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Postdemokratische Verhältnisse?

Italiens Rechte im europäischen Umfeld

März 2011

Italien zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts kann als Beispiel eines gescheiterten Staates und zugleich auch als Beispiel einer postdemokratischen Entwicklung in Europa gesehen werden. Für beide, sich nicht ausschließenden, Sichtweisen gibt es zahlreiche Anhaltspunkte und auch die jüngste politische Entwicklung des Landes bestätigt beide Befunde. So, wie der Begriff der Postdemokratie nicht das Ende der politischen Institutionen parlamentarischer Demokratie, sondern ihre immer weitere Aushöhlung und Ersetzung durch informelle, demokratisch nicht legitimierte Entscheidungszentren bei gleichzeitiger Wahrung der formalen Demokratie bezeichnen soll (Crouch 2008), so bedeutet das Schlagwort des gescheiterten Staates natürlich nicht die Auflösung der staatlichen Institutionen des Landes. Und dennoch ist die Krise des Staates in Italien offensichtlich, nicht nur an den immer widerkehrenden Müllbergen in Neapel, dem Steuerbetrug als Norm oder der fast durchgängigen Verachtung der Bevölkerung gegenüber der politischen Klasse und den meisten ihrer Institutionen (Rizzo/Stella: 2007). Ganz wörtlich wendet sich ein größer werdender Teil vor allem der jungen Italienerinnen und Italiener von ihrem Staat ab und sucht (wieder) den Weg der Arbeitsmigration ins Ausland. Die aktuelle Finanzkrise verstärkt nur noch einmal den Druck auf die abhängig Beschäftigten, wobei die Löhne, vor allem für die Jungen, ohnehin schon skandalös niedrig sind, während die Lebenshaltungskosten den deutschen vergleichbar sind.

Nachdem das Jahr 2010 mit einem weiteren Sieg des politischen Überlebenskünstlers Berlusconi endete, begann das Jahr 2011 mit einem Schlag der Kapitalseite gegen die letzten aufmüpfigen Bastionen der Linken: Verbunden mit der Drohung, alle weiteren Investitionen für die italienischen Standorte zu streichen, will die Fiat-Führung auf Biegen und Brechen die weitere Absenkung arbeitsrechtlicher Standards an ihren italienischen Produktionsstandorten durchsetzen und hat dabei erfolgreich eine Isolierung der linken Metallarbeitergewerkschaft (Fiom) betrieben, die sich in einen wenig aussichtsreichen Abwehrkampf gezwungen sieht.[1][1] Parlamentarisch ohne Unterstützung – der nur bedingt sozialdemokratischen Partito democratico (Pd) unterstützt im Prinzip das Fiat-Konzept, möchte es sich nur nicht offen mit den linken Gewerkschaften verderben – muss die Gewerkschaft die Auseinandersetzung in den Betrieben und auf der Straße suchen. Genau hier zeigt sich die die ganze Widersprüchlichkeit der italienischen Entwicklung in den letzten 15 Jahren: Während es aus einer deutschen Perspektive immer noch faszinierend ist, welche Mobilisierungskraft die parlamentarisch marginalisierte und zeitweise völlig zersplitterte antagonistische Linke temporär hat, zeigt diese Mobilisierung jedoch wenig Auswirkungen in der politischen Praxis des Landes. Offensichtlich – und dies ist keine italienische Besonderheit – hat die Linke keinerlei Vorstellungen für ein eigenes politisches Projekt, jenseits des Wunsches, den Berlusconismus endlich zu überwinden. Und das Verständnis dessen, was mit diesem Berlusconismus gemeint sein könnte, greift zu kurz, wenn dabei nur die Frage der direkten politischen Macht gemeint ist. Die italienische Rechte hat unter Berlusconi eine hegemoniale Stellung erreicht, die vermutlich auch seinen absehbaren politischen Abschied überdauern wird. Grund genug, sich diese Rechte etwas genauer anzusehen.

Vorreiter für Europa?

Die italienische Rechte kann ohne Zweifel als die innovativste und erfolgreichste Rechte in Europa angesehen werden, rechnet man sie einer neuen und populistisch ausgerichteten Rechten zu, wie sie in zahlreichen europäischen Ländern seit den 1990er Jahren erfolgreich ist. Italiens Rechte ist Vorreiter und Innovator einer solchen europäischen Rechten, allenfalls noch vergleichbar mit der österreichischen FPÖ, aber – und das ist ein wesentlicher Unterschied – weitaus beständiger, erfolgreicher und politisch wirksamer als diese.

Seit 1994 und vor allem seit 2001 beherrscht die italienische Rechte mit kurzen Unterbrechungen die italienische Politik und hat dabei ein Politikmodell entwickelt, das alle Facetten eines erfolgreichen Rechtspopulismus umfasst:

· die (widersinnige) Behauptung, nicht Teil des etablierten politischen Systems zu sein;

· die Verbindung klassischer Ideologiemomente der extremen Rechten (Rassismus/Ethnozentrismus, Nationalismus, Geschichtsrevisionismus, Autoritarismus) mit einem modernen und populistischen Politikstil;

· die Aneignung neoliberaler Politikelemente und ihre Verbindung mit einer paternalistischen Bearbeitung der sozialen Frage;

· damit verbunden die erfolgreiche Ansprache heterogener, ja völlig konträrer Wählerschichten.

Wie für alle rechtspopulistischen Parteien sind die jeweiligen Erfolge nur vor dem spezifischen Hintergrund des jeweiligen Landes zu erklären. Aber es gibt auch darüber hinausgehende Gemeinsamkeiten, auf die im zweiten Teil des Beitrags eingegangen wird.

