Klassen und Krisenbewusstsein

Sekundäre Ausbeutung und Prekarität – Herausforderungen für die Klassentheorie

von Liebig, Steffen
September 2011

Eines kann man Lothar Peter keinesfalls vorwerfen: Mit dem Zeitgeist zu schwimmen, war ihm noch nie ein Anliegen. In einer Zeit, in der alle Welt über die Individualisierung sozialer Ungleichheiten diskutierte, scharfsinniger Verteidiger der Klassenanalyse (Peter 1983: 21-43; 1984: 130-153), will er nun den Klassenbegriff ad acta legen (Peter 2010: 131-148). Vor allem der Zeitpunkt dieses Vorschlags überrascht. Denn das Plädoyer für einen Abschied erfolgt in einem sozialwissenschaftlichen Umfeld, das allmählich wieder Interesse an Klassenkategorien zu entwickeln beginnt.

1. Neu erwachtes Interesse am Klassenbegriff

Dieses Interesse entsteht derzeit in unterschiedlichen theoretischen und politischen Kontexten. So konstatiert Thomas Meyer eine „Dringlichkeit und Relevanz“ der sozialen Frage „wie sie seit Jahrzehnten nicht zu beobachten war“. In den Selbstbeschreibungen der Gesellschaft habe sich zudem der Fokus „von der Lebensstil- zur Klassengesellschaft verschoben“ (Meyer 2010: 113). Einschlägige Studien beschreiben Veränderungen in den Mitteklassen, wo die „strukturellen, die materiellen und die normativen Substanzverluste“ erheblich seien (Vogel 2009: 312). Auch die Konfliktforschung scheint nicht mehr ohne den Klassenbegriff auszukommen. Die „dominanten Konflikte des 21. Jahrhunderts seien – neben Ressourcen- und Überzeugungskonflikten – „(globalisierte) Klassenkonflikte“, stellt der Kulturwissenschaftler Harald Welzer (2010: 243) fest. Und selbst Individualisierungstheoretiker wie Ulrich Beck sehen sich gefordert, klassentheoretische Argumente für die Erklärung transnationaler Ungleichheiten zumindest zu Kenntnis zu nehmen (Beck/Poferl 2010, Wallerstein: 171-205, Sklair: 263-301).

Die aktuelle Renaissance des Klassenbegriffs beruht vorerst eher auf der unübersehbaren Relevanz „grober“ sozialer Unterschiede als auf theoretischen Innovationen. Denn die sozialwissenschaftliche Klassenanalyse befindet sich, worauf Lothar Peter zu Recht hinweist, in keinem guten Zustand (Thien 2010). Zudem orientiert sich die vorsichtige Rückbesinnung auf Klassenkategorien (Burzan 2009) eher an Weber als an Marx. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine kapitalismuskritische Linke gut beraten ist, wenn sie, gegen den Trend, auf den Klassenbegriff verzichtet. Um es vorab zu sagen: Wir halten einen Abschied vom Klassenbegriff sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus politischen Gründen für falsch. Das nicht allein, weil ein solcher Verzicht das Terrain für einen kulturalistisch gewendeten Klassenbegriff bereiten könnte, den Konservative (Nolte 2006) für ihre ressentimentgeladenen Attacken gegen vermeintlich aufstiegsunwillige, wohlfahrtsabhängige Unterklassen nutzen. Unser Hauptargument ist ein analytisches. Wer den Kapitalismus als Ausbeutungsordnung analysieren und kritisieren will, kann, so unsere These, aller konzeptuellen Schwierigkeiten zum Trotz auf den Klassenbegriff nicht verzichten. Zur Begründung dieser These wollen wir uns nicht unmittelbar an Lothar Peter abarbeiten[1], sondern Grundrisse eines eigenen Konzepts präsentieren.

2. Ausbeutung und Klassen

Nach Lothar Peter kann von einer sozialen Klasse nur gesprochen werden, wenn eine Gruppe von Menschen drei notwendige Gemeinsamkeiten aufweist: (1) eine in wesentlichen Punkten gleiche ökonomische Lage, (2) eine gemeinsame Lebensweise und (3) gemeinsame Lebensbilder, Deutungsmuster, Denkformen, moralische Standards und Wertungen. Notwendige Kriterien für Klassenbildung sind außerdem ein kollektives „Differenzbewusstsein (und) eine entsprechende politische Praxis“ (Peter 2010: 135). Ferner bestimmt Peter die „Erkenntnisfunktion“ des Klassenbegriffs explizit als „die Beantwortung der Frage, von wem in der Gesellschaft eine politische Veränderungsdynamik erwartet werden kann“ (ebd.: 134). So löblich der Versuch einer klaren Definition des Klassenbegriffs auch sein mag, in einem entscheidenden Punkt fällt Lothar Peters Bestimmung hinter Marx und selbst hinter Weber zurück. Zumindest implizit folgt sie einem Konzept, das soziale Klassen exklusiv als „effektive Klasse im Sinne einer kampfbereiten Gruppe“ (Bourdieu 1985: 12) begreift. Damit ist die Messlatte für eine analytische Relevanz des Klassenbegriffs sehr hoch gehängt, denn wer wollte bestreiten, dass Gewerkschaften und politische Organisationen, die um den Gegensatz von Kapital und Arbeit gebaut sind, zumindest in Europa seit Jahrzehnten dramatisch an Einfluss verlieren. Kräfteverhältnisse, die sich deutlich zuungunsten der Beherrschten entwickelt haben, sind an sich aber noch kein Beleg für die Irrelevanz von Klassenanalyse. Klassentheorien unterscheiden sich von Schichtungstheorien vor allem dadurch, dass sie „einen Mechanismus angeben, durch den aus der Klassenzugehörigkeit eine ungleiche Verteilung in unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit folgt“ (Solga u. a. 2009: 26).

Während Weber (1980: 177) die „Chancen der Marktverwertung von Gütern oder Dienstleistungen“ zum bestimmenden Mechanismus bei der Herausbildung von Erwerbsklassen erklärt, die er von Besitzklassen und sozialen Klassen unterscheidet, setzt Marx im Produktionsprozess an. Für ihn ist Ausbeutung, die Fähigkeit herrschender Klassen, sich aufgrund der Monopolisierung des Besitzes an Produktionsmitteln ein Überschussprodukt aneignen zu können, das in seiner abstrakten Formbestimmtheit als Mehrwert bezeichnet wird, der zentrale Mechanismus für die Herausbildung kapitalistischer Klassenverhältnisse. Klassen sind für Marx somit soziale Gruppen, deren Interaktionen und Beziehungen durch Ausbeutungsverhältnisse strukturiert werden. Dabei gilt, dass Ausbeutung im Kapitalismus nicht als Diebstahl, als räuberischer Akt zu verstehen ist. Vielmehr beruht die Mehrwertaneignung auf Äquivalententausch, d. h. die Lohnabhängigen erhalten als Gegenleistung für den Verkauf ihrer Arbeitskraft einen Lohn, der im „reinen Kapitalismus“ annähernd den durchschnittlichen Reproduktionskosten der Arbeitskraft entspricht.

In dieses auf Äquivalententausch beruhende Ausbeutungsverhältnis gehen allerdings moralische und politische Momente ein. So sind die herrschenden Klassen im Falle der absoluten Mehrwertproduktion bestrebt, den Preis der Arbeitskraft unter ihre Reproduktionskosten zu drücken. Erst das Auftreten eines organisierten Gegenspielers, der Gewerkschaften als „Preisfechter“ der Arbeitskraft (Marx 1962: 152), sorgt dafür, dass das Prinzip des Äquivalententauschs zumindest annäherungsweise realisiert wird. Kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse lassen sich daher nicht statisch begreifen, sie existieren nur im Prozess, vermittelt durch Machtverhältnisse und soziale Konflikte. Insofern handelt es sich bei kapitalistischer Ausbeutung in der Marxschen Theorie niemals um ein rein ökonomisches Phänomen. Das Prinzip des Äquivalententauschs lässt sich nur im Rahmen einer halbwegs stabilen institutionellen Ordnung garantieren, die nicht nur Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit, sondern eben auch demokratische und soziale Rechte der Beherrschten festschreibt. Insofern sind Ausbeutungs- immer auch Herrschaftsverhältnisse, in denen der Staat als außerökonomische Machtinstanz stets präsent ist.

