Kapitalismusanalysen

Die Probleme der Marxisten mit dem Geld und die begriffslosen Anleihen der Keynesianer bei Schumpeter

Zur Debatte um Geld und Zentralbanken in „prokla" und „Z"

von Stephan Krüger
Dezember 2015

Die Werttheorie von Marx war seit jeher Gegenstand der Kritik sowohl von Marxisten als auch Marxismus-Gegnern. Die Formbestimmungen des Geldes wurden lange Zeit unter den Topoi der Problematisierung des Werts als Realabstraktion und der Wertformanalyse debattiert; mit dem in den Fokus rückenden Finanzmarktkapitalismus und der Geldpolitik der Zentralbanken zur Krisenbewältigung gewann auch die Beschäftigung mit den Formen des zinstragenden Kapitals und seiner Ausgestaltung im Kredit- und Bankensystem sowie im Börsenwesen an Bedeutung und schloss an die Thesen der 1920er Jahre vom Finanzkapital an. Vor dem Hintergrund des bestehenden entwickelten kapitalistischen Geld- und Kreditsystems sind daher auch geldtheoretische Fragen neu zu thematisieren.[1]

1. Die ‚monetäre Werttheorie‘ als Ursache für das Unverständnis des Geldes

Die Beobachtung des Siegeszuges goldinkonvertiblen Geldes nach der gänzlichen Aufhebung formell-gesetzlicher Konvertibilitätsvorschriften nicht nur im Binnen-, sondern auch im internationalen Verkehr seit Anfang der 1970er Jahre kontrastiert prima facie mit einem tragenden Grundpfeiler der Marxschen Wert- und Geldbestimmung: der notwendigen gegenständlichen Ausdrucksweise des Warenwerts im Gebrauchswert einer anderen Ware, d.h. schließlich des zur Geldware aus der Warenwelt ausgeschlossenen Goldes. Die fundamentale Bestimmung des Geldes als Maß der Werte setzt danach systematisch den Warencharakter und Selbstwert der Geldware als Basis der Äquivalenzbeziehung voraus; denn Wert kann nur ausgedrückt und gemessen werden durch eine Geldware mit Selbstwert – auch wenn das Geld in der Funktion als Wertmaß (und Maßstab der Preise) nur als vorgestelltes oder Rechengeld fungiert.

Wenn in der heutigen Wirklichkeit diese Wertmaßfunktion des Geldes nicht (mehr) durch eine Ware mit Selbstwert ausgeübt wird, ergeben sich grundsätzlich zwei verschiedene Herangehensweisen zur Analyse und Erklärung dieses Umstandes: entweder wird eine zu Marx alternative Fassung der Wertform entwickelt, welche die Gegenständlichkeit des Wertausdrucks – grundsätzlich oder zumindest für heutige Verhältnisse – für obsolet erklärt, ohne (intentional) den Wertbegriff selbst über Bord zu werfen, oder es werden die Vermittlungsglieder aufgezeigt, die von der – systematisch und historisch – ursprünglichen Bestimmung der Wertmaßfunktion durch eine Geldware mit Selbstwert zum modernen Geld als de jure sowohl in der Binnenwirtschaft als auch im Außenwert goldinkonvertiblem Repräsentativgeld führen. Die Vertreter der sog. ‚monetären Werttheorie‘ wählen den ersten Weg und rekurrieren dabei regelmäßig auf eine Analogie, die Marx zur Verdeutlichung der allgemeinen Wert- und Geldform in der I. Auflage des I. Bandes des ‚Kapital‘ angeführt hatte: „Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern. Hasen und allen andern wirklichen Tieren, die gruppiert die verschiednen Geschlechter, Arten, Unterarten, Familien u.s.w. des Thierreichs bilden, auch noch das Thier existirte, die indivdiuelle Incarnation des ganzen Thierreichs.“ (MEGA II.5: 37; Hervorh. / S.K.) Diese Analogie aus der Tierwelt muss dann für die Begründung eines ökonomischen Zusammenhangs herhalten: „Erst mit Geld können die Waren unabhängig von ihrem Gebrauchswert ihren Wertcharakter geltend machen (so weit, so gut / S.K.) und vor sich hertragen. Damit (!) ergibt sich ein gesellschaftlicher Zusammenhang zwischen abstrakter Arbeit und Geld.“ (Stützle 2015: 178) Lassen wir die unpräzise Formulierung bezüglich des ‚gesellschaftlichen Zusammenhangs zwischen abstrakter Arbeit und Geld‘ beiseite, so wird dennoch klar: Stützle hat mit dem Verweis auf das Tier als abstrakt Allgemeines neben den besonderen Tieren das Geld als etwas bestimmt, welches keine Gegenständlichkeit mehr besitzen muss, also nicht mehr dem Umkreis der Warenwelt angehört, sondern auch von außen, d.h. durch den Staat bzw. die Zentralbank gesetzt werden kann. Es muss jetzt nur noch von den Akteuren an den Märkten als Geld anerkannt werden, wobei die Akzeptanz dieses Geldes durch den Staat bei der Steuerzahlung der Wirtschaftssubjekte eine wichtige Rolle spielt.[2]

2. Geldschöpfung der Zentralbank (Zentralbankgeld) und Kreditschöpfung der Geschäftsbanken (Bankdepositen)

Von Keynesianern wird unter Rückgriff auf Schumpeter bestritten, dass unter Bedingungen eines modernen Geldwesens mit inkonvertiblem Repräsentativgeld (fiat money) die von Marx herausgestellten Beziehungen zwischen Waren- und Geldzirkulation, dass nämlich Warenzirkulation und Kapitalumschlag die bestimmende Basis der Geldzirkulation sind, noch Gültigkeit beanspruchen können.[3] Vielmehr sei kennzeichnend für eine moderne Geld­­wirtschaft mit entwickeltem Kreditsystem, dass das Bankensystem anstoßgebend für die Kapitalakkumulation wird. Damit werden die Kausalbeziehungen zwischen ökonomischen Variablen im Hinblick auf die Wertschöpfung (Einkommensentstehung) umgekehrt; zugleich wird diese Umkehrung als das Spezifikum der Keynesschen Theorie gegenüber klassisch-neoklassischen Ansätzen herausgestellt – wobei Marx unter die letzeren subsumiert wird; wir kommen hierauf zurück.

