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Die Versprechungen der Nanotechnologie

September 2007

„Die Welt ist gerade dabei, von Atom auf wieder aufgebaut (und verbessert) zu werden. Das bedeutet, dass ... alles: Kleidung ..., Essen ..., Medizin ..., das Trinkwasser ... und, hieraus resultierend, die soziale und ökonomische Struktur der Welt dabei ist, sich fundamental zu verändern. Die Nanotechnologie wird praktisch das gesamte globale Wirtschaftsleben drastisch verändern“ (Josh Wolfe, zit. n. ETC 2005: 24).

Auch wenn Übertreibung zum Geschäft von Josh Wolfe, einem der führenden in die Nanotechnologie investierenden Venture-Kapitalisten, gehört, ist der Kern des Zitats durchaus ernst zu nehmen: Die Nanotechnologie ist im Kommen und hat das Potential, erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaft und Ökonomie zu haben. Auch wenn mögliche Auswirkungen in diesem noch recht jungen Stadium, in dem sich die Nanotechnologie befindet, schwer voraussagbar sind, möchte ich doch einige Thesen zur Nanotechnologie entwickeln.

Was ist die Nanotechnologie?

Der Begriff „nano“ leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab. Ein Nanometer (nm) ist ein milliardstel Meter (10-9 m bzw. 0,000000001 m).[1] Mit dem Begriff Nanotechnologie werden heute im Allgemeinen verschiedene Methoden bezeichnet, die Materie im Bereich zwischen 100 Nanometern bis hinunter zu der Größe von Atomen (ca. 0,2 nm) zu analysieren und zu strukturieren. Nach Ansicht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag beschäftigen sich Forschungen innerhalb der Nanotechnologie mit Strukturen, die kleiner als 100 nm sind, und „verwenden“ hierbei charakteristische Effekte und Phänomene, die auf der atomaren Ebene auftreten. Außerdem wird mit Nanotechnologie die präzise Produktion und/oder Manipulation von Nanostrukturen bezeichnet (vgl. Paschen 2003: 19). Der Begriff wird allerdings in verschiedenen Kontexten so unterschiedlich verwendet, dass die winzige Dimension, in der operiert wird, die einzige charakteristische Eigenschaft zu sein scheint, auf die sich alle Beteiligten verständigen können (vgl. Royal Society 2004: 5). So wird innerhalb der Nanotechnologie zwischen den Bereichen Nanomaterialien, Nanoelektronik, Optoelektronik, Nanobiotechnologie (inkl. Nanofood), Nanomedizin und -kosmetik und Anwendungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien unterschieden. Die Nanotechnologie wird auch als Plattform-Technologie bzw. Querschnittstechnologie bezeichnet, da sie in allen möglichen Bereichen und Prozessen Anwendung finden kann.

Meine These ist, dass hier nicht von einer bestimmten Technologie oder Methode und auch nicht von einer bestimmten Anwendung oder einem Forschungsfeld gesprochen werden kann. Es handelt sich m.E. weniger um eine spezifische Technologie als vielmehr um ein gesellschaftliches Projekt oder besser um verschiedene gesellschaftliche Projekte unter dem Label Nanotechnologie. Mit der Beschreibung der Nanotechnologie als gesellschaftliches Projekt ist allerdings nicht gemeint, dass es keine „wirklichen“ technologischen Veränderungen und keine „reellen“ Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft gäbe. Noch handelt es sich um die eine Strategie und das Interesse einer bestimmten Gruppe. Vielmehr artikulieren sich innerhalb der Nanotechnologie sehr verschiedene Interessen und Strategien, die durchaus Widersprüche produzieren.

