Alternativen zur den Krisenstrategien des Kapitals

Brandstifter als Feuerwehr

Eine Kritik des Krisenmanagements

Juni 2009

„Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. ‚Stützungsaktion’, bei der alle, bis auf den Staat, gut verdienen. Solche Pleite erkennt man daran, daß die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.” (Kurt Tucholsky, 1931)

Die Wall Street liegt in Trümmern. Die einst so mächtigen US-amerikanischen Investmentbanken gibt es nicht mehr; sie wurden verkauft, gingen Bankrott oder wurden in Geschäftsbanken umgewandelt. Offenkundig wurde das Marktversagen im Sommer 2007, als mit dem Interbankenhandel ein wichtiger Nerv des globalen Finanzsystems getroffen wurde. Seither kämpfen Banken rund um den Globus mit horrenden Verlusten, welche ihr Eigenkapital aufzuzehren drohen. Und seitdem werden rund um den Globus „Rettungspakete für die Banken“ geschnürt. Nachdem über viele Jahre erzählt wurde, dass für Krankenhäuser, Schulen oder eine Anhebung des Arbeitslosengeldes leider kein Geld da sei, zeigt sich nun, dass für die Stützung von Großbanken innerhalb kürzester Zeit Rekordsummen mobilisiert werden können – Summen, die ausreichen würden, um die gesamte Weltbevölkerung mit sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen zu versorgen. Am 3. Oktober 2008 beschloss die US-Regierung ein 700 Mrd. US-Dollar schweres Banken-Rettungspaket; am 7. Oktober gab die britische Regierung bekannt, ihr Bankensystem mit bis zu 500 Mrd. Pfund an öffentlichen Geldern zu unterstützen; Mitte Oktober wurde dann auch in Deutschland ein 480 Milliarden Euro schweres Rettungspaket für die Banken durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht.

Obwohl man seit der Pleite von Lehman Brothers europaweit inzwischen drei Billionen Euro für die „Rettung“ von Banken mobilisiert hat, wurde allerdings keines der Ziele erreicht, die man sich gesteckt hatte. Die Kreditvergabe kommt nicht in Gang, da die Banken noch immer auf Bergen von faulen Papieren sitzen. Produktion und Handel sind weltweit eingebrochen, Arbeitslosigkeit und Armut schnellen nach oben. Längst ist die Krise nicht mehr auf das Finanzsystem beschränkt. Auch Produktionsunternehmen wie Opel oder Schaeffler rufen den Staat zu Hilfe; die Zahl der Firmen, die durch den Rückgang von Aufträgen bei steigenden Kreditkosten in die Insolvenz getrieben werden, nimmt rasant zu.

Zwar schimpfen inzwischen auch Regierungsvertreter über allzu gierige Bankmanager und schwingen große Reden über die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der internationalen Finanzarchitektur. Dies ist auch erforderlich, um die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, die in der Regel nicht einsieht, warum dieselben Finanzhaie, die sich und andere in die Pleite geritten haben, nun auch noch mit steuerfinanzierten Traumgehältern und Bonuszahlungen honoriert werden sollen. Und damit niemand auf die Idee kommt, der Staat könne die Steuermittel auch für umfangreiche öffentliche Investitionen, für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung der Massenkaufkraft einsetzen, baut man in Deutschland vorsorglich „Schuldenbremsen“ in die Verfassung ein. Man braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, wie künftige Kürzungsorgien mit Verweis auf diese selbst geschaffenen Sach- und Sparzwänge legitimiert werden.

Sollte es nicht gelingen, den Kurs des Krisenmanagements zu korrigieren, werden die Lohnabhängigen für die Krise doppelt und dreifach bezahlen müssen. Nicht nur, dass im Zuge der Krise europaweit mindestens vier Millionen Arbeitsplätze vernichtet werden. Nicht nur, dass die Beschäftigten bereits jetzt zu Lohnverzicht aufgerufen werden und sie dieser dreisten Forderung nur zu oft nachkommen in der verzweifelten Hoffnung, durch Zugeständnisse den eigenen Arbeitsplatz retten zu können. Darüber hinaus werden die Steuermilliarden, die nun vom Staat ausgereicht werden, um die größten Zocker freizukaufen, in ein paar Jahren an die Gläubiger des Staates (d.h. die großen Finanzkonzerne) zurückgezahlt werden müssen, was höhere Steuern und/oder drastische Sozialkürzungen mit sich bringen wird.