Es ist in dieser Perspektive konsequent, wenn Produktion nur noch als stofflicher Vorgang der Herstellung von Gebrauchswerten aufgefasst wird; diese Gebrauchswerte erhalten ihren Preis erst aufgrund von Konstellationen innerhalb der Finanzsphäre, d.h. dem Verhältnis zwischen Geldvermögensbesitzer (‚Investor‘) und Unternehmer (‚Vikar‘) sowie dem dazwischen geschalteten Bank- und Kreditsystem.[4] Letzteres generiert durch seine Geldschöpfung die Mittel, die die Investoren den Unternehmern vorschießen, um Güterproduktion in Gang zu setzen. Damit sind wir bei Schumpeter: „Woher kommen die Summen, die zum Ankauf der für die neuen Kombinationen nötigen Produktionsmittel gebraucht werden, wenn sie das betreffende Wirtschaftssubjekt nicht – grundsätzlich – zufällig schon hat? Die konventionelle Antwort darauf ist einfach: aus dem jährlichen Zuwachs des volkswirtschaftlichen Sparfonds plus den jährlich freiwerdenden Teilen desselben. (…) (Die) andere Art der Geldbeschaffung ist die Geldschaffung durch die Banken. Gleichgültig, welche Form sie annimmt, ob das durch Einzahlung entstandene Kassaführungsguthaben dem Kunden wie Bargeld dient, während doch ein Teil des eingezahlten Betrages zur Grundlage einer weiteren Gutschrift an jemand anderen wird, der dieses Guthaben ebenfalls verwendet wie Bargeld, oder ob Noten emittiert werden, die nicht voll gedeckt sich durch Münzsorten, die gleichzeitig aus der Zirkulation treten, oder ob Bankakzepte kreiert werden, die im Großverkehr Zahlungen erledigen können wie Geld: immer handelt es sich nicht um Transformation von Kaufkraft, die bei irgendwem schon vorher existiert hätte, sondern um die Schaffung neuer aus dem Nichts – auch dann aus Nichts, wenn der Kreditvertrag, zu dessen Erfüllung die neue Kaufkraft geschaffen wird, sich auf irgendwelche reale Sicherheiten, die nicht selbst Zirkulationsmittel sind, stützt –, die zur Zirkulation, die es vorher gab, hinzutritt. Und das ist die Quelle, aus der die Durchsetzung neuer Kombinationen typisch finanziert wird …“ (Schumpeter 1934/1964: 107ff.)

Die Vorstellung ist also eigentlich ganz simpel. Engpass der kapitalistischen Produktion ist die Größe des Geldkapitalvorschusses, der auf der Grundlage eines inkonvertiblen Geldes mit einem Banksystem, welches dieses Geld aus dem Nichts schaffen kann, beseitigt werden kann. Bei Schumpeter überlistet diese Geldschöpfung aus dem Nichts, wenn sie auf innovationsfähige und risikobereite Unternehmer in entsprechender Zahl trifft, die inneren Gegensätze der kapitalistischen Akkumulation in der aufsteigenden Phase eines Kondratieff-Zyklus, die eine ganze Reihe von sog. Juglar-Zyklen, d.h. ‚klassische‘ industrielle Zyklen umfasst. Erst die Erschöpfung der innovativen Kombinationen/Produkte und das vermehrte Auftreten von Imitatoren bedingen dann den oberen Wendepunkt einer ‚Langen Welle‘.

In erster Näherung ist mit Bezug auf diese Geldschöpfung aus dem Nichts durch das Bankensystem aber zu unterscheiden zwischen Zentralbankgeldschöpfung und Kreditschöpfung durch die Geschäftsbanken. Dies hatte Keynes in seiner ‚Treatise on Money‘ klar herausgestellt. Die Höhe der Reserve der Geschäftsbanken in Abhängigkeit von den gegebenen Zahlungsusancen, d.h. der Barabhebungsquote ihrer Kunden sowie vom Umfang der Geschäfte der Bank, d.h. der Höhe ihrer Depositen setzt die Grenze für ihr Kreditangebot, auf welches die Zentralbank einen bestimmenden Einfluss ausübt. Eine Vermehrung der Depositen in gesamtwirtschaftlicher Dimension, d.h. eine sog. endogene Steigerung der Geldmenge und in diesem Sinne eine Geldschöpfung durch das Geschäftsbankensystem ist nur unter extremen Modellvoraussetzungen entwickelbar: „Wenn wir von einem geschlossenem Banksystem ausgehen, das keine Beziehungen zum Ausland unterhält, und in einem Land betrieben wird, in dem alle Zahlungen mittels Schecks beglichen werden und Bargeld unbekannt ist, und wenn wir weiter annehmen, daß die Banken es unter diesen Umständen für unnötig halten, Barreserven zu halten, vielmehr jede zwischenbankliche Verschuldung durch Übertragung anderer Aktivposten regeln, so ist klar, daß der Betrag an Bankgeld, den die Banken bei Beachtung solider Bankgrundsätze schaffen können, unbegrenzt ist, vorausgesetzt, daß sie sich im Gleichschritt vorwärts bewegen. Die gesperrt gedruckten Worte enthalten den Schlüssel für das Funktionieren des Systems.“ (Keynes 1930: 20f.)[5] Abgesehen von den restriktiven Voraussetzungen, ist diese Bewegung im Gleichschritt eine sich selbst aufhebende Voraussetzung, denn es ist klar, „daß nicht für die einzelnen Banken ein Zwang besteht, sich im Gleichschritt vorwärts zu bewegen, sondern auch die Gesamtheit der Banken in dieser Bewegung gehemmt ist.“ (Ib.: 23) Conclusio: „Somit bestimmt die Gesamtmenge der vorhandenen Reserven das ‚Tempo‘, in dem sich das Banksystem als Ganzes bewegt. (…) Nehmen wir an, die Zentralbank sei … die Stelle, der das Notenausgaberecht zusteht, dann werden die gesamten Reservemittel der Mitgliedsbanken unter der Kontrolle der Zentralbank stehen, vorausgesetzt, diese besitzt die Kontrolle über ihre gesamte Notenausgabe und ihre Depositen. In diesem Falle ist die Zentralbank der Dirigent des Orchesters und gibt den Takt an.“ (Ib.) Die ‚Endogenität der Geldmenge‘ als Ergebnis einer zusätzlichen Geldschöpfungsaktivität des Geschäftsbankensystems ist also, wenn überhaupt, nur eine modifizierende Rückwirkung, zeitlich begrenzt und quantitativ nachgeordnet gegenüber der Zentralbank-Geldschöpfung.

