Industrie 4.0 - arbeits- und gesellschaftspolitische Perspektiven

Zwischen Dystopie und Euphorie

von Florian Butollo/Thomas Engel
September 2015

Herrschte vor wenigen Jahren noch Katzenjammer über die angeblich unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie vor, so trifft man nun allenthalben auf Euphorie. „Industrie 4.0“ steht für eine Zukunftsvision, die maßgeblich von Industrieverbänden und Bundesregierung in die Welt gesetzt wurde. An ihr kommt derzeit niemand vorbei, wer sich mit der Entwicklung von Produktionstechnologien und der Zukunft von Arbeit beschäftigt (vgl. beispielhaft: Botthof/Hartmann 2015; Ganschar et al. 2013; Hoffmann/Bogedan 2015).

Nach dem auf unzähligen Tagungen vorgetragenen Mantra steht in Folge einer umfassenden Digitalisierung der Produktion ein qualitativer Umbruch in der Entwicklung der Produktivkräfte bevor. Er enthält zugleich mehrere Heilsversprechen: Eine Studie des IT Unternehmensverbandes BITKOM und des Fraunhofer Instituts errechnet in Folge der neuen Produktionstechnologien ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 78 Milliarden Euro bis 2025, was einem jährlichen BIP-Wachstum von 1,7 Prozentpunkten entspricht (BITKOM/Fraunhofer IAO 2014: 35). Unverhohlen standortnationalistisch wird argumentiert, dass die deutsche Wirtschaft als „Ausrüster der Welt“ (BMBF 2014a: 6) durch Industrie 4.0 Wettbewerbsvorteile gegenüber den erstarkenden Schwellenländern erringen kann (BMBF 2014b: 9). Industrie 4.0 gilt somit auch als Chiffre für den Erhalt von industrieller Beschäftigung in Hochlohnländern. Sie drückt zugleich eine neue Wertschätzung der häufig tot gesagten industriellen Produktion in Deutschland aus. Obwohl die Diskussion um Industrie 4.0 bislang recht einseitig an solchen Wettbewerbsvorteilen ausgerichtet war, gibt es mittlerweile – auch als Resultat entsprechender Lobbyarbeit der IG Metall – einige Prognosen, die positive Effekte der neuen Technologien auf Arbeit prophezeien. In der „Plattform Industrie 4.0“, einer Expertengruppe aus den Industrieverbänden BITKOM, VDMA und ZVEI, heißt es beispielsweise: „vielfältige Möglichkeiten für eine humanorientierte Gestaltung der Arbeitsorganisation werden entstehen, auch im Sinne von Selbstorganisation und Autonomie“ (BITKOM et al. 2015: 12).

Der Begriff „Industrie 4.0“ markiert zugleich einen diskursiven Coup. In ihm galvanisiert sich das Versprechen nach einem Ausweg aus der strukturellen Stagnationstendenz der Weltwirtschaft, und diese Vision wird mit einem sozialpartnerschaftlichen Ethos geschmückt. So ist vor allem von den enormen Chancen die Rede, die es gemeinsam zu nutzen gelte. Entsprechend will auch die IG Metall nicht als Modernisierungsverweigerer in der Ecke stehen und setzt auf die arbeitsinhaltliche Gestaltung des Projekts Industrie 4.0: „Ziel ist, dass die Beschäftigten gestalten und entscheiden (…), dass die Chancen genutzt werden, Belastungen zu reduzieren und monotone, stumpfsinnige Arbeiten abzulösen.“ (IG Metall 2015: 4)

Im Folgenden versuchen wir eine erste kritische Einschätzung möglicher arbeitspolitischer und gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und Gestaltungsfelder, die in der bisherigen Debatte zu kurz kommen. Dabei geht es uns nicht darum, im Sinne eines Technikdeterminismus ausschließlich negative Folgen der neuen Produktionstechnologien an die Wand zu malen. Wir plädieren aber dafür, einen realistischen Blick auf die Kräfteverhältnisse vorzunehmen, unter denen die neuen technologischen Potenziale zur Geltung kommen.

Denn die zu erwartenden Umbrüche finden vor dem Hintergrund von mindestens zwei Dekaden der Erosion von Tarifstandards, der Verbetrieblichung sozialer Aushandlung, einem arbeitsmarktgetriebenen Prekarisierungsschub und Finanzmarktimpulsen zu dezentralisierter und marktgesteuerter Produktion statt. Unsere Skepsis rührt daher, dass neue technologische Möglichkeiten bisher immer auch als Vehikel eingesetzt wurden, einschneidende Veränderungen in der Regulierung von Arbeit zu ermöglichen, die sich nachteilig auf die Beschäftigten auswirken. Nicht zu vergessen, dass wir während permanenter Rationalisierung, Restrukturierung und technischer Modernisierung gerade in den 1990er Jahren ein „arbeitspolitisches Rollback“ (Detje et al. 2005) beobachten mussten, hinsichtlich humanisierungspolitischer Ziele also ein „verlorenes Jahrzehnt“ (vgl. Pickshaus 2007; Sauer 2009; Schumann 2008) zu konstatieren ist. Daher sollten sozialpartnerschaftliche Glaubenssätze kritisch hinterfragt und offen ermittelt werden, inwieweit Kapital- und Beschäftigteninteressen die Gestaltung der neuen Produktionstechnologien prägen. Bewusst müssen auch Beschäftigtengruppen jenseits der gut ausgebildeten und organisierten Belegschaften in der deutschen Metallindustrie betrachtet werden, auf die die Industrie-4.0-Diskussion bisher meistens rekurriert.