Wer sind die Krisenmanager?

Egal wohin man blickt: Dieselben Eliten, die durch ihre Deregulierungspolitik für die Krise mitverantwortlich sind, die weltweit Privatisierungen forciert und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorangetrieben haben, fungieren jetzt als oberste Krisenmanager. Zwar haben sich die internationalen Kräfteverhältnisse durch die Krise derart verschoben, dass nun verstärkt versucht wird, die Eliten einflussreicher Schwellenländer in die „global governance“ einzubinden. Ein grundlegender Politikwechsel ist mit der Erweiterung der G7 zur G20 aber nicht verknüpft. Wer geglaubt hatte, im Angesicht der Krise würde nun tatsächlich über ein neues Bretton-Woods-Abkommen verhandelt, mit dem seinerzeit zumindest die Wechselkurse reguliert wurden, dürfte inzwischen eines Besseren belehrt worden sein. Globale Ungleichgewichte, wie sie zwischen den USA einerseits und Exportnationen wie China, Deutschland oder Japan bestehen, waren auf dem Gipfeltreffen kein Thema, Forderungen von China und Russland nach einer Neuordnung des Weltwährungssystems wurde ebenso abgelehnt wie die ursprüngliche Forderung der USA nach weiteren Konjunkturprogrammen. Stattdessen einigte man sich darauf, die Finanzmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank um mehr als eine Billion US-Dollar aufzustocken. Damit haben die G20 ausgerechnet jener Institution zu mehr Macht verholfen, die schon seit Jahrzehnten als brutaler Schuldeneintreiber und Zwangsvollstrecker im Interesse der Großbanken tätig ist und durch seine neoliberalen „Strukturanpassungsprogramme“ bereits Millionen Menschen in Armut gestürzt hat.

Ehemalige Manager des IWF und der privaten Großbanken findet man auch in Europa auf einflussreichen Posten wieder – als Beispiel wäre die hochrangige Expertengruppe zu nennen, die von der EU-Kommission mit der Erarbeitung von Vorschlägen zur Reform der europäischen Finanzaufsicht betraut wurde. Geleitet wird diese Gruppe der so genannten „financial wise men“ von Jacques de Larosière, einst Berater von BNP Paribas und Präsident des IWF, der noch im Januar 2008 die Meinung vertrat, dass man keinesfalls so genannte „Finanzinnovationen“ beschränken dürfe, da diese das „Herz unserer Industrie“ ausmachten. Die Mehrheit der Larosière-Gruppe dürften ihm darin beipflichten, denn mit einstigen Beratern oder Managern der Citigroup, Lehman Brothers und Goldman Sachs sitzen in der Expertengruppe gleich drei weitere Vertreter von Großbanken, die den spekulativen Handel mit hochkomplexem Finanzschrott besonders eifrig betrieben haben.

Kein Wunder, dass der Katalog von Reformvorschlägen, der im März 2009 veröffentlicht wurde und bis Ende des Jahres in entsprechende Richtlinien gegossen werden soll, sehr bescheiden ausfällt: So sollen die Eigenkapitalvorschriften für Banken (Basel II) sowie die Bilanzierungsregeln überarbeitet werden, damit sie in Zukunft weniger prozyklisch wirken; Rating-Agenturen sollen besser überwacht werden, das Risikomanagement von Versicherungsunternehmen verbessert und generell mehr Transparenz geschaffen werden – zum Beispiel indem zentrale Clearingstellen für den Handel mit Derivaten und anderen komplexen Finanzprodukten geschaffen werden. Darüber hinaus will man die Anreizsysteme für Manager verändern, die Einlagesicherungssysteme der Banken europaweit angleichen und die Zusammenarbeit der Finanzaufsichtsbehörden verbessern.

