Berichte

Die Systemkrise des Finanzmarktkapitalismus – Konsequenzen für linke Politik. Berlin, 21. Februar 2009

Juni 2009

Folgende zwei Aspekte der gemeinsamen Veranstaltung von Helle Panke, Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und WISSENTransfer standen im Vordergrund. Erstens: Eine Jahrhundertkrise? Ursachen, Charakter und Dimensionen der globalen Finanzmarkt- und Konjunkturkrise, mit einleitenden Beiträgen von Joachim Bischoff (Zeitschrift Sozialismus/Hamburg) und Jörg Huffschmid (Memorandumgruppe/Bremen). Zum zweiten: Welche Alternativen hat die politische und gewerkschaftliche Linke? Mit einleitenden Beiträgen von Ulla Lötzer (MdB, DIE LINKE), Horst Arenz (Fraktionsmitarbeiter DIE LINKE) und Michael Wendl (ehem. Stellv. Vorsitzender von ver.di Bayern).

Bei der Erörterung des ersten Komplexes bestand eine weitgehende Übereinstimmung der ReferentInnen und TeilnehmerInnen in der Bestimmung des Charakters der gegenwärtigen Jahrhundertkrise als einer tiefgreifenden, strukturellen, alle Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion umfassenden, globalen Systemkrise des Finanzmarktkapitalismus. Tiefe und Spezifik dieser Krise ergeben sich insbesondere aus dem Zusammenfallen dieser systemischen Krise des Finanzmarktkapitalismus und des Neoliberalismus mit einer zyklisch-konjunkturellen Krise.

Was die Ursachen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise betrifft, stimmten Bischoff und Huffschmid überein. Unter den Bedingungen der auf höchste Profite gerichteten Kapitalverwertung als der letztlich bestimmenden Ursache der Krisen, spielt das Zusammenfallen mehrerer Prozesse eine entscheidende Rolle für die Tiefe, den umfassenden und globalen Charakter der gegenwärtigen Krisen sowie die Verflechtungen von Finanz- und Wirtschaftskrise: Die langjährig wachsende Polarisierung der Einkommen und Vermögen (Rückgang der Lohnquote und weitgehende Stagnation der realen Arbeitseinkommen auf der einen und rasante Zunahme der Besitz- und Vermögenseinkommen auf der anderen Seite); der säkulare Rückgang der realwirtschaftlichen Wachstumsraten und der Umschlag in eine strukturelle Überakkumulation mit der Folge einer sich tendenziell verselbständigenden Geldkapitalakkumulation, der gesellschaftliche Surplus findet in der nur langsam wachsenden Realwirtschaft nur unzureichende, den Renditeerwartungen entsprechende Anlagemöglichkeiten; die Deregulierung und die Globalisierung der Finanzmärkte sowie eskalierende spekulative, intransparente Finanzinnovationen führen in Verbindung mit einer Verschuldungsökonomie zu riesigen spekulativen Blasen.

Die Finanzkrise hat sich, ausgelöst durch das Platzen der Immobilien- und Hypothekenkreditblase in den USA, in einem rasanten Tempo über den Erdball ausgebreitet und spätestens im Herbst 2008 auch die Realwirtschaften außerhalb der USA erfasst. Die gegenwärtige Rezession stellt bereits in ihrem Anfangsstadium alle Krisen der Nachkriegszeit in den kapitalistischen Metropolen in den Schatten. Die Konjunkturprognosen für Deutschland gehen mittlerweile von einer Schrumpfung der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion im Jahr 2009 von 5 Prozent oder mehr aus.

Dieser scharfe Einbruch resultiert nicht zuletzt aus der exportorientierten Wirtschaftsstruktur und dem hohen, anwachsenden Exportüberschuss Deutschlands. Dieser beruht zu einem beträchtlichen Teil auf einem im Vergleich zu den anderen EU-Ländern stärkeren Zurückbleiben der Löhne bei gleichzeitig hoher Produktivitätsentwicklung und einer damit verbundenen geringen Erweiterung des Binnenmarkts. Die mit einer beggar my neighbour-policy erzielten hohen Exportüberschüsse können nicht nachhaltig sein.