Es ist also falsch, Zentralbank und Geschäftsbanken gleichermaßen eine Geldschöpfung und damit einen überragenden Einfluss auf die Geldmenge zu vindizieren. Die Geschäftsbanken hängen an der Leine der Zentralbank (sowie der Kreditnachfrage der ‚Nichtbanken‘); aber auch die Zentralbank ist nur ein Dirigent unter Bedingungen, die die Märkte setzen, ausgedrückt durch die marktbestimmten Daten der Schöpfung und Vernichtung der Wertzeichenzirkulation in Abhängigkeit von Zahlungsbilanz und Wechselkurs sowie der Marktzinssätze, an denen sich die Geldpolitik zu orientieren hat. Erst wenn ggf. unerwünschte Geldmengenentwicklungen der Wertzeichenzirkulation durch gegengerichtete Geldmengenentwicklungen der Kreditgeldzirkulation kompensiert sind (Sterilisationspolitik), erschließt sich ein aktiver Steuerungseinfluss der Zentralbank-Geldpolitik für die Geldmenge sowie das Kreditangebot der Geschäftsbanken.[6] Insgesamt gilt also: es sind die Marktverhältnisse, d.h. die der Geldzirkulation durch die Akkumulation des produktiven, Geld- und fiktiven Kapitals erteilten Bedingungen nach Umfang der Geldmenge und ihrer Umlaufsgeschwindigkeit, in die die Geschäftsbanken mit ihrer Kreditvergabe einbezogen sind, auf die die Zentralbank mit dem Instrumentarium ihrer Geldpolitik steuernd einzuwirken versucht. Es geht dabei sowohl um Zinsbeeinflussung (am Geldmarkt) wie um Mengenkontingentierung bzw. Sterilisationsmaßnahmen.[7]

Die Geschäftsbanken fungieren als Vermittler des Zahlungsverkehrs der Marktakteure; auf Basis ihrer Geldhandelsfunktionen betreiben sie die Sammlung alles augenblicklich unbeschäftigten Geldes durch Angebot zinstragender Anlagen und bewerkstelligen die Funktionen des Bankkredits (Betriebsmittel-, Investitionskredit, öffentlicher Kredit, privater Konsumkredit). So sehr nun die Geschäftsbanken als Geschäftsziel die Verlängerung ihrer Bilanz durch Kreditvergabe betreiben mögen, sie bleiben abhängig sowohl von der Nachfrage des Publikums sowie vom Depositenrückfluss durch gutgeschriebene Überweisungen etc. ihrer Kunden. Als Saldo verbleibt die Kassenreserve, die hinreichend sein muss, unter ‚normalen Bedingungen‘ die jederzeitige Barauszahlungsnachfrage des Publikums zu gewährleisten. Nur wenn die Zentralbank zuschüssige Refinanzierungen anbietet, ist die Kreditvergabekapazität der Banken zu erhöhen, vorausgesetzt es besteht eine bonitätsadäquate Nachfrage. Die Geschäftsbanken betreiben somit Kreditschöpfung unter Bedingungen der Zentralbankrefinanzierung sowie der Nachfrage der Nichtbanken, d.h. des Marktes. Diese Kreditvergabe oder -schöpfung erscheint nur dann als Geldschöpfung, wenn man den Standpunkt des Banksystems und der Verwertung des Bankkapitals einnimmt; deshalb sprach Marx bei der Behandlung des Bankkapitals übrigens von ‚fiktivem Geldkapital‘ (vgl. MEW 25: 488f.) und meinte damit nicht wie sonst Wertpapiere (Effekten) als Anlageformen des Leihkapitals in Geldform, d.h. (eigentliches) fiktives Kapital, sondern Depositen des Publikums als Bestandteile des durch Kreditschöpfung konstituierten Bankkapitals, die Geldfunktionen übernehmen und dadurch den Bargeldumlauf ökonomisieren.[8]

3. Wertschöpfung durch produktive Arbeit und Zentralbank-Geldpolitik

Die Waren treten als preisbestimmte Waren in die Zirkulation; dies gilt sowohl in jedem einzelnen Fall als auch für die Gesamtwirtschaft. In der Zirkulation erhält also nicht der ‚Warenbrei‘ (Marx) allererst seinen Preis, sondern der Angebotspreis der Waren, bestimmt durch ihre Produktionskosten bzw. Kostpreis plus Profitaufschlag, der die Bedingungen der Wertschöpfung im Produktionsprozess ausdrückt, erhält seine nachfrageseitige Bestätigung, die ein quantitatives Mehr oder Minder sein kann. Eingeschlossen in die nachfrageseitigen Einflussfaktoren des Warenpreises sind zugleich genuin monetäre Einflüsse, die aus der Geldmenge herstammen.[9]

Schumpeters zusätzliche Kaufkraft aus dem Nichts ist im Monetärkeynesianismus im Anschluss an Hahn (vgl. Hahn 1930) im Kreditangebotsprozess über die Verschuldung der Geschäftsbanken bei der Zentralbank sowie über Kredite der Banken an Unternehmen lokalisiert worden. Das Aktivgeschäft der Banken dominiert dabei das Passivgeschäft, da sich erst als Reflex einer Kreditexpansion Depositen bei den Banken erhöhen. Es ergibt sich ein ‚Kredit – Investitions – Einkommens – Mechanismus‘, der „Güter aus dem Nichts heraus(zieht), in dem sie ohne Kreditvermehrung unproduktiv verbleiben wären.“ (Hahn 1930: 125)[10]

Die Umkehrung von ökonomischen Funktionszusammenhängen ist aus der Konjunkturtheorie bekannt, wenn in einem kumulativen Expansionsprozess der Kapitalakkumulation sich das Verhältnis von Ersparnis und Investitionen, Profiten und Investitionen und schließlich von Revenueausgaben und Investitionen (Witwenkrug-Theorem) umkehrt (vgl. Krüger 2010: 348f.). Diese einen kumulativen Aufschwung beschreibenden Kreislaufeffekte sind vorliegend um eine unterstellte Kreditangebotsexpansion durch die Geschäftsbanken erweitert worden, die allerdings einer Tolerierung durch eine expansive Zentralbank-Geldpolitik bedarf. Was vorliegend aber wichtiger ist: die Umkehrung der ökonomischen Funktionszusammenhänge zwischen Ersparnis, Profiten, Revenueausgaben und Investitionen beschreibt genuin zyklische Phänomene. Dies bedeutet: der Prozess der Kapitalakkumulation muss sich erstens bereits in einem zyklischen Aufschwung befinden, d.h. auf allgemeine Expansion umgestellt worden sein – nur dann kommen die die einkommensinduzierten Erweiterungsinvestitionen beschreibenden Multiplikatoreffekte zum Zuge. Die Umkehrung von Ersparnis, Profiten, Revenueausgaben und Investitionen kommt zweitens immanent-endogen zum Ende, wenn die zyklische Krise hereinbricht. Dann macht sich nämlich wieder die Abhängigkeit der Investitionen bzw. des laufenden Geschäfts von (realisierten) Profiten und (konsumtiver) Nachfrage geltend.