Mit etwas mehr Transparenz und zaghafter Regulierung wird man allerdings die aktuelle Krise weder überwinden, noch künftige Krisen verhindern können. Doch darum geht es der Larosière-Gruppe auch gar nicht. Ihr Ziel ist es vielmehr, jede „Überregulierung zu verhindern, welche Finanzinnovationen bremsen und damit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen könnte“ Und indem man die Blaupause für die europäischen Finanzmarktreformen der nächsten Monate und Jahre liefert, kann man sicher sein, dass über weitergehende Forderungen, z.B. nach einem Verbot riskanter Finanzprodukte, nach einer Regulierung von Wechselkursen und Kapitalströmen, einem Stopp der Rentenprivatisierung oder nach einer Vergesellschaftung und demokratischen Kontrolle von Finanzkonzernen und Ratingagenturen erst gar nicht diskutiert wird.

In den USA ist die Verbindung zwischen Politik und Finanzelite traditionell besonders eng, was u.a. auf die Rolle des US-Dollar als weltweiter Leitwährung sowie der Wall Street als finanzieller Drehscheibe zurückgeführt werden kann. Unter der Regierung Bush wurde das Krisenmanagement von Goldman Sachs bzw. Henry Paulson gesteuert, der 2006 seinen Posten als Chef der Investmentbank Goldman Sachs aufgab und Finanzminister wurde. Im Herbst 2008 weigerte sich Paulson, den Bankrott von Lehman Brothers abzuwenden und duldete, dass sich diverse Banken (darunter Goldman Sachs und die Deutsche Bank) an Leerverkäufen von Lehman-Aktien bereicherten. Wenige Wochen später brachte er das erste „Banken-Rettungspaket“ auf den Weg, das den maroden Banken 700 Milliarden Dollar an faulen Krediten abnehmen sollte. Dabei sah der ursprüngliche Paulson-Plan fast keine Auflagen für die Banken vor; nicht einmal eine Begrenzung der Gehälter oder der Dividendenauszahlungen wurde durchgesetzt.

Zwar legt der neue Präsident Barack Obama ein stärkeres Gewicht auf Konjunktur- und Investitionsprogramme als sein Vorgänger. Mit der Berufung von Finanzminister Timothy Geithner hat Obama jedoch klargestellt, dass ihm keinesfalls daran gelegen ist, Konzerne wie Goldman Sachs, Citigroup oder JP Morgan vor den Kopf zu stoßen, die zu den größten Spendern seiner Wahlkampagne zählen. Um die US-Banken zu entlasten und die Klemme auf den Kreditmärkten zu überwinden, will Finanzminister Geithner eine weitere Billion US-Dollar mobilisieren, um den Banken einen Teil ihrer faulen Wertpapiere abzunehmen, deren Volumen vom IWF inzwischen auf über drei Billionen US-Dollar geschätzt wird. Erklärtes Ziel dieses Plans ist es, den Verbriefungsmarkt durch üppige Subventionen für Hedgefonds und andere Heuschrecken wieder in Gang zu bringen. So will die Regierung zum einen zinsgünstige Kredite an Fonds vergeben, die zum Aufkauf fauler Kredite genutzt werden sollen. Für jeden Dollar, den private Investoren in die giftigen Papiere investieren, will die Regierung bis zu vier Dollar dazugeben. Gleichzeitig werden die Investoren gegen mögliche Verluste abgesichert: Sollten sich die Papiere als wertlos erweisen, übernimmt der Einlagensicherungsfonds FDIC einen Großteil des Ausfallrisikos. Kein Wunder, dass Banker und Broker über diesen Plan entzückt sind: Sollten die Papiere wider Erwarten im Wert steigen, können sie die entsprechenden Spekulationsgewinne einstreichen – sollten sie im Preis fallen, werden die Spekulationsverluste auf die Allgemeinheit abgewälzt.