Für Italien und den Erfolg der italienischen Rechten ist ohne Zweifel der Zusammenbruch des Parteiensystems zu Beginn der 1990er Jahre der entscheidende Hintergrund für den Aufstieg Berlusconis und den Erfolg seines Rechtsbündnisses. Mehr als 40 Jahre beherrschte die Democrazia Cristiana die italienische Politik, bis sie im Korruptionsskandal der „mani pulite“ implodierte und ein Vakuum hinterließ, in das der Unternehmer Berlusconi mit einer Partei neuen Typs stieß. Mit der Forza Italia, der Lega Nord und der aus dem MSI (Movimento Sociale Italiano) hervorgegangenen Alleanza Nazionale schlossen sich 1994 drei Akteure zusammen, die formal zu Recht behaupten konnten, nichts mit dem alten Parteiensystem zu tun gehabt zu haben.

Anders als in den anderen europäischen Ländern verteilt sich der Rechtspopulismus in Italien auf drei Parteien, die jeweils spezifische Elemente vertreten und sicherlich ein Garant für die Dauerhaftigkeit des Erfolgs waren und sind: Der ideologische Siegeszug des Neoliberalismus erfasste in den 1990er Jahren auch Italien und verband sich mit einer generellen Skepsis gegenüber dem Zentralstaat. „Rom“ ein Schnäppchen zu schlagen, und sei es in Form von Steuerbetrug, der eine Art Volkssport zu sein scheint, war eine günstige Voraussetzung für eine Partei wie die Forza Italia, die einen schlanken Staat predigt und selbst von einem vermeintlich Wirtschaftskriminellen geführt wird. Das Ende der Nachkriegszeit 1989, der Untergang des Realsozialismus und die Krise auch der italienischen Kommunisten waren eine gute Zeit für den neofaschistischen MSI, aus der Schmuddelecke des Faschismus herauszukommen, sich selbst eine Modernisierung zu verordnen und eine generelle Neubewertung der italienischen Geschichte und des Faschismus anzumahnen. Und schließlich wurde Italien nach Jahrhunderten als Auswanderungsland in den 1990er Jahren mehr und mehr zu einem Einwanderungsland, womit alle Ängste, Vorurteile und auch realen Probleme ein aggressives Sprachrohr in Form der Lega Nord fanden. Deren Separatismus wurde natürlich auch durch den Zusammenbruch der politischen Klasse des Zentralstaates und durch den historischen Gegensatz von Nord und Süd legitimiert.

Um einen Eindruck von der Spezifik der italienischen Rechten zu bekommen, ist es sinnvoll, ihre verschieden Teile etwas genauer in den Blick zu nehmen. Auf die aktuellen Entwicklungen und Spaltungen innerhalb der italienischen Rechten wird weiter unten eingegangen.

Die ursprüngliche Berlusconi-Partei: Forza Italia (FI)

Colin Crouch schreibt in seinem Buch zum Thema Postdemokratie, die FI sei ein typisches Beispiel für eine Partei des postdemokratischen Typs: „Sie ist ihrem Wesen nach ein Unternehmen bzw. ein Netzwerk von Unternehmen, keine Parteiorganisation klassischen Typs; sie ging nicht aus einer gesellschaftlichen Gruppe hervor, die ihre Interessen formulierte, sondern wurde von Beginn an gezielt von Teilen der bestehenden politischen und finanziellen Eliten aufgebaut. Sie hängt wesentlich stärker vom Charisma ihres Anführers ab als von einem bestimmten Parteiprogramm.“ (Crouch 2008: 97)

Die FI war und der Popolo della liberta (PdL), wie sich die Partei heute nennt, ist eine Partei, die sich sehr stark von einem deutschen Parteienverständnis unterschied. Es gibt keine ausgearbeitete Programmatik, es gibt keine innerparteiliche Demokratie, es gibt eine absolute Fixierung und Dominanz auf und durch die Person des Parteiführers Berlusconi. Als Partei war die FI vor allem ein Instrument zur Durchsetzung der Interessen ihres Führers, dessen Interessen natürlich im weiteren Sinne die Interessen der wirtschaftlich führenden Klasse in Italien sind: neoliberale Politik, Rücknahme des Staates, Schwächung der Gewerkschaften, manifester Antikommunismus – all dies sind nicht nur die Privatvergnügen Berlusconis. Die spezifische Form der Medienpolitik und die seit 15 Jahren anhaltenden Auseinandersetzungen mit der Justiz sind dagegen stark mit der Person Berlusconis verbunden.

Die Politik der FI richtet sich in ihrer Konsequenz gegen die Gewaltenteilung im Land: Die Justiz soll ihre Unabhängigkeit und damit im Sinne Berlusconis ihre politische Unbequemlichkeit genommen werden; die Medien, ohnehin schon zu großen Teilen in der Hand des Regierungschefs, werden bei politischer Unbotmäßigkeit gegängelt, einzelne Personen entlassen oder mit Drohungen gefügig gemacht. Die Politik der Regierungen Berlusconis widerspricht in diesen Punkten offensichtlich europäischen Standards und Vereinbarungen, ohne dass das bisher zu Konsequenzen geführt hätte.

Kennzeichnend für Berlusconi und die FI ist ein manifester Antikommunismus, der jede Form von linker Politik als Kommunismus identifiziert und in die totalitäre Ecke stellt. Berlusconi folgt hier einer Sichtweise, wie sie die radikalen Vordenker des Neoliberalismus vorgegeben haben: Jede Form der regulierenden, staatsinterventionistischen Politik sei ein Schritt auf dem Weg in die Knechtschaft. Das hindert die Regierung Berlusconi natürlich nicht daran, selbst eine solche staatsinterventionistische Politik zu betreiben, wenn das, wie z.B. im Falle von Alitalia, im vermeintlich nationalen Sinne ist.