Die Entwicklung der Nanotechnologie ist innerhalb von Macht-Wissen-Netzwerken zu verorten, die von Interessen und Strategien geleitet werden. Technologieentwicklung als gesellschaftliches Projekt zu begreifen, eröffnet eine Perspektive auf gesellschaftliche Kämpfe und Auseinandersetzungen. Ob also die Nanotechnologie von der Bevölkerung akzeptiert wird, hängt davon ab, ob sie als gesellschaftliches Projekt hegemonial werden kann. Damit das Projekt der Nanotechnologie gesellschaftlich hegemonial werden kann, muss sie durch kongruente Argumentationsketten als gesellschaftlich wünschenswert „(kon)-textualisiert“ und Fortschritt in der Nanotechnologie mit gesellschaftlichem Fortschritt und dem Gemeinwohl gleichgesetzt werden. Die Nanotechnologie soll den Mythos einer Technologie erlangen, die Wohlstand und Arbeitsplätze zu den Menschen bringen wird und als Wettbewerbsvorteil im globalen Kampf um Marktanteile dient.

Allerdings ist die Palette an verfügbaren Nanotechnologie-Produkten, verglichen mit den großen Erwartungen, noch relativ bescheiden. Zur Zeit finden nanotechnologische Produktentwicklungen hauptsächlich im Bereich Kosmetika, Medikamente, Lebensmittel und elektronische Geräte statt. So gibt es bereits Sonnencremes mit einem höheren UV-Schutz, die gleichzeitig auf der Haut nicht weiß, sondern durchsichtig sind; schwer zerkratzbare Sonnenbrillen; Lacke und Farben, die einen besseren Schutz gegen Kratzer und Verschmutzungen bieten; schmutzabweisende Hosen; sich selbst reinigende Fenster; Datenspeicher mit größerer Speicherkapazität; bessere Solarzellen sind in der Entwicklung usw.

Neue Produktionsverfahren und Rohstoffquellen

Nanotechnologie stellt eine offensive Innovationsstrategie praktisch aller Industrieländer dar. Sie verspricht, die sich derzeit abzeichnende verstärkte Abhängigkeit von primären Rohstoffen (genetische Ressourcen, fossile und mineralische Rohstoffe) durch Produktion von Substitutionsprodukten abzumildern oder gar umzukehren.

Die radikalsten Vorstellungen der technischen Möglichkeiten der Nanotechnologie stammen von Eric Drexler und den sogenannten TranshumanistInnen. Drexler, der mit seinem Buch „Engines of Creation“ (1986) die Nanotechnologie überhaupt erst populär gemacht hat, geht davon aus, dass es irgendwann möglich sein wird, über molekulare Fertigungsverfahren jede gewünschte Struktur, seien es Tennisbälle, Autos oder Lebewesen, von Grund auf neu zu bauen, wenn nur der Bauplan zu Verfügung steht. Dies soll allerdings nicht mehr mit der „brachialen“ Methode des Anordnens jedes einzelnen Atoms passieren, sondern durch „self-assembly“, also Prozesse, in denen sich die Atome über Nanosysteme (Assemblers) scheinbar intelligent selber zusammensetzen.

Solche Vorstellungen von der Nanotechnologie muten äußerst futuristisch an und werden vielleicht nie realisiert. Allerdings wird bereits heute innerhalb der Nanotechnologie an Forschungen gearbeitet, die auch in nicht ganz so utopischer Ausprägung erhebliche Auswirkungen auf die globalen Wirtschaftskreisläufe haben könnten: die Einführung von Rohstoff-Ersatz-Produkten, die Einführung „neuer“ Waren, eine Veränderung von technologischen Produktionsweisen und eine verstärkte Konzentration von Wissen in den Händen der Industrieländer und Life-Sciences-Industrie.