Die Verkehrung nur zeitweilig möglicher ökonomischer Funktionszusammenhänge zum allgemeinen Fall verabsolutiert also genuin zyklische Phänomene – zumal Phänomene eines industriellen Zyklus unter Bedingungen einer langfristig beschleunigten Kapitalakkumulation (Prosperitätszyklus) – unzulässig auch für überzyklisch-langfristige Entwicklungen. Langfristige Entwicklungstendenzen der Kapitalakkumulation sind aber aus der Verschiebung der innerhalb der Konjunkturzyklen erst hergestellten Wertverhältnisse zu erklären. Die Nicht-Neutralität des Geldes für die Kapitalakkumulation im Sinne der Steigerung der Wertschöpfung durch Kredit und Zentralbank-Geldschöpfung ist daher auf die zyklische Dimension beschränkt; nur das jeweils zyklisch erzeugte (theoretische) Delta an Wertschöpfung durch eine expansive Zentralbankpolitik generiert auch für die lange überzyklische Entwicklung der Kapitalakkumulation eine Steigerung der Wertschöpfung – vorausgesetzt, die Entwertungen und Wachstumsverluste von Krise und Abschwung, die wiederum durch eine zu restriktive Geldpolitik verstärkt werden können, wirken nicht nachträglich konterkarierend und kompensierend.

Die fundamentalen Zusammenhänge zwischen Produktion und Wertschöpfung monieren die Vertreter der ‚monetären Werttheorie‘ als ‚prämonetäre‘ Werttheorie und setzen an die Stelle der materiellen, wertbestimmenden Grundlagen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses mit der Geldschöpfung durch den Finanzsektor einen gänzlich anderen Bezugspunkt und Wertschöpfungsfaktor. Dementsprechend kennen sie auch keine Wertbestimmung mehr, sondern lösen dieselbe in Preise auf. Das Bedingungsverhältnis zwischen Wert und Preis, dass nämlich rückwirkend als wertbildend nur diejenige Arbeit zählt, die im Preis anerkannt wird, bedeutet dann für sie, dass der Wert erst im Austauschprozess hergestellt wird. Mit dieser Ineinssetzung von Wert und Preis bzw. der Auflösung der Wertbestimmung in Preise ist ein Regulationszusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit als quantitativ bestimmter Größe (in Std.), dem Wert des gesellschaftlichen Gesamtprodukts als Wertpreis, den Produktionspreisen der Sphärenprodukte sowie den zyklisch schwankenden Marktpreisen der einzelnen Waren nicht mehr anzugeben. Es gibt nur noch Preise, daher auch die Verabsolutierung des Kredits bzw. der Geldschöpfungsprozesse (von Zentralbank sowie Geschäftsbanken). Dies ist nach dem Marxschen Diktum Vulgärökonomie (vgl. MEW 23: 93 Fn 32).

4. Geldpolitik des Quantitative Easing und Zentralbank als Lender of last Resort

Die Notwendigkeit der Analyse der Geldpolitik der Zentralbank von der Marktseite aus scheint ihrer Funktion als Lender of last Resort zu widersprechen, wird ihr doch mit dieser Bestimmung die Fähigkeit zugewiesen, durch Bereitstellung von Zentralbankgeld Liquidität für das Bankensystem, notfalls unbegrenzt, bereitzustellen. Tatsächlich würde eine derartige Fähigkeit der Zentralbank eine qualitative Veränderung der Produktionsweise implizieren, die dann entweder keine kapitalistische mehr wäre oder als solche letztlich über die internen Mittel verfügt, jedwede Krise durch Geldschöpfung zu lösen. Damit ist die historische Relativität der kapitalistischen Produktionsweise nicht mehr immanent ökonomisch begründbar.

Eine auf maximale Geldschöpfung angelegte Geldpolitik der Zentralbank schlägt im Prosperitätszyklus ab eines gewissen Ausmaßes in inflationäre Preissteigerungen um – wenn nämlich die die zyklische Wertschöpfung forcierenden Spielräume der Nicht-Neutralität des Geldes ausgeschöpft und zyklische Kapazitätsgrenzen des fixen Kapitals erreicht sind. Im Überakkumulationszyklus stößt eine solche Geldpolitik auf verwertungsbestimmte Grenzen der Kreditnachfrage von Unternehmen (sowie Einkommensgrenzen der Privathaushalte) und wird an die Finanzmärkte umgeleitet, wo sie Vermögenspreisblasen finanziert und teilweise induziert. Genau dies hat sowohl im Konjunkturaufschwung um die Jahrtausendwende als auch vor Ausbruch der Finanzmarktkrise 2007/08 stattgefunden und baut sich auch gegenwärtig wieder auf. Eine derartige ‚asset-based wealth driven accumulation‘, d.h. eine rückwirkende Beschleunigung der produktiven Kapitalakkumulation durch geldpolitisch unterstützte oder gar induzierte Vermögenspreissteigerungen, welche die gesamtwirtschaftliche Nachfrage befördern, ist ein wirtschaftspolitischer Versuch, die Überakkumulationskrise des Kapitalismus durch ein Mehr an Kapitalismus zu lösen. Sie ist dann von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn die vermögenspreisinduzierte produktive Kapitalakkumulation durch private Konsumkredite die Verwertungsblockaden der strukturellen Überakkumulation nicht aufzulösen vermag.[11]