Auch in Deutschland wird es der herrschenden Finanzelite wie selbstverständlich gestattet, eine führende Rolle im Krisenmanagement einzunehmen. Nicht nur, dass Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann ebenso wie Commerzbank-Chef Martin Blessing sowie der Finanzvorstand der Allianz, Paul Achleitner, an der Konzeption des ersten Banken-Rettungspakets beteiligt wurden, das im Oktober 2008 verabschiedet wurde. Auch den entsprechenden Gesetzentwurf ließ sich die Bundesregierung gleich von Freshfields Bruckhaus Deringer schreiben – einer Kanzlei, die bei unzähligen Privatisierungen, „Öffentlich-Privaten Partnerschaften“ und Cross Border Leasing-Geschäften unter Beweis gestellt hat, dass sie alle Tricks kennt, mit denen Gewinne privatisiert und Risiken und Verluste auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. So dürfte es kein Zufall sein, dass der mit 480 Milliarden Euro ausgestattete Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) wie eine Schattenbank funktioniert, die aus dem Bundeshaushalt ausgegliedert ist und keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Statt endlich für mehr Transparenz zu sorgen und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wem die Steuergelder am Ende zugute kommen, kann so in geheimen Klüngelrunden mit den Vertretern der großen Finanzkonzerne ausgehandelt werden, welche Bank zu welchen Bedingungen gestützt wird.

Schon bei der Rettung der IKB, die mit einer Bilanzsumme von rund 50 Milliarden Euro (Stand: Ende März 2008) wohl kaum als systemrelevantes Institut gelten konnte, flossen mehr als 10 Milliarden an Steuergeldern, damit die IKB ihre Verbindlichkeiten bei der Deutschen Bank und anderen Großbanken bedienen konnte; anschließend wurde die Bank für läppische 115 Millionen Euro an den Finanzinvestor „Lone Star“ verkauft. Auch die Rettung der Hypo Real Estate, die bereits mehr als 100 Milliarden Euro gekostet hat, wirft kein gutes Licht auf das Krisenmanagement. Ungeklärt ist beispielsweise, warum die Regierung mit der Stützungsaktion bis zum 29. September 2008 wartete – wohl wissend, dass die Hypovereinsbank, aus der die HRE im Jahr 2003 als eine Art „Bad Bank“ ausgegliedert wurde, genau bis zum 28. September für faule Papiere der HRE haftbar gemacht werden konnte. Wollte man hier die Altaktionäre um die Münchner Rück schonen? Oder die Deutsche Bank, die inzwischen im Vorstand der HRE vertreten ist?

Mehr als absurd erscheint auch die Stützung der Commerzbank. Nicht nur, dass man es einer Bank erlaubt, mehr als 18 Milliarden an staatlichen Hilfen einzustreichen und dabei gleichzeitig 9.000 Arbeitsplätze zu vernichten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum der Staat für seine 18 Milliarden nur einen Minderheitsanteil von 25 Prozent erhalten hat, obgleich die Commerzbank an der Börse für nur vier bis fünf Milliarden Euro komplett hätte gekauft werden können (FTD, 20.01.2009).

Warum keine Verstaatlichung?

Insgesamt gleicht das Krisenmanagement dem verzweifelten Versuch, einen todkranken Patienten mit immer neuen (Finanz)spritzen künstlich am Leben zu erhalten. Allerdings stößt diese Strategie zunehmend an Grenzen, da im Zuge der Finanzkrise immer mehr Kredite faul werden und die Banken immer mehr frisches Geld benötigen, um die giftigen Papiere aus ihren Bilanzen zu tilgen. Noch im Januar 2009 schätzte der IWF das Volumen der Schrottpapiere auf 2,2 Billionen Dollar, im April war bereits von vier Billionen US-Dollar die Rede. Nach einem Bericht des Daily Telegraph vom 11. Februar 2009 geht die EU-Kommission sogar davon aus, dass 44 Prozent der Vermögenswerte aller europäischen Banken, die in den Bilanzen noch auf 18,3 Billionen Euro beziffert werden, aus „giftigen“ Papieren bestehen könnten (junge welt vom 19.02.2009).

Vor einer Verstaatlichung von Banken schreckt man offensichtlich aus ideologischer Borniertheit zurück – obwohl diese Lösung für den Steuerzahler die billigste wäre. Zwar wären die faulen Papiere der Banken auch nach einer Verstaatlichung nicht verschwunden. Der Vorteil besteht allerdings darin, dass auch die noch werthaltigen Vermögensbestände in die öffentliche Hand übergehen und der Staat einen Teil seiner Verluste durch künftige Gewinne der Bank wieder wettmachen kann. Darüber hinaus könnte der Staat seinen Einfluss als Eigentümer dazu nutzen, um die Geschäftspolitik der Banken neu auszurichten und sicherzustellen, dass wieder sinnvolle Investitionen finanziert werden statt Spekulation – eine Möglichkeit, von der bislang so gut wie kein Gebrauch gemacht wurde. Die Frage der Enteignung von Aktionären stellt sich dabei insofern nicht als man nur etwas enteignen kann, was noch einen Wert hat. Da die großen privaten Banken jedoch praktisch bankrott sind, kann und sollte der Staat sie entschädigungslos übernehmen.

