Berichte

Reformalternative(n) heute – Kernelemente und Transformationsperspektive progressiver Reformpolitik in der BRD

Konferenz der Hellen Panke/Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin am 26. Februar 2011 in Berlin

von Andreas Hallbauer
Juni 2011

Im Jahr 2011 werden ein Reihe von Konferenzen und Workshops der Hellen Panke/Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin unter einer gemeinsamen Thematik durchgeführt: „Reformalternativen im politischen Diskurs der Linken“.

Den Auftakt dieser Reihe von Veranstaltungen bildete die Konferenz „Reformalternative(n) heute“, die eine Konzeption des 2009 verstorbenen Jörg Huffschmid zum Ausgangspunkt für heutige linke Politik nahm, die dieser gemeinsam mit Heinz Jung entwickelt hatte. Beide hatten Ende der 1980er Jahre eine Ausarbeitung zu einer politischen Strategie vorgelegt, die Antworten auf die Frage geben sollten, wie in nichtrevolutionärer Zeit dennoch sozialistische Politik möglich sei, die im hier und heute ansetzt und zugleich Türen für eine sozialistische Perspektive öffnet.[1] Eine Fragestellung, die auch heute wieder eine hohe Aktualität aufweist.

Die tiefe gesellschaftliche Krise des Kapitalismus heute setzt mit hoher Dringlichkeit die Notwendigkeit nach tiefgreifenden Veränderungen im Kapitalismus und über den Kapitalismus hinaus hin zu einer alternativen, solidarischen, sozialistischen Gesellschaft auf die Tagesordnung. Im Zusammenhang mit den programmatischen Diskussionen zu Grundfragen linker Politik im Kontext der Programmdebatte der Partei DIE LINKE kommt diesen Fragen deshalb auch eine erhebliche Bedeutung zu.

Die Veranstaltung knüpfte dabei an Konferenzen des Jahres 2010 an, die sich mit ähnlichen Problemen befasst hatten, um diese weiterzuführen (die „Huffschmid-Konferenz“ im Februar 2010 und die Konferenz „Sozialistische Politik zur Überwindung des Finanzmarktkapitalismus. Schritte zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ im Juni 2010)[2]. Sie konzentrierte sich insbesondere auf folgende Fragen: Wie haben sich die Bedingungen für Reformalternativen heute gegenüber der Zeit des Erscheinens des Konzeptes „Reformalternative“ (1988) verändert und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Welche mittelfristig angelegten Reformprojekte sollte die Linke heute auf die Tagesordnung setzen? Wie können diese mit einer Transformationsperspektive hin zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts verbunden werden?

Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrates der Partei DIE LINKE, eröffnete die Konferenz mit einem Rückblick auf die Zeit der erstmaligen Präsentation der „Reformalternative“, der Zeit des Umbruchs des Realsozialismus Ende der 1980er Jahre. Er versuchte, die Chancen auszuloten, die damals für eine Reform des Realsozialismus bestanden haben und kam zu dem Ergebnis, dass etwa die Reformbestrebungen der Modrow-Regierung die Implosion der DDR nicht mehr stoppen konnten. Des Weiteren mahnte er an, dem Begriff „Transformation“ einen Sinn zu geben, der auf die sozialistischen Verhältnisse im 21. Jahrhundert gerichtet ist. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass es nicht mehr um ein einziges Sozialismusmodell gehen könne, sondern um einen Pluralismus, der in der Realität der Vielfalt in der Welt gerecht werden müsse, wie sie in Lateinamerika, Asien oder Europa aufscheine.

Frank Deppe, ehemals Uni Marburg, referierte zum Thema „Jörg Huffschmids Konzept Reformalternative im Kontext der Strategiediskussionen in der Arbeiterbewegung“. Er berichtete u.a. über die komplizierte politische Gemengelage, die zur Zeit der Entstehung des Konzepts „Reformalternative“ für seine beiden Autoren Jörg Huffschmid und Heinz Jung vorherrschte, beide damals der „Erneuererströmung“ der DKP zugetan, eine Partei, die in dieser Phase voll von der Krise des Realsozialismus erfasst wurde.