Die FI und Berlusconi bedienen zahlreiche Elemente des Rechtspopulismus und scheuen nicht vor der Nutzung extrem rechter Ideologiemomente zurück: Rassistische und ethnozentrische Parolen und ihre Umsetzung in konkrete Politik, etwa in Form von Bürgerwehren zum besseren „Schutz“ der Bevölkerung vor „kriminellen Ausländern“ oder der Flüchtlingspolitik; Autoritarismus und Aushöhlung demokratischer Strukturen: innerparteilich, bezogen auf die Medienpolitik bzw. die angestrebte Auflösung der Gewaltenteilung; Geschichtsrevisionismus in Form von Verharmlosung des Faschismus (vgl. Mattioli 2010).

Dennoch ist die FI eine wenig ideologisierte Partei des Rechtspopulismus. Primär sind für sie der Neoliberalismus und der populistische Politikstil. Rassismus wird nur dann genutzt, wenn dies opportun zu sein scheint. Familienpolitik und Katholizismus entsprechen weitgehend dem normalen Konservatismus und sichern die Bindung der alten Wählerschaft der DC.

Alleanza Nazionale (AN)

Die AN war seit 1995 die Nachfolgepartei des faschistischen MSI (Movimento Sociale Italiano), der 1946 gegründeten Partei der Neofaschisten. Mit starken regionalen Unterschieden (Basis im Süden) konnte der MSI in der Nachkriegszeit zwischen 5 und 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und war damit Repräsentant der sich immer noch bekennenden Faschisten. Politisch galt der MSI die größte Zeit bis 1992 als außerhalb des Verfassungsbogens stehend, was sich nach dem Zusammenbruch des Parteisystems 1992 als großer Vorteil erweisen sollte.

Die Einbeziehung des MSI in das Rechtsbündnis unter der Führung von Ber­lusconi 1994 beschleunigte auch innerparteilich den Erneuerungsprozess, der vor allem in einer nach außen bekundeten Überwindung und schließlichen Abwendung von den faschistischen Wurzeln der Partei besteht. Entscheidend für diesen Weg in die politische Mitte ist der Parteivorsitzende Gianfranco Fini, der die Wende der AN öffentlich auf dem Parteitag von Fiuggi 1995 vollzog, das als eine Art Bad Godesberg der AN angesehen wird. Für Fini wurde schnell deutlich, dass er die AN nur dann zu einer entscheidenden und vielleicht führenden Kraft der italienischen Rechten machen könnte, wenn er dem Faschismus offen abschwört. In einzelnen Etappen war das dann auch der Fall: War Mussolini für Fini noch 1994 der größte Staatsmann des Jahrhunderts, so wollte er bei einem Israelbesuch 2003 im Faschismus „die Verkörperung des absolut Bösen“ sehen.

Bis heute streiten sich Beobachter über die Frage, wie weit sich Fini tatsächlich vom Faschisten, der er zweifelsohne war, zum Demokraten gewandelt hat oder ob es sich um Taktik handelt. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, ob sich die AN von einer faschistischen zu einer demokratischen Partei transformiert hat. Sicher ist, dass der Kurs von Fini zu vielen Abspaltungen und Brüchen geführt hat, so dass die Vertreter einer harten faschistischen Linie sich heute außerhalb der Partei befinden (Alessandra Mussolini trat nach dem Auschwitz-Besuch von Fini und entsprechenden Äußerungen zur antisemitischen Politik Mussolinis aus der AN aus). Und sicher ist, dass es an der Parteibasis noch viel Begeisterung für den historischen Faschismus gibt. Auch führende Vertreter der Partei haben immer wieder mit autoritären und martialischen Äußerungen von sich Reden gemacht. So lassen sich der aus der AN stammende Verteidigungsminister La Russa oder der Römische Bürgermeister Alemanno immer wieder gerne mit geschichtsrevisionistischen Thesen zu den guten Seiten des Faschismus vernehmen. Alemanno werden gar Kontakte zur harten neofaschistischen Szene nachgesagt.

Inhaltlich vertritt die AN in weiten Teilen ein typisch konservatives Programm mit wirtschaftsliberalen Elementen: katholisch-konservativ geprägt ist das Verständnis von Familie, Homosexualität, Drogen etc. Auch hier sind es die 68er, die für den Verfall der Werte verantwortlich gemacht werden. Die EU wird befürwortet, allerdings tritt man für ein Europa der Vaterländer ein. Die Punkte Nation, Staatsverständnis und in Teilen die Frage des Umgangs mit Minderheiten haben noch die größten Anklänge an faschistische Vorstellungen, wenngleich es schwierig sein dürfte, hier genaue Abgrenzungen zum konservativen Normalmaß in Europa zu finden.

Im Rahmen des Rechtsblocks ist bzw. war die AN unter Fini mehr oder weniger als gemäßigter und stabilisierender Teil anzusehen. Fini ist es immer wieder, der auf den Respekt gegenüber staatlichen Institutionen pocht und eine allzu schamlose Selbstbedienungspolitik Berlusconis kritisiert. Auch spielt der Rassismus für die AN nicht die gleiche wichtige Rolle wie bei der Lega Nord. Fini trat sogar mit der Forderung nach einem Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer hervor und kritisierte den Lega-Vorsitzenden Bossi mehrfach wegen rassistischer Äußerungen.