Definiert man Klassen im Anschluss an Marx zunächst als soziale Gruppen, deren Interaktionen durch Ausbeutungsverhältnisse strukturiert werden, die sich im Prozess kapitalistischer Entwicklung selbst verändern, so ergibt sich allerdings ein doppeltes wissenschaftstheoretisches Problem: Soziale Bewegungen, Organisationen und Institutionen, die im Grunde funktional notwendig sind, um den Äquivalententausch zu garantieren und auf Dauer zustellen, lassen sich weder aus der Struktur des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses „ableiten“, noch auf dieses Verhältnis reduzieren. Die sozialen Akteure führen ein Eigenleben, ihre Kämpfe und auch das Resultat dieser Kämpfe – die Institutionalisierung von sozialen und Partizipationsrechten – kann sich bis zu einem gewissen Grad von ökonomischen Konjunkturen und kurzfristigen Schwankungen gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse abkoppeln. Die Analyse abstrakter Ausbeutungsverhältnissen muss daher erstens um empirisch fundierte Untersuchungen von Klassenbildung, sozialen Akteuren, deren Kämpfen, Strategien und Aktivitäten erweitert werden.

Die komplexen Wechselbeziehungen von Ausbeutungsverhältnissen und sozialen Akteuren beinhalten jedoch zweitens ein erkenntnistheoretisches Problem: Empirisch beobachtbar sind „einzig Machtverhältnisse“ (Boltanski 2010: 15) und, so lässt sich ergänzen, die sozialen Lagen, Akteure und Institutionen, die diese Machtverhältnisse beeinflussen. Herrschaft und Ausbeutung wirken hingegen verschleiert. Deshalb kommen herrschafts- und ausbeutungskritische Theorien nicht umhin, zunächst eine soziale Ordnung zu konstruieren, um Widersprüche identifizieren und sie vom lediglich Disparaten unterscheiden zu können. Dementsprechend agieren sie letztendlich immer auch als Metatheorien. Das unterscheidet sie von deskriptiven Sozialwissenschaften, die soziale Ungleichheiten ebenso wie divergente Machtformen analysieren können, ohne diese über die Identifikationen eines Wirkungsmechanismus aufeinander beziehen zu müssen. Insofern kommen sie niemals umhin, soziale Realität von der „Außenposition“ einer konstruierten sozialen Ordnung aus zu analysieren. Erst dies ermöglicht es ihnen, eine herrschaftskritische Perspektive einzunehmen. Damit ist keineswegs gesagt, dass sich ausbeutungs- und herrschaftskritische Theorien gegenüber empirischen Erkenntnissen immunisieren dürfen. Im Gegenteil, um sich der Frustrationen sozialer Akteure annehmen und sie in einem emanzipatorischen Sinne beeinflussen zu können, sind Herrschaftstheorien auf die Hermeneutik einer lebendigen Alltagskritik angewiesen. Denn die „Vorstellung einer nicht an der Erfahrung eines Kollektivs angelehnten, gleichsam für sich, will heißen: für niemanden bestehenden kritischen Theorie ist haltlos“ (ebd.: 21). Vielmehr gilt es, die deskriptiv-empirische Analyse im Sinne einer Hermeneutik des Alltagswissens zu nutzen, um so den Übergang von einer „einfachen“ zur einer „komplexen Außenposition“ zu vollziehen (ebd.: 24).[2] Das Spannungsverhältnis zwischen empirisch fundierter und sozial konstruierter Perspektive lässt sich letztendlich aber nicht auflösen. Die Möglichkeit zu innovativer sozialwissenschaftlicher Erkenntnis muss dieser Spannung immer wieder neu „abgerungen“ (ebd.: 28) werden.

3. Zwei Verwendungen des Klassenbegriffs

Exakt dies gilt auch für das – ohnehin immer Fragment gebliebene – Marxsche Klassenkonzept und dessen theoretische Reaktualisierung. Die Spannung zwischen der metatheoretischen Konstruktion kapitalistischer Ausbeutungs- und Klassenverhältnisse einerseits und der empirische gestützten Analyse historisch konkreter Klassenbeziehungen andererseits durchzieht das Marxsche Werk. Sie mündet in mindestens zwei Verwendungen des Klassenbegriffs und damit auch in unterschiedliche Forschungsprogramme (Ellmers 2007: 5) ein. In seinem ökonomiekritischen Spätwerk zielt Marx darauf, „die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen“ (Marx 1983b: 839). Die „Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer“ (und ebenfalls: Lohnarbeiterinnen) behandelt er als Personen nur insoweit „sie die Personifikationen ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen“ (Marx 1983a: 16; Herv. d. A.). Marx geht es hier um die Rekonstruktion des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses in „reiner Form“. Er operiert mit, gleichwohl empirisch informierten, Konstruktionen, die von der komplexen Außenposition eines „reinen Kapitalismus“ und der hypothetischen Möglichkeit seiner Überwindung aus vorgenommen werden. Mit diesem Theorieprogramm lässt sich die spezifische Formbestimmtheit kapitalistischer Klassenverhältnisse (vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, Herausbildung doppelt freier Lohnarbeiter etc.; Heinrich 2005: 194f.) präzise in den Blick nehmen. Doch so hilfreich eine bloße Formanalyse für analytische Durchdringung des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses auch sein mag, sie muss unbefriedigend bleiben, sofern sie nicht empirisch und mit historischem Wissen gefüllt wird.

Selbiges versucht Marx in einem zweiten Forschungsprogramm zu leisten, das Klassen und Klassenbildung in erster Linie als empirische Phänomene begreift. Im „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte“ geht Marx weit über die sozioökonomischen Bestimmungen kapitalistischer Klassenverhältnisse hinaus. Klassenbildungsprozesse werden zum Gegenstand einer komplexen Strukturanalyse, die die relative Autonomie und Spezifik des Politischen berücksichtigt (Hall 1989: 36 f.). Marx skizziert nicht nur Kräfteverhältnisse und Bündniskonstellationen zwischen Klassen und Klassenfraktionen, die die damalige französische Gesellschaft prägten. Er korrigiert seine frühere Vorstellung, wonach alle anderen (Zwischen-)Klassen gegenüber dem Proletariat nur eine reaktionäre Masse darstellen, zugunsten einer präziseren Interpretation. Das „Kleinbürgertum“ erscheint nun als Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung zwischen den beiden kapitalistischen Hauptklassen. Deren Klassenfraktionen werden im Begriff des Klassenblocks, also wechselnder, sich beständig neu zusammensetzender Bündnisse, mit politisch-konstitutionellen Formen und Institutionen verbunden. Auf der politischen Bühne agieren mit Armee, Presse, Intellektuellen und Kirche Kräfte, die sich einem Klasseninteresse nicht eindeutig zuordnen lassen. Vor diesem Hintergrund führt Marx der Begriff der politischen Repräsentationsweise (ebd. S. 40; Marx 1982: 140-142) ein, mit dem er eine Sphäre des politischen Kampfs bezeichnet, die sich gerade nicht auf die bloße Exekution sozioökonomisch bestimmter Klasseninteressen reduzieren lässt.

