Krise und Politik

Zehn Thesen zur Vergesellschaftung der Zirkulationssphäre

September 2009

In dem auf dem Europarteitag am 28. Februar 2009 in Essen beschlossenen Europawahlprogramm der Partei DIE LINKE heißt es im Zusammenhang mit den Maßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten zur Rekapitalisierung von Banken: „Die umfangreichen Staatshilfen müssen auf die Verstaatlichung aller Banken und die Überführung des gesamten Finanzsektors in öffentliches Eigentum abzielen.“[1]

Auch der Beschluss des Parteivorstands vom 14. März 2009 mit der Überschrift „Schutzschirm für die Menschen“ formuliert im Abschnitt vier: „Die privaten Banken sind für die Spekulationen der letzten Jahre und die entstandenen Milliardenverluste wesentlich verantwortlich. Sie sind heute faktisch insolvent und daher ohne Entschädigung der Aktionäre zu verstaatlichen.“

Im Bundestagswahlprogramm schließlich hat sich der Parteitag auf die Formulierung verständigt: „…private Banken vergesellschaften, den Finanzsektor öffentlicher Kontrolle unterwerfen und strikt regulieren: den privaten Bankensektor in die öffentliche Hand überführen und, entsprechend den Sparkassen, auf das Gemeinwohl verpflichten; …“ Diese Formulierungen stehen aus der subjektiven Sicht des Autors in einem gewissen Widerspruch zu der Tatsache, dass er auf seine Frage, wie denn bei einer gedachten Umsetzung dieser Beschlusslage die Finanzsphäre einer dann so umgestalten Bundesrepublik Deutschland bzw. EU anschließend konkret aussähe, entweder sehr prinzipielle und wenig konkrete oder aber gleich einen bunten Strauß höchst unterschiedlicher Vorstellungen als Antwort erhält.

Das folgende ist daher der Versuch einer Konkretisierung dieser Beschlusslage. Dieser Versuch ist in Thesenform gestaltet, um so die sich hoffentlich entwickelnde Diskussion zu erleichtern.

Vor dem Einstieg in die Thesen und die Diskussion halte ich eine Verständigung über den historischen Ort, an dem wir uns befinden, für notwendig – zumindest als Offenlegung der Positionen des Verfassers.

Nicht nur unter Linken (kleingeschrieben) besteht kaum ein Zweifel, dass wir uns am Beginn der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg befinden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass dieser schnell niedergeschriebene Satz noch nicht immer in der Wucht seiner Folgerungen begriffen wird.

Es ist unbestreitbar so: Wenn wir die heutigen ökonomischen Kernzahlen (Rückgang des Bruttosozialprodukts, Rückgang der Stahl- oder anderer Schlüsselproduktionen, Rückgang des Welthandels oder beliebige andere zentrale ökonomische Kennziffern) mit historischen Vorläufern vergleichen, verblassen dagegen beispielsweise die entsprechenden Daten der Krise 1973/74 oder der Krise 1966/67. Vergleichbare Datenlagen fördern im historischen Rückgriff erst die 1873 und 1929 offenkundig gewordenen Krisenprozesse zutage.

Auffallend ist zurzeit, dass die Krise ihre sprachlichen Einschränkungen verloren hat. Sie begann als eine „Subprime-Krise“, wurde zur „Finanzmarkt-Krise“, dann zur „Wirtschaftskrise“ und ist jetzt schlicht nur noch „Die Krise“. Damit drückt m.E. der Volksmund die Einsicht aus, dass sich die Ereignisse in Richtung auf eine grundlegende Krise aller Lebensbereiche unserer Gesellschaft bewegen.

Diese nun verallgemeinerte Krise verbindet sich in den Medien zurzeit am liebsten mit dem Wörtchen „nach“. Politische Erklärungen aller Art sind voll von Konzepten einer Zeit „nach der Krise“. Und sie scheinen – parteiübergreifend – im Herzen alle davon auszugehen, dass es irgendwie wieder so werden könne wie 2008 – also vor der Krise.