Der eigentliche Lackmustest für die Funktion der Zentralbank als Lender of last Resort entspringt aber nicht aus ihrer Beihilfe für eine vermögenspreisgetriebene Kapitalakkumulation, sondern aus ihrer zum Quantitative Easing fortentwickelten Geldpolitik zur Stützung eines von Bankenzusammenbrüchen, Börsencrashs und Staatsfalliten bedrohten Finanzsystems. Die Politik des Quantitative Easing ist fokussiert auf die Erhöhung der Bankenliquidität sowie der Zentralbankgeldmenge insgesamt durch Käufe von Staatsschuldpapieren am Sekundärmarkt der Wertpapierbörse als finale Ausbaustufe[12] der ultralockeren Geldpolitik; bereits zuvor hatte bspw. die Europäische Zentralbank für die Euro-Zone ihre Refinanzierungspolitik gegenüber den Geschäftsbanken durch Niedrigstzinsen, Erweiterung des Umkreises der beleihungsfähigen Papiere, Vollzuteilung der Mengentender sowie Programme zur Verlängerung des Refinanzierungszeitraums für die Geschäftsbanken gelockert.[13] Durch Ankaufsprogramme von Staatsschuldtiteln über einen längeren Zeitraum in einem vorher bekannt gegebenem Umfang wird nicht nur Zeit für die Banken ‚gekauft‘, in der sie ihre toxischen Portfolios wertberichtigen bzw. ihre Solvenz durch Rekapitalisierung verbessern sollen, sondern zugleich soll bei niedrigen Basiszinsen sowohl am Geld- wie am Kapitalmarkt ihr Kreditvergabepotential durch Zufluss von Zentralbankgeld erhöht werden, um produktive Investitionen zu stimulieren und der überakkumulationstypischen Deflationstendenz an den Warenmärkten entgegenzuwirken. In der Euro-Zone wird die diesen Leitlinien folgende EZB-Politik aber konterkariert durch eine gleichzeitige Austeritätspolitik der öffentlichen Haushalte, erzwungen durch die Schuldenbremsen der Fiskalunion. In den USA kommt diese Politik des Federal Reserve Systems tatsächlich stärker bei der produktiven Kapitalakkumulation an, weil die Fiskalpolitik einem weniger restriktiven Kurs folgt. In beiden Fällen erhöht aber diese Geldpolitik des Quantitative Easing die in der Spekulationskasse gebundene Liquidität, die als individuelle Absicherung der einzelnen Marktakteure sowie als monetäres Schmiermittel zugleich die Kurse des fiktiven Kapitals sowie sonstige Vermögenspreise treibt. Damit droht eine erneute Preisblase, ohne dass die Akteure am Finanzamt heutzutage wirklich besser aufgestellt wären als 2006/07; zwar wurde die vorgeschriebene Eigenkapitalquote für Banken heraufgesetzt, weitergehende Regulationen und Eingriffe gegenüber den sog. Finanzinnovationen bei Produkten und Geschäftsmodellen sind jedoch ausgeblieben.[14]

Nicht nur volkswirtschaftliche Sektoren mit Konsumtionsstatus wie öffentliche und private Haushalte, sondern auch die wertschöpfenden Einheiten (Einzelkapitale) des Privatsektors können eine durch die Geldpolitik der Zentralbank alimentierte Verschuldung nicht ad infinitum fortführen, zumal wenn überakkumulationstypische Verwertungsblockaden die Steigerung der Wertschöpfung hemmen. Der Zwang zum Schuldenabbau (‚De-Leveraging‘) trifft alle Wirtschaftsbereiche früher oder später mit der Konsequenz von Nachfrage- und Kreditrestriktionen und dadurch erzeugten Deflationstendenzen (an den Warenmärkten). Damit steht der Zentralbank die schlechteste aller Welten gegenüber: verlangsamte produktive Kapitalakkumulation mit latenter oder manifester Deflationsgefahr an den Warenmärkten und zugleich eine Inflation der Kurse an den Wertpapierbörsen sowie anderer Vermögensgegenstände mit steigender Unsicherheit, volatilen Kurs- und Preisbewegungen und einem mit jedem Tag näher kom­menden Zeitpunkt des allfälligen Platzens dieser Vermögenspreisblasen. Wie die Geldpolitik auch reagiert, sie befindet sich in einem Dilemma: betreibt sie den Ausstieg aus dem Quantitative Easing, um die Spekulation an den Finanzmärkten nicht weiter anzuheizen und den Vermögenspreisen eine sanfte Landung zu ermöglichen, verschärft sie die Probleme der produktiven Kapitalakkumulation und riskiert ggf. eine Preisdeflation an den Warenmärkten, die in aller Regel nicht kurzfristig wieder aufgelöst werden kann. Setzt sie die ultralockere Geldpolitik fort, um die Sanierung der Bilanzen der Geschäftsbanken zu unterstützen und eine Kreditdeflation im Zuge der Entschuldungsmaßnahmen zu verhindern, befördert sie die Inflation der Vermögenspreise weiter und damit den allfälligen Krach. Die Chance, dass die produktive Kapitalakkumulation gewissermaßen in das steigende Vermögenspreisniveau ‚hineinwächst‘, bricht sich an der kapitalistischen Systemgrenze, die eine für diesen Entwicklungspfad notwendige Entkoppelung der Investitionen von ihrer Profitbestimmtheit ausschließt.

Die Geldpolitik des Quantitative Easing bleibt unter Bedingungen einer strukturellen Überakkumulation von Kapital also ohne nachhaltige Perspektive und dem Krisenmodus verhaftet; sie ‚kauft‘ nur Zeit, ohne die unterliegenden fundamentalen Widersprüche und Probleme der Kapitalakkumulation und Wertschöpfung zu lösen. Der jeweilige Grad der Betroffenheit der verschiedenen Länder (und Regionen) von dieser Konstellation muss sich in dem resp. Außenwert ihrer Währungen, d.h. der Verschiebung ihrer bilateralen Wechselkurse gegeneinander bzw. auch in dem Außenwert ihrer Währungen gegenüber der Geldware Gold als Verkörperung des gemeinsamen Dritten Ausdruck verschaffen.