Erst diese komplexe Analyse ermöglicht Marx eine Antwort auf die Frage, welche sozialen Kräfte der Staatsstreich Napoleons III. repräsentiert. Die Antwort, Napoleon vertrete die konservativen Parzellenbauern, verweist auf eine weitere Dimension bewusster Klassenbildung. Sofern eine spezifische Produktionsweise die Herausbildung übergreifender Verkehrs- und Kommunikationsformen, also die Konstitution einer Klassenöffentlichkeit, verunmöglicht, kann es nicht zu bewusster Klassenbildung kommen. Die französischen Parzellenbauern stellen nur insofern eine Klasse dar, „wie etwa ein Sack von Kartoffeln einen Kartoffelsack bildet“. Da „die Diesselbigkeit ihrer Interessen keine Gemeinsamkeit, keine nationale Verbindung und keine politische Organisation unter ihnen erzeugt, bilden sie keine Klasse. Sind sie daher unfähig, ihre Klasseninteressen im eigenen Namen... geltend zu machen.“ (ebd.: 198)

Marx verbindet mit dieser Erkenntnis aber keine Abkehr von der Klassenanalyse. Klassen, so lässt sich schon aus dem „Brumaire“ lernen, sind niemals sozial homogene Großgruppen. Der „Normalzustand“ zumindest beherrschter Klassen ist durch Konkurrenz, Spaltung und soziale Fragmentierung geprägt (Deppe 1981). Solidarisches Klassenhandeln subalterner Gruppen ist hingegen historisch äußerst voraussetzungsvoll. Zu revolutionären Klassenhandeln kommt es nur in Ausnahmefällen, weitaus häufiger sind Aktivitäten zur Verbesserung individueller und/oder kollektiver Klassenpositionen. Zudem sind Klassenbildungen keine linearen Prozesse, die von einem Stadium der Konkurrenz und der „verrückten Kämpfe“ (Artus 2011: 20-230) notwendig zu höheren Stufen der Organisiertheit und politischen Bewusstheit führen. Historisch lassen sich stattdessen „Kampfzyklen“ identifizieren, in deren Abschwungphasen es immer wieder zu Klassenentbildung und politischer Desorganisation kommt (Chauvel 2006, Baschet 2002). Vor allem jedoch handeln Klassen unter keinen Umständen als geschlossene Großgruppen. Jegliche Form des kollektiven Klassenhandelns von Lohnabhängigen, gleich, ob es auf struktureller, organisierter oder institutioneller „Arbeitermacht“ beruht, ist letztendlich auf politische Repräsentation angewiesen. Dies schließt ein, dass Bündnisse und Allianzen, wie sie im Kampf um Hegemonie zwischen den Repräsentanten unterschiedlicher Interessen geschlossen werden, den Klassenbezug politischer Projekte im öffentlichen Raum häufig unkenntlich machen.[3] Wer sich auf das Feld empirisch beobachtbarer Klassenbildungen und ihrer politischen Wirkungen begibt, hat es daher in sämtlichen Phasen kapitalistischer Entwicklung mit komplexen Strukturen und Prozessen zu tun. Soziale Spaltungen und Fragmentierungen, die beherrschte Klassenfraktionen zueinander in Konkurrenz setzen, sind somit alles andere als ein harter Beleg für die Irrelevanz von Klassenanalyse – es sei denn, man wollte dem Marxschen Klassenkonzept seine Relevanz schon für das 19. Jahrhundert absprechen.

Wir könnten Lothar Peter nun vorhalten, dass er Erkenntnisse, die Marx bereits in seinem „zweiten Forschungsprogramm“ für eine verfeinerte Klassenanalyse genutzt hatte, zu einem Argument für einen Abschied von der Klassentheorie machen will. Unser wichtigstes Argument ist jedoch ein anderes. Selbst wenn die empirische Analyse vor allem Desorganisation und Fragmentierung der Beherrschten belegt, bleibt der Klassenbegriff für die Analyse von Ausbeutungsverhältnissen unentbehrlich. Folgt man Lothar Peters Argumentation, so ist eine Differenzierung zwischen Klasse als sozioökonomischer Kategorie, die allerdings über „die Art und Weise, wie Klassen sich zu politischen Kräften formieren“, noch nichts aussagt, und der Verwendung des Klassenbegriffs im Rahmen einer politischen Soziologie, welche wiederum „klassenpositionsgebundene und andere politische Kräfte“ unterscheidet (Becker 2010: 38f.), unmöglich. Nicht einmal für die Weberschen Erwerbs- und Besitzklassen lassen die Selbstbeschränkung auf sehr eng gefasste „soziale Klassen“ sowie die implizite Ausrichtung am Aggregatzustand mobilisierter und homogener Klassen Raum.

Bezeichnend ist, dass der Ausbeutungsbegriff bei Peter nicht mehr an zentraler Stelle vorkommt. Anstelle einer begrifflich geschärften Ausbeutungstheorie findet sich bei Peter lediglich der recht vage Verweis auf „kollektive Zwänge und Herrschaft“ (Peter 2010: 144) sowie allgemein auf „gesellschaftliche[.] Herrschaftsverhältnisse“ (ebd.: 145). Dies hängt eng mit dem Verzicht auf Klassenkategorien zusammen, denn Ausbeutung impliziert, dass die Aktivitäten und Aneignungsweisen herrschender Gruppen mit – überwiegend negativen – Konsequenzen für die Beherrschten verbunden sind. So weicht bei Peter eine ausformulierte Ausbeutungstheorie letztlich der Diagnose der lebensweltlichen Pluralisierung und Fragmentierung ehemaliger Klassenformationen. Ohne eine Unterscheidung von ausbeutenden und ausgebeuteten Klassen ist jedoch die kritische Analyse von Ausbeutungsverhältnissen schlechterdings unmöglich. Gibt man den Klassenbegriff als sozioökonomische Kategorie preis, lässt sich kapitalistische Ausbeutung nicht mehr modellieren. Verzichtet man jedoch auf die Ausbeutungstheorie, wird es auch mit Kapitalismusanalyse und -kritik schwierig.

4. Primäre und sekundäre Ausbeutung

Und – so muss hinzugefügt werden – es ist dann auch kaum noch möglich, Erkenntnis fördernde „Ordnung“ in die scheinbar chaotische Vielfalt von Ungleichheiten zu bringen, wie sie der zeitgenössische Finanzmarktkapitalismus produziert. Um letzteres mit Hilfe von Klassenkategorien zumindest andeutungsweise leisten zu können, empfiehlt es sich, so unsere zweite These, das Marxsche Klassenkonzept um eine Theorie sekundärer Ausbeutung zu erweitern. In seiner Bonapartismus-Analyse deutete Marx immerhin an, dass der Kapitalismus keineswegs in reiner Gestalt existiert und – so möchten wir hinzufügen – auch niemals existieren kann. Eben dies wird im Konzept kapitalistischer Landnahmen systematisch reflektiert. Die Grundidee des Landnahmetheorems besagt, dass der Kapitalismus sich letztendlich nicht auf seinen eigenen Grundlagen zu reproduzieren vermag, weshalb er beständig auf die Okkupation eines nichtkapitalistischen Anderen angewiesen bleibt. Durch Einverleibung von nichtkapitalisierter Arbeitskraft und Erde erwirbt das Kapital „eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigene Größe gesteckten Grenzen“ (Luxemburg 1975: 305). Nur die fortwährende Okkupation „äußerer Märkte“, sprich: nichtkapitalistischer Produktionsweisen, Sektoren, Schichten und Lebensformen inner- und außerhalb nationaler Grenzen, macht eine erweiterte Reproduktion des Kapitals über längere historische Perioden überhaupt möglich. Die „unaufhörliche Steigerung der Produktivität der Arbeit“ schließt zugleich das Bestreben nach einer „schrankenlose(n) Nutzbarmachung aller von der Natur und der Erde zur Verfügung gestellten Stoffe und Bedingungen ein und ist an eine solche gebunden“ (ebd.: 306). Da die Verantwortung für die Kapitalreproduktion beim Einzelkapitalisten liegt und unter Konkurrenzbedingungen sowie bei unvollständiger Information erfolgt, verwandelt sich die erweiterte Reproduktion „geradezu in ein Zwangsgesetz, in eine wirtschaftliche Existenzbedingung für den Einzelkapitalisten“ (ebd.: 18). Es ist der Zwang zu erweiterter Mehrwertproduktion, „die in der kapitalistischen Gesellschaft die Reproduktion der Lebensbedürfnisse im Ganzen zum Perpetuum mobile macht“ (ebd.: 16).

