Faschismus: Geschichte, Forschung, Medien

Großkapital und Faschismus

Man kann nicht ewig hochrüsten, ohne Krieg zu wollen

Dezember 2007

Adam Tooze, Wirtschaftshistoriker am Jesus-College in Oxford, hat sich mit seinem Werk über die Rüstungswirtschaft Hitlerdeutschlands in die Phalanx angelsächsischer Historiker geschrieben, die wie Stanley Payne[1], Richard Evens[2], Ian Kershaw[3] und Robert O. Paxton[4] in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe bedeutender Werke zur Analyse des deutschen und des internationalen Faschismus vorgelegt haben. Der Gegenstand hat dort ungebrochen Konjunktur und wird auch klar beim Namen genannt. Toozes Buch ist in mehrfacher Hinsicht gewichtig, mit über 900 Druckseiten auch im physischen Sinn, inhaltlich, weil er seine Thesen durch einen Berg von Belegmaterial untermauert, wissenschaftshistorisch, weil es sich von der die Geschichtsschreibung deutscher Konzerne im Faschismus beherrschenden apologetischen Klopffechterei der Feldmann- und Turner-Schule absetzt, forschungsstrategisch, weil es die Beziehungen zwischen dem deutschen Großkapital und dem faschistischen Regime klar benennt und dokumentiert, auch wenn letzteres inkonsequent erfolgt.

Gegenüber den in der bürgerlichen deutschen Historiographie üblich gewordenen „Erklärungen“ der faschistischen Diktatur, ihres Krieges und ihrer Massenverbrechen allein oder vorrangig aus „rassenideologischer Vernichtungspolitik“ spürt Tooze den wirtschaftlichen Gründen für die Kriegspolitik der Naziführung nach. Er will den abstrakten Gegensatz von Ideologie und Ökonomik hinsichtlich der Kriegsrüstung aufheben und den Stellenwert wirtschaftlicher Überlegungen als selbständige und nicht nur als instrumentale Determinanten respektiert wissen. Allerdings entkommt er dem Mainstream nicht. „Letztlich blieb allein die Ideologie ausschlaggebend“, schreibt auch Tooze. (619) Ideologie ist für ihn zwar kein bloßes Hirngespinst, sie hat durchaus mit Praxis zu tun, aber nichts mit Interessen. Indem er sie nicht als praktischen Interessenausdruck begreifen kann, werden auch jene ökonomischen Interessen, die hier in der Ideologie fixiert und maßgebend werden, im Dunkeln gelassen.

Tooze betrachtet die deutsche Wirtschaft im Zusammenhang mit der Entwicklung der Weltwirtschaft im allgemeinen und jener der USA im besonderen. Darin besteht eine Stärke seiner Analyse. Er kritisiert, daß die meisten über deutsche Wirtschaftsgeschichte arbeitenden Autoren bisher übersehen haben, wie unzureichend der Entwicklungsstand und das Wirtschaftspotential Deutschlands für hegemoniale Vorhaben waren. Toozes Meßlatte sind die USA. Er weist nach, daß selbst die ungeheure Hochrüstung Nazideutschlands dessen Kräfteverhältnis gegenüber seinen späteren Kriegsgegnern kaum verändert hat. Deutschland war, so eine Hauptthese des Buches, für dieses Hegemonievorhaben eine zu kleine Wirtschaftsmacht. Belief sich die US-amerikanische Produktion 1914 auf das Doppelte der deutschen, so erreichte die Gesamtproduktion der USA 1943 das Vierfache Deutschlands. Nehme man die „außergewöhnliche Position der Vereinigten Staaten in der modernen Weltwirtschaft“ als „Dreh- und Angelpunkt“, unterscheide sich aus „der Vogelperspektive“ die deutsche Wirtschaft kaum vom europäischen Durchschnitt. (14)

Tooze schreibt keine umfassende Wirtschaftsgeschichte Nazideutschlands, sondern konzentriert sich auf die rüstungswirtschaftliche Seite des Krieges. Er beweist, daß das Naziregime vom ersten Tage seiner Errichtung an systematisch den Krieg vorbereitete und der Hochrüstung alle anderen politischen Erwägungen unterordnete, und verdeutlicht, welche ungeheure wirtschaftliche Belastung diese Rüstungspolitik für die deutsche Volkswirtschaft bedeutete und welche Folgen der Aufbau und die wirtschaftlich-technische Ausrüstung von Luftwaffe, Heer und Marine nach sich zogen.

Zeitlich und räumlich holt der Autor weit aus. Er beginnt mit der Rolle US-amerikanischer Kredit- und anderer Entscheidungen für die Stabilisierung der Weimarer Republik seit 1924. Dabei geht es in der Hauptsache um zwei Sachverhalte, die sehr unterschiedlich im öffentlichen Bewußtsein präsent sind: erstens um die von US-Bankiers als Vermittler eingereichten Vorschläge zur Regelung, – d.h. praktisch zur Reduzierung – der von Deutschland nach dem Versailler Friedensvertrag von 1919 zu leistenden Reparationszahlungen, die unter den Namen Dawes-Plan (1924) und Young-Plan (1929) bekannt sind, und zweitens um private Kredite US-amerikanischer Banken seit 1924. Die nationalistische Wendung der deutschen Außenwirtschaftspolitik, die bereits vor der Machtübertragung an die Hitlerregierung eingeleitet wurde und die von Stresemann repräsentierte Politik guter Beziehungen zu den USA ablöste, wurde von Hitler fortgesetzt und forciert. Seit 1931 zahlte keine deutsche Regierung mehr Reparationen, seit 1933 bediente die Regierung Hitler auch ihre anderen Auslandsschulden nicht mehr.

Tooze kennzeichnet Stresemanns Außenwirtschaftspolitik als „friedlichen ökonomischen Revisionismus“. Deren Konsequenz hinsichtlich der USA wäre die Perspektive Deutschlands, „ein wohlhabender Satellitenstaat der Vereinigten Staaten“ zu werden. Tooze idealisiert Stresemann, und die Gründe für den Ausschluß dieser Perspektive durch Hitler sieht er ideologisch bestimmt: Eine gedeihliche Zukunft Deutschlands als kapitalistischer Partner der Westmächte wäre für Hitler schlicht undenkbar gewesen, weil er darin eine Unterwerfung unter „das Weltjudentum“ gesehen hätte. Auch später kommt Tooze in fast allen Entscheidungsfragen der Hitlerschen Rüstungspolitik auf die irrationale und rassistische Naziideologie als letztlich bestimmender Determinante zurück und damit in den Mainstream der bürgerlichen Historiographie.