Marx hat in diesem Zusammenhang bemerkt, dass „nie vergessen werden (muß), daß … das Geld – in der Form der edlen Metalle – die Unterlage bleibt, wovon das Kreditwesen der Natur der Sache nach nie loskommen kann.“ (MEW 25: 620; Hervorh. S. K.) Oder auch: „Das Banksystem zeigt … durch die Substitution verschiedner Formen von zirkulierendem Kredit an Stelle des Geldes, daß das Geld in der Tat nichts andres ist als ein besondrer Ausdruck des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit und ihrer Produkte, der aber als im Gegensatz zu der Basis der Privatproduktion stets in letzter Instanz als ein Ding, als besondre Ware neben andren Waren sich darstellen muß.“ (Ib.: 621; Hervorh. S.K.) Es lässt sich vor diesem Hintergrund ein kaskadenförmiger Umschlag des von Marx so genannten Umschlags des Kredit- in das Monetarsystem auffächern. Historisch hat es nicht nur bis auf den heutigen Tag Zusammenbrüche und Teilzusammenbrüche von nationalen Banksystemen gegeben, sondern ebensosehr Zusammenbrüche nationaler Geldsysteme; letztere konnten oftmals aufgefangen werden durch die Substitution alternativer Währungen (zumeist US-Dollar) mit anschließender nationaler Währungsreform. In der Finanzmarktkrise 2007/08 konnte die Zerstörung einer international bedeutenden Reserve- und Transaktionswährung verhindert werden, weil trotz massiver Solvenzprobleme auch von systemisch bedeutenden Bankinstituten das politische Garantieversprechen plus die Zentralbankintervention den Umschlag des Kreditsystems in das Monetarsystem vermeiden konnten. Eine Verabsolutierung der Funktion der Zentralbank als Lender of last Resort würde aber implizieren, dass ein derartiger Umschlag generell nicht (mehr) stattfinden kann.

Der Zweifel daran führt uns zu theoretischen Fundamentalbestimmungen zurück. Ein Zusammenbruch der Zentralbankfunktion des Lender of last Resort kann in letzter Instanz und im worst case, wenn nicht eine andere, ausländische Zentralbank einspringen kann, auf die Einforderung der ursprünglichen Denominationsbasis von Repräsentativgeld hinauslaufen, d.h. die Rückbindung des von mir so genannten ‚losen Endes‘ des Denominationsprozesses an die Geldware Gold.[15] Dies wäre, wenn es in einer größeren Weltregion stattfände, ein Zivilisationsbruch für die betroffenen Menschen, d.h. der Umschlag des Kapitalismus in Barbarei. Die Emanzipation der Gesellschaft vom Gold als ‚barbarischem Relikt‘ (Keynes) setzt die Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse voraus, international durch Fortentwicklung des Internationalen Währungsfonds zu einer Welt-Zentralbank mit Emission eines internationalen Geldes, national durch Überwindung der kapitalistischen Systemgrenzen zunächst in Form einer sozialistischen Marktwirtschaft. Diese zeichnet sich u.a. durch die Relativierung des Einflusses der Profitrate sowohl für die Akkumulation der einzelnen Unternehmen als auch die Steuerung der ganzen Volkswirtschaft im Rahmen einer sozialistischen ‚Corporate Governance‘ sowie der Überwindung des Kapitalcharakters des zinstragenden Kapitals aus. Erst mit der schließlichen Transformation einer derartigen sozialistischen Marktwirtschaft in Richtung kommunistischer Verteilungsformen und der tendenziellen Überwindung der Ressourcenknappheit würde das Geld zu dem, was ihm die bürgerliche Ökonomie seit jeher angedichtet hat, nämlich zu einem technischen Hilfsmittel des gesellschaftlichen Verkehrs; ein Bezug zu einem gegenständlichen Äquivalent mit Selbstwert ist erst dann endgültig obsolet geworden (vgl. Krüger 2015).

Literatur

Ganßmann, H. (2015): Geld als Fiktion? Warum Geld kein Kredit ist und das Publikum so schwer von seiner Stabilität zu überzeugen ist; in: Prokla 179, 45. Jahrgang, Nr. 2/2015

Hahn, A. (1930): Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits, Tübingen

Herr, H. (1986): Geld, Kredit und ökonomische Dynamik in marktvermittelten Ökonomien – die Vision einer Geldwirtschaft, München

Herr, H. (1992): Geld, Währungswettbewerb und Währungssysteme. Theoretische und historische Analyse der internationalen Geldwirtschaft, Frankfurt/New York

Keynes, J.M. (1930): A Treatise an Money; deutsch: Vom Gelde, Berlin 1931

Krüger, S. (2010): Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Langfristige Entwicklung und industrieller Zyklus, Hamburg

Krüger, S. (2012): Politische Ökonomie des Geldes, Gold, Währung, Zentralbankpolitik und Preise, Hamburg

Krüger, S. (2015): Wirtschaftspolitik und Sozialismus. Vom politökonomischen Minimalkonsens zur Überwindung des Kapitalismus, Hamburg (erscheint Oktober/November 2015)

MEGA II.5: K. Marx, Das Kapital, Zur Kritik der politischen Ökonomie, I. Bd.: Der Produktionsprozeß des Kapitals, I. Auflage, Berlin

MEW 23: K. Marx, Das Kapital, Zur Kritik der politischen Ökonomie, I. Bd.: Der Produktionsprozeß des Kapitals, in: MEW, Bd. 23, Berlin (DDR) 1971

MEW 25: K. Marx, Das Kapital, Zur Kritik der politischen Ökonomie, III. Bd.: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion, herausgegeben von F. Engels, in: MEW, Bd. 25, Berlin (DDR) 1970

Müller, K. (2015): Zentralbanken: Überschätzte Steuerungsfähigkeit? In: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 102, Juni 2015

Riese, H. (1986): Theorie der Inflation, Tübingen

Scherrer, C. (2015): Auspolierte Kratzer. Das US-Finanzkapital: Durch mehr Regulierung weiter hegemonial? in: Prokla 179, 45. Jahrgang, Nr. 2/2015

Schumpeter, J. (1934/1964): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin

Stützle, I. (2015): Der Gott der Waren. Die ökonomische Theorie und ihr Geld; in: Prokla 179, 45. Jahrgang, Nr. 2/2015

Zeise, L. (2015): Die Macht der Notenbanken; in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 102, Juni 2015)

[1] Dieser Aufgabe sind die Schwerpunkte der jüngsten, im Juni erschienenen Hefte der Prokla (Nr. 179, Illusion und Macht des Geldes) und der Zeitschrift Z (Nr. 102, Geldpolitik und Zentralbanken) gewidmet, mit denen sowohl grundlegende Fragen des Geldes im Kapitalismus thematisiert als auch die Rolle der Zentralbanken vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise von 2007/08 und ihrer Weiterungen erörtert werden. Neben der Marxschen Theorie liegt dabei der Zugang in einigen Aufsätzen auch bei Keynes, insbesondere seinen in der ‚Treatise on Money‘ (vgl. Keynes 1930) getroffenen Aussagen.

