Der Doppelmord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Eine Kriminalgeschichte des Verdrehens, Vertuschens und der Verantwortungslosigkeit

15.01.2019
von Klaus Gietinger

Am 16. Januar 1919 druckten fast alle Tageszeitungen Berlins, ja Deutschlands, inklusive des Vorwärts, die Lügenmärchen, die Hauptmann Waldemar Pabst, faktischer Kommandant der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) über seinen Propagandachef Fritz Grabowsky und das Wolff‘sche Telegrafenbüro hatte verbreiten lassen: Liebknecht im Tiergarten auf der Flucht erschossen, Rosa Luxemburg im Wagen vor dem Eden-Hotel von einer Menschenmenge umlagert, getötet, die Leiche entführt und spurlos verschwunden.

Die reine SPD-Regierung Ebert-Noske-Scheidemann-Landsberg-Wissel habe strengste Untersuchung angeordnet und das Kriegsgericht der GKSD damit betraut. Also die Kameraden der Mörder.

Proteste aller drei Arbeiterparteien, auch die der SPD-Basis, wurden ignoriert.

Es wäre nichts weiter passiert, hätte nicht Leo Jogiches, von der Roten Fahne, durch den Mord zum Parteichef der KPD geworden, selbst ermittelt und Zeugen im Eden-Hotel befragt. Jogiches kam mit seinen Recherchen der Wahrheit sehr nahe. Er benannte exakt die Mörder Liebknechts: Die Offiziere Pflugk-Hartung, Stiege, Liepmann, Ritgen und Jäger Friedrich. Als Luxemburgs Mörder benannte er Oberleutnant Kurt Vogel, den Transportführer. Auch der Jäger Runge wurde als Kolbenschläger beider Opfer identifiziert. Als dessen Anstifter Hauptmann Petri. Auch Pabst wurde von Jogiches zurecht als Drahtzieher öffentlich benannt. Nun war ein Prozess unabdingbar. Jogiches jedoch hatte damit sein Todesurteil unterschrieben. Er wurde im März 1919 verhaftet und vom Kriminalbeamten Tamschick, der auch zu Pabsts Division gehörte, in Moabit durch Genickschuss „auf der Flucht“ ermordet.

Im Mai 1919 saßen dann die Kameraden der Mörder über diese zu Gericht. Einer der Richter hieß Wilhelm Canaris, der spätere Abwehrchef Hitlers. Auf dem Schwarzmarkt handelte man die Eintrittskarten mit bis zu 1000 Mark. Unter dem Bild von Kaiser Wilhelm II. entwickelte sich ein Camouflage-Prozess, den die SPD-Regierung zu verantworten hatte. Wieder verhallten die Proteste ungehört. Es gehe alles mit rechten Dingen zu, logen die SPD-Oberen. Der untersuchende Kriegsgerichtsrat Jorns arbeitete mit Pabst zusammen und vertuschte alles. Die Mörder Liebknechts wurden freigesprochen, Vogel, der die Leiche Luxemburgs in den Landwehrkanal hatte werfen lassen, bekam wegen Wachvergehens 2 Jahre Gefängnis. Ähnlich lange sollte Runge wegen der Kolbenschläge einsitzen. Und zwar weil man nicht wusste, ob die Kolbenschläge oder der Schuss im Wagen, den man einem unbekannten Marineleutnant anlastete und nicht Vogel, Luxemburg getötet hatte. Ihre Leiche lag ja noch im Kanal.

Vogel bekam Angst, drohte Pabst mit Auspacken und wurde von Canaris, getarnt als Leutnant Lindemann, aus dem Gefängnis in Moabit abgeholt und nach Holland verfrachtet. Der geistig verwirrte Runge musste als einziger brummen, machte aber Aussagen gegenüber der Freiheit, die Pabst und die ganze Offizierskamarilla schwer belasteten. Das Auslieferungsverfahren gegen Vogel wurde vom Kriegsgericht der GKSD verzögert und die Regierung bestätigte erst die Freisprüche der Liebknechtmörder und Noske schließlich kurz vor der Auslieferung, gegen jeden juristischen Rat, das Urteil gegen Vogel. Der konnte in Holland bleiben und musste keine Aussagen über Hintermänner machen.