Das wiederum verschafft jedem, der sich Zeit und Spaß gönnt, mal in Zeitungen von 1930 herumzustöbern – also dem mit diesem Frühjahr 2009 vergleichbaren Zeitraum nach dem großen Crash vom Herbst 1929 – ein Aha-Erlebnis. Denn auch damals herrschte die Vorstellung, durch ökonomische und politische Maßnahmen irgendwie wieder einen Zustand so ungefähr wie 1927 und 1928 herstellen zu können.

Heute aber weiß jeder, der davor nicht die Augen verschließt: Tektonische Erschütterungen im ökonomischen Fundament dieser Größenordnungen, wie sie sich jetzt abzeichnen, führen erstens nicht nur zu monate-, quartals- oder jahrelangen, sondern Jahrzehnte prägenden Turbulenzen auf der politischen Oberfläche der Gesellschaft. Das wirbelt alle politischen Kräfte durcheinander – die Linke eingeschlossen. Sie durchlebt Jahre zugespitzter ideologischer Debatten – Irrwege und Sackgassen eingeschlossen. Vor allem aber: Nach der Verarbeitung dieser Brüche ist nichts mehr wieder wie vorher: die politischen Landkarten nicht, die Art und Weise der Völker zu leben nicht und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die geopolitischen Landkarten nicht. Die 1873 ausgelöste Krise war ökonomisch und politisch durchgearbeitet erst mit dem Jahre 1918 und die von 1929 erst im Jahre 1949. Das Durcharbeiten schloss bisher immer den Versuch herrschender Kreise mindestens eines großen kapitalistischen Landes ein, die Krise durch Krieg zu lösen. Beide bisherigen großen Krisen mündeten in Anläufen zum Sozialismus als einer grundlegenden Alternative zum Kapitalismus als dem System, das für Krise und Krieg verantwortlich war.

Wir tun gut daran, uns hinsichtlich der Zeiträume und der politischen Aufgaben, die vor uns liegen, an diesen Analogien zu orientieren und sie mit der notwendigen historischen Gelassenheit und Würde angesichts der damit zusammenhängenden Verantwortung für das Leben unserer Völker anzugehen.

These I (Grundvoraussetzung I)

Die gegenwärtige Krise kann nicht verstanden werden, wenn ihre Ursache vor allem in der Sphäre der sogenannten Kapitalmärkte gesucht wird. Wer die „Realwirtschaft“ von dem „Casino“ gedanklich trennt, kann weder die gegenwärtige Krise begreifen noch einen Ausweg aufzeigen.

Wäre diese Krise, wie die Annahmen der herrschenden Kreise zugrunde legen, vor allem eine Krise des Vertrauens im Innerbanken-Verkehr, hätten das Hineinpumpen von Geld und das Aufspannen von Schutzschirmen, das dieses Geschäft mittlerweile zur risikolosesten Art des Wirtschaftens im Kapitalismus macht, tatsächlich die Krise vermeiden können. Sie hat sich aber gegenüber den milliardenschweren Maßnahmen zur Verflüssigung der Zirkulation als resistent erwiesen. Das liegt daran, dass ihre Ursache nicht in der Zirkulationssphäre, sondern in dem zu suchen ist, was Marx im dritten Band des Kapital beschreibt: „Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.“[2]

These II (Grundvoraussetzung II)

Kern aller Ökonomie im Kapitalismus ist und bleibt die Erzeugung und Realisierung von Mehrwert. Kredit ist in der Regel die Vorfinanzierung des Erwerbs von Waren (Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Rohstoffe, Arbeitskräfte) mit dem Ziel des Kreditgebers, via Zins einen Teil des mit der Kombination dieser Waren im kapitalistischen Produktionsprozess erzielten Profits zu erhalten. Er nimmt die Realisierung dieses Mehrwerts vorweg und ist daher immer spekulativ.

Der historische Gesamtprozess des Kapitalismus ist seit seiner Entstehung durch zwei Haupttendenzen gekennzeichnet: Dem tendenziellen Fall der Profitrate und der Ausweitung des Kredits als Möglichkeit der Vorwegnahme der Mehrwerterzielung. Die gegenwärtige Krise wurzelt in ihrer Dramatik und Wucht in der Tatsache, dass sie von der Jahrzehnte währenden Zuspitzung dieses Widerspruchs gekennzeichnet ist und von daher ihre strukturelle Tiefe bezieht.