Inszenierte „Arbeitsbeschaffung“

Tooze zieht gegen den Mythos zu Felde, die Regierung Hitler habe der Beseitigung der Arbeitslosigkeit anfangs Vorrang eingeräumt. Anhand der vorgesehenen und der tatsächlichen Ausgaben für diesen Zweck weist er nach, daß dies niemals ein erstrangiges Anliegen der Hitlerregierung sein konnte, da die eingesetzten Mittel gering und sie als Posten schon im Dezember 1933 wieder von der Prioritätenliste des Haushalts verschwanden.

Das erste Arbeitsbeschaffungsprogramm vom 28. Mai 1933, das sog. Reinhardt-Programm, sah vor, eine Milliarde RM aufzuwenden, in erster Linie für ein ländliches Siedlungsprogramm und für die Förderung des Straßen- und Wohnungsbaues. Finanziert werden sollte es durch „produktive Kreditschöpfung“. Hinsichtlich der Ergebnisse verweist Tooze auf das Beispiel Ostpreußens: Dort hatte NSDAP-Gauleiter Koch bereits am 16. Juli 1933 seinen Gau für arbeitslosenfrei erklärt. Über 100.000 Arbeitslose seien in Lohn und Brot gekommen, Ödland sei umgepflügt, fruchtbar gemacht und eingesät, Gehöfte für neue Siedler gebaut worden. „Bei genauerer Prüfung“, resümiert Tooze, „entdeckt man jedoch, daß diese ‚Arbeitsschlacht’ in Ostpreußen von Anfang bis Ende nichts als ein inszeniertes Medienereignis war: Die ländliche Wirtschaftsstruktur Ostpreußens eignete sich ideal für schnell greifende, aber ausgesprochen primitive Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.“ Walter Funk, Staatssekretär im Goebbels-Ministerium, benutzte Ostpreußen als Startrampe für eine reichsweite Kampagne, Göring setzte das Reichsfinanzministerium unter Druck, damit es einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Reinhardt-Milliarde für eine Region bereitstellte, in der 1,89 Prozent der offiziellen Arbeitslosen Deutschlands lebten. Koch ließ die Arbeitslosen in sog. Kameradschaftslager treiben, ja er setzte durch, daß eines der ersten „wilden“ Konzentrationslager als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme anerkannt wurde. Dem Koch-Plan folgten sehr bald andere. Im Rheinland, in Franken, in Bayern.

Die größte Arbeitslosengruppe in Deutschland waren die Bauarbeiter, gefolgt von den Metallarbeitern. Für die Zentren der Arbeitslosigkeit Berlin, Hamburg, Ruhrgebiet, Bremen, Stuttgart oder München änderte sich durch das erste Reinhardt-Programm kaum etwas. Rund 230 Mio. RM von der Reinhardt-Milliarde wurden für „Sondermaßnahmen“ abgezogen, sprich für den Bau von strategisch angelegten Straßen, Flugplätzen, Kasernen und Wasserstraßen. Im Spätsommer 1933 waren die Mittel verbraucht.

Die Arbeitslosigkeit wurde erst durch den konjunkturellen Aufschwung der Wirtschaft gesenkt. Dieser war nicht von der Regierung verursacht, aber vom Aufschwung des Naziregimes geprägt: 1935 lag der Privatverbrauch um sieben Prozent unter dem Niveau von 1928, die privaten Investitionen sogar 22 Prozent darunter. Aber die Staatsausgaben lagen um 70 Prozent höher als 1928, und diese Steigerung erklärt sich nahezu ausschließlich aus dem Militärhaushalt. Strategische Entscheidungen von höchster Priorität betrafen 1933/34 die Rüstung, die Nichtanerkennung der Auslandsschulden und die Währung – und zwar wo nötig, auf Kosten der Arbeitsbeschaffung.

Keine Reparationen und keine Schuldentilgung mehr

Bei der Abschaffung der internationalen Obligationen Deutschlands ging es in erster Linie um ein Ende der Reparationszahlungen und in zweiter Linie darum, die in der Weimarer Republik aufgenommenen Schulden nicht mehr zu bedienen. Was die Reparationen angeht, so hatte der Young-Plan von 1929 Deutschlands Zahlungsverpflichtungen erheblich reduziert. Mit dem Hoover-Moratorium vom Juli 1931 waren die Reparationsverpflichtungen Deutschlands suspendiert worden. Auf der Konferenz in Lausanne 1932 stimmten die britische und die französische Regierung gegen den Willen der USA einer Vereinbarung zu, die Deutschlands Reparationspflichten faktisch aufhob. Frankreich und Großbritannien koppelten die Aufhebung der Reparationen mit einer Kündigung ihrer eigenen Kriegsschulden bei den Vereinigten Staaten. Auch Belgien, Polen, Estland und Ungarn kamen ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber den USA mit Verweis auf die Weltwirtschaftskrise nicht mehr nach.

Deutschland hatte im Januar 1933 bei ausländischen Gläubigern 19 Mrd. RM Schulden, davon 10,3 Mrd. in Form von langfristigen und 4,1 Mrd. in kurzfristigen Krediten. Die Vereinigten Staaten waren mit 8,3 Mrd. der größte Gläubiger. Um die Zinsen dieser Schuldenlast zu bedienen, mußte jährlich etwa eine Mrd. RM in Fremdwährungen aufgebracht und ins Ausland transferiert werden. Da in den 1930er Jahren neue Kredite nicht mehr zur Verfügung standen, um die alten zu bezahlen, mußte das Exportvolumen das der Importe um mindestens eine Mrd. RM übersteigen. Die Zolltarife von über 44 Prozent, „die Amerikas Wettbewerbsvorteil in fast allen Industriesektoren potenzierten“, machten es den Schuldnern immer schwerer, ihre Zinsverpflichtungen zu bedienen.