Auch wenn bisher noch kaum abschätzbar ist, ob und in welcher Form sich Industrie-4.0-Ansätze durchsetzen und ob dies tatsächlich einer neuerlichen Revolutionierung der Produktivkräfte gleichkommt, muss die Diskussion von vornherein gesellschaftliche Implikationen berücksichtigen, also über den betrieblichen Tellerrand hinaus blicken. Neue Formen der Entwicklung, Produktion und Distribution in Folge digitaler Umbrüche werfen beschäftigungs- und verteilungspolitische Fragen auf, die in der deutschen Debatte bislang zu kurz kommen.

Konturen der neuen Produktionsregime

Der diskursive Hype hat seinen Höhepunkt erreicht und dennoch ist es mehr als nur ein Hype (vgl. Gerst 2015). Obwohl die Periodisierung und die Beschreibung der vierten industriellen Revolution etwas willkürlich scheint[1], gibt es gute Gründe für die Annahme, dass aufgrund der weiteren Durchsetzung digitaler Technologien qualitative Veränderungen in der Entwicklung der Produktivkräfte zu erwarten sind. Grundlegend dafür sind besondere Wirkungsweisen digitaler Technologien. Brynjolfsson und McAfee (2014) beschrieben deren Eigenschaften mit den Begriffen „exponentiell“, „digital“ und „kombinatorisch“. Erstens sei die Leistungsfähigkeit digitaler Technologien seit den 1960er Jahren exponentiell gewachsen. So erreichte z.B. Sonys Play-Station III im Jahr 2012 dieselbe Rechenleistung wie der größte Supercomputer des Jahres 1995 – zu vergleichsweise nichtigen Preisen. Entsprechend sei die Leistungsfähigkeit digitaler Technologien nach oben hin offen und nehme rasant zu. Die umfassende vernetzte Digitalisierung von Informationen impliziere, zweitens, die kostenlose Vervielfältigung von Produkten sowie die Nutzbarmachung eines schier grenzenlosen Datenschatzes für bestimmte Anwendungen. Etwa wenn alle vorhandenen digitalisierten Übersetzungen zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Programms „Google translate“ führten. Drittens könnten auf digitaler Technologie aufbauende, modulare Innovationen verstärkt von immer vielfältigeren Verknüpfungsmöglichkeiten mit vorhandenen Technologien profitieren. Bahnbrechende Neuerungen entstünden so etwa, wenn Google Innovationen der Sensorik, der Fahrzeugtechnik und des Internets zur Entwicklung fahrerloser Fahrzeuge nutze.

Aufgrund dieser Charakteristika und des Reifegrades bestehender digitaler Technologien gehen die Autoren davon aus, dass wir uns an einem Umschlagpunkt der technologischen Entwicklung befinden. Ihn kennzeichnen bahnbrechende Neuerungen bei Produkten, in der Robotik sowie in der Organisation ökonomischer Prozesse. Diese technologische Euphorie wird durchaus mit einem skeptischen Gesellschaftsbild verknüpft. Die Autoren argumentieren, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander ginge, wenn keine einschneidenden politischen Korrekturen vorgenommen würden. Pioniere in der Produktinnovation können mit verhältnismäßig geringem Kapital- und Personalaufwand in der digitalen Ökonomie Gewinne abschöpfen – Microsoft, Apple, Google, Facebook oder jüngst Instagram, Whatsapp, Uber haben es vorgemacht. Auf der anderen Seite sinken Löhne oder gehen die Masseneinkommen aufgrund technologisch bedingter Arbeitslosigkeit zurück – eine Tendenz, die sich durch die Vorteile günstigerer Preise nicht unbedingt kompensieren lässt (ebd.: 125–146). Zwar bringen digitale Technologien nachweislich wirtschaftlichen Wohlstand, wiederum „[bestätigen] Armutsquoten, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Zahl der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten und so weiter (…) den Eindruck, dass (…) dieser aber nicht ausreicht, um das Auseinanderklaffen der Schere auszugleichen.“ (ebd.: 207)

Der engere Begriff „Industrie 4.0“ beschreibt einen Ausschnitt des Einsatzes digitaler Technologien im Produktionsbereich.[2] Wie wir noch ausführen werden, erfolgt dies in einer selektiven Weise, wodurch bestimmte Dimensionen der zu erwartenden Veränderungen aus dem Blickfeld geraten. Laut einer geläufigen Definition bezeichnet Industrie 4.0 „eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten […]. Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.“ (BITKOM et al. 2015: 8).

