Kapitalismus in Russland – Geschichte – Ökonomie – Politik

Post-sowjetischer Kapitalismus als Gesellschaftsform

Russland und Ukraine im Vergleich. Ein Essay

von Dieter Segert
März 2023

Ein Blick in die deutschen Zeitungsberichte des Jahres 2022 und alles scheint klar zu sein: Russland ist ein autokratisches System, die Ukraine hingegen teilt unsere Werte und ist eine Demokratie. Soweit und so schnell der ideologische Blick aus unserem Fenster in die Welt. Ein wissenschaftlicher Vergleich der beiden Gesellschaften hingegen erweist sich als weitaus schwieriger.

Im nachfolgenden Essay geht es um die Frage, wie die Ukraine und Russland, vor allem deren Entwicklung seit dem Ende des sowjetischen Staatssozialismus bis heute, einzuschätzen sind. Dazu bedarf es einer Analyse der grundlegenden Tendenzen wirtschaftlicher Entwicklung ebenso wie der Analyse des Zusammenhangs zwischen Klassenlage, Politik und Kultur.

Zerfallsprodukte des sowjetischen Staatssozialismus

Der post-sowjetische Kapitalismus entstand in verschiedenen Phasen. Er wurzelt in zweierlei Hinsicht in dem inneren Reformprozess seit 1985: Zum einen wurden Elemente eines kapitalistischen Systems im Verlauf der nicht gelingenden Reformen der staatssozialistischen Wirtschaft hervorgebracht, v.a. durch die Entstehung von großem Privateigentum an Unternehmen und Banken seit 1988. Bezogen auf die Ukraine schreibt Y. Yurchenko (2018, 162): „Die Formierung der herrschenden Klasse bzw. der kapitalistischen Klassenfraktionen … begann im Zuge der Gorbatschowschen Perestroika.” Zum anderen schuf der Zerfall des föderalen sowjetischen Staates vermittels der entstandenen Bewegungen für nationale Autonomie in verschiedenen Republiken, etwa in der Ukraine, in Moldawien und im Baltikum, den politischen Rahmen seiner Entstehung.

Eine zweite Phase begann Ende 1991. Sie hatte mit dem Zerfall des einheitlichen sowjetischen Wirtschaftsraumes in nationale Wirtschaften und deren spezifischer Integration in die Weltwirtschaft als periphere kapitalistische Gesellschaften zu tun. Die Transformation dieser Wirtschaften und Gesellschaften folgte Empfehlungen der internationalen Finanzinstitutionen, v.a. des IWF, mit den zwei Zielen des „Übergangs zur Marktwirtschaft“ und der Entstehung einer „Wahldemokratie“. Sie durchlief in den meisten post-sowjetischen Staaten die Phase eines „chaotischen Kapitalismus“, in der sich der Staat aus der Lenkung von Wirtschaft und sozialer Absicherung zurückzog. In Russland war diese Phase, die Anfang 1992 begann und sich bis zur Jahrtausendwende hinzog, mit dem Namen Boris Jelzin verbunden (Lane 2018, 56f). Sie war durch einen massiven Einbruch der Produktion und Verluste an Lebensstandard gekennzeichnet. Die wirtschaftliche Situation konnte, nach Einschätzung von J. Becker, eher als Kollaps denn als normale „Transformationsrezession“ bezeichnet werden: 1998 erreichte das russische BIP gerade noch 56 % des Niveaus von 1989 (Becker 2018, 70 f).

In der Ukraine hielt der Rückgang im Gefolge der Transformation sogar mehr als 10 Jahre an und führte zu noch schmerzhafteren Verwerfungen. Ende der 1990er Jahre betrug der kumulative Rückgang knapp 60 % des BIP von 1989. Noch stärker sank das Lohnniveau. Eine der Ursachen für diese gegenüber Ostmitteleuropa größeren Rückgänge von Produktion und Lebensniveau war der Zerfall des arbeitsteilig aufgebauten innersowjetischen Wirtschaftsraumes. Die Integration in die globale Wirtschaft erfolgte parallel dazu, v.a. über den Export von Rohstoffen und Halbfertigprodukten. Russland war auf Grundlage seiner größeren Rohstoffvorkommen in einer stärkeren Position als die Ukraine.

Schließlich kam es zu einem gewissen Abschluss dieser Phase und zur Konsolidierung der nationalen Wirtschaften. In Russland war das begleitet von neuen regionalen Integrationsversuchen, die 2014-2015 zu einer Eurasischen Wirtschaftsunion von fünf ehemaligen sowjetischen Republiken führten. Russland bildete darüber hinaus mit Belarus einen Staatenbund. In der Ukraine erfolgten besonders ab 2014 eine Abkopplung von post-sowjetischen Integrationsversuchen und eine stärkere Einbindung in den EU-Binnenmarkt über das Assoziierungsabkommen zwischen Ukraine und EU, das 2014 abgeschlossen wurde. 2022 wurde mitten im Krieg der Beitrittsprozess der Ukraine zur EU eingeleitet.

Besonderheiten der Privatisierung und begleitende Gewalt

In beiden Staaten bildete die Umwandlung von Staatsbetrieben durch Privatisierung den Kern des Übergangs zu einer Form des Kapitalismus. Die damit verbundene Entstehung einer Klasse von kapitalistischen Unternehmern und Lohnarbeitern kann auch mit dem Marxschen Begriff als (für diese Gesellschaften historisch zweite) „ursprüngliche Akkumulation“ bezeichnet werden. In diesem Fall diente sie der Auflösung der nur formellen, staatlich-zentralisierten Einheit von Produzenten und Produktionsmitteln[1]. Sie begann während der Perestroika mit der Zulassung von Privateigentum in der rechtlichen Form von Genossenschaften, war verbunden mit einer Aufhebung des Außenhandelsmonopols des Staates und der Zulassung privater Geschäftsbanken. Die eigentliche Privatisierung der bisherigen Staatsunternehmen begann erst nach dem Zerfall der UdSSR im Dezember 1991.