Hinsichtlich der voraussichtlichen Tiefe und Dauer der gegenwärtigen Krise hatten Bischoff und Huffschmid unterschiedliche Einschätzungen. Huffschmid vertrat die Auffassung, dass es durchaus gelingen könnte, nach dem raschen Absturz aufgrund der massiven Kapitalentwertung und mit Hilfe der aufgelegten Konjunkturprogramme auch schnell wieder aus dem Krisental herauszukommen. Entgegengesetzt vertrat Bischoff die Meinung, dass Tiefe, Dimension und Komplexität der Finanzkrise noch sehr viel weitergehende Abschreibungsbedarfe erforderlich machten, eine Redimensionierung des Kreditüberbaus auf die Erfordernisse der Realakkumulation längere Zeiträume erfordere und in diesem anhaltenden Krisenprozess die Gefahren einer deflationären Entwicklung und einer anschließenden längeren Stagnationsphase eher wachsen.

In der Diskussion gab es sowohl Übereinstimmungen als auch Kontroversen und wichtige Ergänzungen:

- der entscheidende Punkt eines linken Konzepts zur gegenwärtigen Krise ist die kritische Bewertung der Entkopplung von Finanz- und Realwirtschaft und die Begründung von Vorschlägen wie diese Divergenz in Zukunft verhindert werden kann;

- bisher gibt es eine Kredit- und Wertpapierkrise, aber noch keine Währungskrise, die möglicherweise aber noch bevorsteht;

- die Unsicherheit in der Bewertung der Größe der Bankverluste und des Ausmaßes der faulen Kredite muss stärker beachtet werden bei Voraussagen über den weiteren Krisenverlauf;

- in der Diskussion über Alternativen aus der Krise des Dollar-Wall-Street-Regimes könne an historische Erfahrungen angeknüpft werden; dabei weist die Einführung eines Transfer-Rubels in den Comecon-Ländern durchaus Analogien zu Keynes „Bankor“ (eine zu schaffende internationale Verrechnungseinheit und Reservewährung) auf, den er in die Bretton-Woods-Verhandlungen (1944) eingebracht und den Joseph Stiglitz jüngst erneuert hatte;

- mit Blick auf die USA müsse die Linke den Zusammenhang mit Kriegen, den daraus folgenden immensen Kriegskosten und der Aufblähung des Geldumlaufs und der Staatsschulden stärker berücksichtigen;

- die Probleme der Umwelt- und Klimakrise müssen bei der Analyse der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der vorgeschlagenen Alternativen einen wichtigen Platz einnehmen;

- in Deutschland wird sich die Finanzmarkt- und Konjunkturkrise auch auf den weiteren Verlauf des Ost-West Angleichungsprozesses, darunter auf das Erreichen gleichwertiger Lebensverhältnisse, auswirken; hier wirken jedoch teilweise divergierende Faktoren, so dass es gegenwärtig noch nicht möglich ist, die Gesamtwirkung zu bestimmen.

Beim zweiten Komplex, den Alternativen, wurde deutlich, dass die Krise sich bisher nicht positiv für die Linke in der Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse ausgewirkt hat. Gewonnen in der Wählergunst hat vor allem die FDP, während die Zustimmung zur Linken stagniert, wenn nicht sogar leicht rückläufig ist. Ist die Krise generell nicht die Stunde der Linken? Oder liegen die Gründe für das politische Hinterherhinken in der mangelnden Qualität und Überzeugungskraft der Antworten der Linken auf die Krise und deren öffentliche Akzeptanz? Die Diskussion darüber ergab noch keine befriedigenden Antworten.