Diese Definition zielt auf die Effekte digitaler Vernetzung von Produktionstechnik ab, die vor allen Dingen eine Optimierung der Prozesse und eine Maximierung der Flexibilität bewirken. Dabei scheinen nun jene Aspekte, die in den 80er und 90er Jahren in den Diskussionen um Computer-Integrated Manufacturing (CIM) und Lean Production thematisiert wurden, voll zum Tragen zu kommen. Es sind sowohl Sprünge in der Automatisierung und Selbststeuerung von Produktionsanlagen zu erwarten, als auch Produktivitätsfortschritte durch die effizientere und flexiblere Prozessorganisation. Statt unflexiblen „CIM-Ruinen“ (Scheer 1991) stünden nun hochtechnisierte und hochflexible Produktionsanlagen in Aussicht, die an individuelle Kundenwünsche angepasste Massenproduktion („Losgröße 1“) bewerkstelligten.

Technologisch ermöglicht werden diese Effekte durch so genannte Cyber-physische Systeme (CPS), in denen mit Sensoren und Aktoren ausgestattete Produkte und Anlagen („embedded systems“) digital vernetzt („Internet der Dinge“) und mit entsprechender Steuerungssoftware ausgestattet werden. Dies ermöglicht potenziell die Dezentralisierung von Entscheidungen unter den Bedingungen von Echtzeitkontrolle aller Prozesse.

Bemerkenswerterweise findet hier eine Vernetzung über die einzelbetrieblichen Grenzen hinweg statt. Über große Datenmengen (Big Data) und direkt vernetzte Kommunikation sollen Verbraucherinformationen in den Produktionsprozess einfließen, wobei die digitale Fabrik in permanentem Austausch mit anderen Akteuren in der Wertschöpfungskette stehen soll, um Material- und Informationsströme nach den Kriterien größtmöglicher Effizienz zu steuern. Auch nach Auslieferung können Produkte Daten an Konsumenten und Hersteller liefern, etwa um Nutzungsweisen, Abnutzung und Wartungsbedarf zu kommunizieren und diese Daten für zukünftige Produktions-, aber auch für Recyclingabläufe nutzbar zu machen.

Polarisierung oder Aufwertung von Arbeit?

In den meisten Darstellungen, die sich mit den Anforderungen der neuen Technologien für Beschäftigte befassen, wird realistisch von unterschiedlichen Szenarien ausgegangen. „Die Technik bietet Optionen in beide Richtungen. Die Systemauslegung kann sowohl als restriktive, kontrollierende Mikrosteuerung als auch als offenes Informationsfundament konfiguriert werden, auf dessen Basis der Beschäftigte entscheidet“ (acatech 2013: 57, siehe auch: Hirsch-Kreinsen 2015; Kurz 2013). In einem „Automatisierungsszenario“ werden Kontroll- und Steuerungsaufgaben auf Grundlage der in Echtzeit verfügbaren Informationen primär technologisch gelöst. Daraus abgeleitet, wird menschliche Arbeit auf ausführende Tätigkeiten reduziert – so lange solche Aufgaben nicht von Robotern übernommen werden können. In einem „Werkzeugszenario“ liefern digitale Systeme hingegen Entscheidungsvorlagen, die dezentral von den Beschäftigten getroffen werden (vgl. ebd.). Eine solche Anwendung der Technologie eröffnet Qualifizierungspotenziale bis hin zur Facharbeiter-IngenieurIn. Gefragt sind demnach ExpertInnen sowohl hinsichtlich der Arbeitsprozesse als auch der digitalen Kontrolle der Fabrik. Entsprechend bestehe ein Bedarf zur qualifikatorischen Aufwertung von Arbeit, insbesondere in Form von lebenslangem Lernen.

Immer wieder wird in der aktuellen Debatte – auch in Reaktion auf überzogene Erwartungen und Dystopien der CIM-Debatte – beschworen, dass von „menschenleeren Fabriken“ keine Rede sein könne und dass der „Mensch […] ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der Produktionswelt der Zukunft [bleibt], denn er [ist] der flexibelste und intelligenteste Teil der heutigen und auch der künftigen Fabrik“ (BMWi 2014: 20). Tatsächlich sprechen bestimmte Argumente dafür, dass (hoch)qualifizierte Arbeit eine bedeutende Rolle in digitalisierten Produktionssystemen beibehält bzw. noch an Bedeutung gewinnt. Einige Darstellungen gehen von einer Zunahme der Entscheidungen auf dezentraler Ebene aus, die den Beschäftigten Problemlösungskompetenz und prozessübergreifendes Wissen abverlangen. Das Paradigma der „Schwarmintelligenz“ als Inbegriff der Wissensproduktion im Internetzeitalter steht hier Pate für neue Muster der Arbeitskraftnutzung. Avantgardistische Internetunternehmungen dienen als Leitbild solcher Vorstellungen. Die gesamte Kreativität der Belegschaften und NutzerInnen soll weiter für die Kapitalverwertung nutzbar gemacht werden. Die Entstehung eines „Informationsraums“ (Boes et al. 2015), bei dem individuelle Kreativität besser für kollaborative Zwecke genutzt werden kann, bietet hierzu neue Möglichkeiten und es ist nicht abwegig, dass Unternehmen in Zukunft stärker darauf zurückgreifen werden.

