Work around the clock?

Digitale Arbeit – Herausforderung für Betriebsräte und Gewerkschaften

von Marcus Schwarzbach
September 2015

Marcus Schwarzbach

Work around the clock?

Digitale Arbeit – Herausforderung für Betriebsräte und Gewerkschaften

Digitale Arbeit nimmt an Bedeutung zu. Bei der diesjährigen Hannover-Messe standen digital vernetzte Produktionsanlagen und Roboter, die mit Menschen Hand in Hand zusammenarbeiten sollen, im Mittelpunkt. Das Bundesarbeitsministerium veröffentlichte das „Grünbuch Arbeiten 4.0“[1], Ministerin Nahles will so zukünftige Trends und wichtige Handlungsfelder der künftigen Arbeitsgesellschaft aufzeigen und formuliert „… niemand hat ein Gestaltungsmonopol. Deshalb kann es am Ende nur einen Kompromiss geben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass es ein guter, ein sozialer Kompromiss wird.“[2]

Digitalisierung der Arbeit – drohender Arbeitsplatzabbau

„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir bei der Digitalisierung der Arbeitswelt allenfalls erahnen, wohin die Reise geht. Dementsprechend ist es schwer, belastbare politische Handlungsoptionen zu entwickeln“, vermeidet Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, klare politische Aussagen[3]. Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind heute noch nicht klar zu benennen. Eine viel beachtete Studie von Frey und Osborne untersucht für die USA, ob durch Automatisierung nicht nur Arbeitsplätze in der Produktion oder im Einzelhandel betroffen sein könnten, sondern auch in anderen Dienstleistungsbereichen wie Medizin, Banken oder Architekturbüros. Die Studie ergab, dass 47 Prozent des Beschäftigungsvolumens in den USA in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren stark anfällig sei, durch Maschinen und Computer ersetzt zu werden[4].

Bislang ist die Rolle des Menschen in der Industrie 4.0 eher vage beschrieben. Einerseits heißt es, der Mensch wird als kreativer Planer, Steuerer und Entscheider das Maß aller Dinge bleiben. Gleichzeitig sollen Assistenzsysteme die Anforderungen an die Beschäftigten soweit reduzieren, dass ein kurzes Anlernen ausreicht und niedrige Entlohnung die Folge ist.

Auf der Auftaktveranstaltung des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) zum Dialog „Arbeiten 4.0“ hat VW-Vorstand Horst Neumann prognostiziert, dass vor allem durch die Robotisierung mittelfristig taktgebundene Arbeit, die etwa die Hälfte in der Produktion ausmacht, wegfällt.[5]

Klar ist also: Arbeitsplätze sind gefährdet, durch Technik werden vorhandenes Beschäftigungsvolumen reduziert. Ver.di will hier auf Innovationen setzen, erläutert Nadine Müller, Referentin beim Ver.di-Bundesvorstand „Solche beschäftigungswirksamen Innovationen sind auch über ein Umlenken von Produktivitätsgewinnen der Digitalisierung in Bedarfsfelder zu finanzieren, so dass insbesondere gesellschaftlich notwendige und soziale Dienstleistungen vorangebracht werden“[6]. Es bleibt offen, ob durch neue Technik dann so viele neue Arbeitsplätze entstehen wie abgebaut werden.

Eine gewerkschaftliche Schlussfolgerung sollte hier sein, Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung zu diskutieren, um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können.

Trennung zwischen Arbeit und Privatleben in Gefahr

Bei aller Unklarheit über die konkreten Auswirkungen der digitalen Arbeit ist bereits jetzt klar, dass die neue Technik das Verhältnis von Arbeit und Freizeit verändern kann. Zwar gibt es auch hier positive Stimmen von Gewerkschaftsseite. „Mit der digitalen Arbeit – für die prototypisch die IT-Branche steht – sind durchaus emanzipatorische Potentiale verbunden. Sie kommen in der ver.di-Sonderauswertung über die Bewertung der Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten zum Ausdruck. Es könnte beispielsweise mehr Ort- und Zeitsouveränität und damit eine bessere Life-Work-Balance erreicht werden“, hofft Nadine Müller, Referentin des Ver.di-Bundesvorstands.[7]