Der Forderung nach Verstaatlichung oder Vergesellschaftung unterliegen u.a. unterschiedliche Aufgabenstellungen: Geht es vorrangig um staatliche Beteiligung bzw. Übernahme als Forderung zur Rettung und zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Bankensystems oder geht es um eine wirksame gesellschaftliche Regulierung und Kontrolle des Banken- und Finanzsystems, die für eine stabile und zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung im Interesse der Menschen notwendig ist? Dabei muss auch deutlich werden, wer für die Wertverluste aufkommt, wie staatliche Zuschüsse wieder zurückgezahlt oder langfristig in Kapitalbeteiligungen transformiert werden, wie Entschädigungen zu regeln sind und wie eine demokratische Kontrolle der Banken gesichert werden kann. Die Übernahme in öffentliches Eigentum ist nicht per se eine Garantie für ihre Wirksamkeit im öffentlichen Interesse.

Alternativen der Linken zur öffentlichen Kontrolle des Finanzsystems, zur Überwindung seiner Loslösung von der Realwirtschaft und zur Beseitigung seiner Auswucherungen als Spielkasino und Steueroasen u.ä. können nicht nur national erfolgen. Sie setzen gemeinsame Maßnahmen der EU und vor allem der UNO voraus. Internationale Regelungen zur Regulierung der Finanzmärkte dürfen nicht Entscheidungen der G7, G8 oder G20 oder der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds bleiben. Sie müssen von der UNO unter Teilnahme aller Staaten geregelt werden. Ausgeführt wurde, dass von den gegenwärtigen G20-Verhandlungen jenseits von Transparenzregelungen, der Ächtung von Steueroasen kaum relevante Regulierungsfortschritte zu erwarten sind.

Für die Gewerkschaften muss die Verteilungsfrage im Vordergrund stehen: eine konsequente Nutzung des Verteilungsspielraums für Lohnerhöhungen; eine daraufhin abgestimmte Verteilungspolitik in der EU; ein in seinen Dimensionen größeres und in den Verwendungsrichtungen stärker von sozialen und ökologischen Erfordernissen ausgehendes Konjunkturprogramm; eine Stärkung wohlfahrtsstaatlicher Transfers und Institutionen; Arbeitszeitverkürzung. Es sollten auch solche Fragen stärker erörtert und zu konkreten Vorschlägen geführt werden, wie eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik durch eine EU-Wirtschaftsregierung und ein neuer Handlungsrahmen für die Europäische Zentralbank.

Auch in dieser Debatte wurde eingewandt, dass relevante Teile der Linken sich mit ihren Konzepten zu sehr auf Krisenbekämpfung und damit den Erhalt des Kapitalismus anstelle seiner Überwindung konzentrieren. In der Entgegnung wurde hervorgehoben, dass es mit den Vorschlägen zur Krisenbekämpfung um Maßnahmen zur Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen und der Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerungsmehrheit und keineswegs um Vorschläge zur Rettung des Kapitalismus geht. Die Überwindung des Kapitalismus setzt Bedingungen voraus, die gegenwärtig nicht vorhanden sind. Die Linke muss aber den Zusammenhang deutlicher machen, der zwischen mehr kurzfristig wirksamen Maßnamen und den strategischen Überlegungen für Veränderungen in Richtung einer wirksamen gesellschaftlichen, demokratischen Regulierung der Wirtschaftsentwicklung, der Zurückdrängung der Dominanz des Profitprinzips bei gesamtwirtschaftliche Entscheidungen, gerechterer Verteilungsverhältnisse und eines sozial-ökologischen Umbaus besteht. Solche Veränderungen, die andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse voraussetzen, sind auch Schritte in Richtung einer sozialistischen Systemalternative.

Insgesamt fand auf dem Workshop ein interessanter Meinungsaustausch zu wichtigen, aber auch recht komplizierten und widersprüchlichen Problemen der aktuellen Entwicklung statt. Er zeigte, dass die Linke eine kompetente Diskussion zu solchen Problemen führen und auch bei größeren Meinungsverschiedenheiten den Rahmen eines sachlichen, argumentativen Meinungsaustauschs erhalten kann.