Offene Flanken zur extremen Rechten

Interessant für das politische Klima im Land ist, dass der Rechtsblock keinerlei Probleme damit hat, auch Gruppierungen und Kleinparteien mit einzubeziehen, die noch wesentlich eindeutiger ein Teil des Neofaschismus sind und auch international zur extremen und militanten Rechten gerechnet werden. So ist zwar die Mussolini-Enkelin Allesandra Mussolini aus der AN ausgetreten, ihre neue Partei Azione Sociale ist aber nach wie vor Teil der PdL. Diese Azione Sociale ist aus der Forza Nuova hervorgegangen, dem italienischen Pedant zur deutschen NPD. D.h., der Rechtsblock in Italien versucht sehr gezielt, die Stimmen der extremen Rechten einzubeziehen und legitimiert damit natürlich Inhalte und Aktionsformen der Neofaschisten. Von Faschismusverherrlichung bis Holocaustleugnung findet man hier alles – nur keine scharfe Abgrenzung durch den regierenden Rechtsblock.

Gerechtfertigt wird eine solche Zusammenarbeit von Berlusconi damit, dass auch die gemäßigte Linke mit den Kommunisten zusammenarbeitet. Ganz im Sinne des Totalitarismusansatzes wird hier eine Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus betrieben, wobei die Wertung natürlich viel günstiger für den Faschismus ausfällt.

Lega Nord

Als norditalienische Regionalpartei ist die Lega vor allem auf das Thema Regionalismus/Separatismus festgelegt. Anknüpfend an den den italienischen Nationalstaat begleitenden Nord-Süd-Gegensatz tritt die Lega für eine größere Autonomie des ökonomisch reichsten Teils des Landes ein. Fernziel war oder ist die weitgehende Abspaltung eines nördlichen Phantasiestaates mit dem Namen Padanien. Realpolitisch geht es der Lega um eine größere Autonomie des Nordens und die Durchsetzung föderaler Elemente in der italienischen Verfassung.

Die Lega ist eindeutig als Partei der extremen Rechten zu bezeichnen, ohne dabei jedoch neofaschistisch zu sein. Der von ihr vertretene Separatismus wird vor allem mittels des Ethnopluralismus vertreten, einem zentralen Ideologiemoment der modernen extremen Rechten. Die Wahrung angeblich natürlicher kultureller bzw. ethnischer Wurzeln gegen alle Vermischungen und Einflüsse von außen steht hierbei im Mittelpunkt. Logisch ergibt sich daraus eine starke Wendung gegen Zuwanderung, aber im Falle der Lega auch gegen Binnenmigration aus dem Süden Italiens. Afrika beginnt in ihrem Verständnis tatsächlich sehr weit nördlich.

Der Zentralstaat und Rom werden als korrupte Umverteilungsinstitutionen des im Norden erwirtschafteten Reichtums des Landes zugunsten des selbstverschuldet rückständigen Südens gesehen. Die Formen des Separatismus nehmen dabei oft skurrile Züge an: etwa wenn Länderspiele z.B. zwischen Padanien und Kurdistan angekündigt werden. Der massive verbale und in konkrete politische Handlungen umgesetzte Rassismus der Lega ist jedoch die ernste Kehrseite.

Kriminalität und ihre Verbindung mit dem Thema Zuwanderer ist eines der Hauptthemen der Lega, mit dem sie immer wieder für ihre Politik mobilisiert. So sind die 2008 in zahlreichen Städten eingeführten Bürgerwehren maßgeblich auf die Lega zurückzuführen. Auch ist sie es, die am vehementesten auf die Verstärkung der italienischen Küstenwache dringt, um die Flüchtlinge auf dem Weg nach Lampedusa möglichst früh abzufangen. Von Lega-Chef Bossi war schon vor Jahren in diesem Zusammenhang der menschenverachtende Satz zu hören, er möchte den Donner der Kanonen der italienischen Marine hören, wenn sie Flüchtlingsboote aufbrächten.

Auch sonst gehören Rassismus und Nationalismus zu den ständigen Wegbegleitern der Lega-Politik: In Lodi bei Mailand ließen Lega-Leute Schweine über das geplante Baugelände für eine Moschee laufen; Roberto Calderoli[2] (gegenwärtig Minister in der Regierung Berlusconi) beschimpfte nach dem Fußball-WM-Finale[3] 2006 die französische Elf als „Mannschaft ohne Identität“. Italien habe gegen ein Team gewonnen, „das um der Ergebnisse willen die eigene Identität verloren hat, indem es Neger, Moslems und Kommunisten aufgestellt hat“. Italien sei in Berlin hingegen mit einer Mannschaft angetreten, „die sich aus Lombarden[4], Kampaniern[5], Venetiern[6] und Kalabresen[7] zusammensetzt – ein Sieg für unsere Identität“, so Calderoli; vom Innenminister Roberte Maroni ging die Initiative zur Speicherung der Fingerabdrücke sämtlicher Roma in Italien aus, eine Kennzeichnung und Stigmatisierung einer ohnehin diskriminierten Gruppe.

All diese skandalös erscheinenden Punkte sind ein wichtiger Hintergrund für den gegenwärtigen Erfolg der Lega, die bei den letzten Wahlen (Land und Regionen) die größten Stimmenzuwächse zu verzeichnen hatte. Die Lega vertritt dabei die Interessen der norditalienischen Klein- und Mittelunternehmen, vertritt eine wirtschaftsliberale Politik und in Fragen von Abtreibung oder Familienpolitik die Ansichten der katholischen Kirche. Aber es gelingt ihr immer stärker, Anhänger unter den Mittelschichten und abhängig Beschäftigten zu finden, wofür die von ihr betriebene Ethnisierung der sozialen Frage ein Schlüssel ist. Die Frage der Partizipation am kleiner werdenden sozialen Kuchen wird von der Lega klar nach ethnischen Gesichtspunkten beantwortet. Das macht sie attraktiv auch für die, die nicht viel mehr als ihre Herkunft in die Waagschale werfen können. Bei den Regionalwahlen 2010 ist der Lega vor allem ein großer Erfolg unter Arbeitern im Norden, d.h. im früheren Wählerreservoir des PCI gelungen. Eine Entwicklung, wie sie in vielen europäischen Ländern zu beobachten ist.