Sollte es in absehbarer Zeit möglich werden, natürliche Rohstoffe nanotechnologisch durch synthetisch hergestellte Rohstoffe zu ersetzen, könnten die Methoden, die unter diesem Label zusammengefasst werden, für die rohstoffexportierenden Länder des globalen Südens verheerende Auswirkungen haben. Dieser Prozess läuft zwar bereits ohne Nanotechnologie, könnte durch diese aber entscheidend verstärkt werden. Da viele Länder des Südens als Rohstofflieferanten agieren, sind diese besonders stark durch Ersatzprodukte betroffen. Ihre Handelswaren, wie z.B. Kautschuk, natürliche Textilstoffe wie Baumwolle und Jutefasern, Palm- und Kokosnussöle und exotische Gewürze sind durch (nanotechnologische) Substitutionsprodukte austauschbar (z.B. wird an einer nanotechnologisch veränderten Reissorte gearbeitet; es wird an Nanofasern geforscht, die Baumwolle ersetzen sollen; und bestimmte in Entwicklung begriffene Materialien, die auf Nanopartikeln basieren, sind dem Kautschuk sehr ähnlich vgl. ETC 2004a, b). Sollten diese Produkte auf den Markt kommen, hätte dies zur Folge, dass sich Liefer- und Wertschöpfungsketten weltweit verändern, was wiederum dramatische Auswirkungen auf die bestehenden Plantagen, Produktionsketten und Lebensverhältnisse von Millionen von Menschen zur Folge hätte. Denn es sind meist die ärmsten und die vom Rohstoff-Export am stärksten abhängigen Länder, die von möglichen Produktveränderungen am stärksten getroffen werden (vgl. ETC 2004a). Bislang wird allerdings weniger an Substitutionsprodukten als vielmehr an der „Verbesserung“ bestehender Materialien gearbeitet, indem diese durch Einarbeitung von Nanopartikeln schmutz- und wasserabweisend werden (ETC 2005: 29f.).

Weiterhin könnte die Nanotechnologie zur Umstrukturierung der Landwirtschaft beitragen. Das United States Department of Agriculture (USDA) entwarf einen ersten „Fahrplan“ für die nanotechnologische Anwendung in der Landwirtschaft (vgl. Scott/Chen 2003). Nach dieser Vision soll die Landwirtschaft, noch stärker als bislang, automatisiert und industrialisiert werden. Die „molekulare Vision“ sieht den Bauernhof der Zukunft als eine Biofabrik, in der der Acker mit molekularen Sensoren ausgestattet ist und mit Hilfe eines Laptops überwacht werden kann (Barlow 2001). Wo die Gentechnik (bislang) scheiterte, könnte nun die Nanotechnologie nachhelfen und eine zweite „grüne Revolution“ initiieren. Mittels molekular veränderter Organismen (z.B. Hybride aus aus Bakterien und Nanopartikeln, vgl. Dietrich 2007) und angepasster Chemikalien, so erzählt die in der Entstehung befindliche „Nano-Sciences“-Industrie, könnten Pestizide und Düngemittel präziser eingesetzt werden. Nano-Pestizide (also Pestizide, die agrochemisch aktive nanotechnologische Komponenten, meist Nanopartikel, enthalten) werden bereits von Firmen wie BASF, Bayer Crop Science, Syngenta und Monsanto auf dem Markt verkauft. Wirklich neue oder „verbesserte“ Eigenschaften weisen die molekular veränderten Organismen bisher nicht auf. Zukünftig könnte die Nanobiotechnologie allerdings bedeutsam werden. Nanopartikel sollen als Träger für DNA-Moleküle fungieren und die gezielte Injektion von DNA-Strängen in die Zellen erleichtern. Auch erhoffen sich ForscherInnen z.B. „intelligente“ Genmarker, die aktiv bestimmte Genabschnitte ein- oder ausschalten können, oder in die Pflanze integrierte Sensoren, die Informationen über den Zustand der Pflanze versenden (vgl. ETC 2004a).

Die Nanotechnologie wird zur neuen Innovationsstrategie par excellence erklärt, die alle von Joseph A. Schumpeter hinsichtlich unternehmerischer Innovation aufgestellten Kriterien erfüllt: Sie soll neue Handelswaren oder neue Eigenschaften von Waren und neue Produktionsmethoden einführen, neue Märkte eröffnen, neue Quellen für Rohmaterial oder Zwischenprodukte erschließen und zur Neuorganisation von ganzen Industriebranchen führen. So wird gemutmaßt, dass im Jahr 2014 der Markt für Nanotechnologie-Produkte 2600 Milliarden US$ überschreiten wird (vgl. Lux Research 2004).