Nachdem die Reparationsverpflichtungen ausgehebelt waren, schien der Imperativ einer Verbindung mit den USA nicht mehr gültig. Der einstige Vertreter der Anlehnung an die USA, der frühere Reichsbankpräsident Schacht, wurde schon 1931 zum Verfechter eines Wirtschaftsnationalismus. Am 8. Juni 1933 beschloß die Hitlerregierung ein einseitiges Moratorium aller langfristigen Schulden ab dem 30. Juni. Devisenzahlungen wollte man erst wieder leisten, wenn der deutsche Außenhandel einen deutlichen Überschuß erwirtschaftet hätte. „Dieses Schuldenmoratorium war der erste offen aggressive außenpolitische Schritt der Hitlerregierung.“ (76) Es löste in westlichen Hauptstädten einen Schock und helle Empörung aus. Die US-Regierung protestierte im Namen der privaten Gläubiger, doch da sie keine neuen Kredite mehr vergab, saß sie am kurzen Hebel. Sie konnte kurzfristige Rohstofflieferungen stoppen. Deutschland konnte bei einem transatlantischen Handelskrieg sein Handelsdefizit verlieren, aber nicht viel mehr. Den USA gelang es nicht, die anderen Kreditgeber Deutschlands zu einer Abwehrfront zusammenzuschließen. Auch auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz, die am 12. Juni 1933 begann, konnten die Gläubiger sich nicht auf eine gemeinsame Aktion gegen Hitlerdeutschland verständigen.

Rüstung, Rüstung über alles

Am selben Tag, an dem es das Schuldenmoratorium verkündete, beschloß das Kabinett, innerhalb von acht Jahren 35 Mrd. RM für die Wiederbewaffnung Deutschlands in jährlichen Raten von 4,4 Mrd. RM auszugeben. Angesichts des prekären Zustandes der deutschen Wirtschaft im Jahr 1933 und der Schockwirkungen, unter denen die Geldmärkte litten, war es völlig ausgeschlossen, daß man auch nur die erste Rate dieser 35 Mrd. Reichsmark über Steuern oder durch konventionelle Kredite finanzieren konnte. Also leitete Schacht im Sommer 1933 eine militärische Variante des außerbudgetlichen Finanzierungssystems in die Wege. Seit April 1933 hat die Regierung das Militär von den üblichen Budgetierungsprozessen befreit. Das sollte bis zum Krieg so bleiben – mit allen Konsequenzen für den Haushalt.

Natürlich fing die Hitlerregierung bei der Rüstung nicht bei Null an, sondern setzte jene Programme fort, die bereits die letzten Kabinette der Weimarer Republik ausgearbeitet und umgesetzt hatten, in diesem Fall das sog. Zweite Rüstungsprogramm der Reichswehr von 1931. Es sah 480 Mio. Reichsmark für fünf Jahre vor, um 21 Divisionen mit Artillerie, Panzern und Flugzeugen zu versorgen. Ein zusätzliches Milliardenprogramm sorgte für die Schaffung der dafür benötigten Infrastruktur. Nach der Übereinkunft von Lausanne Mitte 1932 autorisierte General Schleicher am 7. November 1932 einen sog. Umbauplan, der die Aufstellung eines stehenden Heeres von 21 Divisionen in Friedenszeiten vorsah.

Tooze dokumentiert die Rüstungsexplosion des „Dritten Reiches“ unter folgenden Gesichtspunkten: Erstens verdeutlicht er die durch die Rüstung erzeugten Disproportionen der Volkswirtschaft, in der bereits 1935 ein Viertel der Industrie mit unvermarkteter Produktion beschäftigt war. Der Anteil der Militärausgaben stieg von 1933 bis 1935 von einem auf zehn Prozent des Volkseinskommens: „Kein kapitalistischer Staat hat je in so kurzer Friedenszeit eine Umschichtung des gesamten Sozialprodukts in solchem Ausmaß vorgenommen.“ (91)

Zweitens analysiert Tooze, welche Folgen die forcierte Rüstung für die Volkswirtschaft haben mußte: Sie erzeugte periodisch Rüstungskrisen, die durch Rohstoffmangel, Devisenmangel und Zahlungskrisen gekennzeichnet waren. Sie wurden durch eine bürokratisch-dirigistische Bewirtschaftung von Rohstoffen und Devisen reguliert und jeweils durch eine immer abenteuerlichere Beschleunigung der Rüstung „überwunden“, erst durch den Übergang zum Vierjahresplan 1936, dann durch den Übergang zu den offenen, aber noch nicht kriegerischen Aggressionen der Jahre 1938/39.

Mit der Rüstung explodierten die Forderungen der Wehrmacht, ihr Anteil an den Kontingenten von Stahl, Kohle etc. stieg ins Unermeßliche. Die staatliche Finanzkontrolle über die Ausgaben der Wehrmacht wurde erst de facto und dann von Hitler auch de jure aufgehoben. Der Rüstungskurs war – so Tooze drittens – von „profunder Irrationalität“. Diese kann Tooze sich wieder nicht anders erklären als aus der „überwältigenden Bedeutung der Ideologie“.

Mit dem forcierten Rüstungskurs wurden Devisenmangel und Zahlungsschwierigkeiten chronisch, Tooze widmet ihnen viel Aufmerksamkeit. Das Exportvolumen lag 1934 um 40 Prozent unter dem des Krisenjahres 1932. Deutlich schrumpften die Exporte nach Frankreich, in die Niederlande und die Schweiz. Das Hauptproblem war der nicht konkurrenzfähige Wechselkurs. Die periodischen Versuche, die Militärausgaben zu beschränken, endeten stets mit der Entlassung ihrer jeweiligen Verfechter. Am 18. November 1935 instruierte Reichskriegsminister Werner von Blomberg alle Wehrmachtteile, ab sofort sämtliche Budgetrestriktionen zu ignorieren. Hatten sich die Wehrmachtausgaben 1934 auf 4,2 Mrd. RM belaufen, waren sie 1935 auf fünf bis sechs Mrd. gestiegen. Als Hitler im März 1935 die Aufstellung eines „Friedensheeres von 36 Divisionen“ verkündete, warf diese Eskalation alle Ausgabenplanungen Schachts über den Haufen.