Dieser Grundgedanke des Landnahmetheorems lässt sich für die Ausbeutungs- und Klassentheorie in mehrfacher Hinsicht nutzbar machen. Erstens impliziert er, dass auch das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis niemals in reiner Gestalt existieren kann. In all seinen historischen Ausprägungen ist es mit Formen sekundärer Ausbeutung verwoben. Sekundär meint in diesem Fall keineswegs weniger schmerzhaft, weniger brutal oder weniger wichtig. Charakteristisch ist vielmehr, dass die Rationalität des Äquivalententauschs, welche die primäre kapitalistische Ausbeutung strukturiert, nicht oder nur mit Einschränkungen gilt. Die Funktionalisierung unbezahlter Reproduktionsarbeit von Frauen oder die Installierung eines transitorischen Status für Migranten sind klassische Fälle für die Funktionsweise sekundärer Ausbeutung. Im ersten Fall werden symbolisch-habituelle und politisch-institutionelle Mechanismen genutzt, um Tätigkeiten mittels geschlechterspezifischer Konstruktionen zu hierarchisieren. Die Abwertung reproduktiver Arbeiten und der relative Ausschluss von Existenz sichernder Erwerbsarbeit haben hier ihren historischen Ursprung (Aulenbacher 2009: 65-80). Im zweiten Fall verstetigt der transitorische, auf relativer Entrechtung und Entwurzelung basierende Sonderstatus von Migranten eine spezifische Innen-Außen-Differenz, die bewirken soll, dass kostengünstige Arbeitskraft vorhanden ist, welche sich für die unattraktiven Segmente des Arbeitsmarktes mit ihren wenig qualifizierten, stark belastenden und gering entlohnten Arbeiten mobilisieren lässt. Von sekundärer Ausbeutung kann somit immer dann gesprochen werden, wenn symbolische Formen und staatlich-politisch vermittelter Zwang eingesetzt werden, um Innen-Außen-Differenzen mit dem Ziel zu konservieren, die Arbeitskraft bestimmter sozialer Gruppen unter ihren Wert (das jeweils erreichte historische Niveau der Reproduktionskosten) zu drücken oder diese Gruppen aus dem eigentlichen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis auszuschließen.

Neben diesen Formen der Überausbeutung, deren Ursprung in vorkapitalistischen Verhältnisse wurzelt, lassen sich zweitens Mechanismen sekundärer Ausbeutung identifizieren, die erst mit der Expansion des Wohlfahrtsstaates entstehen. Das Perpetuum mobile kapitalistischer Landnahmen funktioniert nur, wenn es durch fortwährende Staatsinterventionen in Bewegung gehalten wird. Staatsinterventionen eröffnen die Möglichkeiten zur aktiven Herstellung eines nichtkapitalistischen Anderen. Der expansive Wohlfahrtsstaat, wie er sich nach 1945 herausgebildet hat, stellt ein solch aktiv geschaffenes „Außen“ kapitalistischer Akkumulation dar. In Westeuropa ermöglichte es dieser Wohlfahrtsstaat zeitweilig, das sogenannte „Lohngesetz“[4] außer Kraft setzen. Die fordistische Landnahme verdrängte allmählich charakteristische Produkte und Leistungen des traditionalen, handwerklich-agrarischen Sektors aus den Lebensbedarfen der Lohnabhängigen. Zugleich mobilisierte sie Arbeitskräfte aus nichtkapitalistischen Bereichen für die Industrie und die moderne Dienstleistungsproduktion. Werttheoretisch gesprochen ermöglichte diese „innere Landnahme“ des fordistischen Kapitalismus, die Entlohnung der Arbeitskraft – wenngleich sozial differenziert und geschlechterhierarchisch – von ihrer Limitierung durch die Reproduktionskosten der Arbeitskraft abzukoppeln und „nach oben“ zu korrigieren. Mit sozial geschützter und demokratisch eingehegter Lohnarbeit bildete sich in den kapitalistischen Metropolen ein Sozialbürgerstatus heraus, der eine Majorität der Lohnabhängigen samt ihrer Familien integrierte. Obwohl diese Phase eines Kapitalismus ohne sichtbare industrielle Reservearmee historisch nur von kurzer Dauer war, hat sie doch zur Durchsetzung von Standards und Normen für Lebensqualität, Partizipation und soziale Sicherheit geführt, die im Alltagsleben eines Großteils der Lohnabhängigen noch immer tief verankert sind. Von sekundärer Ausbeutung kann daher ebenfalls gesprochen werden, sofern Lohnabhängige, darunter potentielle oder inaktive, z. B. wegen ihres Lebensalters, ihrer Qualifikation oder eines unsicheren Beschäftigungsverhältnisses bei Entlohnung, sozialer Sicherheit, gesellschaftlicher Anerkennung, Lebensqualität und -planung sowie den Chancen zu politischer Partizipation dauerhaft unter ein Niveau gedrückt werden, das gesellschaftliche Mehrheiten noch immer als Standard anerkennen und das in habitualisierten Formen auch in Distinktionskämpfen wirksam wird (Dörre u.a. 2009). Zeitgenössische Ausprägungen diskriminierender Prekarität, oder auch die übermäßige Besteuerung bestimmter sozialer Gruppen, lassen sich auf solche Mechanismen sekundärer Ausbeutung zurückführen, die vor allem eine Abweichung vom erreichten Wohlstandsniveau signalisieren.

Drittens schließlich muss von sekundärer Ausbeutung gesprochen werden, wenn soziale Gruppen – über die Hierarchie des internationalen Staatensystems vermittelt – etwa durch Partizipation an einer hegemonialen Lebensweise endliche natürliche Ressourcen in einem Ausmaß verbrauchen, das zu Lasten des Konsums anderer Gruppen und Staaten geht. Soziale Einheiten, die endliche Ressourcen übermäßig vernutzen und die Schadstoffe in einem Ausmaß emittieren, das notwendig zur Einschränkung der Reproduktions- und Lebensbedingungen anderer sozialer Einheiten führt, betätigen einen spezifischen Mechanismus sekundärer Ausbeutung[5], der sich nicht allein auf das kapitalistische Verwertungsprinzip zurückführen lässt, sondern immer auch einem politisch-ideologischen Expansionismus, dem Prinzip der Akkumulation politischer Macht entspringt, dessen brutale Wirkungen sich gerade auch am Beispiel staatssozialistischer Gesellschaften eindringlich studieren lassen.

Die Verschränkung von formationsspezifischen primären und formationsunspezifischen sekundären Ausbeutungsverhältnissen impliziert eine – allerdings begrenzte – Vielfalt sozialer Antagonismen. Kapital und Arbeit, Genus, Ethnie und Nationalität sowie Mensch-Natur-Beziehungen konstituieren je eigene Gegensätze und Ausbeutungsverhältnisse, die in den sozialen Beziehungen von Herrschenden und Beherrschten stets präsent sind, ohne dass sich a priori festlegen ließe, welcher Antagonismus in den sozialen Kämpfen und politischen Konflikten jeweils zum bestimmenden wird. Der Wohlfahrtsstaat schafft darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten, die sozialen Ungleichheiten, die mit der einen oder anderen Ausbeutungsform verbunden sind, politisch zu beeinflussen und gegebenenfalls abzumildern oder auch zu verschärfen. D. h. die Ausbeutungsverhältnisse werden strukturell „politisiert“, durch politische Entscheidungen beeinflusst (Lessenich 2009). Festzuhalten ist jedoch, dass in historisch-konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen permanent sämtliche skizzierten Ausbeutungsformen und Antagonismen präsent sind. Die sozialen Akteure sorgen für eine Hierarchisierung der diversen Antagonismen, ohne dass sich damit – wie die Intersektionalitätsforschung (z. B. Klinger u. a. 2007) eindrucksvoll belegt – die eine Ausbeutungsform auf die andere zurückführen oder gar reduzieren ließe. Mehr noch, keine der so konstituierten „Achsen der Ungleichheit“ lässt sich „angemessen erfassen“, „wenn man sie isoliert betrachtet“ (Becker-Schmidt 2007: 56).