Die Klagen von Beschäftigten über die ständige Erreichbarkeit häufen sich allerdings bereits jetzt. In einer AOK-Studie gaben 34 Prozent der Befragten an, dass sie „häufig oder sehr häufig“ außerhalb der Arbeitszeit Mail- oder Telefonkontakt mit dem Unternehmen hatten.[8] Eine von ver.di herausgebrachte Sonderauswertung der Arbeitsbedingungen in der IT-Dienstleistungsbranche – die Vorzeigebranche bei digitaler Arbeit – zeigt: Die Belastungen nehmen durch eine hohe Arbeitsintensität und Anforderung an ständige Erreichbarkeit zu[9]

Die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben wird so in Frage gestellt. Wie wirkt es sich auf Gesundheit und Zufriedenheit von Arbeitnehmern aus, wenn sie auch in der Freizeit ständig aufs Smartphone schielen, um keine Nachricht aus dem Büro zu verpassen? Nach einer Untersuchung der Deutschen Angestellten Krankenkasse haben Arbeitnehmer, die in hohem Maße erreichbar sein müssen, häufiger Depressionen als andere. In eine ähnliche Richtung tendieren Befunde der AOK und des DGB-Index Gute Arbeit[10] Allerdings ist es oft schwierig zu sagen, inwieweit gesundheitliche Beeinträchtigungen ausschließlich auf den Faktor Erreichbarkeit zurückgehen. Denn häufig kommen viele Stressfaktoren zusammen. Wer zum Beispiel oft Arbeit mit nach Hause nimmt, steht in der – vermeintlich – freien Zeit auch häufig in Mail-Kontakt mit der Firma.

Der Wissenschaftler Hannes Strobel hat Ursachen und Folgen der Erreichbarkeit infolge der digitalen Arbeit untersucht.[11] Er sieht bei Erreichbarkeit auch im Privaten folgende Faktoren: Kontrollverlust durch Intransparenz Erkenntnisse der Sozialforschung zeigen, dass es wichtig für Menschen ist, eine klare Tagesstruktur zu haben. Durch ständige Erreichbarkeit geht eine solche Struktur tendenziell verloren. Verschärft wird dieses Problem häufig durch den Umstand, dass den Beschäftigten nicht klar sei, was von ihnen im Hinblick auf Erreichbarkeit tatsächlich erwartet werde.

Permanenter Unruhezustand Häufig ist mit ständiger Erreichbarkeit ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit verbunden. Viele betroffene Beschäftigte haben die Erwartung, jederzeit kontaktiert werden zu können. Damit geht eine hohe psychische Beanspruchung einher.

Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass das Unternehmen am Abend anruft – allein das Bewusstsein, dass es passieren könnte, versetzt den Arbeitnehmer schon in einen Unruhezustand. Neben Druck durch Vorgesetzte als Ursache unterschätzen durchaus auch Beschäftigte die Wirkungen, betont Strobel. So wird im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen durchaus angegeben: „Ja, es ist schon okay, wenn ich da erreichbar bin. Das macht mir eigentlich nichts aus. Ich komme schon zurecht“. Ob Beschäftigte dabei die mittelfristigen Gefahren für Erholung und Wohlbefinden im Blick haben, ist jedoch häufig fraglich, so Strobl.

Forderungen an die Betriebsräte

Betriebsräte sind hier vor Ort gefordert, bestehende gesetzliche Vorschriften auch durchzusetzen, wie selbst die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt verdeutlicht: „Es ist wichtig, dass eine öffentliche Debatte stattfindet. Arbeitenden müssen sich zur Wehr setzen. Das fängt schon damit an, dass ein Arbeitnehmer das Diensthandy in der Freizeit ausschalten sollte. Niemand schuldet nach seinem Arbeitsvertrag eine ständige Erreichbarkeit. Auch berufliche E-Mails müssen nicht nach Arbeitsschluss gelesen werden. Selbstbewusstsein und einen geraden Rücken kann keine Verordnung ersetzen.“ Schmidt fordert betriebliche Regelungen, wie sie durch das technische Abschalten von Emails außerhalb der Arbeitszeit im Volkswagenkonzern bereits umgesetzt werden: „Die Betriebsräte haben schon jetzt erhebliche Eingriffsmöglichkeiten. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz, bei der Verteilung der Arbeitszeit und der Anordnung von Überstunden. Auf dieser Grundlage können Betriebsvereinbarungen geschlossen werden.“[12]