Allerdings blendet die häufig geäußerte Erwartung, dass „intelligente Unternehmen“ sich einen Pfad der Aufwertung von Arbeit zu Nutze machen würden, einige Aspekte aus, die gegenläufige Entwicklungen wahrscheinlich machen. Das betrifft zunächst das schiere Ausmaß der Automatisierung, die eine drastische Reduktion von Beschäftigung wahrscheinlich macht, die keineswegs nur auf einfache Routinetätigkeiten beschränkt bleibt. Eine Studie, die die Tätigkeitsprofile von verschiedenen Berufen mit jenen Funktionen vergleicht, die bis 2025 von digitalen Systemen gewährleistet werden können, kommt zu dem Schluss, dass 47 Prozent der Berufe in den USA akut durch Automatisierung gefährdet seien (Frey/Osborne 2013), für Deutschland spricht eine analog durchgeführte Untersuchung sogar von 59 Prozent (Brzeski/Burk 2015). Aufgrund der erwähnten exponentiellen Steigerung der Leistungsfähigkeit digitaler Systeme sind davon auch qualifizierte Tätigkeiten betroffen, so wie gegenwärtig auch schon Steuerberater einer Substitution durch preiswerte Software ausgesetzt sind (Brynjolfsson/McAfee 2014). Je umfassender und variabler die Funktionen von Robotern, künstlicher Intelligenz und digitaler Systeme werden, so die nahe liegende Schlussfolgerung, desto mehr kommen auch qualifizierte Tätigkeiten in technologieintensiven Branchen unter Druck.

Neuere arbeitssoziologische Beiträge widersprechen solchen Katastrophenszenarien. In einer differenzierten Kritik am Frey-Osborne-Abbau-Szenario, das einen massiven Schub technologisch begründeter Arbeitslosigkeit nahe legt, weisen Pfeiffer und Suphan (Pfeiffer/Suphan 2015) darauf hin, dass ein hoher Anteil von Tätigkeiten in verschiedenen Industriezweigen auf Erfahrung der Beschäftigten basiert, die nicht einfach mit „Routine“ gleichgesetzt werden könne: „Erfahrung als dynamische Schwester statischer Routine zeigt ihre Bedeutung gerade in komplexen und stark automatisierten sowie digitalisierten Arbeitsumgebungen“ (ebd.: 211). Hirsch-Kreinsen (2015) macht zudem auf „langwierige Einführungs- und Anfahrphasen von Industrie-4.0-Systemen“ (ebd.: 21) aufmerksam, deren Endzustand ohnehin kaum definierbar sei – ein weiterer Grund, warum eine Nachfrage nach gut ausgebildeter menschlicher Arbeitskraft und nach Organisationsmustern im Stil der Schwarmintelligenz entsteht.

Dennoch sollte die Möglichkeit einer auf systemischer Ebene automatisierten Fabrik mit stark polarisierten bzw. reduzierten Belegschaften ernst genommen werden, denn die neuen technologischen Möglichkeiten zielen gerade auf jenen Bereich ab, der in den vergangenen Automatisierungswellen problematisch blieb: die flexible Selbststeuerung automatisierter Systeme. Die hohe Fehleranfälligkeit automatisierter Systeme, so die kanonisierte Lehre aus der CIM-Debatte, begründe die Notwendigkeit des menschlichen Eingreifens im Störfall bzw. zu deren Vermeidung. Die auf das Netzwerk bzw. den Prozess abzielenden Innovationen zielen aber gerade auf eine verbesserte Selbstregulierung technischer Systeme. Das Leitbild der sie entwickelnden Ingenieure und Techniker sind Systeme, die sich im Störungsfall „selbst frei fahren“, wie es auf einer Maschinenbaumesse in Erfurt 2015 ein Verbandsvertreter formulierte. Echtzeitkontrolle durch eine Vielzahl von Sensoren bis zur Werkzeugspitze und Machine-to-Machine-Communication sollen eine neue Qualität der Selbststeuerung und die (teil-)automatisierte Fehlerkorrektur ermöglichen.