Obwohl die Entstehung des kapitalistischen Privateigentums in allen post-sozialistischen Staaten gleichermaßen stattfand, trug sie in den beiden betrachteten Staaten, in Russland und der Ukraine, spezifische Züge (Segert 2013, Tabelle 14, 199). Sie erfolgte in großem Umfang als Insiderprivatisierung, einem Direktverkauf an das Management der Unternehmen oder über den Umweg einer ‚Voucherprivatisierung‘[2] an die Belegschaften, wobei die Voucher später durch deren Besitzer weiterverkauft und in den Händen von Finanz-Industriegruppen konzentriert wurden. Verkäufe an ausländische Investoren spielten nur eine untergeordnete Rolle.

In Russland geschah die Privatisierung von besonders exportstarken und demzufolge ertragreichen Unternehmen durch ein „Aktien für Kredite“ (shares-for-loans)-Programm, indem private Banken dem finanzarmen russischen Staat vor den Präsidentschaftswahlen 1996 einen Kredit gewährten. Dieser wurde durch Anteile an jenen Unternehmen abgesichert. Bereits vor Ende 1995 wurden diese Kredite durch die Umwandlung jener Garantien in Eigentum abgelöst. Das war der Weg zur Herausbildung starker Finanz-Industrie-Unternehmen, an deren Spitze eine kleine Gruppe von superreichen Unternehmern standen, die sogenannten „Oligarchen“[3].

In der Ukraine waren es weniger die Unternehmen, die den Export von Rohstoffen betrieben, aus welchen die Spitzen der neuen Unternehmerklasse hervorgingen. Das hatte vor allem den natürlichen Grund, dass die Ukraine keine so erheblichen Rohstoffvorkommen wie Russland besitzt. Allerdings war der Transit russischen Erdgases nach Europa für die neu entstehende ukrainische Bourgeoisie ein profitables Geschäft, solange die Ukraine russisches Gas zu einem Preis unterhalb dem des Weltmarktes bezog (Becker 2018, 66). Die Privatisierung der großen Unternehmen erfolgte erst am Ende der 1990er Jahre unter Präsident Kutschma. Dabei entstanden mehrere regionale wirtschaftliche Zentren, die die Basis für Fraktionen, konkurrierende Gruppen, der neuen Kapitalistenklasse bildeten.

Diese Unternehmernetzwerke werden üblicherweise nach den Städten (und Gebieten) benannt, in denen ihre hauptsächlichen wirtschaftlichen Ressourcen produziert werden: Der Donezker Clan, in dem der Besitz an Kohlegruben und Stahlwerken dominiert (durch R. Achmetow und W. Janukowitsch repräsentiert), der Clan von Dnepropetrowsk (heute Dnipro), in dem Maschinenbau und Rüstungsindustrie überwiegen (u.a. I. Kolomojskij und L. Kutschma). Beide Gruppen verfügen auch über Banken sowie Anteile am Öl- und Gashandel. Es gibt noch weitere Gruppen, u.a. der „Winnyzja“-Clan um Petro Poroschenko (Becker 2018, 67), in dem Landwirtschafts- und Lebensmittelkonzerne überwiegen. Nach dem Gewinn der Präsidentenwahl 2010 versuchte W. Janukowitsch für sich und seine Umgebung (die „Familie“) eine eigenständige wirtschaftliche Gruppe zu bilden. Die verschiedenen oligarchischen Gruppen verfügen auch über politischen Einfluss, den sie über eigene Medien und Parteien bzw. Abgeordnetengruppen im Parlament ausüben (Stykow 2014, 50). Bei den Wahlen, besonders seit 2002, konkurrierten politisch-wirtschaftliche Blöcke um die Macht. 2004, 2010, 2014 und 2019 gewannen jeweils unterschiedliche Gruppen diesen Wettbewerb.

Ausländische Direktinvestitionen gewannen in der Ukraine erst nach der Orange Revolution 2004 an Gewicht, v.a. im Bankensektor, in dem das ausländische Kapital 2011 ca. 38 % der Anteile besaß (Becker 2018, 67). Der Handel mit Ackerland wurde erst 2020 (unter Präsident Selenskij) vollständig liberalisiert. Eine der Forderungen der Proteste vor und während der Orange Revolution war der Kampf gegen die Folgen der korrupten Privatisierung. J. Timoschenko, die Ministerpräsidentin von 2005-2006, wollte 3.000 Unternehmen zurückverstaatlichen. Das gelang aber nur in wenigen Fällen, etwa dem des großen Stahlwerks „Kryworischstahl“, welches danach an einen indischen Konzern verkauft wurde. Im Zusammenhang mit dieser Politik gelangte mehr ausländisches Kapital in die Ukraine (Plank 2014, 47). Die Ukraine trat 2008 der WTO bei.

Die kapitalistischen Fraktionen setzten auch nach der Orange Revolution ihren Kampf gegeneinander um Einfluss fort. Die Donezker-Gruppe, die durch die Re-Privatisierung 2005 geschwächt wurde, errang durch die Spaltung des „Orange-Lagers“ – Timoschenko wurde als Ministerpräsidentin entlassen, Poroschenko verlor 2006 ebenfalls an Einfluss – erneut größeres Gewicht. Letztlich führte das zum Sieg Janukowitschs bei den Präsidentschaftswahlen 2010.