Eine klassische Nord-Süd-Trennung hinsichtlich der Nanotechnologie kann allerdings nicht beobachtet werden, denn auch in vielen sog. „Entwicklungs-“ und „Schwellenländern“ werden Programme zur Förderung der Nanotechnologie entwickelt. So gab Südkorea im Jahre 2003 etwa 170 Mio. US$, China etwa 80 Mio. US$ und Taiwan etwa 75 Mio. US$ für Nanotechnologie-Forschung aus. Auch Singapur, Malaysia, Thailand, Indien, Brasilien, Südafrika, Chile und die Philippinen entwickeln nationale Nanotechnologie-Programme (vgl. Roco 2003; UN Millennium Project Task Force on Science 2005: 71; Hullmann 2006a). China hat dieses Jahr der Bundesrepublik den dritten Platz bezogen auf die jährlichen Publikationen streitig gemacht, hinter den USA und Japan (vgl. ngo-online 2007). Doch sind es bislang nur wenige Länder des „globalen Südens“, die an dieser Entwicklung teilhaben. Und auch in Zukunft wird der größte Teil des politischen Südens von diesen Entwicklungen abgeschnitten sein. Hinsichtlich der Nanotechnologieentwicklung kann daher von einer „Nano-Kluft“ (engl. „nano-divide“, vgl. Maclurcan 2005) gesprochen werden, eine Kluft, die nicht nur eine Nord-Süd-Hierarchie aufweist, sondern auch den globalen Süden spaltet.

Inwertsetzung – vom „grünen Gold“ zum „grauen Gold“

Das „grüne Gold“ der Gene hat insbesondere für die Sektoren der postfordistischen Ökonomien, die wissensbasiert sind und auch als Life Sciences Industrie bezeichnet werden können, strategische Bedeutung (vgl. Wullweber 2004). Die Inwertsetzung genetischer Ressourcen kann in Anlehnung an die „äußere Landnahme“ des Kolonialismus als „innere Landnahme“ bezeichnet werden und eröffnet, wie diese, neuartige Expansionschancen des Kapitals (vgl. Lutz 1984: 213f.). „Inwertsetzung“ wird in diesem Zusammenhang verstanden als die Umwandlung von Ressourcen in eine Warenform, so dass diese auf dem (Welt-)Markt gehandelt werden können. Denn natürliche Ressourcen und Wissen an sich haben zwar einen Gebrauchswert, sind aber für die Ökonomie solange wertlos, wie sie keinen Tauschwert haben. Ressourcen müssen „erst ‚inwertgesetzt‘ werden, also den spezifischen ökonomischen Mechanismen der jeweiligen Produktionsweise untertänig gemacht werden, um als Wert zählen zu können“ (Altvater 1986: 137, Herv. im O.). In jeder historisch-kapitalistischen Formation bzw. raum-zeitlichen Fixierung (vgl. Jessop 2001: 144ff.) können spezifische Formen vorherrschender Inwertsetzungen bestimmt werden. Insgesamt handelt es sich um einen kontingenten (daher nicht determinierten und dennoch nicht beliebigen), ungleichzeitigen, aber permanenten Prozess der Enteignung, Aneignung und Kommodifizierung (vgl. Alnasseri 2003: 135ff.). In den heutigen Industriestaaten dominiert vor allem die „Einhegung“ von Wissen. Wenn Wissen als Produktionsmittel entwickelt und angewandt wird, sind Patente Mittel der „Einhegung“, die dazu dienen, dieses Wissen zu monopolisieren und andere von der Verfügung darüber auszuschließen.

Meine These ist, dass sich diese „innere Landnahme“ nun auf die molekulare Ebene ausweitet. Der molekulare Raum stellt sich aus dieser Sicht als eine weiße Landkarte dar, auf der nun Territorien und Claims in Form privater Eigentumsrechte abgesteckt werden. Daher spielen Patente innerhalb der Nanotechnologie und bei der molekularen Inwertsetzung eine entscheidende Rolle (siehe unten). Die Prozesse und Methoden unter dem Label Nanotechnologie können vor diesem Hintergrund als Akkumulationsstrategien beschrieben werden, da sie neue Räume für Inwertsetzungsprozesse öffnen, indem der molekulare Bereich für die Vergabe von Eigentumsrechten und somit für Akkumulationsprozesse aufgeschlossen wird – der molekulare Raum stellt sich aus dieser Sicht als eine weiße Landkarte dar, auf der nun Territorien und Claims in Form privater Eigentumsrechte abgesteckt werden.