Zahlungsbilanzkrise 1934

Die erste Zahlungsbilanzkrise trat schon 1934 ein. Tooze schreibt zu Recht, daß die seitdem verfolgte Handelspolitik, Importe zu beschränken und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewinnen, nur sehr ungenau als „autarkisch“ bezeichnet wird. Deutschland konnte als Land mit hochentwickelter Industrie und Landwirtschaft überhaupt nicht auf Importe verzichten, also autark sein, wollte es seine Produktion und Ernährung aufrechterhalten. Insofern lief die Autarkiepolitik auf eine selektive Abkoppelungspolitik hinaus, die sich gegen die Vereinigten Staaten und das Britische Empire, geringer auch gegen Frankreich richtete und ganz eindeutig der Entscheidung geschuldet war, daß die Regierung Deutschlands Auslandsschulden nicht mehr bedienen wollte. Allein die Bedienung der angehäuften Schulden den USA gegenüber hätte jährlich mindestens 600 Mio. RM in Devisen erfordert. Um einen Handelskrieg mit Großbritannien zu vermeiden, unternahm es Schacht 1934, die USA und Großbritannien in der Frage des Schuldenmoratoriums auseinanderzudividieren. Deutschland erklärte sich bereit, die Kredite aus dem Dawes- und dem Young-Plan wieder zu bedienen. Am 1. November 1934 konnte Schacht ein englisch-deutsches Zahlungsabkommen erreichen, das die Front der Kreditgeber aufbrach und den Abkoppelungsprozeß der deutschen Wirtschaft von den USA abschloß.

Die angestrebte Umstrukturierung der deutschen Handelsbeziehungen auf direkte Kontakte zu Erzeugern in Südosteuropa und Lateinamerika konnte nur längerfristig wirken. Die akute Devisenkrise aber erforderte eine sofortige Lösung. Die Alternative einer Abwertung der RM im Gefolge der Abwertung anderer westeuropäischer Währungen hatte Deutschland abgelehnt. Statt dessen beschritt es den Weg eines neuen bürokratischen Handelskontrollsystems. „Die Reichsbank sollte allen Exporteuren den jeweils erwirtschafteten Exportertrag aus dem vorhandenen Devisenbestand zuweisen, gleichzeitig aber die für den Schuldendienst von kurzfristigen Obligationen benötigten Mittel zurückstellen.“ (118) Die verbliebenen Devisen wurden von 25 Überwachungsstellen, die jeweils für eine Warengruppe zuständig waren, verteilt. Dieses Handelskontrollsystem leistete die erwarteten Dienste, das Ausbluten der Devisen wurde gestoppt.

Strikte Importregulierungen einerseits und bilaterale Verrechnungsabkommen andererseits – die Hauptpfeiler von Schachts „Neuem Plan“ – brachten nur kurzfristige Lösungen. Aber die anhaltende Erholung der Weltwirtschaft mitsamt wachsender Nachfrage nach deutschen Exporten und die Bereitschaft anderer Staaten mit Ausnahme der USA, sich auf das neue Handelssystem Deutschlands einzulassen, milderten die Exportschwierigkeiten. Im Vergleich zu 1932 war im dritten Quartal 1934 die Industrieproduktion um 100 Prozent gestiegen, während der Importsektor gerade das Volumen der Talsohle von 1932 erreicht hatte. Die 100-Prozent-Steigerung kam aus dem inländischen Rüstungsboom. Die verbraucherorientierte Nahrungsmittel- und Textilproduktion stagnierte nach kurzem Aufschwung 1933 bereits 1934. Die Devisenkrise führte im Juni und Juli 1934 zu einem markanten Preisanstieg importierter Waren. „Die offenkundige Unfähigkeit des Regimes, stabile Preise oder eine regelmäßige Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs wie Nahrung und Bekleidung zu garantieren, beunruhigte die Bürger zutiefst.“ Tooze geht so weit, aus den Lageberichten der regionalen Gestapostellen zu schließen, „daß die deutsche Bevölkerung im Sommer 1934 sehr viel beunruhigter wegen der Wirtschaftsprobleme gewesen sei, die aus der Devisenkrise resultierten, als wegen der Gewalt, die mit der ‚Nacht der langen Messer’ ausgebrochen war.“ (125)

Krieg als Ausweg aus der Strukturkrise

Knapp die Hälfte des volkswirtschaftlichen Wachstums zwischen 1935 und 1938 resultierte aus den Militärausgaben. Bereits 1935 entfielen 70 Prozent derjenigen Waren und Dienstleistungen, die der Staat abnahm, auf die Wehrmacht, drei Jahre später stieg dieser Anteil auf 80 Prozent. Nachdem Hitler im März 1935 die Aufstellung eines Friedensheeres von 36 Divisionen verkündet hatte, dessen Ausrüstung mehr verschlingen würde als in Schachts „Neuem Plan“ vorgesehen war, fügte Generalstabschef Ludwig Beck im Dezember den geplanten 36 Divisionen noch 48 Panzerbataillone hinzu. Beck war zu der Überzeugung gekommen, daß Deutschland, das ja offiziell defensiv bleiben wollte, sich offensiv jeder Bedrohung seiner Grenzen würde erwehren können müssen. Die Waffengattung, von der ein Erfolg bei einer solchen Offensive erwartet wurde, war die überaus teure Panzerwaffe. Daher forderte die Wehrmacht für 1936 gleich das doppelte Importvolumen von Metallen, Eisenerzen, Kautschuk und Rohöl für sich wie 1935.

Noch mehr als die Ausrüstung des Heeres mit Panzern sprengte die Luftrüstung alle Planungen, denn hierfür mußten nicht nur die Flugzeuge, sondern erst einmal die Flugzeugfabriken gebaut werden. Im August 1935 verfügte die Luftwaffe über 48 Geschwader, bis Oktober 1938 sollte sich ihre Stärke auf 200 Geschwader erhöhen, und zwar gleich durch die neueste Generation von stromlinienförmigen Ganzmetallflugzeugen.