[2] Vgl. Stützle 2015: 192: „Als Steuerstaat verleiht der Staat dem Geld in Form der Zwangsabgabe eine besondere gesellschaftliche Geltung, weil er es als Steuerabgabe akzeptiert.“ Ganßmann kritisiert bei Keynes zu Recht, dass dieser sich nicht um die gesellschaftstheoretischen Grundlagen der Geldverhältnisse schert, sondern Geld einfach anhand der Funktionen von Rechengeld (‚money of account‘) und real fungierendem Geld (‚money itself‘) – zudem in dieser Reihenfolge – einführt (vgl. Ganßmann 2015: 200f.). Seine eigene Lösung ist aber enttäuschend: Geld als soziale Tatsache setzt staatlich verordnete Geltung voraus und muss Stabilität aufweisen. Diese wird nicht durch Bezug zu einer Naturbasis (= Gold) gewährleistet, sondern im inkonvertiblem Repräsentativgeld durch ‚Good Governance‘: „Die Stabilität von Kaufkraft und Wechselkursen muss durch politisch eingesetzte Organisationen aufrechterhalten werden, die in das Marktgeschehen intervenieren, nicht mehr durch Bezug zu einer Naturbasis. … Wenn man das Publikum nicht mehr zu dem Glauben bringen will, dass ‚green cheese‘ praktisch das Gleiche sei wie eine Goldwährung, weil das Vertrauen in eine Goldwährung schon immer fehlgeleitet war, geht es anders als noch für Keynes lediglich (sic!) darum, ihm die Vorzüge einer politisch basierten, gut konstruierten und regulierten Geldordnung nahezubringen.“ (Ib.: 215) Der Schluss ist ein ‚typischer Ganßmann‘: „Dazu gehört nicht zuletzt die Einsicht, dass auch eine solche Ordnung keine durchgängige Stabilität gewährleistet. Ein Geldsystem ohne Krisen ist nicht machbar.“ (Ib.) Wohl wahr!

[3] In einem wohltuenden Gegensatz zu diesem ‚Keynes-Schumpeter-Mix‘ steht der Beitrag von Klaus Müller (vgl. Müller 2015), der den Zugang zur Analyse der Geldpolitik der Zentralbank korrekt von der Marktseite her bestimmt, den Transformationsprozess der geldpolitischen Einflüsse mit seinen indirekten und offenen Flanken auffasst und daher auch zu einer deutlichen Relativierung der Macht der Zentralbanken gegenüber den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Akkumulation kommt. Teilweise bei Müller noch fehlende Differenzierungen und Ergänzungen versuche ich mit dem vorliegenden Text anzudeuten.

[4] Vgl. dazu ausführlich Herr 1986: 26ff. sowie ders. 1991: 49ff. im Anschluss an Riese 1986.

[5] Es ist davon auszugehen, dass einige Verfechter der Abschaffung von Bargeld nicht nur die bei vollständiger Depositenzahlung der Möglichkeit nach totale Transparenz der Geldbewegungen für die Steuerbehörden im Visier haben, sondern auch die Erschließung zusätzlicher Geldschöpfungsmöglichkeiten durch die – im Gleichschritt erfolgende – Kreditschöpfung des Bankwesens. Jedoch bleibt auch bei vollständiger Abwicklung des Zahlungsverkehrs durch Depositenübertragung die qualitative Differenz zwischen Zentralbankgeld als Bankreserve und Bankdepositen erhalten.

[6] Für das heutige Repräsentativgeld ist für den aus Zentralbankgeld bestehenden Teil (Banknotenumlauf) folgende Unterscheidung wesentlich, die grundsätzlich auf Marxsche Geldbestimmungen zurückgeht, obwohl er zu seiner Zeit noch unentwickeltere Formen der Umlaufsmittel und seiner Zirkulationskanäle sowie des Bankensystems vor Augen hatte. Die Zentralbanknoten sind von ihrer Genesis her Kreditgeld, welche sich als inkonvertible Noten Merkmale des bloßen Wertzeichens assimiliert haben. Dies zeigt sich anhand ihrer Zirkulationsformen: Das Zentralbankgeld besteht erstens aus der Wertzeichenzirkulation, deren Umfang bestimmt ist zum einen durch die sog. Erstausstattung bei Währungsreformen und/oder Neuschöpfungen auf Basis von Währungsreserven. Sodann variiert diese Wertzeichenzirkulation in Abhängigkeit von Saldo der nationalen Devisenbilanz als Gegenbuchung der gesamten Außenwirtschaftstransaktionen eines Landes, wodurch dessen zentrale Währungsreserven zu- oder abnehmen. Der zweite Teil der Zentralbankgeldmenge wird durch die Kreditgeldzirkulation dargestellt; er wird beständig auf- und abgebaut durch die Offenmarktgeschäfte als Pensionsgeschäfte der Zentralbank mit den Geschäftsbanken. Die Haupt- und Spitzenrefinanzierungsfazilitäten der Europäischen Zentralbank haben regulär eine Laufzeit von 1 bzw. 3 Monaten; die Kreditgeldzirkulation gehorcht dem sog. Refluxgesetz und stellt somit im Unterschied zur Wertzeichenzirkulation einen revolvierenden Fonds dar. Über die Leitzinsen sowie Mengenkontingentierungen und Ankaufsbedingungen der Offenmarkttitel wirkt die Geldpolitik der Zentralbank auf den Umfang dieser Kreditgeldzirkulation ein und versucht somit die gesamte Zen­tralbankgeldmenge und weiter die Gesamtgeldmenge (M1 bis M3, d.h. inkl. der Bankdepositen verschiedener Fristigkeiten) zu steuern (vgl. dazu sowohl theoretisch wie empirisch-statistisch für die BRD/Bundesbank (1950-1998) sowie die EZB (ab 1999) Krüger 2012: 82ff., 440ff., 491ff.).