Erst 10 Jahre später, 1929, bekam Paul Levi, kurzzeitiger Gefährte Luxemburgs, als Rechtsanwalt die Gelegenheit, den Fall nochmals aufzurollen. Ein anonymer Autor hatte in der Zeitschrift Tagebuch Jorns der Unterstützung der Mörder damals geziehen. Jorns, inzwischen Reichsanwalt, klagte gegen das Tagebuch, Levi vertrat den Herausgeber Bornstein und hatte so Einsicht in die Akten der GKSD. Er belegte, dass Jorns den Angeklagten damals „Vorschub“ geleistet habe. Der Staatsanwalt sprach Jorns mehrfach, mit freudschem Versprecher, als „Angeklagten“ an. Bornstein wurde freigesprochen. Jorns der „Vorschubleistung“ überführt. Er glaubte noch im Gerichtssaal verhaftet zu werden, was nicht geschah. Jorns ging in Berufung. Auch ein zweiter Prozess sprach ihn nicht frei, erst ein dritter schaffte es in einem verlogenen Konstrukt, Jorns halbherzig zu entlasten. Bornstein bekam eine geringe Strafe. Levi hat die beiden Folge-Prozesse nicht mehr erlebt, er stürzte sich, durch den Tod seiner Geliebten traumatisiert, im Fieberwahn aus dem Fenster.

1945 wurde Runge von Kommunisten in Berlin festgesetzt und schließlich an den NKWD, den sowjetischen Geheimdienst ausgeliefert. Er starb beim Verhör.

Stiege, einer der Mörder, wurde in Hessen bei einem Entnazifizierungsverfahren des Mordes an Liebknecht bezichtigt, dies galt damals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Man ließ sich die gefälschten Akten der GKSD kommen und ließ Stiege laufen.

1959 besuchte Günter Nollau, Vizepräsident des Verfassungsschutzes (SPD) Pabst und wollte von ihm Material gegen Wilhelm Pieck, der 1919 auch mit den beiden Sozialistenführern verhaftet worden war. Pabst plauderte, bezichtigte Pieck des Verrates an Spartakus und nannte den, der Rosa Luxemburg erschossen hatte: Hermann Souchon. Nollau behielt letzteres für sich und zieh Pieck des Verrates. Eine Retourkusche für Ermittlungen der DDR betreffend die NS-Vergangenheit des damaligen Bundespräsidenten Lübke.

1962 kam es dann zum Spiegel-Interview, indem sich Pabst als Befehlsgeber der Morde outete, von Mord aber nichts wissen wollte. Schon kurz vorher hatte sein Freund Felix von Eckardt, Regierungssprecher (CDU) und Ex-Drehbuchautor von Nazifilmen, in einem Kommuniqué die Ermordung der beiden Spartakus-Führer als „standrechtliche Erschießung“ bezeichnet.

Strafanzeigen führten ins Nichts, genauso wie Haftbefehle der Staatsanwaltschaft der DDR.

1966 untersuchten Heinrich Hannover und seine Frau Elisabeth Hannover-Drück den Fall, konnten sich auf Unterlagen im Potsdamer Staatsarchiv stützen und legten vieles in einem epochemachenden Buch offen, kamen aber noch nicht an das Gros der Akten heran. Fast parallel gelang es Dieter Ertel, damals Dokumentarist beim Süddeutschen Rundfunk, Pabst in mehreren Gesprächen auszuhorchen. Hier nannte Pabst Souchon erneut als Todesschützen. Ein zweiteiliges Fernsehspiel über den Mord und den Camouflage-Prozess entstand.

Souchon klagte dagegen und bekam in zwei Gerichtsverfahren recht, da Pabst sich krank stellte, nicht aussagte und die Gerichte sich erneut auf Akten der GKSD stützten. Ertel musste in der Tagesschau widerrufen, dass Souchon der Mörder sei. Pabst starb ungestraft 1970, Souchon 1983.

Ich nahm 1989, nachdem das verbotene TV-Spiel erneut gesendet worden war, Kontakt mit Ertel auf. Gleichzeitig gelang es mir, den Nachlass Pabsts als erster im Militärarchiv in Freiburg einzusehen. Dort beteuerte er die Täterschaft Souchons und legte in seinen Memoiren bzw. in Kameraden-Briefen ganz klar die Spur zu Gustav Noske. Dies bestätigte mir der Anwalt Souchons: Pabst hatte ihm „unter uns“ versichert, vor dem Mord Noske angerufen zu haben und der habe die Tat gebilligt. Erst in diesem Sommer bezeugte mir ein angesehener Militärhistoriker und Oberstleutnant a. D. der Bundeswehr, dass Pabst ihm und ehemaligen Kadettenkameraden ähnliches erzählt hatte und dass er Pabst trotz seiner Arroganz und Egomanie für absolut glaubwürdig halte. Frau Nahles hat jedoch mittlerweile, nachdem sie im November 2018 davon gesprochen hatte, dass Noske „wahrscheinlich“ seine Finger im Spiel gehabt habe, wieder widerrufen. Verantwortung zu übernehmen ist halt ein sehr schweres Los.

Von Klaus Gietinger erschien zuletzt in Z 115 (September 2018) „Bekanntes und Unbekanntes aus der Novemberrevolution 1918/19“.