Auch das Heer stellte 1936 einen neuen Rüstungsplan auf, der für 1940 eine Friedensstärke von 102 Divisionen mit 3,6 Mio. Soldaten mitsamt bereitgestellter Infrastruktur und Ausrüstung vorsah. Der Leiter des Allgemeinen Heeresamtes, Generaloberst Friedrich Fromm, entwarf ein Budget für drei Panzerdivisionen mit je 500 Panzern, hinzu rechnete er vier vollmotorisierte und drei leichte Infanteriedivisionen, die mit über 200 Panzerkampfwagen ausgerüstet sein sollten. Bis 1939 sollten außerdem sieben Panzerbrigaden hinzukommen und das ganze Heer im Fall eines Kriegsausbruchs sofort einsatzbereit sein. Insgesamt kamen die Generäle Fromm und Beck auf 5000 Panzer für 1939, während tatsächlich 1936 erst zwei Modelle in Serie gegangen waren, beide ohne Panzerkanone und nur mit Maschinengewehren bewaffnet. Fromm plante allein für das Heer ein Rüstungsbudget von 35,6 Mrd. RM für die Jahre 1937-1941. Davon waren fünf Prozent für Panzer und Fahrzeuge vorgesehen, 32 Prozent für Geschütze und Munition und 8,7 Prozent für Befestigungsanlagen. Aber woher sollte das Geld genommen werden und wie diese Ausrüstung produziert werden? Die erneute Rüstungseskalation sprengte Schachts Ausgabenplanung völlig. Zudem waren die Rohstofflager nach zwei Jahren Einfuhrbeschränkungen 1936 leergefegt, auch die Lagerbestände an Altmetallen und Eisenerz. Der Industrieproduktion drohte ein Einbruch, eine neue Zahlungsbilanzkrise stand 1936 ins Haus.

Die faschistische Führung suchte den Ausweg in einer doppelten Flucht nach vorn: Das Bündnis zwischen der Militärführung und Reichswirtschaftsminister Schacht zerbrach. Mit dem Vierjahresplan wurde unmittelbar Kurs auf den Krieg genommen, die Kosten dieser Rüstung und des künftigen Krieges sollten durch den Krieg gedeckt, d.h. von den zu überfallenen Völkern bezahlt werden. Das war der entscheidende Eckpfeiler des Vierjahresplans der Rüstung, nach dem Wehrmacht und Wirtschaft in vier Jahren kriegsbereit sein sollten. Darauf war die stärkere Ausbeutung einheimischer, aber minderwertigerer Rohstoffe wie Eisenerz ebenso bezogen wie die „Autarkie“ als Rückzug vom Weltmarkt aus Devisenmangel und die Forcierung der Kohlehydrierung mangels eigener Ölquellen.

Der zweite Schritt war ab 1938 der Übergang zum offenen Raub: Die bei der Annexion Österreichs und der Tschechoslowakei erbeuteten Gold- und Devisenvorräte halfen der deutschen Rüstungswirtschaft jeweils für ein paar Monate aus der Klemme, ohne auch nur ein einziges strukturelles Problem zu lösen. Als im März 1938 Österreich annektiert wurde, raubte Deutschland aus der österreichischen Nationalbank 345 Mrd. Reichsmark an Gold- und Devisenreserven. Außerdem fielen den deutschen Räubern in Wien mindestens 782 Mio. RM in Devisen in die Hände. Obwohl die Beute die deutschen Devisenbestände verdoppelte, war sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein des deutschen Devisenhungers. Im Herbst war sie verbraucht, und die deutsche Rüstung gierte nach der nächsten Beute in Prag. Die „halsbrecherische Steigerung des Militärhaushalts“ hatte ein so gewaltiges Ungleichgewicht der Volkswirtschaft erzeugt, daß die Naziführung jede andere Lösung als den Raubkrieg ausschloß. Auch die „Arisierung“ jüdischen Eigentums war ein Segment dieses Raubes.

Tooze unterschätzt die Tiefe der Rüstungskrise als soziale Krise. Für ihn reicht die Rüstungsdynamik als Erklärungsgrund hin, als ob es keiner politischen Entscheidungen bedurft hätte. Diese aber traf Hitler mit dem Übergang zum Vierjahresplan 1936 und der Wendung zu einem Kurs unmittelbar auf den Krieg ab November 1937, der 1938 die ersten Aggressionen folgten. Mit beiden sollte ein Ausweg aus der durch die Hochrüstung selbst erzeugten Strukturkrise gewählt werden, der die Vabanquepolitik Hitlers nur noch forcierte. Tooze aber unterschätzt das Entscheidungsmoment bei diesem „Ausweg“.

Den vollständigen Text von Hitlers Vierjahresplandenkschrift bekamen nur wenige Personen zu lesen, darunter Göring und Blomberg, nicht aber Schacht. Die Denkschrift ging davon aus, daß der Krieg gegen Rußland unvermeidbar sei und künftig alle wirtschaftlichen Maßnahmen so verstanden werden müßten, „als ob wir im Stadium der drohenden Kriegsgefahr uns befänden“. In der veröffentlichten Version war vom Krieg keine Rede. Hier wurde der Vierjahresplan als Sicherheitsmaßnahme beworben, um den Lebensstandard des deutschen Arbeiters wahren zu können und ihm Beschäftigung auch dann zu garantieren, wenn die aktuelle Rüstungsphase vorüber wäre.

Rüstungsdynamik und Krieg

Als die Wehrmacht 1936 in eine neue Expansionsrunde eintrat, verfaßte Fromm eine Denkschrift, in der die entscheidende Schlußfolgerung aus der Rüstung offen ausgesprochen wurde: Fromm stellte ganz nüchtern fest, daß die Ausrüstung einer Kriegsstreitmacht von 102 Divisionen die deutsche Volkswirtschaft bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit belasten würde, ohne zu fragen, wo die nötigen Rohstoffe, Devisen und Staatsfinanzen dafür herkommen sollten. Allein für das Heer sah Fromm für die nächsten drei Jahre Ausgaben von neun Mrd. RM vor. Um vier Millionen Soldaten mit der nötigen Kriegsausrüstung zu versehen, mußten noch größere Teile der Industrie umgerüstet werden. Wenn aber diese Fabriken auch nach drei Jahren Hochrüstung weiter für den Kriegsfall produzieren sollten, mußte das Beschaffungsamt der Wehrmacht Folgeaufträge vergeben. Was sollte in Friedenszeiten mit diesen Kapazitäten passieren? Fromm schrieb: „Es muß also anschließend an die Aufrüstungsperiode bald der Einsatz der Wehrmacht erfolgen oder eine Milderung des Zustandes dadurch erreicht werden, daß die Forderungen und die Höhe der Kriegsbereitschaft gesenkt werden.“ (zit. nach S. 254). „Die Frage, ob Krieg oder Frieden, war damit nicht mehr zu umgehen. Man konnte die gigantische Mobilisierungsmaschinerie nicht endlos am Laufen halten. Wenn nicht beabsichtigt war, die Wehrmacht zu einem bestimmten Zeitpunkt einzusetzen, dann waren alle Argumente für eine Aufrüstung im 1936 geplanten Tempo Makulatur.“ Daher durfte, schlußfolgert Tooze, der Krieg „nicht mehr nur eine Option sein, Krieg mußte nun als die logische Folge der bereits getroffenen Vorbereitungen betrachtet werden.“ (255)