Und selbstverständlich spricht auch nichts für eine blinde Absicherung der Ansprüche sämtlicher Gläubiger wie Hedge Fonds, Private-Equity-Haie und andere Finanzinstitute. Der des Linksradikalismus sicher unverdächtige Ökonom Gustav Horn vom IMK fordert: „Ordnungspolitisch wäre die Antwort auf die Krise klar: Diejenigen, die die Schäden verursacht haben bzw. hierfür Kapital bereitgestellt haben, müssten hierfür einstehen. Dies träfe in erster Linie die Eigentümer und das Management, aber auch die Fremdkapitalgeber.“ Er befindet sich dabei in Übereinstimmung mit vielen seriösen Ökonomen, worauf auch die Financial Times Deutschland hinweist: „Generell gilt: Im Fall einer Verstaatlichung sollten sowohl Aktionäre als auch Gläubiger leiden. … Wäre das fatal? Prominente Ökonomen wie Willem Buiter von der London School of Economics oder Luigi Zingales von der University of Chicago verneinen das. Sie halten das Argument, dass sich das gesamte Bankensystem im Fall einer Enteignung der Gläubiger nicht mehr refinanzieren könnte, für ein billiges Schauermärchen und verweisen auf Argentinien.“ (FTD vom 24.3.2009) Eine solche Strategie würde die öffentlichen Kosten der Bankenrettung drastisch reduzieren. Übernommen würden dann nur solche Verbindlichkeiten – wie die bei Sozialversicherungen und Kommunen und natürlich die Einlagen der Kleinsparer – deren Abschreibung ernsthaften volkswirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen würde.

„Nun muss rasch der Weg freigemacht werden für die weitere Verstaatlichung. Denn jeder Tag, an dem die Bank noch nicht unter der Kontrolle des Staates steht, macht die Rechnung am Ende nur noch viel teurer,“ schrieb das Handelsblatt am 28. März 2009 mit Blick auf die marode Hypo Real Estate. Doch warum sollte dieser Grundsatz nur im Fall dieser einen Bank gelten? Der gesamte Finanzsektor sollte dauerhaft in öffentliche Hände überführt werden, da die Versorgung der Wirtschaft, der öffentlichen Hand und der privaten Haushalte mit Krediten, Girokonten und anderen Finanzdienstleistungen eine öffentliche Aufgabe ist und der Staat für die Stabilität der Finanzmärkte (d.h. die großen Banken und Versicherungen) ohnehin bürgen muss, wie die Krise bewiesen hat. Dass ein Finanzsystem nicht privatwirtschaftlich organisiert und auf Profitmaximierung ausgerichtet sein muss, um gut zu funktionieren, beweisen die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Und was das Investmentbanking betrifft, das bislang vor allem privaten Großbanken, aber auch von etlichen Landesbanken betrieben wurde: Auf den größten Teil dieses Geschäfts – vom Eigenhandel mit und der Spekulation in Wertpapieren, über die Durchführung von Fusionen und Übernahmen, bis zur Betreuung von Privatisierungen, Public-Private-Partnerships oder Cross Border Leasing-Projekten – kann man gut und gerne verzichten.

Wer hingegen die Brandstifter von einst zu Feuerwehrleuten macht, geht das Risiko ein, dass aus einem Feuer ein Flächenbrand wird. Die Steuermilliarden, die heute verschwendet werden, um die größten Zocker freizukaufen, werden später fehlen, wenn es darum geht, die ansteigende Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und wenn es nicht gelingt, die neoliberalen Brandstifter durch massiven öffentlichen Druck von den wichtigen Schaltstellen in Politik und Wirtschaft zu entfernen, werden am Ende die Beschäftigten, die Arbeitslosen oder Rentner für die horrenden Verluste der Banken und Finanzinvestoren bluten müssen. Um dies zu verhindern, müssen soziale Kämpfe geführt und gewonnen werden: Gegen Massenentlassungen und für eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit, gegen Hungerlöhne und Leiharbeit und für einen Mindestlohn von 10 € pro Stunde sowie eine Anhebung des ALG II auf mindestens 500 € monatlich, gegen neue Schutzschirme für Banken und für ein öffentliches Investitionsprogramm, das sinnvolle Arbeitsplätze schafft, die Infrastruktur erneuert und den ökologischen Umbau vorantreibt.