Technische Lösungen durchsetzbar

Der Betriebsrat kann Lösungen durch die IT durchsetzen: Technisch können die Server so eingestellt werden, dass nach Feierabend oder an den Wochenenden keine E-Mails mehr an die persönlichen Postfächer der Beschäftigten weitergeleitet würden. Vorgaben einer Betriebsvereinbarung legen so z.B. fest, dass die Nutzer dienstlich zur Verfügung gestellter Smartphones nach Dienstende, spätestens 19 Uhr sowie an Wochenenden keine E-Mails empfangen. Häufig wird hier als Vorbild einer Regelung bei VW genannt[13]. Auch eine Regelung für die Urlaubszeit ist durchsetzbar. Ideen für eine technische Lösung bietet die Lösung des Daimler-Konzerns[14] Um den elektronischen Posteingang jedes Einzelnen während des Urlaubs zu entlaste, können Beschäftigte eingehende E-Mails während der Abwesenheit automatisch löschen zu lassen. Gleichzeitig weist eine Abwesenheitsnotiz den Absender des E-Mails auf den zuständigen Vertreter hin, so dass jedes Anliegen dennoch bearbeitet werden kann.

Zeitdruck on demand

Auch ein weiteres Handlungsfeld verdeutlicht die Bedeutung klarer Regelung zur Arbeitszeit auf „Produktion on demand“. Die Schlussfolgerungen einer von der Bundesregierung geförderten Studie des Frauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) zeigen auf, dass der Zeitdruck für die Beschäftigten steigen wird. „Als Produktionsparadigma für die Zukunft wäre möglichst flächendeckend Production-on-Demand einzuführen und dafür zu sorgen, dass die Kapazitäten dafür ausreichend flexibel sind. Industrie 4.0 schafft dafür die Grundlage, indem CPS ein echtzeitnahes Abbild der Fabrik ermöglichen“, so Professor Dieter Spath.[15]

„On Demand“ bedeutet direkt nach Kundenauftrag zu produzieren und wird eine noch gravierende Veränderung bedeuten als die Just-in-time-Konzepte, wie ein Manager verdeutlicht. „Wir werden viel kurzfristiger auf Dinge reagieren müssen. Dazu müssen wir relativ schnell unsere Daten verdichten und aufbereiten und zu Entscheidungen kommen“, betont Manfred Wittenstein, Vorstand bei der Wittenstein AG.[16]

Hybride Systeme steuern die Beschäftigten

Die Veränderungen gehen aber weiter: Hybride Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass neben den Beschäftigten, auch die Technologie Prozesse steuert. Bekannt ist die Zusammenarbeit von Mensch und automatisierter Steuerung etwa durch die Arbeit von Piloten. Für das Unternehmen hat die Technik zweifellos Vorteile. Sie kann Daten, Diagnosen und Arbeitsanweisungen präsentieren. Die Beschäftigten können weit weniger Daten verarbeiten und weniger Komplexität berücksichtigen als Maschinen. Gleichzeitig tragen Menschen in hybriden Systemen eine hohe Verantwortung, während sie zugleich der Technologie unterlegen sind. Es geht um die entscheidende Frage, das die letztendliche Entscheidung beim Menschen bleibt. „Unsere qualifizierten Mitarbeiter schließen sensorische Lücken, die immer bestehen werden. Sie verfügen über langjährige Erfahrung zur Beurteilung und Lösung von Ausnahmesituationen. Und sie bringen als Arbeitskraft ihre Kreativität und Flexibilität in die Prozesse ein“, schätzt Professor Dieter Spath, InstitutleiterFrauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).[17]

„Wenn über Industrie 4.0 gesprochen wird, ist also das Zusammenspiel von drei Komponenten gemeint: erstens das intelligente Produkt. Einzelteile, die selbstständig mit der Produktionsanlage kommunizieren und die aktiv in den Produktionsprozess eingreifen. Zweitens die vernetzte Maschine, die mit anderen Maschinen, Produkten und Menschen kommunizieren kann. Drittens der Beschäftigte selbst. Er ist ausgestattet mit sogenannten Assistenzsystemen, mit Datenbrillen wie Google Glass und Geräten mit Touchpads, also Tablets und Smartphones, die ihm ständig Informationen geben und teilweise auch mit Anleitungen bei der Arbeit helfen“, stellt die IG Metall die digitale Arbeit in der Industrie dar[18]

