches Lobby-Register ermöglicht es beispielsweise in den USA, nachzuvollziehen, wer mit welchen Ressourcen für oder gegen welches Gesetz mobil gemacht hat. Laut ALTER-EU braucht es soviel Transparenz auch in der EU, um die längst überfällige gesellschaftliche Debatte um die Rolle von Lobbyismus anzustoßen. Doch genau das leistet das bestehende EU-Lobby-Register nicht.

Neben Transparenz braucht es aber auch eine wirkungsvolle Regulierung von Lobbyismus und Konzernen sowie ein weitreichendes Zurückdrängen des Einflusses von Kapitalinteressen auf EU-Politiken. Die Verpflichtung von EU-Entscheidungsträgern, im öffentlichen Interesse zu agieren ist dafür ebenso nötig wie starke soziale Bewegungen, die sich für ein anderes Europa einsetzen.

Welchen Beitrag „Bursting the Brussels Bubble“ leisten kann, mehr Menschen für dieses andere Europa zu mobilisieren, bleibt abzuwarten. Nicht allen Artikeln gelingt es, die Relevanz eines von Kapitalinteressen gekaperten EU-Politikprozesses deutlich zu machen. Trotzdem handelt es sich um einen empfehlenswerten, weil nicht nur gut zu lesenden, sondern auch kenntnisreichen Band, der den Blick frei gibt auf genau den Brüsseler industriell-politischen Komplex, den Medien, Wissenschaft und Politik viel zu oft zu verschleiern versuchen.

Pia Eberhardt