Berichte

Euro-Imperialismus – Wahn oder Wirklichkeit?

Euro-Imperialismus?, Marburg, 21.-22. Mai 2004

September 2004

Imperialismusanalysen, seit Anfang der 80er Jahre fast vollständig von der Bildfläche verschwunden, haben durch den „War On Terrorism“ zweifellos eine Renaissance erfahren. In den letzten Jahren sind nicht nur von marxistischer Seite zahlreiche Arbeiten vorgelegt worden, die sich mit dem Phänomen eines „neuen Imperialismus“ befassen. (z.B. von Panitch/Gindin, Hardt/Negri, Gowan, Harvey). Begriffe wie „Empire“ und „Imperialismus“ werden zunehmend auch von neokonservativer Seite verwendet und tauchen wie selbstverständlich in den Selbstbeschreibungen der amerikanischen Außenpolitik auf. Eine Tagung der Forschungsgruppe Europäische Gemeinschaften (FEG) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Marburg, die vom 21.-22. Mai 2004 in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und WISSENTransfer durchgefürt wurde, wollte nun der Frage nachgehen, ob bezogen auf die EU von einem „Euro-Imperialismus“ – so der Titel der Veranstaltung – gesprochen werden müsse.

Frank Deppe (Universität Marburg) plädierte in seiner Begrüßungsrede dafür, dass bei einer Verwendung des Imperialismusbegriffs im europäischen Zusammenhang geklärt werden müsse, ob es sich dabei um einen Subimperialismus innerhalb der amerikanischen Weltordnung, einen Transmissionsriemen des „Dollar-Wallstreet-Regimes“ (Gowan) handle oder ob die EU als Gegenhegemon, der ein eigenständiges imperialistisches Projekt verfolgt und die Dominanz der USA herausfordert, anzusehen sei. Als dritte Möglichkeit, wies Deppe auf Positionen hin, denen zufolge die EU als alternatives sozio-ökonomisches Modell auch auf internationaler Ebene eine progressive Rolle spielen könnte. Ein weiterer interessanter Punkt sei auch die Frage, welche Form von Staatlichkeit sich auf europäischer Ebene herausbilde.

Imperialistische Tendenzen in der EU?

Peter Gowan (London Metropolitan University) zeigte sich in einem Eröffnungsreferat hinsichtlich der Existenz eines Euro-Imperialismus skeptisch und stellte die Frage, ob es sich dabei nicht um eine Obsession handle. Die Krise der transatlantischen Beziehungen hängt für ihn mit dem Ende des Kalten Krieges, der das amerikanische Protektorat in Westeuropa beseitigt und ein politisches Vakuum hinterlassen habe, zusammen. Die USA und Westeuropa hätten durch den Zusammenbruch der Sowjetunion den gemeinsamen Feind und damit die gemeinsamen Werte verloren. Für die USA ginge es derzeit darum, ihre Führungsrolle gegenüber Westeuropa zu erhalten. Die amerikanische Ökonomie sei auf den Zufluss ausländischen Kapitals, das mittels des „Dollar-Wallstreet-Komplexes“ aus der ganzen Welt angesogen werde, besonders stark angewiesen und dränge deshalb auf die Etablierung einer globalen Souveränität des amerikanischen Staates. Weil die Weltmarkteinbindung der europäischen Ökonomie hauptsächlich auf Warenexport beruhe, sei die EU keine aggressive Militärmacht, die anderen Teilen der Welt die Zivilisation bringen wolle.

Für Otto Holman (University of Amsterdam) ist die EU – „ein ökonomischer Riese und ein politischer Zwerg“ – derzeit von einer gemeinsamen militärischen Außenpolitik oder einem neuen Imperialismus weit entfernt. Allerdings sei es möglich, die multi-gouvernance-Strukturen in der EU im Sinne der „Empire“-These von Hardt/Negri als neue Form der Souveränität zu beschreiben.

„Die transatlantischen Beziehungen – Konflikt und/oder Kooperation?“

Für Ingo Schmidt (Universität Göttingen) ist die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit seinen verbindlichen fiskalpolitischen Leitlinien Teil einer aggressiven neoliberalen Exportstrategie, die auf Unterbietung auf dem Weltmarkt setzt. Die USA folgen nach Schmidt hingegen eher einer „keynesianistischen“ gesamtwirtschaftlichen Orientierung, weil sie durch Verschuldung im Ausland eine internationale Nachfrage schaffen, die zumindest kurzfristig auch den exportorientierten Ländern, die unter einem strukturellen Nachfragedefizit leiden, zugute kommt. Dies wird den USA durch ihr Währungsmonopol ermöglicht. Den Irak-Krieg interpretierte Schmitt auch als Warnung an die erdölexportierenden Länder, deren Umstieg auf den Euro die Stellung des Dollars als Weltgeld gefährden könnte. In der derzeitigen Situation sei es aber noch unklar, was an die Stelle des Dollarmonopols trete: Währungsblöcke, eine Kooperation Dollar/Euro oder der Euro als Weltgeld. Letzteres sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber eher unwahrscheinlich, da die EU auf die Rolle als „consumer und lender of last ressort“ nicht vorbereitet sei.