Bislang wird noch gestritten, für welche Bereiche und Anwendungen in der Nanotechnologie Patente vergeben werden können. So stellt das Patentrecht, bzw. die Diskussion, worauf Patente vergeben werden und worauf nicht, selbst ein Kampffeld dar (Lux Research 2006). Da grundlegende Nanomaterialien und -prozess (z.B. Nanopartikel wie Buckyballs und Nanotubes; Halbleitertechniken; Nanofluidik) bei vielen Produkten und ganzen Produktionsketten innerhalb fast aller Industriebranchen Anwendung finden, sind Kontrolle und Besitz dieser Grundbausteine entscheidend für praktisch alle Länder und die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industriebranchen. Konzerne, die Pionier-Patente besitzen, können ganze Industriezweige mit Gebühren belegen. In keiner anderen bislang entwickelten Technologie haben Patente bereits in dieser Phase der Entwicklung eine solche Bedeutung gehabt. Obwohl Unklarheit bei der Patentvergabe vorherrscht, wird innerhalb der Nanotechnologie versucht, die grundlegenden Ideen von Anfang an zu patentieren. Trotz des hieraus resultierenden „Patent-Chaos“ ist die Nano Sciences Industrie im „Goldrausch“ (Lux Research 2005). Die Zahl der Patentanmeldungen steigt jedes Jahr an und liegt zur Zeit bei etwa 8.000 pro Jahr (vgl. Serrato/Hermann/Douglas 2005); knapp 3.000 Patente wurden vom US Patentoffice im Jahr 2003 vergeben. An der Spitze liegen die USA, gefolgt von Japan, Deutschland, Kanada und Frankreich (vgl. Hullmann 2006a; Hullmann 2006b).

Das „Projekt Nanotechnologie“ beinhaltet sowohl wirtschaftliche Anreize wie soziale und ökonomische Zwangselemente: „Für den Wirtschaftsstandort Deutschland gibt es keine Alternative zu einer Strategie der permanenten Innovation. Die Verfügung über die Nanotechnologie – als eine der chancenreichsten Querschnittstechnologien der Welt – bestimmt daher die technologische Leistungsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheidend mit.“ (BMBF 2006: 3)

Ausblick

Bei den beschriebenen Prozessen handelt es sich bislang noch vor allem um Visionen, deren Umsetzung weiterhin offen ist. Und auch wenn diese Visionen einen Teil des Nano-Hypes darstellen, sind sie immer auch Teil gesellschaftlicher Umstrukturierungen und tragen entscheidend zur Umgestaltung und Durchsetzung bestimmter Projekte bei. Falls sich Teile dieser Visionen – durch die Akzeptanz neuer Nanotech-Produkte, durch Umgestaltungen in der Forschungslandschaft, durch Einführung neuer Rohstoff-Substitute, durch die Verinnerlichung des Leitbildes der permanenten Innovation usw. – gesellschaftlich materialisieren sollten, hätte das „Projekt Nanotechnologie“ eine reelle Chance, zu einer neuen Akkumulationsstrategie und damit Teil einer möglichen postfordistischen Regulationsweise zu werden. Konkreter würde dies zu einer weiteren Konzentration von Produktionsmitteln im Allgemeinen und Wissen im Speziellen in den Händen der Life Sciences Industrie führen. Etwas zugespitzt formuliert der Nobelpreisträger Richard Smalley: „Wer die Atome kontrolliert, kontrolliert so ziemlich alles.“ (Smalley, zit n. ETC 2005 : 18) Wie bereits bei der so genannten „grünen Revolution“ in den 1970er und 1980er Jahren sind die Verlierer solcher Entwicklungen der globale Süden und dort vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe und speziell die kleinen Farmbetriebe. Aber auch in den Industrieländern werden die Industriezweige, die nicht in der Lage sind, die „Herausforderungen“ der permanenten Innovation anzunehmen, mittelfristig abgehängt werden.