Die ukrainische Wirtschaft war bis 2014 einigermaßen gleichmäßig sowohl mit der EU als auch mit Russland vernetzt, wobei die im Osten beheimatete Metallurgie und Rüstungsindustrie eher mit russischen Unternehmen kooperierte, die im Westen und im Zentrum vertretene Leichtindustrie und der Dienstleistungssektor hingegen mit Betrieben aus den EU-Staaten. Diese außenwirtschaftliche Ausrichtung veränderte sich nach 2014 zugunsten westlicher Staaten. Während 2012 der Handel mit beiden Regionen noch ca. bei je 25 % lag, verschob er sich 2016 auf 10 % mit Russland und gut 35 % mit den Ländern der EU (Ukraine-Analysen 222, 2019, 13). Der ukrainische Export nach Russland bestand zu einem Drittel aus Maschinen und Anlagen (u.a. existierte eine enge Kooperation auf dem Rüstungssektor). Aus Russland importiert wurden zu 62 % Rohstoffe (Ukraine-Analysen 172, 2016, 2 f). Die Veränderungen in der regionalen Verteilung des Außenhandels waren auch damit verbunden, dass die bisherige Zollfreiheit des Handels mit Russland aufgehoben und die Handelsschranken gegenüber westlichen Staaten besonders im Gefolge des Assoziierungsabkommens niedriger wurden.

Zum vollständigen Bild der neuen Klassenverhältnisse gehören auch die soziale Lage und der politische Einfluss der Beschäftigten. Das neu entstandene Kapitalverhältnis hat die zwei Pole Besitzer von Kapital und Besitzer von Arbeitskraft, jetzt geht es um den zweiten Pol. Die hohe Inflation, der Verlust an Kaufkraft durch das sinkende Lohnniveau, die Verunsicherung der sozialen Lage durch den drohenden Arbeitsplatzverlust, die Umstellungen in den Sozialsystemen vom Staatssozialismus zum „chaotischen Kapitalismus“ verringerten die Handlungsfähigkeit der Beschäftigten. Die arbeitende Mehrheit der Bevölkerung wurde durch die sozialen Belastungen der Transformation geschwächt, auch wenn es in einigen Gruppen der Arbeiterschaft durch die Bildung neuer Gewerkschaften und erfolgreiche Arbeitskämpfe einen Gewinn an gesellschaftlichem Gewicht gab[4] und die Einführung der Wahldemokratie ihnen allen einen größeren politischen Einfluss versprach. Dieser wurde allerdings durch den großen informellen Einfluss der kapitalistischen Netzwerke (der „Oligarchen“) auf Parlament, Regierung und Medien begrenzt.

Die beschriebene Transformation der Eigentums- und sozialökonomischen Verhältnisse wurde in Russland noch durch massiven Einsatz politischer Gewalt bewerkstelligt, sowohl durch den misslungenen Putschversuch eines Teils der politischen Klasse im August 1991 als auch durch die Gewalt, die der russische Präsident Jelzin im Oktober 1993 gegen das Parlament anwendete (Jaitner 2014, Kapitel 5). In der Ukraine spielte Gewalt ebenfalls eine Rolle im Prozess der Entstehung des Kapitalismus, hier besonders in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisie. Yurchenko schreibt dazu: “Eine wichtige Komponente beim Aufstieg des aktuell herrschenden Blocks war die Institutionalisierung von Gesetzlosigkeit. Dadurch gewann die Verbindung zwischen Kriminalität und Politik die Oberhand, wobei die Sicherheitskräfte und die Staatliche Verwaltung zu Dienstleistern der in Gangster verwandelten Oligarchen wurden.” (Yurchenko 2018, 167).

Soziale Ungleichheit und schwache Systeme sozialer Absicherung

Der Übergang vom Staatssozialismus zu einem noch genauer zu bestimmenden Typ von Kapitalismus war mit einer wirtschaftlichen Transformation verbunden, in der es durch die vielfältigen institutionellen Veränderungen zunächst zu einem deutlichen Einbruch im Umfang der Produktion kam. In Russland wurde 2007 das Produktionsniveau von 1989 wieder erreicht, in der Ukraine waren 2008 erst 72 % des Niveaus des BIP vor Beginn der Transformation erreicht worden (Segert 2015, Tabelle 1, 476). Begleitet wurde diese Umstellung von einem scharfen Anstieg der Inflation[5] und dem Auftreten von Arbeitslosigkeit. Letztere war allerdings im Ausmaß deutlich niedriger als in den Staaten Ostmitteleuropas, was damit zusammenhängt, dass es in den Unternehmen beider Länder über längere Zeit Produktionsstillstand oder Rückgang gab, ohne dass die Belegschaft entlassen wurde. Die Beschäftigten wurden jedoch in jener Zeit häufig nicht entlohnt, sondern bekamen stattdessen Produkte des Betriebes zur privaten Verwendung. Durch die Vergabe von Gartenland an Bewohner der Städte und den Anbau von Gemüse konnte trotzdem eine gewisse Deckung des Lebensmittelbedarfs der Familien erreicht werden.

Ebenfalls in dieser Zeit entstand durch die großen Vermögen einiger weniger eine deutlich größere soziale Ausdifferenzierung der Bevölkerung. Gemessen am Einkommen wurde im Jahr 2000 ein Gini-Koeffizient von 0,415 in Russland und von 0,31 in der Ukraine erreicht. Die soziale Ausdifferenzierung existiert aber nicht nur vertikal, d.h. zwischen den reichsten und ärmsten Schichten der Bevölkerung, sondern auch zwischen der Bevölkerung der Hauptstädte einerseits und dem Rest der Bevölkerung andererseits.