Bereits bei Marx taucht der Begriff des „fiktiven Kapitals“ auf. Dies ist der Teil, der in seinem ökonomischen Kern auf künftige Erträge wettet. Rosa Luxemburg – eine historische Stufe weiter als Marx und Engels – verdanken wir die Erkenntnis, dass der Kredit eine Doppelnatur hat: Er ermöglicht die Ausweitung der Investitionen, ohne dass der Investor selbst über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt – aber um den Preis, dass der oben skizzierte Grund aller Krisen zur Krise erstens später als ohne Kredit und zweitens wuchtiger als ohne Kredit führt.

Der im Kapitalismus klassische Prozess, Gewinnerwartungen und reale ökonomische Basis zueinander zu führen, ist die massenhafte Vernichtung von Kapital durch Krieg. Insofern liegt in der ökonomischen Logik der Krise nach 1873 der Krieg von 1914-18 und in der ökonomischen Logik der Krise nach 1929 der von 1937-1945. Dieser Angleichungsprozess ist – geschuldet der Drohung, die seit Hiroshima in der Welt ist und der Phase der Systemkonkurrenz – in den Jahrzehnten nach 1945 nicht möglich gewesen und hat zu einer zeitlich verlängerten Aufspannung des von Marx beschriebenen Grundwiderspruchs geführt. Dies ist der letztliche Grund für die Tatsache, dass inzwischen die in Geldtiteln ausgedrückten Ansprüche an die Produktion von Waren (also das Vermögen) die reale Produktionskraft aller Menschen dieses Planeten um den Faktor 3 übersteigt.

Das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate wirkt allen Unkenrufen zum Trotz in der Realität weiter und führt dazu, dass über jetzt gut zwei Jahrzehnte die spekulative Gewinnerwartung die Gewinnerzielung ersetzt hat. Dies erklärt den Schein eines Casinos, das aber in der Realität genauso wenig existiert wie die Fata Morgana in der Wüste.

These III

Aus einer an Marx und Luxemburg orientierten Sicht dienen Maßnahmen zur Abwehr der Krisenfolgen für die Bevölkerung gleichzeitig der Einleitung einer sozialistischen Perspektive. Dies konkretisiert sich in der Forderung nach Vergesellschaftung der Zirkulationssphäre als einem Schritt zur Vergesellschaftung des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses als Ganzem.

Wohl nicht zufällig im Vorwort zu seinem wichtigsten Buch weist Marx auf den „letzten Endzweck“ aller Bemühungen hin, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“: „… kann sie (die Gesellschaft – M.S.) naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“[3]

Die Grundrichtung der ökonomischen Entwicklung der Menschheit aber ist die stetige Vergesellschaftung, Verwebung aller Produktionsprozesse, so dass der früher von Handwerkern zu Recht ausgesprochene Satz „Das habe ich gemacht!“ in der Vielzahl der einzelnen Handlungen bis zur Herstellung einer Ware oder Dienstleistung verdunstet. Die Form der privaten Verfügung über diesen vergesellschafteten Produktionsprozesses wird sich daher aufheben – in einem längeren historischen Prozess. Zu diesem Prozess gehört auch, dass bereits im Schoße des Kapitalismus die Notwendigkeit der Vergesellschaftung ökonomischer Prozesse anerkannt wird. Aber sie führt nicht zur Demokratisierung der Wirtschaft, sondern durch das Festhalten am Recht der privaten Aneignung gesellschaftlich erzeugten Reichtums zur mal schleichenden, mal (im Faschismus) galoppierenden Entdemokratisierung der Gesellschaft.

These IV

Eine Hauptlehre aus dem Anlauf zum Sozialismus von 1917 bis 1989 besteht darin, dass sich der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus (als einer nicht mehr um G’ herum zentrierten Gesellschaft) in einem langen, nach Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten erstreckenden Zeitraum vollzieht.

