Berichte

Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus

Kongress an der TU Berlin vom 24. bis 26. November 2006

März 2007

„Solidarität macht glücklich“, so nur einer von vielen O-Tönen des Kongresses Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus, der vom 24. bis zum 26. November 2006 unter der Leitfrage: Wie wollen wir wirtschaften? an der Technischen Universität Berlin stattfand. Mit annähernd 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, quer durch alle Altersschichten, wurden die Erwartungen der bundesweiten Organisationsgruppe bei Weitem übertroffen.

Wie vielfältig sich der Sektor der solidarischen Ökonomie gestaltet, wurde am Programm deutlich, das sich aus mehr als 100 Workshops, verschiedenen Foren, zusammenführenden Podiumsveranstaltungen und einem parallel laufenden Filmangebot zusammensetzte, umrahmt von einer Projekte-Messe im Lichthof der Universität, auf der von Freitag bis Sonntag diverse Gruppen, soziale Bewegungen, Initiativen und Firmen ihre Tätigkeiten vorstellten.

Anhand neun verschiedener Themenstränge wurde das Kongressprogramm an diesen drei Tagen hinsichtlich vieler unterschiedlicher Perspektiven diskutiert, so die Fragen danach, was Solidarische Ökonomie eigentlich bedeutet, wie die politischen Rahmenbedingungen aussehen, welche Möglichkeiten und Grenzen eine solidarische Ökonomie bietet, wo Anknüpfungspunkte zu weltweiten Projekten bestehen, etc.

Die leicht chaotische Auftaktveranstaltung verlief am Freitagabend unter dem Titel Bewegte Praxiseinblicke: Solidarische Ökonomie international – in Wort und Bild mit Gästen aus verschiedenen Ländern. In eindrucksvollen Statements gaben die geladenen Referenten und Referentinnen Einblicke in ihre praktische Arbeit, so etwa Sam A. Chelladurai von der Community Economic Development in Indien, Renate Goergen von der sozialen Kooperative LeMat aus Italien und Jutta Sundermann vom Netzwerk freies Wissen aus Deutschland. Wurde Deutschland mehrere Male als Entwicklungsland der Solidarischen Ökonomie bezeichnet, so ist dieser Sektor beispielsweise in vielen Ländern Afrikas der größte wirtschaftliche Zweig und oftmals das einzige Mittel zum Überleben der Menschen.

Die Vorträge der internationalen Gäste haben trotz massiver Differenzen viele Anknüpfungspunkte aufgezeigt und können in vielen Fällen auch als Vorbild für Deutschland gelten. Hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen wäre dabei etwa an die Ausführungen Paul Singers zu denken, der in Brasilien als Staatssekretär für Solidarische Ökonomie im gleichnamigen Staatssekretariat tätig ist. Dieser Punkt soll allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass sich in Deutschland viele Projekte erst in der Anfangsphase befinden, wenn auch mit guten Entwicklungs- und Ausbauchancen für die Zukunft.

Im Mittelpunkt des Kongresses standen neben vielen internationalen Beispielen verstärkt die Überlegungen, wie wir selber in einer Welt des globalisierten Kapitalismus leben wollen, welche Visionen wir haben und tatsächlich auch anstreben. Dazu gehören Fragen wie: Wie verhalten wir uns angemessen unseren Mitmenschen gegenüber, wie sieht unser Umgang mit der Natur aus, steht unsere berufliche Kariere im Vordergrund oder können wir unseren Egoismus zurücknehmen und zur Zufriedenheit einer größeren Gruppe beitragen? In einem sozial noch immer ausreichend gut gestellten Land wie Deutschland ist die Frage nach einer solidarischen Ökonomie also eine persönliche und keine des Überlebens.

