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Zur „politischen Kultur" der Linken in Frankfurt/M. nach 1945

Ein Brief vom Juli 2007

von Arno Klönne
Dezember 2015

Arno Klönne, der im Juni d. J. im Alter von 84 Jahren verstorben ist, schickte der Redaktion im Juli 2007 einen Brief, in dem er aus eigenem Erleben Ergänzungen und Kommentare zu dem gerade erschienenen Band „Linke im Kalten Krieg. Autobiographische Berichte aus Frankfurt am Main 1945 bis 1968“[1] übermittelte. Klönne, 1931 in Bochum geboren, hatte 1955 bei Wolfgang Abendroth in Marburg mit einer Studie „Hitlerjugend. Die Jugend und ihre Organisation im Dritten Reich“ promoviert und arbeitete anschließend fünf Jahre lang als hessischer Landesjugendpfleger in Wiesbaden. Aus dieser Zeit und seiner politischen Aktivität u.a. im Ostermarschbündnis war er mit den politischen Verhältnissen im Rhein-Main-Gebiet und Südhessen gut vertraut. Wir bringen diesen Brief auch zur Erinnerung an Arno Klönne zum Abdruck.[2] (Redaktion)

Arno Klönne

Annette von Droste-Str, 10

33098 Paderborn, 2.7.2007

Lieber David Salomon,

mit großem Interesse habe ich Euer Buch über die (Frankfurter) „Linke im Kalten Krieg“ gelesen; möglicherweise wollt Ihr ja weiter an dem Thema arbeiten, deshalb einige Hinweise und auch Korrekturen. (Vieles von den Verhältnissen und Vorgängen in Ffm habe ich in den Jahren 1955-1968 direkt und indirekt mitbekommen, während meiner Tätigkeit im Hessischen Landesjugendamt und dann durch den Ostermarsch­Zentralausschuß, der in Offenbach „zu Haus“ war.)

Die besondere „politische Kultur“ der Linken in Ffm nach 1945 (mitsamt ihren historischen Herkünften) war – das wird ja auch in dem Buch deutlich – dadurch geprägt, daß trotz aller Differenzen ein Kommunikations- und Aktionszusammenhang von Kommunisten, an KPD oder SPD nicht gebundenen Linkssozialisten und linken Sozialdemokraten bestand; das hat es sonst in dieser Weise damals in Westdeutschland nirgendwo gegeben. Eben dadurch war Ffm auch der richtige Platz für die wichtigsten Zusammenkünfte der linken Opposition, insbesondere die Konferenzen oder Kongresse etc. der „Paulskirchenbewegung“ und der Kampagne „Kampf dem Atomtod“ (in den 1950er Jahren) und dann die Jugend- und Studentenverbandskonferenz 59[3], die „Frankfurter Konferenz“ 61[4] (von der die Erweiterung der Ostermarschkampagne ausging) und die Kongresse zum Thema „Vietnam“[5] und bald darauf „Notstand“ 66[6]. Diese Folge von politischen Zusammenkünften in Ffm wäre einer eigenen Darstellung wert, weil sich in ihnen die Herausbildung außerparlamentarischer Opposition vor 1968 dokumentiert; durchweg gingen von dort Impulse für Westdeutschland insgesamt aus.

Will man die Gruppen- und Personenzusammenhänge beschreiben, die damals wirksam wurden, müsste allerdings der Blick etwas erweitert werden (geografisch) – über Ffm hinaus auf Offenbach und ein bisschen auch auf andere südhessische Orte; das spezifische Milieu, um das es geht, war nicht auf die Stadtgrenzen von Ffm beschränkt. Das Offenbacher linke Milieu hatte seinen Hintergrund in der lokalen KPO-Tradition und nach 1945 in Galms „Arbeiterpartei“[7] sowie – damit verbunden – in der lokal starken Position der „Naturfreunde“. Die Besonderheit der Frankfurter bzw. südhessischen Linken nach 1945 hatte übrigens eine Stütze auch (was in eurem Buch nicht vorkommt) im dortigen Linkskatholizismus, vertreten etwa durch Mitarbeiter der „Frankfurter Hefte“, die ja im Feld „bürgerlich“-christlicher Politik ebenfalls ein Spezifikum darstellten (wiederum mit historischem Hintergrund: Die „Rhein-Mainische Volkszeitung“).