Die Rüstungsplanung überforderte die deutsche Volkswirtschaft. Die Rohstoff- und Devisenmängel führten dazu, daß die tatsächliche Rüstung zeitlich und substantiell hinter den ausgreifenden Planungen zurückblieb. Sowenig die Gründung der Reichswerke Hermann-Göring den Stahlmangel beseitigen konnte, sowenig konnten die Rüstungszahlen in der Planung in der Realität Panzer, Flugzeuge, Munition etc. in der gewünschten Anzahl verbürgen. Bereits 1937 geriet das Beschaffungsprogramm von 1936 ins Stocken, im Dezember 1937 ging das OKW davon aus, daß das deutsche Kriegsheer kaum vor Frühjahr 1943 ausreichend gerüstet und kriegsbereit sein würde. Das Nazireich war nach seinen eigenen Vorstellungen weder 1938 noch 1939 militärisch ausreichend gerüstet.

Großkapital und Faschismus

Tooze ist Wissenschaftler und will als solcher die Wahrheit über das Verhältnis deutscher Großkapitalisten und Bankiers zum Naziregime und zu dessen Rüstungspolitik erkunden. Kein Wunder, daß seine nüchterne Bilanzierung des Interesses, das mehr oder weniger die gesamte deutsche Kapitalistenklasse am Naziregime nahm, im Zentrum der deutschen Rezensionen des Buches steht. Hans-Ulrich Wehler lobte das Buch in der „Weltwoche“, weil es seiner Ansicht nach die marxistische Historiographie in dieser Frage widerlegt habe. Otto Köhler konstatierte dagegen in der Tageszeitung „junge Welt“, wie sehr Tooze die Analyse marxistischer Wirtschaftshistoriker und insbesondere die von Dietrich Eichholtz, bestätigt. In der Sache hat hier Köhler recht. Wehler kolportiert nur seinen eigenen Glauben, nämlich die informelle Norm bürgerlicher Historiker, der „Nationalsozialismus“ habe die Kapitalisten genauso unterdrückt und reguliert wie die Arbeiterklasse und alle anderen Gruppen. Wehler kann da an manche Inkonsequenz von Tooze anknüpfen. Das ändert aber nichts daran, daß Tooze wie nur selten ein bürgerlicher Historiker dokumentiert, wie willig und geradezu begierig die Großbourgeoisie die staatliche Regulierung der Wirtschaftspolitik angenommen und unterstützt hat, wie begeistert sie die Zerschlagung der Arbeiterbewegung begrüßte, wie sie durch die Rüstungs- und später die Kriegskonjunktur Gewinne wie noch nie erwirtschaftete, wie sie die Eroberungspolitik und den Raubkapitalismus unterstützte und voll daran partizipierte, und daß sie nicht erst in der von Speer geleiteten „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ selbst staatliche Regulierungsfunktionen und damit politische Macht ausübte.

Für Tooze besteht nicht der geringste Zweifel an der „Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei seiner Aufstellung eines diktatorischen Regimes beizustehen. Die Beweise dafür sind nicht aus der Welt zu schaffen“. (129) Dazu mußten sie keineswegs „linientreue Parteigenossen“ werden. „Ihr Enthusiasmus ging weit über eine ‚Gleichschaltung’ hinaus und löste einen regelrechten Konkurrenzkampf unter all den Anwärtern auf Macht und Privilegien aus.“ Für die Unternehmer brach ein „wahrhaft goldenes Zeitalter autoritärer ‚Normalität’“ an, sie bedienten sich begeistert der Rhetorik des Führertums. Die Aufrüstung und ihr Autarkieprogramm, die umfassenden Kompetenzen der Ministerien und Kontrollbehörden und ihr Staatsinterventionismus, „alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten Industrie zur Verfügung gestellt wurde“. (166)

Unter den Bedingungen wachsender Binnennachfrage, mangelnder Auslandskonkurrenzen, steigender Preise und stagnierender Löhne „war es kaum mehr möglich [...], keine gesunden Profite einzufahren“. Bereits 1934 wurden den Vorständen mancher Unternehmen derart spektakuläre Gewinne bezahlt, daß es der Hitlerregierung peinlich wurde, und sie per Gesetz die Kapitalisten auf den Weg verwies, durch hochgeschraubte Abschreibungen, Wertberichtigungsbuchungen und selbstfinanzierte Investitionen Gewinne beiseite zu schaffen.

Das Verhältnis der Unternehmer zum Naziregime sieht Tooze durch einen Staatsinterventionismus charakterisiert, der den Unternehmen einen bis dahin ungekannten Kontrollapparat oktroyierte. Die Kontrollmechanismen hatten sie den Problemen mit der deutschen Zahlungsbilanz zu verdanken. Andererseits wären, wie Tooze einräumt, aber die meisten deutschen Exporteure unter den Bedingungen dieser Jahre, also nach der Ablösung des Goldstandards und der Abwertung des Dollars, ohne die bürokratisch geregelten Exportsubventionen auf dem Weltmarkt gar nicht wettbewerbsfähig gewesen. Gegen diese staatlichen Subventionen reagierten die USA schließlich mit einem Strafzoll auf deutsche Waren. Da die Exportsubventionen durch die Umverteilung von Abgaben der Industrie finanziert wurden, wurde die Verwaltung dieses Überwachungssystems eine Aufgabe jener obligatorischen Wirtschaftsverbände, die Schacht 1934 und 1935 der Wirtschaft verordnete. Gemeint ist die Umwandlung der freiwilligen Verbände der Wirtschaftszweige in Reichsgruppen (wie Industrie, Banken etc.), Wirtschaftsgruppen (wie Bergbau, Maschinenbau) und Fachgruppen (z.B. „Steinkohlenbergbau“). Die Mitgliedschaft war für jedes Unternehmen vorgeschrieben, in diesen Gruppen herrschte das Führerprinzip.