Noch ist unklar, ob eben jene technologischen Optionen unterschätzt werden, wenn die Erwartung formuliert wird, dass qualifizierte Facharbeit eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung von Industrie 4.0 haben werde. Die WissensträgerInnen in den Betrieben und die sie beratenden naturwissenschaftlich-technischen ExpertInnen sprechen derzeit lieber von „dezentraler Intelligenz“ des Produktionssystems, „intelligenten Produkten“ und sogar von der „smart factory“ (BITKOM/Fraunhofer IAO 2014: 20). „Die Intelligenz in der Produktion steht erst am Anfang“, heißt es in einer euphorischen Videobotschaft des Unternehmens Wittenstein AG, ein Hersteller von Antriebstechnik. Diese Aussage wirkt fast wie eine Drohung, wenn man im selben Video beobachten kann, wie ein Packer vom digital-vernetzten Produktionssystem „ständig Hinweise bekommt, was zu tun ist“ (https://youtu.be/TTQxfElnlN0). Optische Signale machen den jeweiligen Arbeitsschritt dabei unmissverständlich klar. Sie helfen zwar „Sprachbarrieren zu überwinden“ (ebd.), verlangen einer Arbeitskraft aber nichts weiter ab, als einer in Piktogrammen vorgegebenen Tätigkeitsfolge zu entsprechen – letztlich als verlängerter Arm der Maschinen.

Insgesamt kreist die Debatte in der Rolle von Arbeit in der Industrie 4.0 – gemäß ihrem Fokus auf die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie – um den (meist männlichen) Facharbeiter in der Metallindustrie. Dabei wird übersehen, dass CPS zu neuen Formen von Hochtechnologie und Niedriglohn führen können. So ist in Deutschland vor allem die Logistikbranche Vorreiter in Sachen Industrie-4.0-Technologien. Unternehmen wie Amazon und Zalando sind in letzter Zeit immer wieder aufgrund niedriger Entlohnung, hoher Anteile prekärer Beschäftigung und autoritärer Betriebsführung in die Kritik geraten. Hierin zeigen sich die Schattenseiten der digitalen Produktionsmodelle, die eben auch absolute Transparenz über die Arbeitsverausgabung in Echtzeit ermöglichen und hohe Flexibilitätsanforderungen an die meist gering qualifizierten Beschäftigten stellen.

Eine weitere Engführung in der Industrie-4.0-Diskussion ist der Fokus auf den Einzelbetrieb und dessen interner Produktionsprozess. Dies ist paradox, als doch genau die Wirkungen auf die Interaktionen in der gesamten Wertschöpfungskette als Charakteristikum der neuen Produktionsregime genannt werden. Nimmt man eine solche weitere Perspektive ein, so zeigen sich alarmierende Problemfelder, auf die Arbeitnehmervertretungen noch unzureichend vorbereitet sind. In Folge von Crowdsourcing können beispielsweise externe Solo-Selbständige und interne MitarbeiterInnen in Konkurrenz zueinander gesetzt werden. Die erbrachte Leistung wird erst vergütet, nachdem der Auftragszuschlag erfolgt. Alle Tätigkeiten vorher gelten als aufzubringende „Werbungskosten“, die sich nur für den tatsächlich beauftragten Dienstleister als Gewinner im Ausschreibungswettbewerb auszahlen. Die unternehmensübergreifende Steuerung von Material- und Wissensströmen macht die einzelbetriebliche Regulierung von Arbeit zunehmend porös und dient als Einfallstor für eine weitere Marktsteuerung. Schwarmorganisation wäre in diesem Sinn eher als Chiffre für entgrenzte und deregulierte Arbeit zu verstehen denn als Aufwertung oder Upgrading von Arbeit (vgl. Hirsch-Kreinsen 2015: 21).

Schließlich muss auch die Wirkung der digitalen Technologien auf globale Wertschöpfungsketten thematisiert werden. Droht hier eine weitere „Amazonisierung“ der Arbeit, bei der die führenden Unternehmen in Wertschöpfungsketten einen Dumpingwettlauf unter flexibel austauschbaren Zulieferern in Gang setzen? Zum Amazon-Modell gehört, dass die Beschäftigten einen Großteil der Flexibilitätsrisiken z. B. durch den massenhaften Einsatz von Leiharbeit abfedern. Dass diese kundengerechten Angebote wirkmächtige Standards setzen, ist mit Blick auf die zahlreichen Nachahmer bei Händlern von Alternate über Redcoon bis Zalando leicht erkennbar. Im unternehmensnahen Dienstleistungsbereich wie der Logistik im Automobilbau funktioniert das Dumping auf ähnliche Weise, in dem in Zweijahresfrist durch Ausschreibungen die günstigsten Anbieter gesucht werden. Angesichts solcher preisgetriebenen Wettbewerbe stellt sich die Frage, ob auf gleichberechtigte Zusammenarbeit abzielende Modelle der Schwarmorganisation auch innerhalb der Lieferkette realistische Perspektiven sind? Oder ob nicht eine weitere Abwertung von Arbeit, insbesondere in den unteren Stufen der Lieferketten, zu erwarten ist?