Interessant ist überhaupt die Rolle Frankfurts als „Verlagsort“ linker, „aktivierender“ Zeitschriften in der damaligen Phase:

„Die Tat“ (bei Euch mehrfach erwähnt), aber auch „Elan“ (in der Zeit in Ffm noch nicht auf SDAJ ausgerichtet, sondern auf „Jugendbegegnung“ mit kommunistischen Ländern, „Weltjugendfestspiele“ etc,), unsere „pläne“ (zeitweise war Fred Gebhardt Mitherausgeber, lange aber vor allem Herbert Faller – beide verdienen m.E, in ihrer politischen Tätigkeit in Ffm eigene Würdigungen); Eckart Spoo hat zu der Zeit die Redaktionsarbeit bei „pläne“ gemacht, für den Zugang junger Leute zur Ostermarsch-Kampagne war die Zeitschrift sehr wichtig; und schließlich die SDS-„Neue Kritik“ mit ihren theoretischen Debatten, vor 68.

Im Hinblick auf linke politische Bildung waren in jener Zeit auch bemerkenswert: Die Bund-Buchhandlung in Ffm mit „Jola“[8] und der „Frankfurter Bund für Volksbildung“.

Aus all diesen Mosaiksteinen ergibt sich dann ein Gesamtbild des „linken Milieus“ in Ffm/Südhessen.

Allerdings ist manches aus dieser Geschichte über autobiographische Berichte nicht mehr darstellbar, zu viele der Beteiligten sind schon verstorben.

Noch einige Korrekturen zu Darstellungen in Eurem Buch:

Aus den Berichten von Heiner Halberstadt (S. 101-104) und P. C. Walther (S. 318) entstehen durch die etwas flüchtigen Benennungen bei nicht näher informierten Leserinnen und Lesern unzutreffende Eindrücke von der linken Organisationsgeschichte:

Bis zu den trennenden Ereignissen der CSSR-Intervention und der Neugründung DKP gab es kurzzeitig den Versuch, linke Gruppen zur Kooperation zu bringen und vielleicht daraus eine neue Partei werden zulassen, beteiligt waren der Sozialistische Bund, die Vereinigung Unabhängiger Sozialisten, die Marburger Sozialisten und die (illegale) KPD. Ein „Sozialistisches Zentrum“ sollte gebildet werden, in Ffm agierte ein linkes Büro mit dieser Zielsetzung.

Dieser Versuch ist aber nicht gleichzusetzen mit der 1969 gegründeten Gruppierung „Sozialistisches Büro“ (Sitz Offenbach, Zeitung „links“). Dieses „Sozialistische Büro“ hatte eben keine Parteiambitionen, es verstand sich als Alternative sowohl zur DKP als auch den neokommunistischen (ML-)Parteigründungen, alternativ auch in der Struktur des politischen Engagements. Der „Sozialistische Bund“ löste sich zugunsten dieses „Sozialistischen Büros“ auf, aber das war keine Verlängerung besagten Bundes, sondern es reichte in seiner Zusammensetzung viel weiter und war weitaus stärker auf politische Praxis ausgerichtet, für etliche Jahre ja mit erheblichem Erfolg. Der „Sozialistische Bund“ hingegen war eher ein intellektueller Zirkel (was ich nicht abschätzig meine).

Die Zeitung „links“ des „Sozialistischen Büros“ (ich habe sie in den ersten Jahrgängen redigiert) war nicht (wie man es aus dem Bericht von Heinz Brakemeier, S. 163, herauslesen könnte) eine Wiederherausgabe des einige Jahre vorher erschienenen gleichnamigen Blattes der südhessischen Jusos und des Frankfurter SDS, sondern da handelte es sich lediglich um denselben Titel, nicht um ein ähnliches Politikkonzept. Personell und in seinem Verständnis von politischem Agieren knüpfte das „Sozialistische Büro“ (Sitz Offenbach) stark an die davor bestehende Ostermarschbewegung an.