Die Profite stiegen rapide nach 1933, mit ihnen wurde ein Investitionsboom sondergleichen ermöglicht. In den Schlüsselbereichen gab es keine Konflikte zwischen den Rüstungsforderungen des Staates und dem Profitstreben der Industrie. Wohl aber gab es innerhalb der Rüstungskonjunktur die Konkurrenz zwischen den Konzernen und zwischen ihnen und neugegründeten Staatskonzernen. Doch das entscheidende Argument, warum die Unternehmen kein passives und erst recht kein widerstrebendes Objekt von Zwangskartellierung und Rohstoffregulierung, von Devisenbewirtschaftung und Exportsubventionierung waren, taucht bei Tooze erst an anderer Stelle auf: Jene mit staatlichen Vollmachten regulierenden, kontrollierenden Reichsgruppen, Wirtschaftsgruppen waren ja die Verbände der Unternehmer selbst. Auch wenn es Zwangsverbände waren, so waren es ihre Verbände, nur daß in jenen jetzt auch die größten und stärksten Kapitalisten nach dem Führerprinzip regierten, daß sie ihre Kapitalmacht mit staatlicher Macht verbanden. Daß konkurrierende Interessen auch konkurrierende Prioritäten in der Rüstung nach sich ziehen, wen wird das wundern.

Im Kapitel Unternehmen und Naziregime läßt sich Tooze allerdings am prägnantesten Fall dieser Beziehungen, nämlich dem der IG Farben zum Vierjahresplan, aufs Glatteis und in eine Falle führen. Vordergründig scheint Tooze durch unkritische Lektüre konzernapologetischer Historikerkollegen wie Peter Hayes dazu verleitet, doch verantworten muß er seine These selbst. Hayes wollte herausgefunden haben, daß ausgerechnet die IG Farben zum „bloßen Exekutor von Regierungsanordnungen“ wurde – und Tooze glaubt ihm das. Hayes Buch ist nicht auf deutsch erschienen, es wäre zu peinlich gewesen. Hayes wichtigste Quelle ist der ehemalige IG-Farben-Manager Karl Winnacker, der in seinen Memoiren von 1971 beklagte: „In Wirklichkeit herrschte damals kaum noch eine unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Alle Entscheidungen über Standort und Kapazität sowie die Bereitstellung der gewaltigen Geldmittel lagen praktisch nicht mehr in unserer Hand. Die großen Investitionen in Oberschlesien und in Auschwitz sind unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.“ Nach Winnacker und Hayes hat also der Staat die IG gezwungen, ausgerechnet in Auschwitz für das vierte BUNA-Werk zu investieren. Tooze selbst bringt Nachweise, daß die IG Farben durch nichts und niemanden genötigt wurden, dennoch findet er aus der Sackgasse der Gefolgschaft von Hayes nicht heraus und übernimmt dessen These, Krauch habe die staatlichen Interessen gegenüber der IG als Maßstab gesetzt und durchgesetzt. Hier rächt sich die Unterschätzung sowohl der in der DDR und in anderen sozialistischen Staaten erschienenen Publikationen als auch der Forschungen systemkritischer Wissenschaftler in der Bundesrepublik.

Einleitend schreibt Tooze, daß vor ihm niemand die deutsche Kriegswirtschaft in ihrem Funktionsmechanismus analysiert hat, so als kenne er die dreibändige „Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft“ von Dietrich Eichholtz nicht. Im Laufe des Textes aber zieht er das Material von Eichholtz laufend heran und findet dessen Monographie faszinierend. Nur Werbung in eigener Sache?

Ungeachtet seiner eigenen Zugeständnisse an ein unterstelltes Primat der Ideologie für die Entscheidungen der Naziführung, sieht Tooze in deren Judeozid keinen isolierten Vernichtungsakt, sondern einen integralen Teil ihres territorialen Eroberungskrieges wie des europäischen Kolonialismus. Die Wehrmacht sei 1941 gleich mit zwei Massenmordprogrammen in die Sowjetunion einmarschiert, dem zur Aushungerung von Dutzenden Millionen Russen und dem zur Ermordung der Juden. Judenmord und Zwangsarbeiterprogramm sieht Tooze korrelativ, die Deportation von Millionen Zwangsarbeitern ließ Juden als Arbeitskräfte entbehrlich erscheinen.

Destruktion des Speer-Mythos

Albert Speer als Rüstungsminister übt auf angelsächsische Historiker eine gewisse Faszination aus. Sie übernehmen unkritisch Speers Rhetorik über Rationalisierung, Effizienz und Produktivität der deutschen Rüstung. Selbst die alliierten Vernehmungsbeamten glaubten den Märchen vom deutschen „Rüstungswunder“. Kern des Mythos ist die Behauptung, Speer habe einen endlosen kontinuierlichen Produktionsfluß ermöglicht. Tooze destruiert den Speer-Mythos und beklagt, daß die abrupte Unterbrechung des Rüstungsbooms im Sommer 1943 in der Literatur bisher unterschätzt wurde, ebenso ihre politischen Folgen.

Hitler und Speer kalkulierten, daß der Kriegseintritt der USA nur dann kein tödliches Verhängnis werden würde, wenn bis Ende 1942 der Krieg an der Ostfront siegreich beendet werden könne. Dann könnten Lebensmittel und Rohstoffe aus der Ukraine und Öl aus dem Kaukasus die Voraussetzungen schaffen, den Krieg gegen Großbritannien und die USA zu bestehen. Hinsichtlich dieser Strategie fanden die Wirtschaftsführer Speers Rüstungsmaßnahmen plausibel und unterstützten ihn. Nach der Niederlage vor Moskau Ende 1941 hatte sich die Mehrheit der deutschen Industrieführer „noch entschlossener hinter“ das Regime gestellt.

