Ohne Frieden ist alles nichts

Kommentar aus Z 142 (Juniheft; Vorabveröffentlichung)

17.04.2025
von Michael von der Schulenburg

Ohne Frieden ist alles nichts[1][1]

Wir befinden uns derzeit in einer sehr gefährlichen Situation. Ich betrachte das aus meiner Erfahrung als früherer OSZE- und UNO-Diplomat. Und ich weiß, wenn es um Verhandlungen und Frieden geht, ist eines besonders wichtig: Das ist Vertrauen. Ob es Frieden gibt, hängt immer auch von Vertrauen ab. Vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu ihren Staaten und von dem Vertrauen zwischen den Staaten.

Das Agieren der bisherigen Ampel-Regierung wie auch der neuen Regierung ist gegenüber den Menschen ein enormer Vertrauensbruch. Der damalige Bundeskanzler Scholz ging im vergangenen Jahr nach Washington und unterschrieb in aller Selbstherrlichkeit, dass die Amerikaner Mittelstrecken-Raketen auf deutschem Boden aufstellen können, Raketen, die Moskau erreichen können. Da das ohne jede demokratische Diskussion, ohne jede Rechtfertigung geschah, ist das ein Verbrechen gegen das Vertrauen, das die Menschen einer Regierung entgegenbringen.

Denn unter diesen Raketen sollen auch Hyperschallraketen sein, die in sieben Minuten Moskau erreichen können. Und wir haben nicht mal eine Garantie, dass die nicht auch atomar bewaffnet sind oder bewaffnet werden können. Es werden hier also Raketen stationiert, die für Russland eine enorme Gefahr bedeuten. Im Grunde laden sie dazu ein, einen Präventivschlag zu führen. Und dieser würde atomar sein, denn wenn eine Seite einen Präventivschlag macht, muss sie sicher sein, dass die Gegenseite nicht zurückschießen kann. Also laden wir im Grunde genommen hier Russland ein, einen Präventivschlag gegen uns auszuführen. Das ist ein unverantwortliches Handeln, das das Leben von uns allen gefährdet, und auch das unserer Kinder und Enkelkinder.

Und das alles mit der Unterschrift eines Kanzlers, der meinte, er müsste nicht mal das Parlament fragen. Das ist wirklich ein Bruch des Vertrauens. Aber der Vertrauensbruch geht ja noch viel weiter mit neuen Aufrüstungsbeschlüssen.

Wir wissen, dass die Bundesregierung die Europäische Union und das Europäische Parlament gebeten hat, den so genannten Rearm Europe-Plan erst nach den Bundestagswahlen öffentlich zu machen. So geschah es dann auch. Es handelt sich hier um ein sehr aggressives Konzept. Es geht zurück auf Frau von der Leyen, auf die EU-Vizepräsidentin und Chefdiplomatin Kaja Kallas und den EU-Verteidigungskommissar Andrius Kobelius. Das Konzept sieht vor, dass die EU-Mitgliedsländern für insgesamt 800 Milliarden Euro neue Rüstungsgüter kaufen und dazu ihre Rüstungsbudgets erhöhen. Im Kern besteht es einfach darin, weiter aufzurüsten, die Rüstungsindustrie zu subventionieren und die EU auf einen Krieg vorzubereiten. Die Tatsache, dass diese Pläne auf Wunsch der alten Bundesregierung erst nach der Bundestagswahl öffentlich wurden, ist ebenfalls ein Vertrauensbruch.

Das Gleiche geschah mit der Änderung des Grundgesetzes zugunsten eines milliardenschweren Finanzpakets für Rüstung und Infrastruktur. Diese Pläne gab es schon vor der Bundestagswahl, aber sie wurden bewusst erst danach öffentlich gemacht. Für  Rüstungsausgaben gibt es nun überhaupt keine Schuldenbremse mehr. Vorgesehen sind zunächst mal 500 Milliarden, aber es kann schließlich auch eine Billion sein. Hier wurde das Schleusentor aufgemacht zu einer enormen Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland, die weit über das hinausgeht, was für irgendeinen Verteidigungsfall nötig wäre. Und das ist ein Vertrauensbruch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die eigentlich darüber zu entscheiden hätten.

Die politische herrschende Elite in Deutschland und die Medien versuchen uns jeden Tag einzureden, Putin wolle uns angreifen. Das Narrativ geht so: Wenn jetzt die Ukraine den Krieg verliert, dann fühlt Putin sich ermutigt und greift demnächst auch uns an. Das ist völliger Unsinn. Es gibt überhaupt keine ernstzunehmenden Hinweise darauf, dass Putin nach einem Friedensschluss in der Ukraine militärisch gegen einen NATO-Staat oder überhaupt gegen irgendjemanden militärisch vorgehen würde. Dazu wäre er auch gar nicht in der Lage. Das geht auch aus einem gemeinsamen Bericht der sieben Geheimdienste der USA hervor, der schon 2024 veröffentlicht wurde, also in der Zeit von Präsident Biden und nicht erst von Trump. Die Militärausgaben der europäischen NATO-Staaten sind jetzt schon dreimal so hoch wie die Russlands. Wenn die jetzigen NATO-Planungen realisiert werden, würden sie sechsmal so hoch sein. Man braucht kein sechsmal so großes Militärpotenzial, um Russland in Schach zu halten. Wenn wir also bedenken, dass Russland der NATO im konventionellen Bereich unterlegen ist, würde es nur mit Atomwaffen auf einen NATO-Angriff reagieren können.