Die Profiteure zur Kasse bitten

Um die Wirtschaftskrise zu bewältigen und den Sozialstaat ausbauen zu können, muss man die Profiteure des Finanzbooms zur Kasse bitten. Allein in Deutschland gibt es 800.000 Geldvermögensmillionäre mit einem Finanzvermögen von im Schnitt 3,5 Millionen Euro, das in den Jahren der Börsenhausse um 10 Prozent pro Jahr gewachsen ist. Auch wenn diese Vermögen im Zuge der Finanzkrise geschrumpft sein mögen: So lange die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als zwei Drittel des Gesamtvermögens besitzen, welches auf insgesamt 10 Billionen Euro taxiert wird, dürften die Einnahmen, die durch Millionärssteuern, entsprechende Erbschaftssteuern, eine höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen sowie Steuern auf Finanztransaktionen hereingeholt werden können, mehr als ausreichend sein.

Schließlich sollte die Krise genutzt werden, um die System- und also die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung zu setzen. Das gesamte Finanzsystem muss in öffentliche Hand überführt und die Geschäftspolitik der Banken demokratisch gesteuert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Banken ihre Kreditpolitik künftig am Gemeinwohl ausrichten und Kapital in sinnvolle Investitionsprojekte leiten statt sich auf der Suche nach immer höheren Renditen auf den globalen Finanzmärkten zu verzocken. Statt einzelne Banken nur vorübergehend zu verstaatlichen und ansonsten alles beim Alten zu lassen, muss das komplette Bankensystem dauerhaft vergesellschaftet und durch entsprechende Gesetze am Gemeinwohl orientiert werden. Auch der gesamte Versicherungssektor gehört in öffentliche Hände. Die Altersvorsorge ist – ebenso wie die Sozial-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung – als gesetzliche Versicherung zu führen, wobei ein sozialer Ausgleich zugunsten einkommensschwächerer Schichten stattfinden muss. Die Teilprivatisierung der Rente, die enorme Summen auf die Kapitalmärkte gespült und zur Konzentration wirtschaftlicher Macht bei wenigen Pensionsfonds sowie flächendeckenden Orientierung am „shareholder value“ geführt hat, muss rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus müssen Finanzmarktspekulationen von Versicherungskonzernen unterbunden und die externe Aufsicht gestärkt werden.

Schließlich sollten erste Schritte zur Vergesellschaftung anderer Schlüsselindustrien (Energie, Automobil-, Chemie- und Rüstungsindustrie sowie Post, Telekom) eingeleitet werden, z.B. indem man die Industriebeteiligungen der Banken und Versicherungen in einen Fond „Öffentliches Eigentum“ überführt. Grundsätzlich sollte bei jeder Stützungsaktion gelten, dass keine Steuergelder ohne Beschäftigungsgarantien und den Erwerb öffentlicher Eigentumsrechte vergeben werden. Allerdings müssen diese Eigentumsrechte auch im Interesse der Allgemeinheit genutzt werden – etwa um den längst fälligen ökologischen Umbau im Verkehrsbereich und bei der Energieversorgung voranzutreiben. Insofern ist die Verstaatlichung allein noch kein Patentrezept. Sie muss mit strikten Regeln über Mitspracherechte der Beschäftigten und demokratische Kontrolle verbunden sein. Entscheidend ist, ob es gelingt, mit dem Filz aus Politik und Konzerninteressen aufzuräumen und eine umfassende Demokratisierung durchzusetzen, so dass nicht länger ein paar Finanz- und Konzernmanager darüber entschieden, welche Investitionen getätigt, welche Projekte finanziert und zu welchen Bedingungen Kredite vergeben werden.