Zu einer deutlichen Verbesserung der sozialen Lage der russischen Bevölkerung kam es in den ersten Jahren der Präsidentschaft Putins. Das wurde geschafft durch eine stärkere Einflussnahme des Staates auf die wirtschaftliche Entwicklung, dessen höhere Steuereinnahmen und eine dadurch mögliche stärkere Sozialpolitik. Möglich wurde diese Politik auch durch die bis zur Finanzkrise 2008 steigenden Weltmarktpreise für die exportierten Rohstoffe Russlands. In der Ukraine lässt sich ebenfalls eine Verbesserung des Lebensniveaus der arbeitenden Bevölkerung am steigenden Durchschnittslohn ablesen. 2002 betrug er umgerechnet 75 € - nur wenig über dem mit 68 € angegebenen Existenzminimum. Bis 2008 stieg er auf 235 € (bei einem Existenzminimum von 77 €), 2019 auf 360 €[6] 2019 lebte etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem tatsächlichen Existenzminimum[7]. In Russland lebten 1992 33,5 % der Bevölkerung unter dem nationalen Existenzminimum, 2019 noch 13,5 %[8]. 2020 gaben ca. 12 % der Befragten in der Ukraine an, nicht einmal genug Geld zum Kauf von Nahrungsmitteln zu haben. (Ukraine-Analysen 239, 2020, 6-7).

Die Entstehung kapitalistischer Wirtschaften in beiden Staaten war mit einem Abbau des in der staatssozialistischen Periode vorhandenen Systems sozialer Absicherung verbunden: einem Schutz vor Entlassungen, einer weitgehend kostenlosen Gesundheitsversorgung und einem entsprechenden Bildungssystem. Neue Sozialsysteme wie eine Arbeitslosenversicherung entstanden zwar danach, aber sie waren (und sind bis heute) schwächer als diejenigen in anderen Transformationsländern oder gar denen in alten EU-Mitgliedsstaaten. So wird beispielsweise in der Ukraine den Arbeitslosen nur für die Dauer von drei Monaten ein niedriges Arbeitslosengeld von monatlich 1 Tsd. Hrywnja (ca. 30 €) gezahlt[9]. Im Bildungswesen in beiden Staaten wurden in den 1990er Jahren bestimmte Leistungen (etwa ein Hochschulstudium) kostenpflichtig. Die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit blieben am Beginn der 2000er Jahre auf einem relativ niedrigen Niveau[10].

In beiden Staaten sank in der Periode der wilden Transformation (des „chaotischen Kapitalismus“) die Lebenserwartung der Bevölkerung um mehrere Jahre[11]. In der Ukraine äußerte sich die problematische soziale Lage der Bevölkerung auch in einer stark sinkenden Geburtenrate und einer deutlichen Emigration. Die Bevölkerung des Landes ist in den ersten zwei Jahrzehnten sehr stark zurückgegangen, von ca. 52 Millionen im Jahr 1991 auf 42 Millionen 2019[12]. Auch in Russland gehen die Bevölkerungszahlen zurück, wenn auch nicht so stark wie in der Ukraine. 1989 lebten 147 Mio. Menschen im Land, 2021 145 Mio. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es besonders in den 1990er Jahren eine Immigration v.a. von Russen aus den nunmehr selbständig gewordenen früheren Föderationsrepubliken nach Russland gab. Die Zahl der Geburten sank nach 1990 und stieg erst nach 2000 wieder an. Die Lebenserwartung der Männer (die in Russland seit 1965 extrem hinter der der Frauen zurücklag) sank nach 1990 bis 1994 von 65 auf 58 Jahre. Die der Frauen von 74 auf 71 Jahre. Ab 1995 bis zum Jahr 2010 gab es dann einen Wiederanstieg auf 63 bzw. 75 Jahre[13].

Auf der Suche nach neuen Legitimationsideologien

Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre brach eine politische Ordnung zusammen, die nicht nur als autoritär gekennzeichnet werden kann, sondern auch durch ihre spezifische Form von Legitimation auffällt. Staatssozialistische Gesellschaften waren ideologisch legitimiert, durch das Versprechen gleicher Entwicklungschancen aller Menschen und ein Zukunftsversprechen, das angestrebte Entstehen einer gerechten Gesellschaft, des Kommunismus. Diese Zukunft kam allerdings spätestens in der Endkrise des Systems abhanden.

Schon vorher aber war es zu einer schleichenden Erosion der Legitimationsideologie gekommen. In der Spätphase des Staatssozialismus hatten sich die Herrschenden auf einen friedlichen Wettbewerb mit der westlichen Ordnung eingelassen, der darum geführt wurde, welches System den Bevölkerungen eine bessere Lebensweise garantieren könne. Der Staatssozialismus trat dabei in die Phase des Konsumsozialismus ein, auch wenn diese besonders in den Gesellschaften der Sowjetunion außerhalb der Hauptstädte höchstens als Versprechen, nicht als Realität, gegeben war. Jedenfalls aber wurden auch dadurch Leitsterne der westlichen Konsumgesellschaft in der sowjetischen Bevölkerung präsent: Konsumgüter wie private Autos, eine technisch gut eingerichtete Wohnung, regelmäßige Fernreisen im Urlaub wurden zum Ziel auch dort. Die während der Perestroika entstehenden Kooperativen waren am Import westlicher Konsumgüter auf den sowjetischen Markt beteiligt. Und nach dem Übergang zur Marktwirtschaft 1992 in Russland strömten die westlichen Konsumgüter in die russische Gesellschaft. Sie wurden zugänglich für die Schicht, welche sie sich leisten konnte.