Durch die digitale Industrie verändern sich Arbeitsfelder, es gibt häufig radikale Neuerungen der Arbeitsabläufe. Die Beschäftigten müssen deshalb unterstützt werden, sich mit diesen Neuerungen vertraut zu machen und Zeit zum Lernen zu haben. „In der Produktionsarbeit der Zukunft sind die Menschen stärker die Dirigenten und Koordinatoren der Fabrik. Die harte Muskelarbeit und auch einen Teil der Denkarbeit übernehmen die Maschinen“, schildert Professor Gunther Reinhart, Institutsleiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (iwb) der Technische Universität München, seine Sicht zur Rolle des Menschen bei der Produktionssteuerung der Zukunft.[19]

Nach Reinhart wird die mobile Assistenz zunehmen, damit der Mensch mit der Produktionssteuerung interagieren kann und Daten effizienter und schneller ausgewertet werden können. Ein solches System soll die Menschen bei der Entscheidung unterstützen. Er prognostiziert: „Damit der Mensch mit der Produktionssteuerung oder der Maschine interagieren kann, muss die mobile Assistenz zunehmen. Bei einer Fehlermeldung einer Maschine kann sich das ›iProductionPad‹ vor Ort vernetzen und den Fehlerspeicher auslesen und interpretieren. Das ›iProductionPad‹ kann Temperaturen oder Frequenzen der Maschine messen, Anweisungen geben und deren Zustand sehr schnell analysieren und diagnostizieren.“

Arbeitssteuerung und Mitbestimmung

Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat bei Technik-Einsatz gemäß § 87 Abs. 1 Zif. 6 BetrVG. Regelungsbedarf in einer Betriebsvereinbarung besteht bei der Arbeitssteuerung. Mit Einführung und Umsetzung digitaler Arbeit werden Arbeitsplätze verändert. Mit ihnen ändert sich die Arbeitsumgebung. Die Auswirkungen des Technikeinsatzes auf die Arbeitsgestaltung können unterschiedlich sein. Technik kann Arbeitnehmern zur Vorbereitung, Ausführung und Entscheidungsunterstützung der Arbeit dienen – sie kann aber auch den Arbeitnehmern vorgegebene Arbeitsweisen aufzwingen und erfordert ein hohes Maß an Anpassung. Es geht deshalb um die entscheidende Frage, ob die letztendliche Entscheidung beim Menschen bleibt. Auch dies sollte Inhalt der Vereinbarung sein, ebenso wie Beschäftigte qualifiziert und auf die Neuerungen vorbereitet werden.

Es können Einzelarbeitsplätze entstehen, bei denen die Technik den Menschen steuert, und die so zu Isolation und Monotonie führen. Dabei kann der Wechsel von Arbeitstätigkeiten entfallen. Das Gegenteil ist aber auch möglich: Es entstehen neue Formen der Teamarbeit, da Arbeitnehmer um Roboter oder „smarte Maschinen“ gruppiert werden. Dabei ergibt sich Regelungsbedarf für den Betriebsrat.

Alles in allem bietet die Mitbestimmung also engagierten Betriebsräten Möglichkeiten, im Sinne der Beschäftigten Arbeitsabläufe mitzugestalten. Manche Sorge des Kapitals ist aber übertrieben. Der Slogan „Deutschland vor Comeback der Mitbestimmung“, den Unternehmensvertreter anstimmen, ist ebenso übertrieben wie die Feststellung von Robert Weber, Chefredakteur des Fachmagazins Elektrotechnik Automatisierung: Hauptnutznießer der digitalisierten Arbeit seien Betriebsräte, „denn das Betriebsverfassungsgesetz könnte für so manches Datenprojekt an der Maschine eine hohe Hürde darstellen“[20]