Aktuelle Situation und Spaltung der PdL

Kurz vor der Sommerpause 2010 ist das erst anderthalb Jahre alte neue Parteienbündnis Popolo della Libertá zerbrochen. Fini wurde von Berlusconi aus der Partei gedrängt und hat daraufhin eine eigene Fraktion (Futuro e libertá) gegründet. Formal hat die Regierung Berlusconi damit keine eigene Mehrheit mehr. Im Dezember 2010 überstand Berlusconi jedoch eine Vertrauensabstimmung im Parlament und konnte seine Regierung vorerst retten. Während die Mitte-Parteien und die Linke zu schwach sind, um dem Siechtum des Berlusconismus ein Ende zu bereiten, schwindet die Ausstrahlung des Populismus Berlusconischer Prägung jedoch immer weiter.

Die Gründe für den Bruch sind vielfältig: Die Konkurrenz von Fini und Ber­lusconi und die Bestrebungen von Fini, Berlusconi zu beerben, sind nur ein Punkt. In der immer noch nicht abgeschlossenen Phase der Neusortierung des italienischen Parteiensystems geht es sicher auch um die Frage, wie sich die Rechte in Zukunft aufstellen will. Fini scheint dabei stärker auf eine zentristische Rechte zu setzen, verbunden mit alten Teilen der DC und Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch mit der weit nach rechts gerutschten Demokratischen Partei. Vor allem wird es ihm auch darum gehen, den Einfluss und weiteren Aufstieg der Lega zu stoppen. Möglicherweise ist auch in Italien die Zeit des Populismus, zumindest in Person von Berlusconi, in absehbarer Zeit beendet. Viele Beobachter gehen von baldigen Neuwahlen aus. Diese könnten die Lega und damit den rechtesten Teil des Rechtsbündnisses als großen Gewinner sehen, zumal in Krisenzeiten das Thema Rassismus weiterhin Konjunktur haben dürfte. Da es auf der Linken und auch in der Mitte kein überzeugendes Angebot gibt, ist nicht mit einer Ablösung, sondern nur einer Neuzusammensetzung des Rechtsblocks zu rechnen.

Rechtsverschiebung in Europa

Wenn von Parteien der extremen Rechten in Europa die Rede ist, dann muss man sich vergegenwärtigen, dass damit zum Teil völlig unterschiedlich ausgerichtete Parteien gemeint sind. Gemeinsame Merkmale als Parteien der extremen Rechten sind dabei der Bezug auf eine ethnisch definierte Heimat als Nation oder Region, eine – allerdings oft unterschiedlich begründete – Form des Rassismus, der sich jedoch gegen ganz unterschiedliche Gruppen richten kann, sowie eine Ethnisierung der sozialen Frage, d.h. die Forderung, soziale Sicherheiten entlang ethnischer Kriterien zu vergeben. Weiter wird von allen Parteien der Rechten der Kriminalitätsdiskurs mit dem Thema Einwanderung verbunden. Unterschiede sind in der Stellung zum bestehenden politischen System, dem Verhältnis zur Geschichte und auch beim Verhältnis von Politik und Wirtschaft auszumachen.

Wahlerfolge in Europa

Mit 26,9 Prozent der Wählerstimmen wurde die FPÖ unter Jörg Haider 1999 zur zweitstärksten Partei in Österreich und war von Februar 2000 bis 2002 an der Regierung mit der konservativen ÖVP beteiligt. Nach einem grandiosen Abstieg der FPÖ und ihrer Spaltung erreichen FPÖ und BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) 2008 wieder das Niveau von 1999.

Im März 2001 gelingt es Silvio Berlusconi in Italien nach 1994 zum zweiten Mal, eine Mehrheit für eine Rechtskoalition zu gewinnen. Das italienische Rechtsbündnis kann diesen Erfolg bis heute noch zwei Mal wiederholen.

Ende 2001 gelang es der rechtspopulistischen „Dänischen Volkspartei“ unter ihrer Vorsitzenden Pia Kjaersgaard, mit 12 Prozent der Stimmen ins dänische Parlament einzuziehen und zum Zünglein an der Waage für die konservativ-liberale Regierung zu werden. Auch hier war es vor allem das Thema Zuwanderung und Abschottung, das den Erfolg ermöglichte. Die dänische Politik hat unter dem Druck der Rechtspopulisten mittlerweile eine der schärfsten Zuwanderungsgesetzgebungen in Europa entwickelt.

Die niederländische Liste Pim Fortuyn, benannt nach ihrem kurz vor den Wahlen 2002 ermordeten Vorsitzenden, konnte mit einer vor allem an den Themen Ausländer und Zuwanderung orientiertem Wahlkampf 17 Prozent der Stimmen erlangen und war an der Regierung beteiligt. Heute gelingt es der „Freiheitspartei“ unter Geert Wilders, vor allem mit dem Thema Antiislamismus 15 Prozent der Stimmen zu gewinnen und Teil der Regierung zu werden.

Weitere Erfolge der extremen und populistischen Rechten waren in den letzten Jahren in Frankreich, der Schweiz, Belgien, Großbritannien zu verzeichnen. Dieser erschreckende Überblick zeigt eine deutliche Rechtsverschiebung in Europa. Nicht berücksichtigt sind hier die aktuellen Erfolge der extremen Rechten in Osteuropa, die in Teilen völlig anders – traditioneller – ausgerichtet ist. Eine Partei wie Jobbik in Ungarn knüpft z.B. sehr offen an den Antisemitismus des Faschismus an.