Paul Schäfer (Wissenschaft und Frieden, Köln) wies in seinem Referat über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik darauf hin, dass den Europäern trotz großer Anstrengungen in diesem Bereich nach wie vor die Kapazitäten für autonome militärische Einsätze fehlen. Er stellte daraufhin die Frage, ob angesichts des Scheiterns der imperialistischen Aggressionen in Vietnam und Algerien und der gegenwärtigen Schwierigkeiten der USA im Irak ein militärisches Weltordnungsmodell überhaupt Erfolg verspreche. Eine Kopie des US-Modells durch die EU sei kontraproduktiv und illusorisch. Stattdessen setzten die Europäer heute schon eher auf strategische Partnerschaften und eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen.

Die „strukturellen Barrieren eines Euro-Imperialismus“ standen auch im Mittelpunkt der Ausführungen von Hans-Jürgen Bieling (Universität Marburg), der sich für eine hegemonietheoretische Revision des traditionellen Imperialismusbegriffs aussprach. Eine Bestimmung des Imperialismus als unvermittelte Übersetzung ökonomischer Krisenprozesse in eine militärische Konfrontationsstrategie oder als Eroberungsfeldzug konkurrierender staatsmonopolistischer Komplexe sei wenig hilfreich. Die EU betreibe keine völlig eigenständige Machtpolitik, sondern sei Juniorpartner in einem „ultraimperialistischen“ Machtblock, in dem zwischen den Partnern Machtasymmetrien bestehen. Zur Analyse der Machtverhältnisse in den internationalen Beziehungen griff Bieling auf den von Susan Strange geprägten Begriff der „strukturalen Macht“ zurück, der es erlaubt, neben den harten Faktoren, wie militärisches Gewaltpotential, auch weiche Machtfaktoren und strategische Ressourcen, sowie die gemeinsamen Interessen transnationaler Klassenfraktionen in den Blick zu bekommen.

Imperialismus und Peripherie

In seinem Referat zur EU-Osterweiterung lenkte Frank Deppe die Aufmerksamkeit auf eine mögliche innere Dimension des „Euro-Imperialismus“, die sich z.B. darin ausdrücken könnte, dass die osteuropäischen Staaten bei ihrem Beitritt den „Acquis communautaire“ ohne die Möglichkeit einer Modifikation in Verhandlungen übernehmen mussten. Für Otto Holman zielt die Art und Weise, in der die EU-Osterweiterung vollzogen wurde, auf die Herausbildung eines peripheren Fordismus.

Dieter Boris (Universität Marburg) und Ingo Malcher (Buenos Aires) merkten in ihrem Referat „Imperialismus in Lateinamerika – Der US-amerikanische Hinterhof?“ an, dass sich die zeitgemäße Form der Konkurrenz zwischen den USA und der EU in Lateinamerika vor allem im Werben für bestimmte ökonomische Kooperationsmodelle besteht. Während die USA mit der FTAA auf die Einrichtung einer kontinentalen amerikanischen Freihandelszone drängen, begleitet die EU vor allem das Mercosur-Projekt mit großem Interesse. Eine Differenz zwischen den beiden Modellen besteht hauptsächlich in einer stärkeren Rolle des politischen Dialogs und den Möglichkeiten zur technischen Kooperation im Falle des Mercosur.

Abschlussrunde: Die EU als positiver Referenzpunkt für die Linke?

Armando Fernandez Steinko (Universidad Complutense de Madrid) erklärte, dass Europa unter der Vorraussetzung, dass sich durch eine stärkere Einbindung Spaniens in eine europäische Ökonomie die Tendenz der Finanzialisierung der spanischen Ökonomie umkehren lasse, für die spanische Linke attraktiv sein könnte. Es bestehe die Hoffnung, dass eine gründliche strategische Partnerschaft, die den Transfer von know-how einschließt, den Wiederaufbau produktiver Industrien in Spanien ermögliche.

Joachim Bischoff (Zeitschrift Sozialismus, Hamburg) plädierte in seinem Beitrag dafür, die Marxsche Beschreibung der Kapitalakkumulation als eines widersprüchlichen und krisenhaften Prozesses ernst zu nehmen und wies darauf hin, dass die Versuche, die ökonomische Substanz der kapitalistischen Hauptländer zu erneuern, bislang misslungen seien. Die neoliberalen Projekte der ökonomischen und politischen Eliten, zu denen auch die EU zu rechnen sei, würden weder über eine tragfähige Perspektive verfügen, noch auf den Rückhalt der Bevölkerung rechnen können. Von einer Zunahme von Spannungen und Konflikten sei daher auszugehen.

Martin Beckmann (Universität Marburg) wollte sich angesichts der europaweiten Aushöhlung des Sozialstaats nicht positiv auf die EU als politischen Akteur beziehen, sondern zog es vor, vom „europäischen Terrain“ als einer Handlungsebene für die europäische Linke zu sprechen. Allerdings warnte er davor, die Möglichkeiten für eine progressive europäische Sozialpolitik zu überschätzen. Als wichtiges Hindernis für die Formulierung linker Alternativen benannte er die Erwerbsarbeitszentrierung des „Euro-Keynesianismus“.

Eindeutig positiv wurde die Frage nach der EU als Referenzpunkt für die Linke von Peter Gowan beantwortet, der die Herausbildung einer hochmilitarisierten neutralen EU dann als eine progressive Alternative im Sinne einer globalen Friedensmacht ansieht, wenn sie mit den transatlantischen Nato-Strukturen bricht.