Die bei I[ngrid] u. R[udi] Schuster (S. 286) erwähnte Ausstellung „Nacht fiel über Deutschland“ (damals die erste systematische Ausstellung über die NS-Staatsverbrechen!) wurde nicht von der Gewerkschaftsjugend herausgebracht, sondern von mir („i.A.“ des Landesjugendamtes Hessen) und Eckart Spoo, in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Stadtjugendring.[9]

Der von H. Brakemeier erwähnte SDSler „Horst“ Köhler (S.157) war gewiß Otto Köhler.[10]

Abschließend noch mal etwas Systematisches:

Das Projekt einer neuen, frühere Differenzen überbrückenden sozialistischen, die Kommunisten einbeziehenden Organisation/Partei 1968 ist m.E. nicht nur (Brakemeier, S. 162) an der CSSR-Debatte und, damit verbunden, der Konstituierung der DKP gescheitert, sondern auch an der „Überflutung“ der neuen Linken durch das scheinrevolutionäre Auftreten von Teilen der Studentenbewegung. Es kam dadurch ein m.E. höchst fragwürdiges Politikverständnis in die westdeutsche Linke – womit ich andere, produktive Effekte dieser Studentenbewegung nicht abwerten will.

Freundliche Grüße

Arno Klönne

[1] Heinz-Jung-Stiftung (Hg.), Linke im Kalten Krieg. Autobiographische Berichte aus Frankfurt am Main 1945 bis 1968. Redaktion: David Salomon und Guido Speckmann unter Mitarbeit von Gerhard Fisch, Manfred Laus, André Leisewitz und Benjamin Weber, Köln [PapyRossa Verlag] 2007.

[2] Die Anmerkungen stammen von der Redaktion.

[3] „Kongreß für Demokratie gegen Militarismus und Restauration“, Frankfurt/M., Mai 1959.

[4] Juni 1961; vgl. Karl A. Otto, Vom Ostermarsch zur APO: Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960-1970, Frankfurt/M. 1977, S. 106f.

[5] SDS-Kongress „Vietnam – Analyse eines Exempels“, Frankfurt/M. 1966; Hauptredner war Herbert Marcuse.

[6] Kongress „Notstand der Demokratie“, 30. Oktober 1966. Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römer mit 20.000 Teilnehmern. Die Redner der Kundgebung waren Prof. Ernst Bloch, Tübingen, Hans Magnus Enzensberger, Prof. Helmut Ridder, Gießen, und das Vorstandsmitglied der IG Metall Georg Benz.

[7] Gemeint ist Heinrich Galm, Mitbegründer der KPO (1929), Vorsitzender des Sattler-, Tapezierer- und Portefeuilleverbands in Offenbach. Nach 1945 gründete Galm in Offenbach die „Arbeiterpartei. Sozialistische Einheitspartei“, schloss sich aber später der SPD an. Vgl. den Bericht von Robert Hofmann, in: Linke im Kalten Krieg, a.a.O., S. 300f.

[8] D.i. Joseph Lang, Leiter der Bund-Buchhandlung im Frankfurter Gewerkschaftshaus, Mitglied im Frankfurter SPD-Vorstand. Lang war während der Nazizeit in die USA emigriert, lebte danach für kurze Zeit in Palästina und kam von dort nach Frankfurt/M.

[9] Vgl. hierzu auch den Bericht von Eckart Spoo in seinem Nachruf auf Arno Klönne „Die Solidarität selbst“, in: junge Welt v. 8. Juni 2015.

[10] Das bestätigt Otto Köhler. Es ging um seinen – dann wieder rückgängig gemachten – Rauswurf aus dem SDS wegen Teilnahme an einem von der FDJ veranstalteten gesamtdeutschen Studententreffen auf der Wartburg.