[7] Dies ist die Gegenthese zu der von Zeise vertretenen Auffassung, die die Geldpolitik einseitig an Zinspolitik bindet und die Refinanzierungspolitik mit direkter Mengenbeeinflussung der (neu geschöpften) Zentralbankgeldmenge (Kreditgeldzirkulation) sowie ein etwaiges nachträgliches Einsammeln von Zentralbankgeld negiert. Abgesehen von den Sonderbedingungen des Quantitative Easing (s.u.) ist es falsch, dass die Notenbanken „in der Regel und grundsätzlich … den Refinanzierungsbedarf der Geschäftsbanken (erfüllen), also den Bedarf an gerade fälliger Liquidität.“ (Zeise 2015: 15) Im Ergebnis ergibt sich eine deutliche Relativierung der Steuerungspotenz der Zentralbank. Die Titulierung der Geldpolitik, ob als ‚Geldmengensteuerung‘ (Deutsche Bundesbank) oder Refinanzierungspolitik mit Zins- oder Mengentender (Europäische Zentralbank) ist dabei nachgeordnet.

[8] Jedes Repräsentativgeld bedarf einer Denomination als Geld, wodurch allererst seine Funktion als Wertmaß hergestellt wird. Dies ist, wenn man Marx folgt, d.h. auf Basis der Werttheorie, keineswegs identisch mit dem staatlichen Zwangskurs, mit dem die gesellschaftliche Akzeptanz des Geldes befestigt wird, wie der oben zitierte Stützle nahegelegt hatte (vgl. Fn 2). Die ursprüngliche Denomination jedes Repräsentativgeldes erfolgt(e) durch die Geldware Gold in Gestalt ihres Repräsentationsverhältnisses als Goldzeichen. Mit der Goldinkonvertibilität des Repräsentativgeldes wird dieses ursprünglich wertbestimmte Repräsentationsverhältnis als Preisgröße über die Geldpolitik der Notenbank fortgeschrieben; Ziel ist die Sicherung der Kaufkraft einer Geldeinheit am Warenmarkt (ggf. inkl. einer Zielinflationsrate). Die jeweils aktuelle Einjustierung der Wertmaßfunktion des Repräsentativgeldes erfolgt sodann über den Außenwert der nationalen Währung und mengenmäßig über die Wertzeichenzirkulation in Abhängigkeit vom Stand der nationalen Zahlungsbilanz. Das Zentralbankgeld der Wertzeichenzirkulation wiederum denominiert den anderen Teil der Zentralbankgeldmenge, der Kreditgeldzirkulation darstellt und über den die Geldpolitik der Zentralbank exekutiert wird. Das so gesamthaft denominierte Zentralbankgeld wiederum denominiert die Bankdepositen, die es ersetzen. Eine auf der Werttheorie gegründete Geldtheorie enthält somit eine Menge von Vermittlungsgliedern und ist um einiges komplizierter als die bloße Beschreibung oberflächlicher Erscheinungsformen.

[9] Die auf Irving Fisher zurückgehende Quantitätsgleichung des Geldes Q x P = M x v (mit Q als ‚Realprodukt‘, P allgemeinem Preisniveau, M als Geldmenge und v als Geldumlaufgeschwindigkeit) ist somit als ∑WP = M x v zu reformulieren, wenn ∑WP die Summe der in einer Periode (1 Jahr) zu zirkulierenden Warenpreise bezeichnet. Zugleich wird mit dieser Gleichung eine Kausalbeziehung ausgedrückt, die grundsätzlich ‚von links nach rechts‘ verläuft. Erst auf dieser Grundlage spielt eine genuin monetäre Wirkung ‚von rechts nach links‘, die durch die Wertzeichenzirkulation hervorgerufen wird, weil sie ihren Umfang nicht kurzfristig an die Größe der zu zirkulierenden Warenpreissumme anpasst – im Unterschied zur Kreditgeldzirkulation, die dem Refluxgesetz unterliegt bzw. den durch Kreditschöpfung konstituierten Bankdepositen. Um die Umsätze in fiktivem Kapital an den Finanzmärkten zu berücksichtigen, ist die gegebene Gleichung um ∑PFK und auf der rechten Seite die Geldmenge um die von Keynes so genannte Spekulationskasse zu erweitern.

[10] Herr geht dabei so weit, dass das Aktivgeschäft der Banken den ökonomischen Expansionsprozess selbst unter der Extrembedingung einer Bargeldabflussquote von 100 Prozent dominieren würde (vgl. Herr 1992: 55).

[11] Anstatt den privaten Konsumkredit für laufende Anschaffungen über Kreditkarten, für Auto- oder Häuser- und Wohnungskäufe der Privathaushalte zu mobilisieren, wäre es viel naheliegender und erfolgversprechender, wenn über den öffentlichen Kredit eine staatliche Stützung und teilweise Übernahme von Investitionen direkt Wertschöpfungsprozesse ohne Rücksicht auf zunächst bestehende Verwertungsblockaden für privates Kapital bewerkstelligen oder in Gang gesetzt würde. Dies setzt aber ein Konzept von makroökonomischer Strukturpolitik voraus, welches den Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise, insbesondere ihrer Ausprägung als Finanzmarktkapitalismus, überschreitet.

[12] Als einzige weitere Steigerungsmöglichkeit ergäbe sich für die Geldpolitik nur noch die direkte Staatsfinanzierung durch Übernahme öffentlicher Schuldtitel nicht am Sekundär-, sondern am Emissionsmarkt. Diese teilweise bei Vertretern (bastard-) keynesianischer Auffassung beliebte Form der Staatsfinanzierung stuft nicht nur die Zentralbank zu einer staatlich nachgeordneten Währungsbehörde herab, sondern schafft auch alle vorliegend aufgeführten Problemtatbestände in Bezug auf ein funktionsfähiges Geldwesen, nur noch schneller als die im bisherigen Rahmen bleibende Politik des Quantitative Easing.

[13] Mit diesen Maßnahmen stellt die Zentralbank (EZB) den Geschäftsbanken entweder direkt durch langfristige Offenmarktoperationen oder Wertpapierankäufe am Kapital-Sekundärmarkt Zentralbankgeld zur Verfügung. Zwar geschieht dies unter der Form der Kreditgeldzirkulation, faktisch handelt es sich jedoch um längerfristig in der Zirkulation verbleibendes Zentralbankgeld, welches als Quasi-Kreditgeld monetär die gleichen Wirkungen entfaltet wie die Wertzeichenzirkulation.

[14] Vgl. für die USA hierzu den instruktiven Aufsatz von Scherrer (2015).

[15] Vgl. zur ausführlichen Darstellung in Krüger 2012: 191ff. und passim. Damit wird der alternative Zugang gegenüber dem Ansatz der ‚monetären Werttheorie‘ expliziert.