Neben dem Einfluss der Konsumgesellschaftsideologie kam es auch zu einer Umorientierung auf die Wettbewerbsdemokratie als politischem Ziel. Wahlen wurden zum legitimen Modus des Wechsels von Regierungen in beiden Staaten, auch wenn es in beiden Ländern unterschiedliche Niveaus der Beschränkungen der Wahlfreiheit gibt. Die Ukraine gilt nach dem Nations-in-transit Index von „Freedom House“ vom letzten Jahr als Hybrides Regime, also ein Regime, in dem es Elemente sowohl von Demokratie als auch Autokratie gibt, Russland als Konsolidiertes Autoritäres Regime (Nations in Transit 2021, Tabelle „democracy scores“[14]). Die Legitimationswirkung von Wahlen wird trotz der größeren Einschränkungen der politischen Freiheiten auch in Russland genutzt, nur deshalb waren Manöver wie der Wechsel in der Präsidentschaft zwischen Putin und Medwedew (2008-2012) oder Schlagworte wie die von der „gelenkten Demokratie“ nötig.

Wesentlicher war allerdings der steigende Einfluss eines ethnischen Nationalismus sowohl in Russland (hier besonders ab 2011, als es zu verstärkten Protesten der städtischen Mittelschicht kam) als auch in der Ukraine (v.a. mit der Präsidentschaft von Juschtschenko, 2005-2010). Der ethnische Nationalismus wurde vollends mit dem Krieg von 2022 zur alles beherrschenden Legitimationsideologie der politischen Macht. In Russland ist die nationalistische Ideologie mit einer imperialen Komponente verbunden, die sich in der Konzeption einer „russischen Welt“ äußert. Man kann dieses Konzept verschieden lesen, entweder als Grundlage für den Einfluss Russlands auf Staaten mit russischer Minderheit in der Bevölkerung oder als Formulierung direkter Gebietsansprüche über die Grenzen der heutigen Russländischen Föderation hinaus. Die ukrainische Variante des Nationalismus richtet sich dagegen auf eine ethnische Homogenisierung der Bevölkerung im Rahmen der Staatsgrenzen[15].

Diese Legitimationsideologie zielt in beiden Fällen auf die Schaffung eines einheitlichen politischen Subjektes, in welchem Gewinner und Verlierer der Transformation, Arme und Reiche zusammengeschweißt sind, sowie innergesellschaftliche Spaltungslinien, Konflikte, wie die zwischen Klassen oder Generationen, eine sekundäre Bedeutung bekommen sollen. Politik ist nicht nur Beiwerk der sozialökonomischen Dynamik, sondern überformt sie. Wirksame Klassenkonstellationen erwachsen aus einer Gesamtheit von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lagen, oder, wie es W. Streeck (2015, 99) ausgedrückt hat, der Kapitalismus ist nicht nur eine Wirtschaftsordnung, sondern damit kombiniert eine spezifische Gesellschaft und Lebensweise.

Welcher Typ von Kapitalismus ist entstanden?

Der Kapitalismus, der in den beiden betrachteten Staaten nach 1991 entstanden ist, unterscheidet sich von anderen Typen des globalen Kapitalismus. Diese Unterscheidung nach Typen ist ein Problem der Theoriebildung, wodurch eine unterschiedliche Ausbildung jener Gesellschaftsformation in verschiedenen Regionen abgebildet werden kann. Theorien sind dabei immer Interpretationen der Realität, es gibt also mehrere mehr oder weniger passende davon. Auch die Unterscheidung zwischen Variationen und Stufen (historischen Stadien) des Kapitalismus, die T. McDonough vorgenommen hat, ist eine solche alternative Interpretation.

Jene Variationen, Varianten ergeben sich aus unterschiedlichen Entwicklungspfaden und unterschiedlichen institutionellen Konstellationen von Kapitalismen. Eine bestimmte Theorieschule, der sozialwissenschaftliche Neoinstitutionalismus, hat sie in den Mittelpunkt seiner Betrachtung gerückt, als „varieties of capitalism“ (Hall/Soskice 2001). Für die verschiedenen Entwicklungswege des post-sozialistischen Kapitalismus haben besonders D. Bohle und B. Greskovits (2007, 2012) überzeugende Analysen formuliert. Gestützt auf Polanyi haben die beiden letztgenannten Autoren die Wirkung zweier gegenläufiger Prozesse hervorgehoben, die auch in Osteuropa nach 1989/91 die Herausbildung verschiedener Typen des Kapitalismus bestimmt hätten, einerseits die Schaffung eines sich selbst regulierenden Marktes, andererseits der Schutz von produktiven Fähigkeiten des Menschen und der produktiven Potentiale der Natur. Auf dieser Grundlage haben sie drei Typen des Kapitalismus unterschieden, einen neoliberalen Kapitalismus in den baltischen Staaten, den eingebetteten neoliberalen Kapitalismus in den Visegrádstaaten Ostmitteleuropas, sowie einen neo-korporatistischen Kapitalismus in Slowenien. Diese Typen unterscheiden sich u.a. in dem Maß des institutionalisierten sozialen Schutzes – und demzufolge in dem Grad von sozialer Inklusion –, das von den Autoren in Sozialausgaben in Prozent des BIP gemessen wird (Bohle/Greskovits 2007, 186-190).