Die begrenzte Pluralität sozialer Antagonismen und Ausbeutungsformen relativiert die Erkenntnismöglichkeiten von Klassenanalyse, macht sie jedoch nicht obsolet. Ein Beispiel mag das illustrieren. Die neuen Dienstbotenverhältnisse in der Pflege- und Sorgearbeit synthetisieren und hierarchisieren unterschiedliche Ausbeutungsverhältnisse: die geringe Wertschätzung und daraus resultierende Diskriminierung weiblich dominierter Reproduktionstätigkeiten, die Überausbeutung und Informalisierung migrantischer Arbeitskraft, die Defizite eines Wohlfahrtsmodells, das einen Großteil der Sorgearbeit privatisiert, aber eben auch klassenspezifische Über- und Unterordnung, die im Fall der illegalen Beschäftigung von Migrantinnen nicht einmal über einen formalisierten Arbeitsvertrag geregelt wird (Lutz 2007). Angesichts dieser Verschränkung unterschiedlicher Ausbeutungsformen würde ein Verzicht auf Klassenkategorien nicht nur die Komplexität von Ausbeutung und Herrschaft unterbieten, sondern es noch zusätzlich erschweren, die jeweilige Spezifik klassenunspezifischer Ausbeutungsformen präzise zu analysieren (Becker-Schmidt 2007: 68).

5. Ausbeutung im Finanzmarktkapitalismus

Unser Vorschlag ist deshalb, zwischen einer eher sozioökonomisch-strukturalen und einer eher auf historisch-konkrete Klassenbildungsprozesse zielenden Verwendung des Klassenbegriffs zu unterscheiden. Beide Verwendungsweisen haben ihre Berechtigung und können sich wechselseitig korrigieren. Unabhängig von einer Beantwortung der Frage, ob es zu mobilisierten Klassen kommt, lassen sich sozioökonomische Klassenkategorien zur Analyse primärer wie sekundärer Ausbeutungsverhältnisse nutzen. Auch in diesem Fall ist Klasse eine Prozesskategorie, die Wechselbeziehungen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten thematisiert und die so eine Heuristik liefert, mit deren Hilfe historisch-konkrete Klassen(ent)bildungsprozesse untersucht werden können. Wie solche Untersuchungen anzulegen wären, wollen wir nachfolgend am Beispiel der finanzkapitalistischen Landnahme und der durch sie veränderten Ausbeutungsordnung zeigen.

Finanz(markt)kapitalismus ist die Bezeichnung für eine Phase kapitalistischer Entwicklung, die durch eine – relative – Dominanz des fiktiven Kapitals über das sogenannte Realkapital geprägt wird. Die Kategorie zielt auf ein soziales Machtverhältnis, das klassentheoretisch relevant ist. Fiktives Kapital schafft keinen Neuwert. Zur Befriedigung seiner Ansprüche dienen Zinseinkommen, die von Profiten abgezweigt werden. Relative Dominanz des fiktiven Kapitals bedeutet daher klassenanalytisch, dass herrschende Gruppen, deren Interessen auf eine Vergrößerung von Zinseinkommen ausgerichtet sind, ihre Machtpositionen zunächst innerhalb der herrschenden Klassen ausbauen und verstetigen können. Diese Entwicklung ist für die die Herausbildung neuer Ausbeutungs- und Klassenbeziehungen folgenreich, weil das Interesse an Zinseinkommen Druck auf die Profite ausübt.

In den aggregierten Dienstleistungs- und Funktionsbereichen des Finanzsektors arbeiten Gruppen mit vergleichsweise hohen Einkommen, deren Interessen organisch mit dem finanzkapitalistischen Projekt verbunden sind. Diese Gruppen, Windolf (2008) spricht von einer „Dienstleistungsklasse des Finanzmarktkapitalismus“, generieren sukzessive Ansprüche, die zu befriedigen die so genannte Realwirtschaft nur – und auch nur auf Zeit – in der Lage ist, sofern die dominanten Akteure alles daran setzen, Renditen und Gewinne auf hohem Niveau einigermaßen stabil zu halten. Über verschiedene Transfermechanismen (kapitalmarkorientierte Steuerungsformen, Markt für Unternehmenskontrolle, Beteiligung institutioneller Anleger, Autonomisierung des Top-Managements, Zielvereinbarungen, Bilanzierungsregeln etc.) werden die Verwertungsbedürfnisse des fiktiven Kapitals zu nicht hintergehbaren Prämissen, an denen realwirtschaftliche Operationen ausgerichtet werden müssen. Im exportorientierten Sektor ist so eine Planwirtschaft im Dienste von Maximalrenditen und Profiten entstanden, die in modifizierter Form offenbar auch über die globale Wirtschaftskrise von 2008/09 hinaus Bestand hat. Dieser Modus der Kapitalakkumulation funktioniert indessen nur, wenn überschießende Rendite- und Gewinnversprechen, die realwirtschaftlich im Grunde nicht befriedigt werden können, auf andere Weise eingelöst werden. Eben das macht den Kern der finanzkapitalistisch getriebenen Landnahme aus. Um den Motor finanzkapitalistischer Akkumulation am Laufen zu halten und die auf fiktivem Kapital gegründeten Einkommensansprüche befriedigen zu können, müssen ständig neue Vermögenswerte in den Kapitalkreislauf eingespeist werden. Aus diesem Grund werden marktbegrenzende Institutionen ausgehöhlt, wird Sozialeigentum beschnitten, öffentliches Eigentum privatisiert und sekundäre Ausbeutung verschärft oder ausgeweitet. Kurzum, es handelt sich um eine Landnahme des Sozialen, die an jenen marktbegrenzenden Institutionen, Regulierungen, Sektoren und Machtressourcen ansetzt, die im fordistischen Kapitalismus eine zeitweilige Überwindung des „Lohngesetzes“ und eine Politisierung sozialer Ungleichheiten ermöglicht hatten.

Wenngleich über millionenfache anarchische Aktivitäten auf der Mikroebene vorangetrieben, ist die finanzkapitalistische Landnahme ein Klassenprojekt. Im Kern beinhaltet dieses Projekt eine Umverteilung zugunsten der herrschenden Klassen. Vorstände von DAX-Unternehmen, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre etwa 14mal so viel verdienten wie ein durchschnittlicher Einkommensbezieher, kommen zwanzig Jahre später auf das 52fache des Einkommens eines Durchschnittverdieners. Im Vergleich zu den USA, wo ein einzelner Fonds-Manager mit 702 Mio. US-Dollar binnen eines Jahres in etwa so viel verdienen kann wie die gesamte Belegschaft eines transnationalen Großkonzerns, fallen diese Disparitäten allerdings noch relativ milde aus. Die Daten zur Einkommensentwicklung veranschaulichen jedoch noch etwas anderes: Zwischen 2000 und 2010 sind die Nettoeinkommen in zehn Einkommensgruppen nur bei den Spitzeverdienern leicht gewachsen, in den mittleren Einkommensgruppen lagen sie durchschnittlich 2,5 Prozent unterhalb des Niveaus von 2000, die untersten Einkommensgruppen büßten hingegen zwischen 16 und 22 Prozent ihres Nettoeinkommens ein (DIW, FR, 19.07.2011).

