Berichte

Der Tanz auf dem Vulkan

WEED-Konferenz „The New Financial Architecture – a Ruin?" im Jüdischen Museum in Berlin, 29./30. November 2006

März 2007

Nach den Schocks der Finanzkrisen in Asien und Lateinamerika war die Forderung nach einer Reform des internationalen Finanzsystems auch in den Regierungen der mächtigsten Staaten präsent. Doch mittlerweile ist davon nur noch wenig zu hören. Die Unsicherheit in der Krisenzeit wurde durch die Selbstvergewisserung ersetzt, dass die Krisen der Jahrtausendwende Betriebsunfälle gewesen seien. Auf der von WEED organisierten internationalen Konferenz wurde dagegen ein kritischer Blick auf die aktuellen Tendenzen und Krisenpotenziale auf den Finanzmärkten geworfen.

Zum Auftakt referierte Dominique Plihon von der Universität Paris über die gegenwärtigen Ungleichgewichte der Weltwirtschaft. An erster Stelle steht dabei das riesige Zahlungsbilanzdefizit der USA. Dem überbewerteten Dollar stehen unterbewertete Währungen in den Schwellenländern gegenüber. Das schnelle, auf Exporten basierende Wachstum der südostasiatischen Länder übt dabei einen Abwertungsdruck auf den Dollar aus. Es ist eine Fehleinschätzung der aktuellen Tendenzen, in dieser Konstellation ein neues informelles Bretton Woods System zu sehen, das auf einem Gleichgewicht zwischen überbewerteten und unterbewerteten Devisen besteht. Dieses von einigen neoliberalen Ökonomen vertretene Postulat verkennt, dass die gegenwärtige Balance nicht aufrecht zu erhalten ist. Die Dollarabwertung wird kommen, die Frage ist nur noch, ob es zu einem Crash mit einer schwerwiegenden globalen Rezession kommt oder ob eine weichere Landung möglich ist. Mit anderen Worten: Im Schatten der vermeintlichen Stabilität reifen die Bedingungen kommender Krisen, in Plihons Worten: ein „Tanz auf dem Vulkan“.

Elmar Altvater steuerte dazu eine Analyse über die Auswirkungen des Endes des Ölzeitalters bei. Da der „peak oil“, der Höhepunkt der globalen Ölförderung, um 2015 erreicht sei, gerate ein Akkumulationsmodell an seine Grenzen, das traditionell auf der Nutzung fossiler Brennstoffe basiere. Da die Abhängigkeit vom Öl ungebrochen ist und dominante Interessen einen radikalen Kurswechsel behindern, entsteht ein struktureller Krisenfaktor, der die ökonomische Stagnationstendenz fördert und die politischen Konflikte um knapper werdende Ressourcen anheizt.

Hinzu kommt, dass die Finanzmärkte sich in einer ähnlich stürmischen Dynamik entwickeln wie am Vorabend der Asienkrise. Das Volumen von spekulativen Transaktionen und Beteiligungskapitalgeschäften ist nun generell auf demselben Niveau wie vor der Jahrtausendwende – Tendenz steigend. All diese Investmentformen sind Anzeichen der Überliquidität der Finanzmärkte und der lahmenden Bereitschaft zu realwirtschaftlichen Investitionen.

Jörg Huffschmid referierte über Hedge Fonds und Private Equity Fonds, die zwar nach wie vor einen kleinen Teil des Anlagevolumens auf sich vereinigen, dabei ihre Aktivitäten aber in schnellem Tempo ausweiten. Private Equity Fonds – die so genannten Heuschrecken – sind die Verkörperung des Shareholder-Value-Gedankens. Produktive Unternehmen werden bei kreditfinanzierten Übernahmen auf Profit frisiert und weiterverkauft. Die Investoren streichen hohe Sanierungsprofite ein. Die Branche boomt.

Auch Hedge Fonds versprechen eine überdurchschnittlich hohe Rendite. Diese werden jedoch primär durch spekulative Geschäfte erwirtschaftet. Der Einsatz von Derivaten und die Hebelverstärkung der Spekulation durch die Aufnahme hoher Kredite lassen die Träume einer ausgewählten Gruppe von Investoren Wirklichkeit werden. Dies jedoch auf Kosten eines hohen Risikos: Fehlspekulation kann Kettenreaktionen auslösen, welche verheerende Auswirkungen auf die gesamte Ökonomie haben.

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz“, könnte man mit Bertolt Brecht angesichts der „weiter so“ Mentalität der Finanzmarktsakteure und der meisten Politiker sagen. Allerdings gibt es auch bedeutende Veränderungen seit der Asienkrise. Diese waren Gegenstand der Beiträge von Heiner Flassbeck von der UNCTAD, von Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik und von Fernando Carvalho von der Universität Rio de Janeiro. Vor allem die Schwellenländer haben in den letzten Jahren versucht, sich gegen die Instabilität der Märkte abzusichern und alternative Wege gegenüber dem „one size fits all“ Wachstumsmodell des IWF einzuschlagen. Neben dem Aufbau von hohen Währungsreserven, die im Krisenfall absichern sollen, bestehen Ansätze zu regionaler Kooperation in Lateinamerika und Südostasien. Dort machen die „untreuen Zöglinge“ des IWF die Erfahrung, dass sie oft bessere ökonomischen Fundamentaldaten vorweisen können als jene Staaten, die die neoliberale Medizin geschluckt haben. Dies eröffnet zum Teil neue Spielräume für alternative wirtschaftspolitische Pfade und Modelle, welche eine stärkere politische Kontrolle der Finanzmärkte ermöglichen.

Neue Wege und Ansätze zu einer stärkeren Kontrolle der Finanzmärkte wird es mit der Bundesregierung allerdings nicht geben. Eine Podiumsdiskussion mit Rüdiger von Kleist vom Bundesfinanzministerium offenbarte die gefährliche Nachlässigkeit der Regierung. Kleist rechtfertigte die mageren Ergebnisse in punkto IWF-Reform und Finanzmarktsregulation mit der Trägheit multilateraler Entscheidungsfindung. Als er jedoch das Finanzsystem als „das effizienteste System internationaler Kooperation“ bezeichnete, drängte sich der Eindruck auf, dass der politische Wille zu multilateraler Steuerung des Marktes gar nicht vorhanden ist.

Die politischen Antworten auf die zunehmende Verselbständigung der Finanzmärkte und die damit verbundenen Gefahren sind eine der Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts. Die grobe Fahrlässigkeit der Bundesregierung macht es umso bedeutender, dass die Debatten dieser Konferenz breit geführt werden und der Druck für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte auf allen Ebenen erhöht wird. Die Präsentationen der Tagung können unter www.weed-online.org heruntergeladen werden.