Buchbesprechungen

Biografien im Zeitalter der Extreme

von Gisela Notz zu Ulla Plener
September 2010

Ulla Plener, Mirko Beer. Biografie in Dokumenten. Kommunist, Chirurg, 1936-1938 Militärarzt in Spanien, 1942 erschossen vom NKWD, NORA Verlagsgemeinschaft Dyck Westerheide, Berlin 2009, 268 S., 22 Euro

Ulla Plener hat schon viele Biografien geschrieben. Besonders interessant ist ihr Buch „Frauen aus Deutschland in der französischen Résistance“. Die vorliegende Biografie über Mirko Beer zeichnete sich dadurch aus, dass sie eine „Biografie in Dokumenten“ ist, wie sie die Verfasserin selbst bezeichnet. Die Geschichten, die aus den Dokumenten, Briefen und Bildern und den sorgfältigen Erläuterungen der Autorin hervorgehen, beschreiben nicht nur die Biografie des Kommunisten, Aktivisten der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) und der Naturfreunde, des Chirurgen und Militärarztes Mirko Beer, auch nicht nur die der Sanitätsdienste der Internationalen Brigaden während des Spanischen Bürgerkrieges, sondern sie beschreiben auch das politische Umfeld und den leidenschaftlichen Wunsch der SpanienkämpferInnen für die Freiheit auf der ganzen Welt.

Eindrucksvoll beschreibt Ulla Plener das Leben und Sterben des Mirko Beer, der, 1905 als Kind einer armen ungarischen Familie jüdischen Glaubens in Senta, Jugoslawien geboren wurde, als einziger Junge von sechs Geschwistern das Gymnasium besuchen konnte und in Wien, wo bereits das ‚Heil Hitler’ in der Aula der Universität zu hören war, Medizin studierte. 1924 trat er der Sozialistischen Studentenvereinigung bei, wurde ein überzeugter Kommunist und blieb das ein Leben lang. Er las Marx, Engels, Lenin, Stalin und Wilhelm Reich und wurde durch die nahende faschistische Gefahr überzeugt, dass er sich politisch engagieren musste.

Heinrich Vogeler holte ihn 1930 als Arzt nach Berlin. Beer wohnte zunächst bei ihm in der Hufeisensiedlung in Britz mit vielen andern Sozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten in der „anderen Wohngemeinschaft“. Die große Zahl der verwundeten Arbeiter, die er im Friedrichshainer Krankenhaus zu versorgen hatte – Kommunisten wie Nazis – zeigten ihm, dass der Faschismus in Deutschland bereits eine ernste Angelegenheit gewordenen war. Die Begegnung mit der aus Hamburg stammenden Schauspielerin und Fotografin Gerda Schneuer führte zu einer bis zu seinem Tode dauernden intensiven Beziehung. Dass Gerda, ebenso wie die fünf Schwestern Beers, allen voran Margit Beer, die unter Aufbietung all ihrer Kraft um sein Leben kämpfte und sich über seinen Tod hinaus um seine Familie kümmerte, und andere Weggenossinnen als eigenständige Personen zu Wort kommen, zeichnet das Buch besonders aus.