In diese Daten schlägt sich die für den Finanzmarktkapitalismus charakteristische Tendenz zur Verstärkung primärer wie sekundärer Ausbeutung nieder. Die Verteilungsrelationen haben sich auch innerhalb des vertraglich garantierten Äquivalententauschs zuungunsten eines Großteils der Stammbeschäftigten verschoben. Der Preis für Beschäftigungssicherheit ist hier häufig eine Ultraflexibilität, die in der Konsequenz auf eine erhebliche Leistungsintensivierung bei den Festangestellten hinausläuft (Holst/Matuschek 2011). Nicht minder bedeutsam ist indessen, dass das Bestreben, Maximalrenditen und Gewinn auf hohem Niveau zu stabilisieren, offenbar die Neigung dominanter kapitalistischer Akteure (Eigentümer, Finanziers, Top-Manager) steigert, soziale Regeln zu unterlaufen oder gar außer Kraft zu setzen. Dies geschieht bevorzugt mittels Intensivierung und Verstärkung bestehender oder neu geschaffener Mechanismen sekundärer Ausbeutung. Als Kehrseite finanzkapitalistischer Akkumulation hat sich ein prekärer Sektor herausgebildet, der die Hauptlast der Einkommens- und Beschäftigungsrisiken trägt. Allein im Niedriglohnsektor mit seiner großen Einkommensspreizung arbeiten in Deutschland 20,7 Prozent der Beschäftigten (2008). Immerhin 3, 4 Mio. Beschäftigte (10,7 Prozent der abhängig Beschäftigten) verdienten weniger als 7 Euro Brutto die Stunde (Weinkopf 2010: 44). In diesem Sektor haben sich – empirisch nachweisbar – andere Regulierungsformen von Sozial- und Arbeitsbeziehungen durchgesetzt als in den durch Tarifverträge und Mitbestimmung noch einigermaßen geschützten Bereichen. Anstelle von Äquivalenten wird Repression gegen Angst getauscht. Als Folge sekundärer Ausbeutung ist es gelungen, den Preis der Arbeitskraft systematisch unter das historisch erreichte Wohlfahrtsniveau oder gar unter ihre Reproduktionskosten zu drücken, so dass der Staat großzügig Beschäftigungsverhältnisse subventionieren muss, deren Entlohnung die Arbeitenden nicht mehr ernährt.[6]

Diskriminierende Prekarität im Finanzmarktkapitalismus ist das Resultat nicht nur einer Verstärkung, sondern auch einer neuartigen Hierarchisierung primärer wie sekundärer Ausbeutung. Die Aneignungsweisen ausbeutender Klassen(fraktionen) ziehen unweigerlich wachsende soziale Unsicherheit und Prekarität in subalternen Klassen nach sich. Dies trifft jedoch nicht alle ausgebeuteten Klassen(fraktionen) in gleicher Weise. Vielmehr zeichnet sich eine dreifache Spaltung der Lohnabhängigen ab, die im wesentlich aus der unterschiedlichen Verfügung über Machtressourcen und Sozialeigentum und den daraus resultierenden Chancen am Arbeitsmarkt resultiert. Hochqualifizierte Beschäftigte und Spezialisten verfügen über eine Position am Arbeitsmarkt und im Produktionsprozess, die es ihnen – und sei es individuell – erlaubt, strukturelle Machtressourcen einzusetzen, um Gehaltszuwächse durchzusetzen und sekundäre Ausbeutung zu minimieren. Diese Gruppen bewegen sich, soweit sie kommandierende Arbeit verrichten, zumindest in sozialer Nähe zu den Mittelklassen; auch als kommandierte Beschäftigte können sie den Anschluss an diese Mittelklassen einigermaßen wahren.[7]

Davon zu unterscheiden ist die Masse der qualifizierten Angestellten und Arbeiter in kommandierter Beschäftigung. Diese sozialen Gruppen sind im Finanzmarktkapitalismus in die Defensive geraten. Ihre organisationalen und institutionellen Machtressourcen reichen jedoch überwiegend noch aus, um Einkommensverluste und Einbußen bei der Arbeits- und Lebensqualität in Grenzen zu halten. Sozialpsychologisch und in ihren Handlungsstrategien sind diese Gruppen dennoch primär am Erhalt ihres sozialen Status interessiert, d. h. sie verteidigen ihr verbliebenes Sozialeigentum gegen die finanzkapitalistische Landnahmen „von oben“, aber auch gegen Konkurrenz aus dem prekären Sektor.

In dem letztgenannten Sektor findet sich eine sozial neu zusammengesetzte Unterklasse (resp. Unterklassen), die kaum über Machtressourcen verfügt/verfügen, um ihre Lage individuell oder kollektiv zu beeinflussen. Charakteristisch für diese prekär und z. T. informell Beschäftigten und Erwerbslosen ist, dass sie sich in sozialer Nähe zu einem Status der Fürsorge bewegen, der in Deutschland durch die „Hartz-Gesetze“ politisch neu justiert wurde. Wer in solchen Verhältnissen überleben will, muss sich früher oder später einen Überlebenshabitus aneignen, der sich – so unsere Hypothese – deutlich vom Kollektivhabitus der Klassenangehörigen in kommandierender und kommandierter Arbeit unterscheidet. Trifft dies zu, so muss Arbeiterklasse auch im nationalen Rahmen entwickelter Kapitalismen im Plural definiert werden. Ausbeutung im Finanzmarktkapitalismus erzeugt selbst in der sozioökonomischen Dimension keine einheitliche Lohnabhängigenklasse, sondern tendenziell drei Lohnarbeiter(innen)klassen, deren Arbeits- und Lebensbedingungen – wahrscheinlich – je spezifische soziale Lagen und Lebensweisen konstituieren.

6. Klassenspezifik von Prekarität

Nun handelt es sich bei dieser Dreiteilung subalterner Arbeiterklassen zunächst lediglich um eine Hypothese mit heuristischer Funktion, um eine – wenn man so will – empirisch informierte metatheoretische Konstruktion. Deren Relevanz für die Analyse empirisch vorfindbaren Klassenhandelns und Klassenbewusstseins lässt sich jedoch gerade anhand des Prekarisierungsproblems verdeutlichen. Tatsächlich sind Prekarisierungstendenzen im Finanzmarktkapitalismus zunächst ein klassenübergreifendes Phänomen (Castel 2009). Auch lässt sich nicht bestreiten, dass in den zeitgenössischen Ausprägungen diskriminierender Prekarität unterschiedliche „Achsen sozialer Ungleichheit“ wirksam werden. Prekarität ist in überdurchschnittlichem Maße ein Phänomen weiblicher und migrantischer Beschäftigung. Es gibt jedoch auch eine Klassenspezifik von Prekarisierungsprozessen.