Ungeachtet der ungeheuren materiellen und territorialen Verluste nach dem Überfall, der Zerstörungen und der Verringerung des Bruttosozialprodukts um 25 Prozent gelang es der Sowjetunion 1942, die Rüstungsgüterfertigung Nazideutschlands in jeder Waffengattung zu übertreffen. Diese industrielle Überlegenheit erlaubte es ihr, die zweite Großoffensive der Wehrmacht abzuwehren und im November 1942 selbst zur Offensive bei Stalingrad überzugehen. Tooze geht davon aus, daß 1942 das entscheidende Jahr für die Rüstungen der kriegführenden Länder war. In diesem Jahr vollbrachte die Sowjetunion ihr „Rüstungswunder“, nämlich ihre nach Osten verlagerten Fabriken so zu mobilisieren, daß sie die Grundlage für die späteren Siege schufen.

Speers Kompetenzen erstreckten sich anfangs nur auf die Heeresrüstung und den Munitionssektor. Die Marinerüstung wurde ihm erst im Juni 1943 unterstellt; die Luftrüstung, die 35 bis 40 Prozent der Mittel verschlang, wurde noch bis Frühjahr 1944 autonom von Staatssekretär Erhard Milch organisiert. Von der Rüstungssteigerung zwischen Februar 1942 und Sommer 1943 wäre, so Tooze, die Hälfte Speers Sektor zuzuschreiben, 40 Prozent aber gingen auf den Luftwaffensektor zurück. Der Drehpunkt des Bündnisses Speer & Milch war die Zentrale Planung, diese aber war kein Anhängsel von Speers Rüstungsministerium, sondern ein übergreifender Ausschuß, dem Speer, Milch und Görings Staatssekretär Körner vorsaßen und der sich um die Rohstoffverteilung kümmerte.

Im Mai 1943 lag der Rüstungsausstoß Deutschlands um 120 Prozent höher als bei Speers Amtsübernahme. Die Hälfte davon ging auf das Konto der Luftrüstung. Der Schwerpunkt in Speers Sektor lag bei der Fertigung von Munition, Artillerie und Infanteriewaffen. Im Winter 1942/43 kreierten Hitler und Speer das Adolf-Hitler-Panzerprogramm. Es sah eine Verdopplung der bisherigen Planziele von 1400 Panzer pro Monat vor. Zweifellos brauchte die Wehrmacht nach Stalingrad Panzer. Doch selbst auf dem Höhepunkt des Panzerprogramms machte deren Fertigung nie mehr als sieben Prozent der Rüstungsproduktion aus. Die Produktion von Flugzeugen war – so Tooze – mindestens fünfmal so bedeutend wie die von Panzern. Im Mai 1943 übertrumpfte Milchs Flugzeugproduktion mit 2.200 Stück pro Monat die Panzerproduktion und sorgte für einen kontinuierlichen Aufschwung der Rüstungsproduktion in der ersten Hälfte 1943.

Das „Rüstungswunder“ brach im Sommer 1943 wegen einer „Zulieferungskrise“ ein, der ganze Rüstungsbetrieb stagnierte in der zweiten Jahreshälfte. Tooze schreibt diese Stagnation nicht zuletzt der alliierten Luftoffensive zu. Zu diesem Zeitpunkt begann das fragile Gleichgewicht der Kriegsfinanzierung zu kollabieren. Die binnenfinanzierten Kriegsausgaben erreichten 1943 ganze 60 Prozent des deutschen Nettosozialprodukts. Im fünften Kriegsjahr schließlich verbrauchte die Wehrmacht 99,4 Mrd. RM, also mehr als das gesamte jährliche Volkseinkommen Ende der dreißiger Jahre. Im Sommer 1943, als sich erstmals die Kräfte in Speers Rüstungssystem erschöpften, zeichnete sich bereits der Kollaps des Geldsystems ab. Im letzten Kriegsjahr stieg der Bargeldumlauf um 80 Prozent, Deutschland stand am Vorabend einer Hyperinflation.

Zu Toozes gegen den Speer-Mythos ins Feld geführten Argumenten gehört auch, daß jener die Ringe und Ausschüsse für die Produktion von Panzern, Geschützen etc. bereits von seinem Vorgänge Todt geerbt und nur systematisiert und ausgebaut habe. Obwohl Tooze die leitende Rolle jeweils führender Industrieller in diesen Ringen und Ausschüssen benennt und die Biographien wichtiger Konzernmanager vorstellt, unterschätzt er, hierin hinter Eichholtz zurückbleibend, die staatsmonopolistische Spezifik dieses Regulierungssystems, insbesondere die Übernahme staatlicher Funktionen und damit staatlicher Macht durch die größten Konzernherren selbst – und zwar gegenüber den kleineren Produzenten oder Mitproduzenten, also der eigenen Klasse.

Zum Schluß sei kursorisch und in Frageform auf einige Aussagen und Konstruktionen aufmerksam gemacht, die keineswegs unumstritten sind:

Tooze setzt die in der Naziführung einige Zeit offene Frage, ob der Krieg zuerst gegen den Osten oder den Westen zu führen sei, die schließlich 1939 mit dem Überfall auf Polen zugunsten des Westkrieges beantwortet wurde, sehr viel früher als entschieden an, nämlich 1938 mit der geplanten Aggression gegen die Tschechoslowakei. Doch ist die Entscheidung für den Beginn des Krieges gegen den Westen wirklich so früh anzusetzen? Dies hängt mit Toozes Bewertung Großbritanniens und der USA als den entscheidenden Gegnern im Kalkül der Nazis zusammen. Aber war der Krieg gegen die Sowjetunion für die Nazis wirklich nur transitorisch und instrumental für jenen anderen anzusetzen? Welchen Stellenwert hatte die Vernichtung des Kommunismus als grundlegendes Ziel dabei? Indem Tooze die USA als entscheidenden Gegner Hitlers und als stets entscheidenden Bezugspunkt aller Rüstungs- und Kriegspolitik behandelt, vermindert sich die Rolle der Sowjetunion, die die Hauptanstrengungen für den Sieg erbrachte.

[1] Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, Berlin 2001

[2] Vgl. die deutsche Ausgabe: Richard Evens: Das Dritte Reich, Bd. I: Aufstieg, Bd. 2: Diktatur, München 2004 bzw. 2006

[3] Ian Kershaw: Hitler, 3 Bde., München 2000

[4] Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus, DVA, München 2006