Diese ganze Entwicklung ist letztlich auch ein Betrug gegenüber Russland. Die Sowjetunion hat 27 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg verloren, und der Krieg ging von uns aus. Und dennoch haben sie uns die Wiedervereinigung geschenkt. Sie haben ihre Truppen abgezogen, das haben die anderen nicht gemacht, und sie haben dem wiedervereinigten Deutschland einen enormen Vertrauensvorschuss gewährt. Deutschland hat die Zwei-bis-Vier-Verträge schon nach neun Jahren gebrochen, nämlich durch die Beteiligung am Angriffskrieg gegen Ex-Jugoslawien. Wir sollten uns für unsere politischen Eliten schämen. Und schämen sollten wir uns auch, die Bundesrepublik und die EU, dass wir, was die Ukraine betrifft, nicht den Weg zu einer Verhandlungslösung frei gemacht haben. Genau das wäre doch unsere erste Verantwortung gewesen, zu verhandeln, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Es wäre unsere erste Aufgabe gewesen, den Friedensverhandlungen von Istanbul zu einem Erfolg zu verhelfen oder irgendeinen Friedensplan vorzulegen. Aber wir haben nur Pläne, um aufzurüsten.

Letztlich sind die Ukrainer die Betrogenen. Sie wurden vorgeschickt, einen Stellvertreter-Krieg erst für die USA zu führen und jetzt für die Europäische Union. Ihre Menschen sterben da, ihr Blut wird da vergossen, nicht unser Blut. Wir schicken ihnen immer mehr Waffen. Und wir sagen, wir machten das zur Unterstützung der Ukraine. Was wir in Wirklichkeit machen, ist die Ukraine zu zerstören und vielleicht einer Million junger Menschen das Leben genommen zu haben oder zumindest ihre Gesundheit.

Und ich muss noch etwas sagen, was mir eigentlich sehr schwerfällt. Nämlich etwas Positives zu Trump. Denn jetzt finden ja zumindest Waffenstillstandsverhandlungen statt. Ich war in früheren Jahren an ähnlichen Aktivitäten sehr viel beteiligt. Und ich sehe: Diese Verhandlungen werden sehr professionell geführt. Es wird einen Waffenstillstand geben. Das wird kein gerechter Frieden sein. Aber es wird ein Waffenstillstand sein. Und zumindest werden dann keine Menschenleben mehr geopfert. Und das ist ja schon sehr viel. Und für  uns Europäer bedeutet es auch, dass die Gefahr der Eskalation hin zu einem Nuklearkrieg erst einmal vorbei ist.

Aber warum waren wir Europäer nicht in der Lage, das zu machen? Warum muss ausgerechnet ein Trump daherkommen und das tun, den wir eigentlich doch für verrückt halten? Es ist mir unverständlich. Wenn wir auf die schwarz-rote Koalition in spe schauen (die will, dass die Ukraine NATO-Mitglied wird) oder auf die Europäische Union, so sehen wir: Die versuchen, diese Friedensverhandlungen zu torpedieren. Europa schickt immer mehr Waffen in diesen Krieg rein, damit der Krieg weitergeht. Obwohl es doch darum gehen müsste, ihn aufzuhalten. Macron und Starmer tun jetzt so, als ob ihre Länder noch Großmächte seien. Sie planen, NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken. Die nennen sie jetzt Friedenstruppen. Das ist eine völlige Perversion. Wenn die sich durchsetzen, dann droht ein dritter Weltkrieg. Denn Russland hat drei Jahre Krieg geführt, um zu verhindern, dass die NATO an ihrer Grenze sitzt. Die werden sich damit nie und nimmer abfinden. Und ich kann nur hoffen, dass die USA dabei nicht mitmachen.

Aus meinen Erfahrungen in vielen Friedensmissionen der UNO kann ich nur sagen: Frieden wird nie unter Engeln geschlossen. Diejenigen, die solche Friedensverhandlungen führen und einen Frieden vereinbaren, sind meistens keine guten Menschen. Das ist in fast allen Kriegen so gewesen. Also merken Sie sich, Frieden wird nicht unter Engeln geschlossen. Das ist bei der Ukraine auch so: Putin wird seine Interessen vertreten. Trump wird seine Interessen vertreten. Und Selenskyj wird wahrscheinlich gar nicht mehr gefragt. Und noch etwas müssen wir uns merken. Es wird hier nicht so etwas geben wie einen gerechten Frieden. Solche Friedensschlüsse sind nie gerecht, wie es auch keine gerechten Kriege gibt. Frieden ist immer ein Kompromiss von Interessen. Und es wird dabei immer Verlierer und Gewinner geben. Ich meine aber, dass es trotzdem richtig ist, diese Entwicklung zu unterstützen. Denn, ich sage es mit den Worten von Willy Brandt: Ohne Frieden ist alles nichts.

[1] Michael von der Schulenburg hat auf der Demo gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenwaffen am 29. März in Wiesbaden in einem in freier Rede vorgetragenen Statement vor der wachsenden Kriegsgefahr gewarnt und die Notwendigkeit einer diplomatischen und politischen Lösung vor allem für die Ukraine unterstrichen. Die Kolleg:innen von Makroskop haben uns dankenswerterweise die schriftliche Rohfassung seiner Rede zur Verfügung gestellt. Mit Genehmigung des Autors veröffentlichen wir sein Statement hier in leicht gekürzter und redaktionell bearbeiteter Fassung.

Links:

  1. https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de#_ftn1