Tarifverträge zu digitaler Arbeit

Diese Beispiele zeigen, dass gravierende Veränderungen auf die Beschäftigten zukommen. Arbeitsbedingungen ändern sich radikal. Damit hier nicht jeder einzelne Betriebsrat vor Ort Regelungen trifft, ist eine Koordination durch die Gewerkschaften erforderlich. Tarifverträge können so Rahmenbedingungen festschreiben. Zwei bahnbrechende Tarifabschlüsse der letzten Zeit zeigen, dass Arbeitsbedingungen wieder Thema in Tarifverträgen werden. Zunehmend geht es auch in Arbeitskämpfen nicht nur um Lohnrunden – es geht um die Arbeitsbedingungen, es geht um die Gestaltung der Arbeit. Beim Streik der Lokführergewerkschaft GDL war die zunehmende Arbeitsbelastung der Beschäftigten wichtiges Thema. Auch deshalb ist die GDL mit Forderungen nach Tarifverträgen nicht nur für die Lokführer auf erbitterten Widerstand von Bahnvorstand und Regierungspolitikern gestoßen. „Ein wichtiger Erfolg ist die Senkung der Belastung des Zugpersonals“, betont der GDL-Vorsitzende Weselsky zu Recht.[21] Überstunden werden begrenzt, 2018 Arbeitszeit verkürzt und 300 Lokomotivführer zusätzlich eingestellt.

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit haben die Beschäftigten der Charité in Berlin einen vorbildlichen Tarifvertrag erkämpft. Thema sind die Arbeitsbedingungen. Nach dem Eckpunktepapier zum Tarifvertrag „Gesundheit und Demographie“ werden Arbeitsbedingungen gewerkschaftlich mitgestaltet, es gelten tarifliche Mindestbesetzungsstandards. Es soll mehr Personal eingestellt werden – als Ergebnis des Streiks, es gibt Schlüssel für die Besetzung einzelner Schichten, die verbindlich durchsetzbar sind und vom Betriebsrat kontrolliert werden können.

Arbeitsbedingungen und digitale Arbeit

Die Vereinbarung von Verdi in der Charite und der GDL-Abschluss zeigen: Es geht wieder um den Inhalt der Arbeit. Und knüpft so an eine große Tradition an. Denn Tarifpolitik ist immer auch ein Instrument zur Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen. So in den 80er Jahren der Lohnrahmentarifvertrag II der IG Metall in Nordwürttemberg-Nordbaden. Bezahlte Erholungspause oder Taktzeitbeschränkung am Fließband beugten Stress am Arbeitsplatz vor.

Beim IT-Dienstleister IBM wird Verdi hierzu aktiv. Durch Verhandlungen über einen Tarifvertrag zum betrieblichen Gesundheit, der Stress und psychischen Belastungen bei digitaler Arbeit gegensteuern soll.[22]

Die Arbeitsbedingungen werden auch zukünftig ein wichtiges Thema bleiben – bei cyber-physische Systeme (CPS) steuern sich intelligente Maschinen, Betriebsmittel und Lagersysteme in der Produktion eigenständig. Während die Bundesregierung das Thema nur als Frage der Wirtschaftsförderung sieht, ändern sich Arbeitsplätze und die Arbeitsorganisation radikal. Für die Belegschaften bedeutet dies zunehmende Kontrolle und verstärkter Leistungsdruck.

Gewerkschaften und Betriebsräte sind gefordert, die Arbeitsbedingungen der digitalen Arbeit über Tarifverträge zu regeln und Mindeststandards – etwa Mindestanzahl der Beschäftigten oder die Letztentscheidung der Arbeiter beim Verhältnis Mensch-Maschine – sicher zu stellen. Ein Positionspapier der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung fordert „übertriebliche Arbeitskreise“, um konkrete Forderungen der Gewerkschaften zu erarbeiten[23]

In der digitalen Arbeit der Zukunft werden durch verstärkten Technikeinsatz Arbeitsplätze abgebaut – und der Leistungsdruck für die weiterhin Beschäftigten zunehmen. So wird auch Arbeitszeitverkürzung wieder ein Thema werden müssen.

„Die Zukunft der Arbeit zu gestalten heißt für die IG Metall, die Potenziale zu realisieren und die Risiken zu minimieren. Denn die Digitalisierung hat auch Schattenseiten: Wenn Beschäftigte ihre beruflichen Ziele künftig nur dann erreichen können, wenn sie immer erreichbar sind, schafft das Smartphone keine Freiheit, sondern eine neue Abhängigkeit. Wenn Beschäftigte in Zukunft nicht mehr die Wahl haben, zu Hause oder im Büro zu arbeiten, weil der Arbeitgeber den Schreibtisch mit den dazugehörigen acht Quadratmetern eingespart hat, dann ist das keine Freiheit, sondern Zwang zur Heimarbeit“, kritisiert IG-Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner und fordert: „Die IG Metall kann zum Teil auf Bewährtes zurückgreifen: Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung sind Instrumente, die keinesfalls überflüssig sind. Mitbestimmung kann Selbstbestimmung ermöglichen. Aber wir sind auch herausgefordert, uns auf neue Formen der Mitbestimmung und Beteiligung einzulassen“.[24]

Erfolgreich werden die Gewerkschaften aber nur sein, wenn sie zu Streiks bereit sind und die Beschäftigten an Streikplanungen und Strategieentscheidungen beteiligt werden.