Will man die Entwicklung genauer erklären, dann muss man sich die spezifischen Bedingungen in den einzelnen Ländern ansehen. Hier sind jedoch die darüber hinausgehenden Gemeinsamkeiten von Interesse. In allen aufgezählten Ländern gelangen Parteien der extremen oder populistischen Rechten (ich gehe auf diese Unterscheidung später ein) spektakuläre Wahlerfolge. Alle diese Erfolge gründen neben länderspezifischen Themen auf der offensiven Thematisierung von Zuwanderungsbegrenzung und Kriminalitätsbekämpfung. In fast allen Ländern wurden damals sozialdemokratische Parteien abgewählt und durch ein Bündnis aus konservativen und rechtspopulistischen Parteien ersetzt.

Rechter Populismus? Modernisierter Rechtsextremismus?

Warum, so wäre zu fragen, sind Parteien wie die FPÖ, die AN oder die Lega Nord, die schweizerische SVP und weitere Parteien ähnlichen Typs in den letzten Jahren so erfolgreich? Handelt es sich hierbei um modernisierte Varianten der extremen Rechten, oder muss das Analyseparadigma Rechtsextremismus erweitert oder gar aufgegeben werden? Wo liegen, angesichts der gegenwärtigen politisch-ökonomischen Tendenzen der kapitalistischen Gesellschaften Europas, die Gründe für die Erfolge dieser Parteien und auf welche dieser Tendenzen geben sie Antworten?

In den Forschungen zur extremen Rechten haben sich in den letzten Jahren neuere Ansätze etabliert, die die politischen und ideologischen Veränderungen rechtsextremer Parteien untersuchen. So wie sich ein weitgehender Wandel der kapitalistischen Staaten seit den 1970er Jahren feststellen lässt – vom fordistischen Wohlfahrtsstaat zum neoliberal verfassten nationalen Wettbewerbsstaat – so hat sich auch ein weitgehender Wandel in den Begründungsmustern von Politik vollzogen. Diese Entwicklung hat auch auf Seiten der extremen Rechten einen Wandel mit sich gebracht, der diesen Veränderungen Rechnung trägt. Als erste und am eindringlichsten vorgetragen hat diesen Wandel eine Autorengruppe um den Wirtschaftswissenschaftler Herbert Schui, die die Aneignung neoliberaler Ideologiemomente durch die extreme Rechte untersuchte. Unterschieden wird hier zwischen einer traditionellen und einer modernen Rechten. Während sich die traditionelle Variante nach wie vor am völkisch begründeten Nationalismus und an der gefühlssozialistischen Phraseologie in der Tradition des historischen Faschismus orientiere, habe sich die moderne Variante der extremen Rechten die neoliberale Ideologie zu eigen gemacht. Kern ihres Anliegens, so Schui, sei „der freie Markt, das Ende des Interventions-, des Wohlfahrtsstaates, weniger Befugnisse für Parlament und Gewerkschaften als denjenigen Institutionen, die diesen Interventionsstaat zu verantworten haben. Von der Vorherrschaft der Politik über die Wirtschaft als konstitutiver faschistischer Auffassung ist bei den erfolgreichen rechtsextremen Parteien nicht mehr die Rede.“ (Schui 1997: 16) Für Schui u.a. ist somit nicht länger die Suche nach den faschistischen Ursprüngen und Affinitäten dieser Parteien zentral, sondern die Herausarbeitung ihrer neoliberalen politischen Programmatik, die als entscheidendes Merkmal des Erfolges angesehen wird. Traditionelle Elemente der extremen Rechten, vor allem die Ideologie der Ungleichheit und ein aggressiver Sozialdarwinismus, müssen dabei gar nicht über Bord geworfen werden, denn sie sind, wie Schui eindrücklich zeigen kann, dem Neoliberalismus immanent.

In Anknüpfung an Schui und zugleich Erweiterung seines Ansatzes hat Christoph Butterwegge eine Konkretisierung der Frage vorgenommen, worin sich „moderne“ und „traditionelle“ Parteien der extremen Rechten unterscheiden. Für ihn ist nach wie vor der emphatische Bezug auf die Nation ein entscheidender Inhalt der extremen Rechten. Die Begründung dieses Nationalismus lasse sich jedoch in zwei Varianten unterscheiden: „Bedingt durch die ökonomische Globalisierung, teilt sich der Nationalismus gegenwärtig fast überall auf der Welt in zwei Strömungen: einen völkisch-traditionalistischen, meistenteils protektionistisch orientierten Abwehrnationalismus, der in zurückfallenden bzw. Schwellenländern überwiegt, (...) und einen Standortnationalismus, der als siamesischer Zwilling des Neoliberalismus (...) dort auftritt, wo hochentwickelte Industrieländer – etwa die Bundesrepublik – mit Erfolg modernisiert werden.“ (Butterwegge 1999: 26) Und an anderer Stelle heißt es bei Butterwegge: „Die Neue Rechte ist nicht mehr einer völkischen Blut-und-Boden-Romantik verhaftet, sondern markt-, wettbewerbs- und leistungsorientiert.“ (Ebd.: 33)

„Kann rechts also modern sein?“ ist eine der Fragen, die sich aus dem Gesagten ergibt. Als ein erstes Zwischenfazit lässt sich die Verbindung traditioneller Ideologiemomente der extremen Rechten mit einem standortnationalistisch begründeten Neoliberalismus festhalten. Während Parteien wie die NPD einen völkischen Rassismus mit pseudo-antikapitalistischen Floskeln versehen, wird ersterer bei der modernen Rechten mit dem Neoliberalismus verbunden. Einem veralteten Abwehrnationalismus steht somit ein moderner, offensiver Standortnationalismus gegenüber. Zu schlussfolgern wäre damit, dass beide Ausrichtungen ein unterschiedliches Publikum in unterschiedlichen sozialen Lagen ansprechen.