Bei diesen Fragen muss bedacht werden, dass die Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit durch Fortschritte in der Produktivität und der Flexibilität den Imperativ der Umtriebigkeit auf Kapitalseite bilden. Zwar sind die neuen Technologien nicht per se zu verdammen, doch erscheint es wahrscheinlich, dass sie auch dazu genutzt werden können, um verbleibende arbeitsrechtliche Regulierungen zu unterminieren. Es ist anzunehmen, dass Rentabilitäts- und Flexibilitätsziele durch die Reduktion der Belegschaften und die weitere Deregulierung von Arbeit erkauft werden. Hierbei entstehen unter Umständen Regulierungslücken, da die Initiative für technologische Neuerungen aus einem technisch geprägten Managementdiskurs erfolgt, bei dem Betriebsräte und Gewerkschaften oft nur nachbessern können oder außen vor bleiben. In einer einflussreichen Studie heißt es entsprechend: „Über die Qualität der Arbeit entscheiden nicht die Technik oder technische Sachzwänge, sondern Wissenschaftler und Manager, welche die Smart Factory modellieren und umsetzen.“ (acatech 2013: 57)

Die Kampagne „Industrie 4.0“ wurde zunächst von Unternehmerverbänden und Bundesregierung lanciert, während die Gewerkschaften am Katzentisch saßen. Zwar ist die IG Metall nunmehr in die relevanten Entscheidungsstrukturen einbezogen und konnte erreichen, dass „der ursprünglich rein ingenieurwissenschaftliche Diskurs inzwischen für Fragen der Arbeitswelt geöffnet wurde“ (IG Metall 2015). Doch die Umsetzung der neuen Technologie- und Produktionsregime wird nach wie vor von Kapitalinteressen dominiert, wobei das Primat des Standortvorteils von den Gewerkschaften nicht in Frage gestellt wird.

Industrielle Wertschöpfung und die Zukunft des Kapitalismus

Bedenklich ist weiterhin, dass die Konzentration auf den künstlich geschaffenen Begriff „Industrie 4.0“ die Perspektive auf die Umgestaltung des industriellen (Einzel-)Betriebs verengt und weitergehende gesellschaftliche Folgewirkungen des digitalen Umbruchs kaum Gegenstand der deutschen Diskussion sind. Außerdem werden Veränderungen im Finanzsektor, im Dienstleistungsbereich und unverständlicher Weise sogar mögliche Umbrüche in Folge des 3D-Drucks zu wenig zur Kenntnis genommen, obwohl auch sie gravierende Folgen für die Geografie und die Wertschöpfungsmodelle im produktiven Bereich haben dürften.

Das betrifft zunächst einmal das Wachstumsversprechen aufgrund von digitalen Innovationen. Die Erwartung starker Effizienzsteigerungen, wie jüngst von McKinsey für den Maschinenbau berechnet (McKinsey/VDMA 2015), ist nicht von der Hand zu weisen und stellt regulationstheoretische Annahmen nach einer Abschwächung des Produktivitätszuwachses im Postfordismus in Frage.

Allerdings wird bei diesen Berechnungen die Nachfrageseite außen vor gelassen. Wenn man Analysen folgt, dass es sich bei den Krisenerscheinungen der letzten Jahre um Anzeichen einer Überakkumulation handelt (vgl. Harvey 2011), so sind optimistische Wachstumsprognosen nicht glaubhaft. Schließlich schaffen Effizienzgewinne und auf individuelle Kundenwünsche zugeschnittene Produktpaletten an sich keine neuen Märkte, sondern verleihen Unternehmen Konkurrenzvorteile auf Kosten anderer (vgl. Dörre 2015).

Hinzu kommt, dass die kostenlose Vervielfältigung digitaler Produkte und neue Technologien wie der 3D-Druck, in dessen Folge Komponenten in einfacher Weise dezentral hergestellt und einfach reproduziert werden könnten, für die Produzenten mit massiven Problemen der Wertaneignung einhergehen. Im Grunde weisen die neuen Netzwerktechnologien über die Form privater Wertaneignung hinaus (Boes et al. 2015), auch wenn versucht wird, die flüchtigen Produkte mit intellektuellem Eigentum zu versehen.

All dies macht eine weitere Verschärfung internationaler Konkurrenz wahrscheinlich. Insofern erscheint es nur konsequent, dass Industrie 4.0 als rein nationales Programm konzipiert ist, bei dem, auch wenn einzelne strategische Partnerschaften (vor allem mit China) angestrebt werden, nicht einmal die europäische Ebene mitgedacht ist. In seinen rohesten Ausdrucksformen ist Industrie 4.0 eine Kampfansage an andere Industrie-, aber auch die aufsteigenden Schwellenländer, die Produktionsanteile an die industriellen Zentren zurückgeben sollen. Das Versprechen grenzenlosen Wachstums der deutschen Weltmarktanteile ist die Hauptantriebskraft der Industrie-4.0-Initiative. Die in zahlreichen Diskussionen thematisierten „Grenzen des Wachstums“ angesichts einer ökonomisch-ökologischen Doppelkrise (Dörre 2012) bleiben außen vor. Zwar sind durchaus deutliche ökologische Einspareffekte aufgrund von Effizienzgewinnen wahrscheinlich, doch bleibt die konkurrenzgetriebene Jagd nach höheren Absatzmengen zentrales Motiv insbesondere jener Sektoren, die im Fokus der Industrie-4.0-Kampagnen stehen. Anders formuliert: Effizientere Produktionssysteme ändern wenig am grundsätzlichen Widersinn einer am Individualverkehr ausgerichteten Autoindustrie. Ähnlich wie schon im Hype um die „new economy“ bleibt das stoffliche Fundament der digitalen Ökonomie unterbelichtet – und damit auch die massiven ökologischen Folgeschäden des „Besser, Schneller, Mehr“.