Die wesentlichen Ursachen für diese Variationen des osteuropäischen Kapitalismus sehen Bohle und Greskovits im Verhalten der Reformeliten während des Transformationsprozesses und ihrem Umgang mit den jeweiligen staatssozialistischen Hinterlassenschaften. Für die Politiker der baltischen Staaten stand die nationale Unabhängigkeit im Vordergrund, welche sie mittels einer radikalen ethnischen Identitätspolitik, bei strikter Distanzierung von der staatssozialistischen Erbschaft, erreichen wollten. Bei diesen Zielen erschienen radikale neoliberale Reformen sowie eine Abkopplung von der russischen Wirtschaft und eine schnelle Integration in die globale kapitalistische Wirtschaft geboten. In Slowenien hingegen wurde ein gradualistischer Transformationspfad eingeschlagen. Dies sei auch deshalb möglich gewesen, da in Slowenien eine ethnisch weitgehend homogene Bevölkerung identitätspolitische Entscheidungen überflüssig machte. Eine stärker inklusive Demokratie wurde durch die jugoslawische Selbstverwaltungstradition begünstigt. In den Visegrádstaaten waren die Unabhängigkeitsbestrebungen weniger durch externe Akteure beschränkt gewesen. Die Abhängigkeit von den anderen staatssozialistischen Wirtschaften sei geringer, Verflechtungen mit der kapitalistischen Weltwirtschaft bereits vor 1989 größer als in den baltischen Staaten gegeben. Die Reformeliten Ostmitteleuropas konnten einen Kurs einschlagen, welcher durch umfangreichere Sozialleistungen die Verlierer der Transformation kompensatorisch ruhigstellte (Bohle/Greskovits 2007, 191 ff).

Das Kapitalismusmodell der Ukraine und Russlands ist mit diesem theoretischen Modell weniger genau zu bestimmen. Zwar wurde hier ebenfalls radikal mit dem staatssozialistischen Erbe gebrochen wie in Ostmitteleuropa, aber der Weg zur Herausbildung einer Klasse kapitalistischer Unternehmer unterschied sich in einem wichtigen Punkt in beiden Regionen deutlich voneinander. In Russland und der Ukraine überwog die Privatisierung durch Inländer („Insiderprivatisierung“), wodurch sich die Einbindung in die globale Wirtschaft weniger weitgehend vollzog. Das was Ehrke in Anlehnung an Entwicklungsökonomien „comprador intelligentsia“ (Ehrke 2004, 6) nennt, ist in den beiden Staaten weniger ausgeprägt.

In der Ukraine kommt es erst nach dem zweiten Maidan und der folgenden Entscheidung für eine stärkere Ankopplung an den EU-Binnenmarkt zu einer stärkeren Abhängigkeit vom globalen Kapitalismus. In diesem Zusammenhang erfolgte eine deutliche Entkopplung von den bis dahin vorhandenen engen Beziehungen zur russischen Wirtschaft. Politisch wurde das durch einen ausgeprägten ethnischen Nationalismus unterlegt. Die ukrainische politische Klasse versuchte sich vom sowjetischen Erbe abzusetzen und gab dem Prozess einer Abgrenzung von Russland neue Impulse. Die ethnisch-ukrainisch verstandene Nationsbildung führte zur Diskriminierung der sich als russisch-ukrainisch verstehenden Bevölkerungsgruppen und anderer ethnischer Minderheiten.[16]

In Russland entwickelte sich über den hauptsächlichen Export von Rohstoffen bedingt eine (periphere) Integration in die kapitalistische Weltwirtschaft. Dabei wurden die exportstarken Rohstoffindustrien weitgehend in der Hand russischer Kapitalgruppen und des russischen Staates gehalten. Nach 2014, unter dem Eindruck westlicher Sanktionen wegen der Annexion der Krim, mit dem Trend zu einer importsubstituierenden Wirtschaft in bestimmten Wirtschaftszweigen, etwa der Nahrungsmittelindustrie, begann dann eine stärkere Orientierung auf den eigenen Binnenmarkt bzw. auf den Handel mit „nichtwestlichen“ Unternehmen und Staaten.

Bezogen auf die historische Entwicklungsperspektive des Kapitalismus, seine Stadien, muss man wohl sagen, dass die osteuropäischen Modifikationen und Varianten des Kapitalismus die seit Ende der 1970er Jahre in den Ländern „des Westens“ vorhandene Tendenz des Abbaus von staatlicher Regulierung der Wirtschaft sowie von erreichter Sozialstaatlichkeit ergänzt und verstärkt und damit zur Ausbildung eines finanzialisierten Kapitalismus beigetragen haben, der sicher kein Fortschritt in Richtung auf eine nachkapitalistische Gesellschaft ist.

Weder bei Bohle/Greskovits noch bei Ehrke werden die Ukraine und Russland in die Analyse der Varianten des Kapitalismus einbezogen. Mittels der Typologie von Bohle/Greskovits ließen sich die beiden Kapitalismen jedoch als Beispiele für den „neoliberalen Typus“ einschätzen. Allerdings handelt es sich bei beiden anders als in Lettland und Estland nicht um Gesellschaften, in denen größere Teile der Bevölkerung qua Geburt aus der politischen Integration ausgeschlossen sind.