Der Hauptirrtum von Marx und viele der ihm Folgenden lag in der Dimension der Zeit. Schon die Krise von 1857 schien ihm der Vorbote der kommenden Weltrevolution zu sein, die in historisch kurzem Zeitraum zu einer Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und einer demokratisch vergesellschafteten Produktion führen würde. Daraus folgte politisch eine Form der Begleitung dieser Prozesse, die von der Annahme geprägt war, dass in wenigen Jahren „das letzte Gefecht“, wie es in der „Internationalen“ heißt, durchgekämpft werden müsse. Das hat dazu beigetragen, dass die dieses Ziel verfolgenden Parteien Gesellschaftsstrukturen aufgebaut haben, die eine Mentalität revolutionärer Dramatik verstetigt und letztlich so nicht zu der ruhigen Normalität gefunden haben, die zur Reifung gesellschaftlicher Prozesse ebenfalls unumgänglich ist. Geburtswehen, die sich unendlich hinziehen, münden nicht in neue Menschen.

These V

Der historische Platz der folgenden Skizze ist daher der einer vergesellschafteten Zirkulationssphäre bei Aufrechterhaltung einer profitorientierten Ökonomie in weiten Teilen der Warenproduktion.

Wenn das eben Gesagte richtig ist, muss der Übergang zwischen Kapitalismus und Sozialismus in längeren Zeiträumen gedacht werden. Der in der zweiten Thesenhälfte entfaltete Vorschlag besteht also in seinem Kern darin, dass die auf Privateigentum an Produktionsmitteln beruhende Produktion vor allem von gegenständlichen Waren für einen historisch langen, Generationen umfassenden Zeitraum weiter toleriert und gesetzlich garantiert wird. Die gegenwärtige Krise wird begriffen lediglich als Zeichen, dass der gesellschaftliche Entwicklungsprozess jetzt die Vergesellschaftung der Zirkulationssphäre auf die Tagesordnung gesetzt hat.

These VI

Demzufolge geht es bei der Vergesellschaftung der Zirkulationssphäre lediglich darum, der Gesellschaft die Kontrolle über die Zirkulation der Finanzmittel zu geben.

Die Ereignisse der letzten beiden Jahrzehnte belegen hinlänglich, dass sie diese Kontrolle nicht mehr hat – siehe zum Beispiel die bezeichnende Äußerung des unseligen Ministers Fischer, niemand könne die Finanzmärkte kontrollieren.

Aus der Geschichte wissen wir, dass es eine Reihe von Beispielen gibt, wo auch innerhalb des Kapitalismus dem Kapital Maßnahmen aufgezwungen wurden, die seinen inneren Gesetzen zuwiderlaufen. Klassisch dafür ist das Gesetz über den 10-Stunden-Tag, das Marx irgendwo als einen Sieg der Ökonomie der Arbeit über die Ökonomie des Kapitals bezeichnet hat.

Analog dazu könnte – entsprechende nationale und internationale Kämpfe wie von ihm beschrieben vorausgesetzt – die Möglichkeit herangereift sein, die Zirkulationsmittel einer Gesellschaft der privaten Verfügungsgewalt einzelner zu entziehen, wie damals die unbegrenzte Verfügungsgewalt einzelner über die gesellschaftliche Arbeitskraft aller beendet wurde.

These VII

In dem hier entwickelten Vorschlag kann ein privater Bankensektor bestehen bleiben. Er wird nur keine gesellschaftliche Relevanz mehr haben.

Finanzdienstleistungen haben sich wie die Sicherheit vor Verbrechen oder der Anspruch auf allgemeine Schulbildung zu einem Teil der öffentlichen Infrastruktur entwickelt. Sie gehören daher in öffentliche Hand. Genauso wie es neben der Polizei auch private Wachdienste gibt und neben Staatsschulen auch Privatschulen, ist denkbar, dass es neben dem öffentlichen Zirkulationssektor auch private Geldhäuser gibt. Sie sind aber – die Gefahr einer Redominanz dieser Institutionen über die vergesellschaftete Sphäre immer gewahr – unter strenge staatliche Aufsicht zu stellen und in ein Nischendasein zu drängen wie jetzt schon Pfandleiher und Wettbüros.

These VIII

Der Hauptweg der Vergesellschaftung der Zirkulationssphäre ist es, die privaten Banken in die kontrollierte Insolvenz gehen zu lassen.