Diese Klassenspezifik wurzelt nicht allein darin, dass Prekaritätsrisiken in hohem Maße von der sozialen Herkunft und damit von der Klassenposition beeinflusst werden (Kraemer 2009). Wie Pelizzari (2008, 2009) zeigt, lassen sich klassenspezifische Typen von Prekarität identifizieren. Pelizzari bezeichnet sie als notwendige, transitorische und avantgardistische Prekarität. Diese Typen korrespondieren mit je besonderen Teilarbeitsmärkten. Prekarität findet sich in den unstrukturierten und Pufferarbeitsmärkten als notwendige Prekarität. Als proletarische Prekarität tritt sie auch beim Stammpersonal gewerkschaftlich schwach organisierter Branchen in Erscheinung. Als transitorische oder avantgardistische Prekarität ist sie jedoch auch in berufsfachlichen oder betriebsinternen Teilarbeitsmärkten, bei hochqualifizierten Angestellten, Kreativarbeiterinnen und Künstlern anzutreffen. Nicht jede oder jeder arbeitet prekär, aber die verschiedenen Arbeitsmarktsegmente kennen je spezifische Formen von Prekarität, die auffällig mit der von uns vorgeschlagenen Dreiteilung der Lohabhängigenklassen übereinstimmen. Nicht minder bedeutsam ist, dass auch die Bewältigungsstrategien von Prekarität von der jeweiligen Klassenposition beeinflusst werden (Rademacher/Lobato 2008). Aus all dem folgt wiederum, dass Prekarisierungsprozesse sich zwar nicht auf eine Klassenproblematik reduzieren lassen; in ihren verschiedenen Ausprägungen und Bewältigungsformen umfasst diskriminierende Prekarität aber eine klassenspezifische Dimension, die ohne Klassenkategorien unweigerlich aus dem Blick gerät.

7. Einige Schlussfolgerungen

Was bedeutet all das nun für eine erneuerte Klassentheorie? Zunächst nicht mehr als die Erkenntnis, dass die beiden Marxschen Verwendungsweisen des Klassenbegriffs und die damit verbundenen Forschungsprogramme nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben. Als Ausbeutungsordnung lässt sich auch der zeitgenössische (Finanzmarkt)Kapitalismus nur mit Hilfe sozioökonomisch fundierter Klassenkategorien verstehen und kritisieren. Verabschieden muss man sich indessen von einem geschichtsphilosophisch aufgeladenen Klassenkonzept, das die Tendenz zur Polarisierung zwischen den gesellschaftlichen Hauptklassen und zur sozialen Homogenisierung innerhalb der beherrschten Klassen aus einer politischen Motivation heraus überzeichnet (Marx/Engels 1977). Ein analytischer, sozioökonomisch fundierter Klassenbegriff sagt allerdings noch wenig darüber aus, ob politisch mobilisierte Arbeiterinnenklassen überhaupt noch einen Realitätsgehalt besitzen. Eine solche Verwendung von Klassenkategorien erleichtert es aber, empirisch vorfindbare Formen der (Dis-)Aggregation von Klassensubjekten überhaupt zu verstehen. Denn die Beherrschten haben im Grunde nur die Wahl, sich entweder der „ständig wachsende Macht der herrschenden Klassen“ zu fügen oder sie müssen selbst als Klassen agieren (Harvey: 2007: 250). Sollen Klassenbildungsprozesse, Klassenbewusstsein und Klassenhandeln im Gegenwartkapitalismus untersucht werden, ist zwingend geboten – das haben wir gezeigt – zugleich die Verschränkung der Klassenspaltung mit anderen Antagonismen und deren Hierarchisierung im Akteurshandeln in den Blick zu nehmen. Und auch die Autonomie des Politischen (Deppe 2011), die „reine“ Klassenbewegungen unwahrscheinlich macht, muss angemessen berücksichtigt werden. Dergleichen kann hier nicht annähernd geleistet werden. Doch wir wollen zumindest andeuten, wo ein Forschungsprogramm, das Klassenbildung im Gegenwartskapitalismus untersuchen will, ansetzen könnte.

(1) Treffen unsere Überlegungen auch nur annähernd zu, so muss eine prozessorientierte Klassenanalyse für nationale Kapitalismen praktizieren, was z.B. aus der Perspektive der Weltsystemtheorie längst selbstverständlich ist. Die vermeintlich „nivellierende“ Macht globaler Märkte bestärkt eine „endemische Tendenz“ unter den Lohnabhängigen, „klassenunspezifische Grenzen abzustecken, auf deren Basis sie beanspruchen können, vor dem Mahlstrom“ marktvermittelter Konkurrenz geschützt zu werden (Silver 2005: 41; Wright 2000: 957-1002). In Abhängigkeit von den verfügbaren Machtressourcen führt dies zur Herausbildung unterschiedlicher Arbeiterinnenklassen. Deren Interaktionen hierarchisieren primäre und sekundäre Ausbeutungsformen und bringen so besondere Formen klassenpolitischer Über- und Unterordnung hervor, in denen immer auch klassenunspezifische Antagonismen wirksam werden.

(2) Hierarchische Beziehungen zwischen unterschiedlichen Lohnarbeiterklassen lassen sich analytisch erfassen, wenn kapitalistische Gesellschaften im Anschluss an Luc Boltanski (2010) als soziale Felder von Bewährungsproben begriffen werden, die sowohl Kräfteverhältnisse als auch Wertigkeitsprüfungen umfassen. Klassen, auch beherrschte Klassen, unterschieden sich in ihrer Fähigkeit, solche Bewährungsproben mittels Einsatz von Organisationsmacht (Wright 2009) zu beeinflussen und, auch über kommunikative Macht, mit zu definieren. Ob z. B. Leiharbeiterinnen oder Werkvertragsnehmer die Chance zum Sprung in die Stammbelegschaft haben, wird in – schwach institutionalisierten – Auswahlprüfungen entschieden, die scheinbar einem meritokratischen Prinzip folgen, zumindest indirekt aber auch Gefügigkeit und Wohlverhalten zum Bewährungsprinzip erheben. Diese Bewährungsproben tragen zur Versachlichung sekundärer Ausbeutung bei, weil sie den Prekarisierten einen Minderheitenstatus zuweisen, der den Anschluss an „Normalität“ als Resultat individueller Anstrengung erscheinen lässt. Klassenanalytisch bedeutsam ist, dass auch Stammbeschäftigte in kommandierter Arbeit zumindest indirekt an solchen Auswahlprüfungen beteiligt sind. Gegenüber den prekarisierten Gruppen agieren sie als „Beherrschte in herrschender Stellung“ (Dörre 2011) – ein soziales Verhältnis, das Solidarisierungsprozesse zumindest erschwert.

(3) Das erklärt Ausprägungen von Klassensubjektivität und Klassenhandeln, welche Distinktion sowohl nach „oben“ als auch nach „unten“ erkennen lassen. Die exklusive Solidarität von Stammbeschäftigten, welche kapitalismuskritische Einsichten mit abgrenzenden Ressentiments gegenüber Leiharbeitern und Langzeitarbeitslosen verbinden (Dörre u.a. 2011: 21-50), ist eine solche Form von Klassensubjektivität. Es handelt sich um ein Kollektivbewusstsein von – überwiegend qualifizierten – Arbeitern und Angestellten in kommandierter wie kommandierender Arbeit, die um Statuserhalt, um die Verteidigung ihrer Klassenposition kämpfen – und sei es auf Kosten ressourcenschwächerer beherrschter Klassen. Diese exklusive Solidarität ähnelt mehr dem Polanyischen Typus des kollektiven Schutzes vor Marktkonkurrenz als dem Marxschen Typus politisch bewussten Klassenhandelns. Dennoch generiert sie in gewisser Weise rationale, klassenbasierte Handlungsstrategien.

(4) Die Existenz unterschiedlicher (potentieller) Arbeiterinnenklassen bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Politisierung nur realistisch ist, sofern sich jede dieser Klassen für sich selbst konstituiert. So ist durchaus möglich, dass sich hochqualifizierte Beschäftigte in nichtstandardisierter Beschäftigung (Befristete, Soloselbstständige, Freelancer, ProjektarbeiterInnen) in der Unsicherheitsproblematik von Leiharbeitern oder Niedriglohnbeziehern eher wiedererkennen, als in den Kämpfen gewerkschaftlich orientierter Facharbeiter. Auch ist möglich, dass sich Stammbeschäftigte mit prekarisierten Gruppen solidarisieren, um der disziplinierenden Wirkung von Prekarisierungsprozessen etwas entgegen zusetzen. Dabei zeigen zumindest unsere Belegschaftsbefragungen, dass Ausgrenzungstendenzen bei Produktionsarbeitern ausgeprägter vorhanden sind, als bei produktionsfernen Angestellten und Führungskräften. Hinzu kommt, dass wir in allen Beschäftigtengruppen auf ein ausgeprägtes Ungerechtigkeitsempfinden treffen. Insofern gibt es nicht nur spaltende, sondern auch homogenisierende Tendenzen. Dennoch haben sich, so unsere Vermutung, die Arbeits- und Lebensbedingungen der drei Lohnarbeiterinnenklassen bereits soweit auseinander entwickelt, dass kollektives Engagement eher als Hegemoniebildung „von unten“ und als Resultat klassenübergreifender Bündnisstrategien denn als bewusste Einheit einer Lohnarbeiterinnenklasse zu begreifen ist.