Gesellschaftspolitisch brisant ist, dass die Nanotechnologieentwicklung bislang von den meisten Menschen unbemerkt abläuft. Selbst KritikerInnen der Gentechnik und professionelle NGOs scheinen die Nanotechnologie noch nicht bemerkt zu haben. Die wenigen NGOs, die sich des Themas angenommen haben (vor allem BUND/Friends of the Earth und Greenpeace), diskutieren und kritisieren diese meist nur im Hinblick auf gesundheitsschädliche und ökologische Risiken.[2] Auch wenn es sich hierbei um wichtige Aspekte der Nanotechnologie handelt, wird doch komplett ausgeblendet, dass die wahrscheinlich dramatischsten Auswirkungen in der Umstrukturierung des Weltmarkts liegen. Denn die Nanotechnologie wird nicht nur Auswirkungen auf die Produkte haben, die gehandelt werden, sondern auch darauf, wer am Handel beteiligt ist. Sollte es in Zukunft möglich sein, über nanotechnologische Methoden Substitutionsprodukte für Rohstoffe herzustellen, wird dies durch Veränderungen bisheriger Liefer- und Wertschöpfungsketten eine verheerende Bedeutung für Hunderte von Millionen Menschen im globalen Süden haben.

Das gesellschaftliche Projekt Nanotechnologie ist allerdings noch nicht hegemonial geworden. Genau genommen befinden wir uns, zumindest in den europäischen Ländern, in einer ähnlichen Phase wie bei der Gentechnik vor knapp zwanzig Jahren. Damals wurde versucht, die Gentechnik unbemerkt an den meisten Menschen vorbei in die Gesellschaft einzuführen. Durch zugegebenermaßen zum Teil recht polemische Kampagnen wurde damals von zivilgesellschaftlicher Seite erfolgreich gegen die Gentechnik mobilisiert. Selbst wenn von ProtagonistInnen weiterhin versucht wird, die Gentechnik schleichend zu etablieren, stehen heute die meisten Menschen in Europa der Gentechnik ablehnend gegenüber. Die BefürworterInnen der Nanotechnologie haben aber aus dem Diskurs um die Gentechnik gelernt: „Das Vertrauen und die Akzeptanz der Öffentlichkeit wird ausschlaggebend für die langfristige Entwicklung der Nanotechnologie sein.“ (European Commission 2004: 19) Anders als bei der Gentechnik werden zur Zeit verstärkt öffentliche Dialoge zur Nanotechnologie geführt, denn „ein offener Dialog mit den Bürgern und Konsumenten ist zur Vermeidung grundloser Ängste und als Basis einer objektiven Bewertung absolut notwendig” (Luther 2004: 94). Diese Dialoge scheinen allerdings nur „offen“ zu sein, solange sie „grundlose“ Ängste der BürgerInnen beseitigen und zu einem „objektiven“, also positiven, Urteil führen. Zumindest bezogen auf die Umwelt-NGOs scheint diese Strategie bislang aufzugehen. Hatten diese die Gentechnik noch komplett abgelehnt, so wird die Nanotechnologie nicht als Ganzes kritisiert, sondern von Beginn an deren Chancen mitdiskutiert. Die NGOs verlassen damit ihre vormals antagonistische Position zur Life Sciences Industrie und nehmen stattdessen, hegemonietheoretisch gesprochen, die Position einer legitimen Differenz ein. Damit erfüllen sie alle Voraussetzungen, um Teil eines hegemonialen Konsenses zur gesellschaftlichen Durchsetzung des gesellschaftlichen Projekts Nanotechnologie zu werden.

Literatur

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Wullweber, Joscha (2004): Das grüne Gold der Gene. Globale Konflikte und Biopiraterie, Münster

[1] Zum Vergleich: Ein einzelnes Haar ist etwa 80.000 nm breit.

[2] Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt die NGO „ETC – Erosion, Technology and Concentration“ dar – siehe im Internet www.etcgroup.org