Die von Schui und Butterwegge vorgenommene Unterscheidung in moderne und traditionelle Variante der extremen Rechten übersieht jedoch, dass die erfolgreichen Varianten gerade aus Mischformen bestehen. Alle oben erwähnten erfolgreichen Parteien der Rechten repräsentieren die moderne Variante. Erfolgreich sind sie jedoch nur, weil sie es schaffen, traditionelle Elemente, also Nationalismus, Rassismus und Ausgrenzung, mit modernen Elementen zu kombinieren. Diese Kombination ist gar nicht so leicht, denn sie verbindet objektiv widersprüchliches: Tritt man für das freie Spiel der Marktkräfte ein, dann muss man erklären, warum das nicht für den Arbeitsmarkt gilt. Billige ausländische Arbeitskräfte sind im Kapitalinteresse, widersprechen aber dem Nationalismus der Rechten. Flexibilität und Abbau des Sozialstaates entsprechen neoliberalen Vorstellungen, die damit verbundene Auflösung von familiärem Zusammenhalten widerspricht rechten Ideologiemomenten. Solche Widersprüche müssen jedoch dem erfolgreichen Rechtspopulismus nicht unbedingt schaden, weil er gerade darauf beruht, widersprüchliches miteinander zu verbinden.

Sieht man sich die Wählerbasis der FPÖ bei den für sie erfolgreichsten Wahlen 1999 an, dann erkennt man das heterogene, ja geradezu gegensätzliche Wählerspektrum, das von der Partei erreicht wird. Von den Selbständigen und Angehörigen freier Berufe wählten 33 Prozent die FPÖ, bei den Arbeitern waren es 47 Prozent. Die FPÖ war 1999 zu der Arbeiterpartei in Österreich geworden, noch vor der SPÖ (35 Prozent Arbeiteranteil). Diese Tatsache und das relativ ausgeglichene Verhältnis zwischen den so unterschiedlichen Polen Arbeiter–Selbstständige ist bemerkenswert und erklärungsbedürftig. Der FPÖ ging es in ihrer Agitation gerade nicht um den Ausgleich und die Vermittlung unterschiedlicher Interessen, sondern um die Artikulation völlig gegensätzlicher Standpunkte, mit der die heterogenen Wählergruppen jeweils bedient werden konnten. Der Populismus als Stilmittel ist in der Lage, diese Gegensätze zu vermitteln.

Populismus als Stilmittel

Populismus als Begriff beinhaltet den Bezug auf die Masse der Bevölkerung; ihre Wünsche, Sehnsüchte, Bedürfnisse sollen zum Ausdruck gebracht werden. Populistische Argumentationen unterliegen dabei einer Freund-Feind-Gegenüberstellung, die es erlaubt, die verschiedenen politischen Problemfelder einer klaren Einteilung in Gut und Böse, in dafür und dagegen zu unterstellen. Vereinfachung und Entdifferenzierung machen somit die Attraktivität des Populismus aus. Weiter kennzeichnet sich der Populismus durch eine klare Gegenüberstellung von oben und unten, von „wir hier unten“, die Beherrschten, und „die da oben“, die Herrschenden. Diese Gegenüberstellung erlaubt die Selbsteinschätzung als ausschließliches Objekt von Politik und die populistische Partei oder Bewegung vertritt die Interessen der kleinen Leute gegen „die da oben“.

Eine spezifische Mischung aus personalisierten und kollektivistischen Argumentationen ist ein weiteres Kennzeichen des Populismus. Charismatische Persönlichkeiten und kollektive Identitäten ergänzen sich hier. Schließlich greift populistische Agitation Ängste und irrationale Vorstellungen auf und ist selbst weitgehend anti-intellektualistisch.

Für den Rechtspopulismus sind diese Stilelemente politischer Agitation vielfältig nutzbar. Die Freund-Feind-Gegenüberstellung und die Gegenüberstellung des „wir“ und „die da“ lässt sich für ganz unterschiedliche Argumentationen nutzen. Im traditionellen Rechtsextremismus findet sich hier die Ein- und Ausschließung von Bevölkerungsgruppen entlang völkischer Kriterien. Die homogene völkisch-ethnisch definierte Nation wird von den nicht dazugehörigen, den Ausländern, Fremden, Anderen unterschieden.

Diese traditionelle völkische Argumentation kann durch eine stärker den neoliberalen Leistungsgedanken betonende Argumentation ergänzt werden: Hier sind es dann vor allem die „Schmarotzer“, „Leistungsunwilligen“ und Außenseiter der Gesellschaft, die als nicht dazugehörig identifiziert werden. Beide Argumentationen finden sich bei allen Parteien des Rechtspopulismus. Die Gegenüberstellung lässt sich aber auch für andere Bereiche nutzen.

Der aktuelle Rechtspopulismus knüpft vor allem an die weit verbreitete Politikverdrossenheit und das Misstrauen gegen die politische Klasse an. Der erfolgreiche Rechtspopulismus ist dabei durch seine Frontstellung gegen das etablierte politische Parteiensystem der jeweiligen Länder gekennzeichnet. Die Rede von den korrupten und reformunfähigen „Altparteien“, vom verknöcherten System, soll den eigenen Standpunkt außerhalb dieses Systems bezeichnen. Die Nichtdazugehörigkeit, die Stigmatisierung rechtspopulistischer Parteien durch die Etablierten, sind insofern Wasser auf die Mühlen dieser Argumentation.