Ehrke verwendet für seine Typologie der neuen EU-Mitgliedsstaaten den Begriff „post-kommunistischer Kapitalismus“ und vergleicht ihn mit einem „EU-Kapitalismus“ der früheren Mitgliedsländer der EU. Eine Ursache für die Unterschiede zwischen beiden Regionen sieht er darin, dass die aus dem Staatssozialismus hervorgehenden Mitgliedstaaten sich im Transformationsprozess von ihrer Geschichte vor 1989 strikt abkoppeln, zumindest bis zur Entstehung des Nationalpopulismus. Obwohl die Ukraine und Russland hier nicht mit dem „EU-Kapitalismus“ verglichen werden sollen, verwende ich für ihre Charakterisierung einen analogen Begriff wie M. Ehrke, den eines „post-sowjetischen Kapitalismus“. Nachfolgend meine Erläuterung.

Welche Einsichten sind mit dieser Begriffsverwendung verbunden? Zum einen wird damit die Verwurzelung dieses Typs von Kapitalismus in den letzten Jahren des sowjetischen Staatssozialismus unterstrichen. Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitalverhältnisses begann mit den ersten Privatisierungen in der Zeit der Perestroika. Die entstehende Unternehmerklasse erwuchs, zumindest in ihrer obersten Schicht, aus den Privatisierungen des vormaligen Staatseigentums. In gewissem Sinne hatte das Trotzki 1936 in seiner Schrift „Die verratene Revolution“ vorhergesagt. Im Unterschied zu Trotzkis Prognose verwandelte sich jedoch nicht die Nomenklatura insgesamt in eine Kapitalistenklasse, sondern es waren Personen aus der Nomenklatura (Jelzin, Krawtschuk, Kutschma u.a.), die einer Gruppe von Managern von Staatsbetrieben oder ausgewählten Personen der intellektuellen Dienstklasse einen Aufstieg in die Klasse kapitalistischer Eigentümer ermöglichten.

Wichtig ist, zweitens, noch ein anderes Erbe der letzten Jahrzehnte des sowjetischen Sozialismus: Die im „Konsumsozialismus“ entstandene Lebensweise von Teilen der Bevölkerung unterstützte die Transformation in Richtung auf den Kapitalismus. Zudem wirkte sich ihre passive Orientierung gegenüber der Politik aus, welche aus den autoritären Strukturen des Staatssozialismus und der dadurch geformten politischen Kultur erwuchs. Dadurch erduldete diese Mehrheit der Bevölkerung die sozialen Verwerfungen der Transformationsperiode ohne aktiven Widerstand. So bildete sich der andere Pol des Kapitalverhältnisses, eine eigentumslose arbeitende Bevölkerung, die sich der Produktions- und Lebensweise anpasst.

Im letzten Jahrzehnt entstand zudem eine weitere Legitimationsideologie des Kapitalismus der Ukraine bzw. Russlands, so etwas wie sein gesellschaftlicher Kitt. Es handelt sich um den Nationalismus. In Russland hat er die Form eines imperialen Nationalismus angenommen, als eine Art Nachhall der früheren Großmachtstellung der Sowjetunion. In der Ukraine ist die nationalistische Herrschaftslegitimation nach innen gerichtet, auf Unterordnung aller regionalen und sozialen Interessen unter eine ethnisch konstruierte Einheit der ukrainischen Nation. Jene nationalistische Integration dominiert und überdeckt die natürlich ebenso vorhandenen Interessenwidersprüche, etwa die zwischen oligarchischen Netzwerken einerseits und den Interessen der verschiedenen Gruppen der kleinen und mittleren Unternehmer bzw. den Interessen der Lohnabhängigen andererseits.

Inwiefern sich trotz dieser Überformung des Kapitalverhältnisses in der Zukunft ernsthafte Klassenkämpfe entwickeln können, also der gesellschaftliche Kitt zerbröckelt, der die Interessengegensätze heute verdeckt, und sich ein neues Stadium des Kapitalismus herausbildet, in dem eine nachkapitalistische Entwicklung möglich wird, hängt sicher nicht nur von inneren Prozessen dieser Länder ab, sondern von denen im globalen Kapitalismus als Ganzem.

Literatur

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Ders. (2010): Demokratisierung ohne Demokraten. Die Oligarchen in der ukrainischen Politik, in: Osteuropa No.2-4 (vol. 60), pp. 123-134.

Dieter Segert (2007): Postsozialismus. Hinterlassenschaften des Staatssozialismus und neue Kapitalismen in Europa, Wien (Braumüller).

Ders. (2013): Transformation in Osteuropa im 20. Jahrhundert, Wien: facultas WUV/UTB.

Ders. (2015): Societal Transformations in Eastern Europe after 1989 and their Preconditions, in: W. Mueller et al, S. 469-490.

Ders. (2017): Politics of History as a Threat to the Internal Peace in Ukraine, in: Central European Papers, 5 (1), S. 30-45.

Wolfgang Streeck (2015): Wie wird der Kapitalismus enden? In: Blätter für deutsche und internationale Politik 60 (3), S. 99-111.

Petra Stykow (2014): Innenpolitische Gründe der Ukraine-Krise, in: Osteuropa 64 (5-6), S. 41-60.

Leo Trotzki: 1936: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie? Paris: Grasset, 1936 (wiederaufgelegt: Mehring-Verlag, Essen 2009).

Yuliya Yurchenko (2018): The making of Ukraine’s multilevel crisis: transnational capitalism, neoliberal cleptocrats, and disposession, in: F. Jaitner et al. (Hrsg.), S. 159-174.

Ukraine-Analysen: Herausgegeben u.a. durch die Osteuropa-Forschungsstelle der Universität Bremen und die DGO seit 2006, link: https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/

[1] Diese nur formelle, entfremdete Form des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln erklärt auch den wenig entwickelten Widerstand der Beschäftigten der Staatsbetriebe gegen ihre faktische Enteignung. Das gilt offenbar auch für die jugoslawische Form des Eigentums, ist aber m.W. bisher wenig empirisch untersucht.