Dieter Klein, Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, widmete sich in seinem Referat dem Thema „Die zweite große Transformation“, wie er die Übergangsphase vom Kapitalismus zu einem künftigen Sozialismus nannte. Dies in Analogie zu Karl Polanyi, der den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus seiner Zeit in seinem berühmten Werk als „Große Transformation“ bezeichnet hatte. Eine der Kernthesen von Dieter Klein lautete: „Jener Prozess, der die Stärken des Reformismus – die Realisierbarkeit einzelner Reformen und die Gewinnung von Mehrheiten für das heute Machbare – mit den Stärken des revolutionären Ansatzes – dem Beharren auf Umwälzung des Kerns der Eigentums- und Machtverhältnisse und auf der Überschreitung der Grenzen des Kapitalismus – miteinander verbindet, heißt emanzipatorische Transformation. Das Konzept der Gesellschaftstransformation vermag seiner inneren Logik gemäß, Protagonisten des in absehbarer Zeit Durchsetzbaren und Verfechter revolutionärer Tiefe von Veränderungen zusammenzuführen.“

Conrad Schuhler, Institut für Sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München (ISW), entwickelte das Konzept einer Reformalternative heute als „antikapitalistische Reformstrategie“. Er hielt dabei u.a. fest, „dass der eigentliche Transformationsprozess (…) in der wachsenden Demokratisierung vor allem der Wirtschaft selbst bestehen muss.“ Ein erster Transformationsschritt müsste dabei hin zu einer gemeinwohlorientierten Finanzwirtschaft führen. Dabei dürfe man jedoch nicht stehen bleiben, da das Schicksal des Menschen in allen wesentlichen Facetten vom Kapitalverhältnis bestimmt sei, und dass deshalb „die Überwindung der Widersprüche in und mit dem Zurückdrängen der Macht der bislang dominierenden Kapitalseite stattfindet.“

Zum Thema „Welcher Einstieg in den Umstieg? Anti-Krisen-Politik als Ansatzpunkt plus Ausweitung der Demokratie?“ referierten Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär der Abteilung Wirtschaftspolitik von ver.di und Mitglied der Programmkommission der Partei DIE LINKE und Manuel Kellner, Räte-Theoretiker und Mitarbeiter der NRW-Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE. Krämer stellte die Notwendigkeit eines sozialökonomischen Richtungswechsels in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und präsentierte dafür im Wesentlichen linkskeynesianisch fundierte Kernpunkte für den sozial-ökologischen Umbau, einen „Red New Deal“, wie er es nannte. Kellner rekurrierte im historischen Exkurs auf die Rolle der (Arbeiter)Räte, die in historischen Umbruchphasen ein unverzichtbares Moment der Selbstorganisation und Selbstbewusstwerdung der in Bewegung geratenen Massen seien.

Die Abschlussrunde widmete sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage, welche politischen Schwerpunkte die Linke im engeren wie im weiteren Sinne in der nächsten Etappe setzen solle? Wolfgang Gehrke, Bundestagsfraktion DIE LINKE, betonte die Notwenigkeit, dass die Linkspartei auf jeden Fall ihr antikapitalistisches Profil beibehalten müsse, wie es u.a. auch im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms zum Ausdruck komme. Almut Woller, Bundesgeschäftsführerin des SDS, setzte sich mit der Lage an der neoliberalen Hochschule von heute auseinander und stellte dar, dass der SDS sich dafür einsetzen werde, dass in den kommenden Protesten im Bildungswesen kollektive Bewusstseins- und Radikalisierungsprozesse stattfinden, die den Betroffenen die Möglichkeit der Selbstbestimmung und des Aufbegehrens geben. Michael Jäger, Redakteur des Freitag, hob darauf ab, dass es für eine linke Partei notwendig sei, ihr eigenes „drittes“ Lager zu formieren. Dazu sei es ebenso notwendig, einen neuen Begriff von Vergesellschaftung zu entwickeln, der identisch mit „Demokratisierung“ sein müsse und nicht „Verstaatlichung“ bedeuten dürfe. Peter Grottian, Berliner Sozialforum, betonte bei aller weiteren inhaltlichen Schwerpunktsetzung die Notwendigkeit eines phantasievollen außerparlamentarischen Kampfes, um die Herrschenden unter Druck zu setzen. Sybille Stamm, ehemalige Landesvorsitzende von ver.di Baden-Württemberg, berichtete von den Aktivitäten im Rahmen des Kampfes um Stuttgart 21 und wie Linke dort versuchten, inhaltlich orientierend Fuß zu fassen.

Die Diskussion wurde auf der insgesamt gut besuchten Konferenz sehr engagiert geführt, machte aber auch deutlich, wie unterschiedlich die theoretischen Bezugssysteme innerhalb der Linken im engeren wie im weiteren Sinne noch sind. Aber diese Konferenz war auf jeden Fall ein Schritt auf einem möglichen gemeinsamen Wege. Es wird einen Reader mit Referaten der Konferenz geben. Wer daran Interesse hat, wende sich bitte an Andreas Hallbauer, e-mail: ahallbauer@web.de

Andreas Hallbauer

[1] Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer. Arbeitsmaterialien des IMSF 28, Frankfurt/M. 1988 [Reprint Frankfurt/M. 2010; Bezug über Red. Z, 10,-€].

[2] Vgl. die Tagungsberichte in Z 82, Juni 2010, S. 25ff., und Z 83, September 2010, S. 166 ff.