[1] http://www.bmas.de/DE/Themen/Schwerpunkte/Arbeiten-vier-null/inhalt.html

[2] Siehe auch: http://www.arbeitenviernull.de/gruenbuch/dialog.html.

[3] www.gegenblende.de/++co++7b6358d2-6992-11e4-b4e8-52540066f352 „Gute Arbeit im digitalen Zeitalter“.

[4] Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne, The Future of Employment. How susceptible are jobs to computerization?, 2013, siehe: http://www.futuretech.ox.ac.uk/future-employment-how-susceptible-are-jobs-computerisation-oms-working-paper-dr-carl-benedikt-frey-m

[5] BMAS, Arbeiten 4.0, www.arbeitenviernull.de/auftakt/videos/diskussionspanel-1.html

[6] Siehe „Computer und Arbeit“, Juni 2015, S. 23.

[7] www.gegenblende.de , 18. Februar 2015: http://www.gegenblende.de/++co++18516958-b836-11e4-b586-52540066f352, „Arbeiten in der IT-Branche“,

[8] Hans-Böckler-Stiftung unter www.boeckler.de/44962_44969.htm.

[9] Ines Roth, Die Arbeitsbedingungen in der IT-Dienstleistungsbranche aus Sicht der Beschäftigten, hrsg. von ver.di, Bereich Innovation und Gute Arbeit, siehe www.verdi-gute-arbeit.de/upload/m53ec744830751_verweis1.pdf.

[10] DGB-Index Gute Arbeit im Internet: www.index-gute-arbeit.dgb.de.

[11] Hannes Strobel, Auswirkungen von ständiger Erreichbarkeit und Präventionsmöglichkeiten: www.iga-info.de/.../iga-Report_23_Staendige_Erreichbarkeit_Teil1.pdf. Iga ist eine gemeinsame Initiative der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV) mit drei Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen.

[12] „Stress am Arbeitsplatz – Niemand muss ständig erreichbar sein“, in: FAZ vom 14.02.2013.

[13] Siehe Spiegel-Online vom 23.12.11: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/blackberry-pause-vw-betriebsrat-setzt-e-mail-stopp-nach-feierabend-durch-a-805524.html.

[14] http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?aktion=jour_pm&r=515112: Daimler verankert Balance zwischen Arbeits- und Privatleben als zentralen Bestandteil in der Führungskultur – Pressemitteilung vom 23.11.2012.

[15] http://www.produktionsarbeit.de/content/dam/produktionsarbeit/de/documents/Fraunhofer-IAO-Studie_Produktionsarbeit_der_Zukunft-Industrie_4_0.pdf. = Frauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO): Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0, Studie, S. 43.

[16] Ebd., S. 21.

[17] Ebd., S. 2.

[18] http://www.igmetall.de/SID-621942FD-8C9B7464/industrie-4-0-die-rolle-der-beschaeftigten-in-der-intelligenten-13994.htm.

[19] Siehe Frauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), a.a.O., S. 48.

[20] Managermagazin vom 15.07.2015 www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/industrie-4-0-bringt-machtgewinn-fuer-gewerkschaften-a-1042873-2.htm.

[21] www.gdl.de/Aktuell-2015/Pressemitteilung-1435739158, Pressemitteilung der GDL vom 1. Juli 2015.

[22] www.ich-bin-mehr-wert.de/news/ibm_tarif_update/ibmnewsletter-2015/ibmnewsletter20150422, Newsletter der Verdi-Initiative vom 22. April 2015.

[23] Kleinhempel/Satzer/Steinberger, Industrie 4.0 im Aufbruch? Report Nr. 5 der Hans-Böckler-Stiftung, siehe http://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_report_2015_5.pdf.

[24] Christiane Benner, Das Büro im Taschenformat, Neues Deutschland vom 22.05.2015.

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