Die Glaubwürdigkeit und Attraktivität des Rechtspopulismus ergibt sich dabei nicht allein über die Inhalte, die in ähnlicher Form auch von den Etablierten angeboten werden, sondern durch den Ausschluss vom alten System der Volksparteien, das immer weniger Bindungskraft besitzt. Nur durch diese Abgrenzung kann sich der Rechtspopulismus zum Sprachrohr von „denen da unten“ machen, die sich selbst als Ausgeschlossene begreifen. Die charismatische Persönlichkeit hat für den Rechtspopulismus die Funktion, die gegensätzlichen und teilweise widersprüchlichen Positionen zu überdecken. Diese spielen so lange keine Rolle, wie man sich im Gegensatz zum Gesamtsystem der etablierten Politik sieht, welches ja angeblich verhindert, dass die richtige Politik umgesetzt wird.

Rechtspopulistische Argumentationen sind also offensichtlich in der Lage, unterschiedliche, ja konträre Bedürfnisse zu artikulieren, ohne durch diesen Widerspruch an Attraktivität einzubüßen. Anders als die alten Volksparteien können sie neoliberale und völkisch-rassistische Argumentationen offensiv nebeneinander vertreten. Ihre Zustimmung beziehen sie nicht aus der Kohärenz solcher Positionen, sondern durch ihren Standort außerhalb des politischen Systems (so zumindest in der Wahrnehmung).

Nicht die einseitige neoliberale Erneuerung hat diesen Parteien also den Weg zu Macht geebnet, sondern gerade die Verbindung der gegensätzlichen Positionen. Regierungsbeteiligungen sind ein großes Problem solcher Parteien, denn genau hiermit verlieren sie ihren Status als Nichtzugehörige, als Repräsentanten des ausgeschlossenen „Unten“. Die FPÖ hat für die Regierungsbeteiligung 2000 bis 2002 einen hohen Preis bezahlt: Von 26,9 Prozent stürzte sie 2002 auf nur noch 10 Prozent. Außerdem vollzog sich eine Spaltung der Partei genaue entlang der Frage nach der Regierungsbeteiligung. Allerdings zeigt der aktuelle Erfolg von FPÖ und BZÖ, dass die These der „Entzauberung durch Regierungsbeteiligung“ nur kurzfristig erfolgreich war und nichts am Gesamtpotenzial des Rechtspopulismus in Österreich verändert hat. Die Stärke und Kontinuität des Rechtsblocks in Italien könnte damit zusammenhängen, dass er sich auf mehrere Parteien verteilt und damit noch einmal unterschiedliche Zugänge der WählerInnen ermöglicht. Im Moment wird vermutet, dass die möglicherweise zunehmende Verdrossenheit auch über die Parteien des Rechtsblocks am meisten der Lega nützen wird, die sich selbst am stärksten als Außenseiter und nichtzugehörig darstellt.

Folgerungen

Bezogen auf den zweiten Wahlsieg Silvio Berlusconis 2001 in Italien heißt es in der Zeitschrift Sozialismus: „Der Regierungswechsel in Italien unterstreicht erneut die These, dass das Scheitern einer halbherzigen Reformpolitik zugleich auf eine politische Begünstigung eines Blocks sozialer Kräfte unter rechtspopulistischer Führung hinaus läuft“, eine Kurzanalyse, wie man sie wortgleich für den dritten Wahlsieg Berlusconis 2008 anführen könnte.

Aber ein solcher rechtspopulistischer Durchmarsch ist kein Automatismus, sondern hängt vom alternativen Angebot im politischen Spektrum ab. Offensichtlich ist eine Folge der neoliberalen Entwicklung der letzten 20 Jahre ein tiefes Misstrauen gegen die Gestaltungskompetenz etablierter Politik. Die Menschen haben nicht den Eindruck, Politik könnte sie vor den Verheerungen eines ungezügelten Kapitalismus schützen. Gleichzeitig erzeugt dieser ungezügelte Kapitalismus ein großes Bedürfnis nach Sicherheiten. Nicht umsonst steht dieses Thema in allen Facetten ganz oben bei den Wählern rechter Parteien. Und ganz offensichtlich ist es so, dass Zuwanderung mehrheitlich in den europäischen Gesellschaften als ein weiteres Element der Bedrohung und der Konkurrenz um die knapper werdenden sozialen Ressourcen angesehen wird. Die Erfolgsbedingungen rechtspopulistischer Parteien bleiben – das zeigen auch die aktuellen Wahlergebnisse – bestehen. Die in diesem Zusammenhang festzustellende deutsche Besonderheit (keine Partei des Rechtspopulismus) wäre einen eigenen Beitrag wert.

Literatur

Christoph Butterwegge, Von der „Vaterlandsliebe“ zur Sorge um den Wirtschaftsstandort. Metamorphosen nationaler Mythen im vereinten Deutschland, in: Ders./Gudrun Hentges (Hrsg.), Alte und Neue Rechte an den Hochschulen, Münster 1999

Colin Crouch, Postdemokratie, Frankfurt a.M. 2008

Aram Mattiolli, „Viva Mussolini!“ Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010

Sergio Rizzo, Antonio G. Stella, La casta. Cosí I politici italiani sono diventati intoccabili, Milano 2007

Herbert Schui/Ralf Ptak/Stephanie Blankenburg/Günter Bachmann/Dirk Kotzur: Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997

[1][8] Mit 54 Prozent stimmte eine knappe Mehrheit der Belegschaft im Fiatwerk in Turin den mit Erpressung verbundenen Vorlagen der Kapitalseite zu. Dennoch ist das Ergebnis ein Achtungserfolg für die Fiom.

Links:

  1. https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de#_ftn1
  2. https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de#_ftnref1