Engels schreibt irgendwo bezogen auf den Weg zum Sozialismus in England, das Beste wäre es, die ganze Bande auszukaufen. Angesichts der Finanzbedarfe der Banken ist das Verfahren gut und billig. Wer als private Bank staatlicher Unterstützung oder Bürgschaften nicht bedarf, darf als private Bank weiter wirtschaften. Wer staatliche Mittel in Anspruch nimmt, hat sich der Vergesellschaftung zu beugen.

Konkret wären dafür folgende gesetzliche Maßnahmen notwendig:

1. Die Erarbeitung eines „Insolvenzrechts für Privatbanken“. Für Banken, die nach diesem Recht in die Insolvenz gehen, werden gegenüber dem jetzt bestehenden Insolvenzrecht die Abwicklungszeiträume verlängert, um Panikreaktionen von Bankkunden entgegenzuwirken. Allen Kleinanlegern bis zu – gegriffen – 50.000 € werden ihre Einlagen zu 100% staatlich garantiert, Anlagen von 50 bis 100 T€ werden zu 90% garantiert usw. Durch diese progressive Entwertung wäre auch ein Ausweg aufgezeigt, um die oben skizzierte, dauerhaft nicht zu haltende 3:1-Relation von Finanztitel-Ansprüchen und realer Wirtschaftskraft anzugleichen. Besitztitel von – wieder gegriffen – über 10 Mio. € würden dann nur noch zu 10% oder weniger staatlich garantiert.

2. Garantiert werden nach einer modifizierten, großzügigeren Staffel alle direkt oder indirekt für die Finanzierung des Ruhestandes angelegten Mittel – das träfe vor allem die private Altersversorgung Selbständiger und den Markt der nicht in spekulativen Titeln wirkenden Lebensversicherer.

3. Eine staatliche Garantie für die bei Privatbanken eingelegten Gelder, die sich diesen Bedingungen nicht unterwerfen, entfällt.

4. Kontenbestände bei der über dieses neue Insolvenzrecht abzuwickelnden Privatbanken werden entsprechend der Wahl der Kunden entweder auf die bestehenden Sparkassen oder die bestehenden Volksbanken übertragen.

These IX

Die Hauptaufgabe dieses so vergesellschafteten Zirkulationsbereiches ist die Versorgung aller Bereiche der Gesellschaft mit Finanzmitteln. Die Verteilung dieser Gelder wird durch die Umbildung der Aufsichtsgremien dieser Institute unter Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte demokratisiert und dezentralisiert.

Die gegenwärtige Krise wird eine Umgestaltung der gesamten Lebensweise auch der hochentwickelten Gesellschaften erfordern. Wer über private Geldmittel verfügt, darf damit auf eigenes Risiko auch künftig jeden Blödsinn machen oder jeden Blödsinn produzieren lassen.

Wer allerdings – vor allem für die Produktion von Waren – gesellschaftliche Mittel, also Kredite, in Anspruch nehmen möchte, hat sich der gesellschaftlichen Kontrolle der ökonomischen, sozialen und ökologischen Vernunft dieser Pläne zu unterwerfen. Dies geschieht – als eine zweite Lehre aus den Erfahrungen des sozialistischen Anlaufs von 1917-1989 – in möglichst großer Dezentralität.

Dazu werden in allen Volksbanken, Sparkassen und den darauf aufbauenden höheren Ebenen (siehe dazu These X) per Gesetz Aufsichtsräte von grob 30 Personen gebildet, die sich drittelparitätisch zusammensetzen aus

- einem Drittel Repräsentanten der in der entsprechenden Ebene (in der Regel also Kommunen) gewählten Parlamente entsprechend der dort abgebildeten Stärke der politischen Parteien,

- einem Drittel Repräsentanten aus dem gesellschaftlichen Raum, unter anderem auch derjenigen, die am stärksten auf Kredite angewiesen sind: Vertreter der Handwerkskammern, der örtlichen bzw. regionalen IHK, des DGB, der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen, des BUND (oder anderer Vertreter ökologischer Interessen) und der Verbraucherschutzorganisationen,

- einem Drittel Belegschaftsvertreter.