Selbst wenn man der, den Kapitalismus re-legitimierenden Erzählung von den neuen Wachstumspotenzialen Glauben schenkt, dann handelt es sich eher um ein „jobless growth“, bei dem die Gewinne einer kleinen Zahl von Profiteuren zu Gute kommen. Brynjolfsson und McAfee (2014: 125-146) beschreiben überzeugend die Entstehung von „winner-takes-it-all“ Märkten in der Internetökonomie, bei denen die führenden Anbieter bestimmter Plattformen wie Facebook, Youtube oder Uber den Löwenanteil der Profite einfahren, weil sie ihre Attraktivität gerade daraus ziehen, dass sie von Allen genutzt werden.

Dem stünde ein drastischer Anstieg der technologisch bedingten Arbeitslosigkeit gegenüber. Die Tendenz zum Abstieg von Beschäftigten mit geringfügigen und mittleren Qualifikationen, so die düstere Botschaft, werde sich radikalisieren, auch weil die korrespondierenden Tätigkeiten potenziell durch Technologieeinsatz ersetzbar würden (ebd.). Neu an dieser Tendenz sei, so auch der ähnliche Tenor bei Frey und Osborne (2013), dass die Rationalisierungstendenz in ebenso starker Weise den Dienstleistungssektor betreffe, der den Arbeitsplatzverlust vergangener Rationalisierungswellen im industriellen Sektor abgefangen hatte. Solche Szenarien sind, wie bereits diskutiert, nicht pauschal von der Hand zu weisen und insofern ist eine Zuspitzung der Verteilungsprobleme wahrscheinlich, die mit den herkömmlichen Verteilungs- und Wohlfahrtssystemen nicht mehr gelöst werden können. Es bedarf also einer grundsätzlichen Umstrukturierung des Verhältnisses zwischen Reichtumsgenerierung und -verteilung – eine Erkenntnis, die unendlich weit weg von der deutschen Industrie-4.0-Debatte zu liegen scheint. Sie propagiert im Grunde ein „Weiter so!“ der qualitätsorientierten Weltmarktproduktion mit anderen, effektiveren Mitteln.

Dies berührt auch das Problemfeld der gesellschaftlichen Wertigkeit zwischen industriellen Kernsektoren und Sorgearbeit. Wie vielfach beschrieben war die Sorgearbeit in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend rationalisierungsresistent, da unmittelbare menschliche Interaktion den Kern der jeweiligen Tätigkeiten ausmachte. Zwar gibt es nun auch in diesem Feld mitunter beängstigende Visionen digitaler Innovation, wenn beispielsweise über den Einsatz von Robotik in der Alten- oder Krankenpflege nachgedacht wird. Dennoch ist es kein Zufall, dass das Gros der politischen Förderung auf die technologische Entwicklung einer Industrie 4.0 abzielt, wo auch die größten Rationalisierungsgewinne erwartet werden. Insofern ist eine Radikalisierung des Missverhältnisses zwischen hoher Wertschöpfung in industriellen Kernsektoren und den beschäftigungsintensiveren Berufsfeldern der Sorgearbeit zu erwarten. Die Schlagseite des Industrie-4.0-Begriffs unterstreicht hier nur die Notwendigkeit einer radikalen gesellschaftlichen Aufwertung der Sorgearbeit mit entsprechenden Implikationen für deren Finanzierung.

Fazit

Diese kursorischen Anmerkungen verdeutlichen, wie sehr die aktuelle Industrie-4.0-Diskussion in den engen Bahnen vergangener Rationalisierungsdiskussionen verläuft, obwohl sowohl die technologische Substanz als auch die gesellschaftlichen Folgewirkungen weit darüber hinaus reichen. Im Grunde wird die Diskussion über zunehmende Ungleichheiten und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus durch einen sozialpartnerschaftlich geprägten Futurismus ersetzt, wie er jüngst auch im „Grünbuch Arbeiten 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Ausdruck kommt (BMAS 2015).