(5) Ein solch modifiziertes Klassenverständnis impliziert einen veränderten Blick auf soziale Konflikte. Es macht wenig Sinn, Klassenkämpfe auf gewerkschaftliche Streiks und Kollektivverhandlungen im Rahmen organisierter Arbeitsbeziehungen oder die Aktivitäten alter und neuer sozialistischer Organisationen beschränken zu wollen, obwohl dies noch immer eine wichtige Artikulationsform von Klassenhandeln ist. Die bevorzugte Protestform der Prekarisierten ist eher „Labor Unrest“, spontane Empörung bis hin zu – scheinbar nihilistischen – Revolten. Es gibt keinen Grund, solche Protestformen zu verklären, ihre unberechenbare, gewalttätige Seite, die oft andere Beherrschte trifft, zu vertuschen. Ebenso falsch wäre es jedoch, sie als bloßen Ausdruck lumpenproletarischer Verwahrlosung abzutun. Bei den Aufständen in den französischen Vorstädten handelt es sich durchaus um Brot-Butter-Konflikte und somit um Klassenbewegungen (Wacquant 2008, Waddington u.a. 2009).[8] Deren vordergründiges Ziel ist weder die politische Organisiertheit noch eine irgendwie geartete sozialistische Transformation. Es handelt es sich häufig um eine Variante der „verrückten Kämpfe“, wie sie für prekarisierte Gruppen mit schwachen Machtressourcen schon immer üblich war. Die „gefährlichen Klassen“ erzielen traditionell politische Wirkung, indem sie in ihren Aktionen Unsicherheit für sozial integrierte Gruppen und nicht zuletzt für die Besitzenden stiften (Standing 2011). Interessant ist jedoch, dass der Geist der Revolte, der in solchen Konflikten anklingt, sich in südeuropäischen Ländern und auch bei den Volksaufständen des „arabischen Frühlings“ mit politisch bewussten Demokratiebewegungen verbindet. Diese sozialen Revolten sind nicht Resultat eindeutig identifizierbarer Klassenbewegungen. Häufig schaffen sie – wie die Bewegung spanischer Jugendlicher – überhaupt erst die Kommunikationsräume, um politisch Ziele zu definieren. Dennoch verfügen sie auch über klassenspezifische Zugänge, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie „in längerer Sicht in eine sozialistische Perspektive münden können“ (für Ägypten Amin 2011: 14), die nun gewissermaßen „von unten“ und möglicherweise ohne die traditionellen sozialistischen Organisationen erarbeitet wird.

Diesen Überlegungen ließen sich viele weitere hinzufügen. So werden global erzeugte Ungleichheiten noch immer vorwiegend im nationalen Rahmen verarbeitet (Therborn 2011); aber es ist doch wahrscheinlich, dass sich z.B. im internationalen Wertschöpfungssystem transnationale Räume herausbilden, die möglicherweise neue Formen übernationaler Klassenbildung generieren (Pries 2011), in denen informell und prekär Arbeitende eine noch ungleich gewichtigere Rolle spielen als in den kapitalistischen Zentren (Roth 2010). Doch um dies herauszufinden und unsere Hypothesen zur Restrukturierung von Klassenverhältnissen zu überprüfen, müsste Klassenanalyse im größeren Maßstab überhaupt erst wieder betrieben werden. Insofern hat Lothar Peter eine überfällige Debatte angestoßen. Sie wird jedoch – so hoffen wir jedenfalls – analytisch andere Früchte tragen als er selbst vermutet.

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[1] Indirekt haben wir uns mit seinen Argumenten bereits an anderer Stelle (Dörre 2010a: 113-151; Dörre 2010b: 198-236, Deppe/Dörre 1990: 726-771) auseinander gesetzt.

[2] Eine „komplexe Außenposition“ einzunehmen bedeutet, dass eine herrschaftskritische Soziologie beständig auf zwei Ebenen zu agieren hat: Einerseits ist sie auf Daten angewiesen, die über den Zustand der sozialen Ordnung informieren, anderseits muss sie sich, „um Kritik sein zu können, jene Mittel vorgeben…, mit denen sie ein Werturteil über die deskriptiv erfasste soziale Ordnung abzugeben vermag“ (Boltanski 2010: 26).

[3] Eine um die Dimension politischer Kommunikation und Repräsentation erweiterte Analyse von Klassenbildungsprozessen legt nahe, dass Klassenbewusstsein sich keinesfalls um einen Kern sozioökonomischer Klasseninteressen gruppieren muss; selbst die Kategorie der Klasse ist für solche Bewusstwerdungsprozesse nicht zentral. Gerade weil die Sphäre politischer Macht eine relativ autonome ist, werden sozioökonomische Klasseninteressen interpretiert, sie werden zum Gegenstand von Aushandlungen und Bündnisbeziehungen, und eine Klassenbildung selbst kann entscheidend durch scheinbar klassenübergreifende Ziele und Forderungen (z.B. freies, allgemeines Wahlrecht, parlamentarische Demokratie) motiviert werden. Diese Erkenntnis konsequent weiter gedacht, stellt die Konstitution einer am Klassenbegriff geschulten sozialistischen Arbeiterbewegung nur einen Fall unter vielen anderen möglichen Formen bewusster Klassenbildung dar.

[4] Das „Lohngesetz“ bewirkte nach Lutz, „dass die Löhne im modernen Sektor der Volkswirtschaft nicht nennenswert und dauerhaft über das – primär naturalwirtschaftlich definierte – Versorgungsniveau steigen können, wie es in den ärmeren Teilen des traditionellen Sektors besteht.“ (Lutz 1984: 210)

[5] Ein Beispiel: Der ökologische Fußabdruck misst die Fläche, die notwendig ist, um den Lebensstil eines Menschen dauerhaft zu gewährleisten. Während die globale Kapazität ca. bei 1,8 ha pro Person beträgt, liegt sie in China, bei 1,6 ha., in Europa bei durchschnittlich 4,7 ha und in den USA bei 9,6 ha. D. h. die frühindustrialisierten Länder leben beim Naturverbrauch schon jetzt auf Kosten der übrigen Welt (Rulff 2010: 104).

[6] 50 Mrd. Steuergelder sind auf diese Weise während der letzten Jahre in den Niedriglohnsektor geflossen. Das entspricht in etwa der Summe, die nunmehr überwiegend zu Lasten der sozial Schwächsten in den öffentlichen Haushalten eingespart werden soll (FR, 12.08.2010).

[7] Zu überlegen wäre, ob diese Lohnabhängigen generell den Mittelklassen zugerechnet werden können (Wright 2009 85-110).

[8] Das Beispiel der rebellierenden Jugendlichen in den französischen Banlieues veranschaulicht die Verschränkung von klassentypischen Konflikten mit Formen sekundärer Ausbeutung: Den Klassenfaktoren entspricht hier die prekäre ökonomische Lagen der Jugendlichen. Diese sind jedoch vermittelt durch politisch-rechtliche und rassistische Praxen, die die Besonderheit sowohl des Konfliktes als auch der kollektiv-subjektiven Bearbeitungsweise ausmachen.