Buchbesprechungen

Arbeit & Leben ohne Papiere

von Tjaden-Steinhauer/Tjaden zu Emilija Mitrović
März 2011

Emilija Mitrović, Menschen ohne Papiere/Paperless People, Zur Lebenssituation von Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere in Hamburg: Bildung – Gesundheit – Arbeit/The Life Situation of People without Valid Resident Documents in Hamburg: Education – Health – Work, Auszug a. d. Studie „Leben ohne Papiere“ im Oktober 2009, Diakonisches Werk Hamburg in Kooperation m. d. Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Sonja Marko/ver.di Bundesvorstand/Bereich Migration (Hg.), BdWi-Verlag, Marburg 2010, 193 S., 12.- € (Forum Wissenschaft Studien Bd. 59)

Wanderungen von Ort zu Ort, als Individuum oder in Kollektiven, und das Überwechseln von einer menschlichen Gesellschaft in eine andere: das gibt es, seit es Menschen gibt. Sätze dieser Art sind meistens falsch, aber in diesem Fall ist die Aussage richtig: seit den frühesten Gesellschaften von Sammler/inne/n und Jäger/inne/n gehört das Wechseln natürlicher Lebensräume und gesellschaftlicher Lebensgemeinschaften zur Lebensweise der Menschen. Die Gründe für dieses Wandern, Wegziehen und Zuziehen mögen bedrückende Situationen oder hoffnungsvolle Perspektiven oder beides sein: Orts- und Gesellschaftswechsel gehören zur Normalität menschlicher Existenz. Zum sogenannten Wesen des Menschen gehört der ungehinderte aufrechte Gang auf zwei Beinen, und Freizügigkeit ist ein Menschenrecht.

Der vorliegende Bericht über rechtliche und tatsächliche Aspekte der realen Lebens- und Arbeitssituation von Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland referiert nicht-quantifizierte Befunde einer vor allem auf die Situation in Hamburg gerichteten Studie („Leben ohne Papiere“). Sein Gegenstand sind die unwürdigen Verhältnisse, in die Menschen gezwungen werden, wenn sie durch staatliche Verfügungsgewalt direkt oder indirekt in ihrer Freizügigkeit beschränkt und als Zuwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere in ein Schattenleben gezwungen werden. Der Auszug aus der Gesamtuntersuchung, der hier dargestellt wird, behandelt die – insbesondere rechtlichen – Rahmenbedingungen dieser Lage und diese Arbeits- und Lebensbedingungen selber, deren Bild das Ergebnis einer Vielzahl von Interviews mit „Menschen ohne Papiere“ sowie mit Sachkundigen ist, die auf diese oder jene Weise mit ihnen zu tun haben. Das Buch behandelt drei inhaltliche Schwerpunkte: Bildung, Gesundheit und Arbeit.

Die Untersuchung konzentriert sich, was die Bildung angeht, auf die Kinder im Kita- und Schulalter. Die erzwungene Illegalität des elterlichen Aufenthalts bringt es mit sich, dass Kinder nicht zum Kita- und zum Schulbesuch angemeldet werden. Obwohl die Hamburger Schulgesetzgebung den Schulzugang nicht an den Aufenthaltsstatus, sondern an den Wohnort knüpft und dies auch 2009 von der Schulbehörde ausdrücklich festgestellt worden war, zögern Eltern vielfach aus Furch vor Entdeckung ihres Aufenthaltsstatus, ihre Kinder zur Schule anzumelden.

Ein großes Problem der Papierlosen ist im Bedarfsfall die gesundheitliche Versorgung. Hier sind sie auf Dienstleistungen angewiesen, die sie in der Regel nicht finanzieren können. Die Finanzierung etwa von Behandlungskosten durch Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens erfordert zumeist eine Offenlegung des Aufenthaltsstatus. Beides verhindert in vielen Fällen die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen. Abhilfe in dieser Notsituation wäre die Einführung eines anonymisierten Krankenscheins, der seit langem in der Diskussion ist.

Bezüglich der Arbeitssituation von Papierlosen wird hervorgehoben, dass das Fehlen einer Aufenthaltserlaubnis und daher auch einer Arbeitserlaubnis deren Rechte als Arbeitnehmer nicht außer kraft setzt. Dennoch können diese Rechte in den meisten Fällen nicht wahrgenommen, können arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen nicht genutzt werden; nicht nur, weil diese Rechte in der Regel gar nicht bekannt sind, sondern auch, weil die bedrängte Lage durch Arbeitgeber ausgenutzt wird. Um so wichtiger ist, wie die Untersuchung zeigt, die gewerkschaftliche Einrichtung von Beratungsstellen für Migrant/inn/en, wie sie von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di initiiert und inzwischen in verschiedenen Großstädten realisiert worden ist. Über die breit angelegte erfolgreiche Arbeit der ersten dieser Stellen (in Hamburg, inzwischen vom DGB getragen) wird im Buch berichtet.

Am Schluss gibt es, abgesehen von einem Exkurs über Wohnverhältnisse, eine Einschätzung der unterschiedlichen Betroffenheit von Menschen verschiedenen Körpergeschlechts durch die Zwänge und Zumutung ihres Lebens in der Illegalität. In den Anhängen finden sich nützliche Interviewzusammenfassungen.

Kein Buch ist ohne Fehler. Im vorliegenden Fall möchten wir Mängel monieren, die wohl vor allem dadurch entstanden sind, dass der Text aus der oben erwähnten umfangreicheren Ursprungsstudie herausgezogen ist, auf die er gelegentlich auf unklare Weise verweist. Zumindest sind die bibliographischen Angaben nicht immer geglückt und ein Verzeichnis der Abkürzungen (auch von Gesetzen) wäre sehr hilfreich. Aber diese kleinen Mängel schmälern nicht das facetten- und informationsreiche Bild der vielgestaltigen Lebens- und Arbeitssituationen, in denen die zur Emigration veranlassten „papierlosen“ Arbeitskräfte und ihre Angehörigen und Freunde in einer deutschen Großstadt heute existieren müssen, genau so wenig wie sie die Hinweise auf die zahlreichen Ansatzpunkte eines widerständigen Handelns und Verhaltens entwerten, das auf Verbesserung der Lagen dieser Menschen gerichtet ist. Solche Opposition ist eine Sache internationaler Solidarität, weshalb es erfreulich ist, dass der deutschsprachige Text dieses Buches auch vollständig ins Englische übersetzt und darin abgedruckt ist. Wir können überhaupt der Wertung dieser Arbeit durch den Vorsitzenden des hamburgischen ver.di-Landesbezirks, Wolfgang Rose, zustimmen, der im Nachwort des Buches schreibt: „Wenn sich die Erkenntnis verbreitet, dass ‚Papierlose’ nicht mehr als Konkurrenz, sondern als Kolleg/innen gesehen werden, dann haben wir einen wichtiges Schritt globalisierter Gewerkschaftspolitik und -praxis zu mehr internationaler Solidarität geschafft. Diese Studie hat dafür einen wichtigen Anstoß gegeben“.

Margarete Tjaden-Steinhauer/Karl Hermann Tjaden