Industrie 4.0 ist daher auch ein hegemoniales Projekt, das kritisch hinterfragt werden muss. Diese Kritik sollte mit einem Verständnis dafür beginnen, dass die jüngsten Krisentendenzen des Kapitalismus auch die Anwendungsformen der neuen Technologien prägen werden. Es geht eben um renditeträchtige Kapitalanlagemöglichkeiten und das Standortprojekt einer Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit vor dem Hintergrund struktureller Überakkumulation. Es ist daher zu erwarten, dass die aktuellen Tendenzen in der Organisation von Beschäftigung und Arbeit – Flexibilisierung, Deregulierung und Prekarisierung – in neuen Formen und unter Einsatz neuer Mittel fortgesetzt und intensiviert werden. Dies unterläuft die optimistische Qualifizierungsperspektive – Szenario einer humanorientierten Rationalisierung, das ohnehin nur für einen relativ schmalen Teil der Belegschaften in den Kernbereichen der deutschen Industrie zu erwarten ist. Hinzu kommt, dass die neuen technologischen Mittel auch zu einer Durchlässigkeit des einzelbetrieblichen Rahmens sowie zu einer Umstrukturierung von Wertschöpfungsketten führen werden, deren Folgen für die verschiedenen Formen der Beschäftigung noch schwer abzusehen sind. Angesichts der bereits bestehenden, vielfältigen prekären Erwerbsformen, gerade in den hochdigitalisierten Tätigkeitsfeldern, ist für die bisher schwach vernetzten und digitalisierten Arbeitsplätze eher von einer vergleichbaren Abwärtsspirale auszugehen. Digitalisierung oder Informatisierung im Weiteren und Industrie 4.0 im engeren Sinne werfen zugleich grundsätzliche Fragen über die Form der Generierung von Kapitalgewinnen, Reichtum und dessen kollektiver Aneignung auf.

Optimistische Gestaltungsszenarien, die technologiezentrierte Sichtweisen kritisieren und auf die Bedeutung des „Faktors Mensch“ für die Industrie 4.0 hinweisen, neigen oft selbst zu einer Variante des Technikdeterminismus. Sie verweisen auf einschlägige Rationalisierungserfahrungen, auf die „Ironie der Automatisierung“, die jeweils die Intervention von qualifizierten Beschäftigten unerlässlich machten. Daraus werden verschiedene „Win-Win-Szenarien“ abgeleitet, auf die sich Gewerkschaften bei der Gestaltung von Industrie 4.0 beziehen müssten. Eine genauere Analyse der Kapitalinteressen und Motivationslagen blieb jedoch meistens außen vor. So wird Technik lediglich als Impulsgeber für notwendige Veränderungen interpretiert, z. B. wenn gesagt wird, die komplexeren Abläufe erforderten qualifikatorische Anpassungen. Daher weicht die kritische Analyse bisweilen einer Gestaltungseuphorie, die unterschätzt, wie die primären oder sekundären Folgen neuer digitaler Technologien die Stellung der Beschäftigten unterminieren können.

Ein realistischer Blick auf die Machtkonstellationen und die Interessenlagen, vor deren Hintergrund Unternehmen ihre Produktionssysteme umbauen, sollte nicht dazu führen, sich Gestaltungsoptionen zu verweigern. Er unterstreicht aber, dass soziale Aushandlung die geltende Praxis und gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht dafür die entscheidende Währung bleiben, wenn Ergebnisse zugunsten der Beschäftigteninteressen erreicht werden sollen. Außerdem verweist eine kritische Einschätzung der gesellschaftlichen Triebkräfte hinter Industrie 4.0 darauf, dass wir eine neue öffentliche Debatte über die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums und einer möglichen Digitalisierungsdividende brauchen.

Literatur

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Vorschau

Z 104 erscheint Anfang Dezember 2015 voraussichtlich mit Beiträgen zum Thema „Griechenland – EU – Linke“ u.a. von Nico Biver („Wieviel Rückhalt hat Syriza?“), Klaus Dräger („Europäische Linke und Griechenland“) und Mechthild Schrooten („Bedingungen für einen Euro-Exit“) sowie zur Klimapolitik.

Weitere Beiträge von Elisabeth Abendroth („Realismus? Krimis!“), Friedrich Carl / Paul Oehlke („Kritisches Potential in der neoschumpeterianischen Innovationsökonomie“), Matthias Clausen / Sophie Dieckmann / Ernest Kaltenegger / Patrick Ölkrug („Megacities“), Christian Fuchs („Zur Theoriebildung und Analyse der digitalen Arbeit. Die globale Produktion digitaler Hard- und Software“, T. II), Wulf D. Hund („‚Jüdische Weltverschwörung’ unter dem ‚roten Stern’. Marginalie zu Fritz Langs ‚Metropolis’), Stephan Krüger („Geldwesen und Zentralbankpolitik. Zur Debatte in Z und prokla“) und John Lütten („Struktur, Handlung, Herrschaft. Zur Diskussion über Herrschaftsverhältnisse in der Kritik der politischen Ökonomie“).

[1] In den USA ist z.B. von der dritten industriellen Revolution oder vom zweiten Maschinenzeitalter (Brynjolffson/McAfee 2014) die Rede. Boes u.a. (2015) sprechen vom „Kapitalismus 2.n“.

[2] Wie auch Hirsch-Kreinsen (2015: 10) verstehen wir Digitalisierung in diesem Kontext als „Prozess des sozio-ökonomischen Wandels […], der durch Einführung digitaler Technologien, darauf aufbauender Anwendungssysteme und vor allem ihrer Vernetzung angestoßen wird.“