[2] Voucher waren Anteilsscheine an der Gesamtheit staatlicher Unternehmen, die jedem Bürger kostenlos übergeben wurden, aber noch in Aktien eines konkreten Unternehmens umgetauscht werden mussten. Gerade für den Erfolg der letztgenannten Aktion waren Insiderkenntnisse erforderlich, über die die meisten Besitzer von Vouchern in der Regel nicht verfügten.

[3] Karl-Heinz Gräfe spricht deshalb von einem „oligarchischen Kapitalismus“ in Russland (Gräfe 2014). Heiko Pleines hat in zahlreichen Publikationen den Einfluss der „Oligarchen“ auf die Politik in der Ukraine untersucht (Pleines 2005, 2009, 2010). Vgl. auch Christina Plank 2014, Antropow/Bossert 2005, S. 7-8.

[4] Siehe genauer FES Gewerkschaftsmonitor Russland 2020, S. 3 ff; FES Gewerkschaftsmonitor Ukraine 2021, S. 3 ff.

[5] In Russland erreichte die Inflation 1992 1.526 Prozent und fiel bis 1995 auf knapp 200 Prozent im Jahr. In der Ukraine waren es 1992 1.210 Prozent, 1993 kam es zu einem Anstieg auf 4.734 Prozent, um dann bis 1995 auf 377 Prozent zu fallen (Segert 2015, Tabelle 2, 477).

[6] Siehe Ukraine-Analysen 153, 2015, S. 16. Die Angaben für 2019 aus einer Publikation der bpb (https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/316215/statistik-kennziffern-zu-armut-und-soziale-ungleichheit-in-der-ukraine/ abgerufen 23.11.22).

[7] Siehe die Angaben aus der in FN 4 zitierten Publikation der bpb, Tabelle 3.

[8] Siehe dazu die Angaben der Publikation der bpb Armut in Russland (https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/nr-382/305905/dokumentation-kennzahlen-zur-armut-in-russland/, abgerufen 23.11.22).

[9] Siehe einen Bericht in „Strana“ vom 20.11.2022: Wie sich die Unterbrechung der Elektrizität auf die Arbeit und die Bezahlung der Ukrainer auswirkt, https://strana.best/news/415870-kak-pereboi-s-elektrichestvom-vlijajut-na-rabotu-i-zarplaty-ukraintsev.html (abgerufen am 21.11.22).

[10] In den Länderanalysen der Universität Bremen und der DGO sind bedauerlicherweise kaum Analysen über das Bildungssystem zu finden (Ausnahme für Russland ein Beitrag von G. Schmidt in Russland-Analysen 228 (2011), S. 2-5. Daten zur Finanzierung des Bildungswesens finden sich in den Berichten des Human Development Index, so in HDI Report (engl.) 2002, S. 208. Danach verwendet die Ukraine einen höheren Anteil der Staatsausgaben für Bildung und das Gesundheitswesen als Russland. Der HDI Report für 2020 hat wegen einer geänderten Methodik keine vergleichbaren Zahlen aufzuweisen. Hier fällt nur auf, dass die Gesamtbilanz des HDI für Russland leicht besser ausfällt als für die Ukraine: 0,823 (für Frauen) bzw. 0,817 (Männer) zu 0,776 (in der Ukraine für beide Geschlechter gleich). HDI Report 2020 (engl.), S. 356 f.

[11] In der Ukraine von 1990 ca. 71 Jahren auf 67 Jahre 1996 (Ukraine-Analysen 111, 2013, S. 10). Für 2019 siehe den Beitrag „Ukraine“ in Wikipedia, Fußnote 1: https://de.wikipedia.org/wiki/
Ukraine#cite_note-1 (abgerufen am 21.1.22). Für Russland finden sich im HDI Bericht von 1990 als Ausgangswert die Lebenserwartung der Bevölkerung im Jahr 1987 (S. 131, damals natürlich für die gesamte UdSSR) 70 Jahre, im HDI-Bericht von 2002, S. 150, sind es 66,1 Jahre. Es kommt in beiden Staaten zu einem Absinken der Lebensqualität, die sich in einem sinkenden HDI-Indikator äußert (Lane 2018, 46-47).

[12] Diese Zahl beinhaltet allerdings nicht die Bevölkerung der Krim, die ca. 2,5 Mio. beträgt. Angaben für 1991 aus Ukraine-Analysen 105, 2012, S. 2.

[13] Die Zahlen zur Lebenserwartung der russischen Bevölkerung habe ich dem Beitrag von Isolde Brade, Christian Kolter und Sebastian Lentz in Russland-Analysen 241 von 2012 entnommen, S. 6.

[14] Siehe den Link: https://freedomhouse.org/sites/default/files/2021-04/NIT_2021_final_042321. pdf (abgerufen am 29.11.22).

[15] Vgl. dazu Jilge 2014, Segert 2017, Krieg der Vergangenheiten 2022. Brubaker (2011) bezeichnet dieses Nationalismuskonzept mit dem Begriff: „nationalization“: hier wird die Titularnation als Opfer einer sowjetischen Politik der Förderung der russischen Minderheit angesehen, wogegen nunmehr durch Sprach- und Geschichtspolitik zu Lasten jener Minderheit vorgegangen werden solle.

[16] Siehe das von R. Brubaker entwickelte Modell einer „nationalization“ als spezifischem Weg der Nationalstaatsbildung im post-sowjetischen Raum (2011).

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