Mirko Beer war gerade 27 Jahre alt und fest davon überzeugt, seinen Beitrag zum Aufbau der Sowjetunion leisten zu müssen, als er 1932 nach Moskau ging. 1936, gleich nach dem Putsch der faschistischen Offiziere gegen die demokratisch gewählte Regierung der Spanischen Republik, ging Beer als Freiwilliger in den Spanienkrieg und gehörte zu den führenden Köpfen des Sanitätswesens. Er bewunderte die „internationale Solidarität“ und den „großartigen Kampf, in dem ein waffenloses Volk [...] die bewaffneten Formationen der Armee besiegte“. Aber schon bald wurde ihm anlässlich der Jarama-Schlacht im Februar 1937 deutlich, dass die Sanität über ihre Kräfte arbeiten musste, um die Anzahl der Verwundeten zu bewältigen. Es war – wie er in einem Bericht schrieb – der „Beginn einer regelrechten Kriegssanität“. Nun zeigte sich sein Engagement als Wissenschaftler. Er wollte die Erkenntnisse der modernen Kriegssanität verallgemeinern und theoretisch-wissenschaftlich verarbeiten. Dazu diente die von ihm herausgegebene Zeitschrift „Stimme der Sanität“ und sein Buch „Puesto de Clasificacion“. In der Zeitschrift beschrieb er auch viele Schwierigkeiten und Mängel der Sanität. In den meisten Artikeln überwiegt jedoch die Begeisterung, mit dem Sanitätsposten am Jarama einen Beitrag zu leisten für die Schlachten, die gewonnen werden müssen. Stolz klang aus den veröffentlichten Nachrufen für gefallene Genossen, Stolz auf die Militärärzte, die den Reagenzkolben stehen ließen und ihre Aktivität in ein Feldspital verlegten. Stolz auch auf die Schule für die vor deren Besuch schlecht ausgebildete Sanitäterschaft. Stolz auf die Fort- und Weiterbildungsangebote für die Kranken und Leichtverwundeten im Lazarett und auf die besonderen Fachkurse für die Pflegerinnen. Aus einigen der durch die Autorin veröffentlichten Artikel spricht aber auch die Hoffnung auf das Ende des Mordens.

Mirko Beer mit dem Parteinamen „Goryan“ war ein viel bewunderter Arzt. Wie alle, die im Mittelpunkt stehen, hatte er auch Feinde: André Marty, Generalinspekteur der Interbrigaden, schrieb in seinen streng geheimen Notizen u.a.: Goryan hat sich „eigenwillig der Kontrolle des internationalen Sanitätsdienstes und der Base der Internationalen Brigaden entzogen“ und sei somit „im Grunde der Parteikontrolle ausgewichen“. Die Notizen sollten später gegen ihn verwendet werden.

Am 8. Februar 1939 verließ Mirko Beer mit anderen Interbrigadisten Spanien. Nach dem er die Grenze nach Frankreich überschritten hatte, wurde er interniert. Obwohl er das Lager Argeles als die wahre Hölle beschrieb, kümmerte er sich sofort um die Sanität. Nach der Überführung der Spanienkämpfer ins Lager Gurs wurde er dort Sanitätsleiter und leitete die Konsultation für Chirurgie. „Unser liebster Mensch war wieder bei uns“, schrieb seine Frau Gerda, als er nach überstandener Internierung in Frankreich im Juni 1939 nach Moskau zu seiner Familie zurückkehrte, um mit seiner kleinen Tochter Öchen „über das Mysterium der Menschwerdung, über das Geschlecht und andere nicht minder wichtige Dinge“ zu diskutieren. Er wurde Arzt im Unfallklinikum und nahm auch seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder auf. Das Glück dauerte jedoch nicht lange.

Wenige Tage nach dem Überfall Deutschlands wurde ihm zum Verhängnis, dass er neben seinen anderen Fähigkeiten vor allem ein Sprachgenie war. Das machte ihn nicht nur suspekt, sondern auch der Spionage verdächtig. Eine Bibliotheksmitarbeiterin hatte ihn beobachtet, als er in „unterschiedlichen, teils unverständlichen Sprachen mit Ausländern“ diskutierte. Dieser „Hinweis“ sollte am 9. Juli 1941 wegen „Beziehungen, die spionageverdächtig sind“ zu seiner Verhaftung durch den NKWD führen, der ihn am 4. August 1942 erschoss. Die im Buch abgedruckten Bittbriefe seiner Schwester Margit an die Genossin Ibárruri und den Genossen Stalin kamen zu spät und wurden offensichtlich ohnehin nicht von den Adressaten gelesen. Das Deutsche Rote Kreuz teilte seiner Tochter noch im Juni 1990 mit, dass ihr Vater am 9.7.1941 verhaftet, am 4.7. zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt und am 11.8.1942 an der Ruhr verstarb.

Ulla Plener ist zuzustimmen, wenn sie schreibt: Mirko Beers Schicksal – und das seiner Familie – steht für das Zeitalter der Extreme (Hobsbawm) zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Ein lesenswertes Buch für alle, die diese Zeit verstehen und dafür arbeiten wollen, dass Krieg, Faschismus und Massenterror endlich der Vergangenheit angehören.

Gisela Notz