These X

Damit entstünde in einem längeren gesellschaftlichen Umgestaltungsprozess ein Zirkulationssystem, das in Deutschland im Wesentlichen wie bisher aus drei, allerdings in ihrer Bedeutung umgewichteten Säulen besteht:

- dem dominanten Zweig der Sparkassen und Landesbanken;

- den Genossenschaftsbanken (Volksbanken) als Hauptregulativ gegen eine Monopolisierung und Bürokratisierung der Zirkulationssphäre durch diesen dominanten Zweig;

- einem streng beaufsichtigen, aber für die Einleger mit höheren Risiken behafteten Privatbankensektor als Nische.

Dabei soll, wie bereits angedeutet, als Lehre aus dem Anlauf 1917-89 der Vorrang der Dezentralität gewahrt werden. Die Erstinstanz für alle Einlage- und Kreditgeschäfte ist die kommunale Ebene. Nur wo ihre Finanzmittel überschritten sind, treten Landesbanken an ihre Stelle – analog wäre der Aufbau auch bei den Genossenschaftsbanken zu denken. Klar ist, dass es über diesem die Zirkulationssphäre praktisch betreibenden Dienstleistungssektor weiterhin eine Zentralbank und eine Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geben wird.

Nachbemerkung

Diese Skizze hat zwei Kleinigkeiten außen vor gelassen: Die europäische Ebene und den zu erwartenden Widerstand selbst gegenüber diesem auf die Zirkulationsebene beschränkten Vergesellschaftungsschritt.

Erstens: Die in These III verfochtene Grundtendenz der Vergesellschaftung aller Produktions- und Reproduktionsprozesse hat über mehrere Stufen regionale Grenzen der Verflechtung dieser Prozesse teils evolutionär, teils revolutionär, teils friedlich, teils kriegerisch durchbrochen und ausgeweitet. Bei nüchterner Betrachtung der Datenlage überzeichnet der beliebte Begriff der „Globalisierung“ aber diesen Prozess. Es gibt weder eine Weltwährung noch eine Weltsprache (auch wenn es manche gerne hätten) noch eine Weltfinanzaufsicht. Der gegenwärtige Stand der Vernetzung wäre eher mit dem Begriff „Kontinentalisierung“ gekennzeichnet – wenn die USA ökonomisch und politisch als ein Kontinent begriffen werden.

Die skizzierten Maßnahmen ließen sich ohne mindestens eine Tolerierung durch die europäische Ebene nicht durchsetzen. Sollten die eingangs zitierten Beschlüsse der LINKEN auch nur einen Hauch Realisierungschance erhalten, läge vor so wackeren Streitern wie Lothar Bisky, Sabine Wils und allen anderen, die mit ihnen nach Brüssel umgezogen sind, ein munteres politisches Leben.

Zweitens greift dieser Vorschlag ökonomisch tief in das Recht Zehntausender ein, an „G’“ – also dem in der Produktion von Waren und Dienstleistungen erzeugten Mehrwert - zu partizipieren. Das wird ihren kreativen und energischen Widerstand hervorrufen, und sie sind es in den langen Jahrzehnten der Kämpfe im Kapitalismus gewohnt, bis zum Letzten um dieses Recht zu kämpfen und häufig auch zu gewinnen. Diejenigen, die nach ihren Vorstellungen die Zeche für die Bewältigung der Krise bezahlen sollen – Arbeiterinnen, Angestellte, BfA-Rentnerinnen, Schüler, Studentinnen, Arbeitslose – werden sich wehren. Sie werden das erfolgreich nur tun können, wenn sie sich dabei auf keinen Gott, keinen Kaiser und auch kein Parlament verlassen, sondern ihr Schicksal durch Kämpfe in den Betrieben, in den Schulen und auf den Straßen selbst in die Hand nehmen. Insofern bedarf es keiner großen prophetischen Kraft für die Annahme, dass schon der Realisierungsversuch dieser bescheidenen Skizze einen zuweilen zu Unrecht vergessenen Begriff neue Strahlkraft geben wird – dem Begriff des Klassenkampfes.

[1] Dieser Beitrag erscheint auch bei: Hermannus Pfeiffer (Hrsg.): Kein Land in Sicht? Die Krise, die Aussichten und die Linke in Deutschland, PapyRossa Verlag, Köln 2009, i. E.

[2] Karl Marx, Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Dritter Band (MEW 25), Berlin 1964, S. 501.

[3] Karl Marx, Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band (MEW 23), Berlin 2008, S. 16f