Die Initiativen, Firmen und Gruppen, die ihre konkrete Arbeit vorstellten, zeigten viele praktische und theoretische Alternativen zu herkömmlichen Wirtschafts- und Lebensformen auf, als Beispiele sind unter vielen anderen das Netzwerk Grundeinkommen, das Mietshäuser Syndikat oder die Kommune Niederkaufungen zu nennen.

An dieser Stelle sei auch auf die Artikel-Reihe der taz-Berlin verwiesen, die als Medienpartnerin bereits eine Woche vor Beginn des Kongresses begann, jeden Tag über ein anderes Beispiel solidarischer Ökonomie in Berlin zu berichten (Stadtteilgenossenschaft Wedding, Ostrad, Tauschring Marzahn, Baerwaldbad, Biobäckerei Beumer und Lutum, Umbruch-Bildarchiv)[1].

Festzuhalten ist, dass sich der Begriff der Solidarischen Ökonomie – auch nach diesem Wochenende – nicht abschließend definieren lässt. Es zeigte sich während des gesamten Kongresses mehr als deutlich, dass der solidarische Wirtschaftssektor die verschiedensten Formen aufweist. Das wird schon daran deutlich, dass diverse Bezeichnungen wie Dritter Sektor, Gemeinwesenökonomie oder eben solidarische Ökonomie auftauchten und es noch immer tun. Auch die unterschiedlichen Projekte, die von Land zu Land sehr variieren, um mit Genossenschaften, Tauschringen, Wohnprojekten, Kommunen und Finanzierungseinrichtungen nur einige wenige zu nennen, tragen an dieser Stelle nicht zur Entwirrung bei.

Dass der Begriff einer und nicht der solidarischen Ökonomie besetzt werden muss, steht außer Frage. Allerdings sollte er – auch in Zukunft – nicht fest definiert und damit eingeschränkt werden, sondern in alle Richtungen offen und erweiterungsfähig bleiben. Eine andauernde Auseinandersetzung verhindert festgefahrene Muster und ermöglicht immer wieder die Reflexion über Wünsche, Möglichkeiten, Chancen und Fehler.

Der Kongress leistete einen großen Beitrag dahingehend, den solidarischen Wirtschaftssektor auch in Deutschland verstärkt und endlich angemessen in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und einen Bewusstmachungsprozess innerhalb der Gesellschaft anzustoßen. Er bot Menschen, die bereits über Praxis im Umgang mit solidarischen Projekten verfügen, ein angemessenes Forum, um ihre Ideen und Kenntnisse an andere weiterzugeben.

Nach diesem ersten intensiven Erfahrungsaustausch und Vernetzungstreffen ist eine Folgeveranstaltung in zwei Jahren geplant, auf der eine vorläufige Bilanz der noch jungen solidarischen Ökonomie in Deutschland gezogen werden kann. In diesem Sinne schloss der Kongress am frühen Sonntagnachmittag mit einer Perspektiven-Diskussionsrunde und viel Beifall aller Beteiligten für alle Helferinnen und alle Helfer. Letztendlich bleibt nur zu hoffen, dass der hohe Eintrittspreis nicht zu viele Menschen von einer Teilnahme an der Veranstaltung abgehalten hat.

Ob sich die solidarische Ökonomie aus der Nische herausbewegt und eine echte Alternative zu Privatisierung und Kommerzialisierung darstellt, werden die kommenden Jahre zeigen. Es ist zu wünschen, dass sich nach und nach immer mehr Menschen von der Idee einer sozial gerechteren Ökonomie angesprochen fühlen und ihren kleinen Beitrag, in welcher Form auch immer, dazu leisten. Begleitend zum Kongress erschien der attac-Reader „Solidarische Ökonomie“[2].

[1] „Solidarische Ökonomie“ in 6 Teilen, erschienen in: taz-Berlin vom 18./21./22./23./24./25.-26.11.2006.

[2] Elmar Altvater und Nicola Sekler (Hg.): Solidarische Ökonomie. Reader des wissenschaftlichen Beirats von Attac, Hamburg 2006.