Mit 100.000 Traktoren sind in den vergangen Wochen Landwirt*innen gegen die Streichung der Agrardieselsubvention und ganz allgemein gegen die Ampel auf die Straße gegangen. Unter Koordination des Deutschen Bauernverbands wurden Straßen blockiert und Innenstädte lahmgelegt. Den Protesten wurde vorgeworfen, von rechts unterwandert zu sein. Zumindest das AfD Logo fiel Beobachter*innen der Demos auch bei näherer Betrachtung schnell ins Auge. Auffallend war in vielen Orten aber vor allem das Fehlen Linker auf den Demos. Dabei wird das ewig angespannte Verhältnis Linker zu den Bauern deutlich. Gegen liberale Kürzungspolitik zustehen ist logisch, gleichzeitig ist kein nachhaltiges Bündnis von Sozialist*innen und der Bauernschaft in Aussicht.
Als Karl Marx sich der Bauernfrage widmete, machte er die Bauern als Klasse zwischen den Klassen aus. »Wie verhält es sich«, fragt er, »mit selbständigen Handwerkern oder Bauern, die keine Arbeiter anwenden, also nicht als Kapitalisten produzieren?« Sie sind Warenproduzenten und »es ist möglich, dass diese Produzenten, die mit eignen Produktionsmitteln arbeiten, nicht nur ihr Arbeitsvermögen reproduzieren, sondern Mehrwert schaffen«, indem sie »ihre eigne Surplusarbeit« sich aneignen. Das können sie nur, weil sie selbst Besitzer ihrer Produktionsmittel sind. Letztere sind kein Kapital, werden aber »als Kapital aufgefaßt« und der »unabhängige Bauer … wird in zwei Personen zerschnitten«, er ist »in sich selbst gespalten, so daß er als Kapitalist sich selbst als Lohnarbeiter anwendet«. (MEW 26.1, 382ff)
Das gilt auch für die Masse der heutigen Bauern mit Hof, Land, Maschinenpark, Viehbesatz als Produktionsmitteln und der eigenen Arbeitskraft und der ihrer Familie (»Mithelfende«) – sofern sie nicht Agrarkapitalisten sind mit Großflächen und ausgebeuteten Arbeitskräften – dauerhaft angestellt oder als Saisonarbeitskräfte.
Marx ging davon aus, dass die Bauernschaft im Kapitalismus eines von zwei Schicksalen ereilen würde: »…der Bauer, der mit seinen eigenen Produktionsmitteln produziert, wird sich entweder nach und nach in einen kleinen Kapitalisten verwandeln, der auch fremde Arbeit exploitiert, oder er wird seiner Produktionsmittel verlustig gehn und in einen Lohnarbeiter verwandelt werden. Dies ist die Tendenz in der Gesellschaftsform, worin der Kapitalismus vorherrscht.« (ebd.: 384)
Ein Blick in die Geschichte der BRD zeigt, wie sich die Verhältnisse in der Landwirtschaft seit den 1950er Jahren zuspitzten. Bis 1970 ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 700 Tsd. zurück. Das setzte sich bis etwa 2010 fort und stagniert seitdem mit leichter Tendenz nach unten. Von 900 Tsd. Höfen Mitte der 70er Jahr sind heute – inkl. Ostdeutschland – noch 260 Tsd. übrig, wie man dem Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2023 (13ff.) entnehmen kann. Bei etwa gleichbleibender Agrarfläche findet ein deutlicher Konzentrationsprozess statt: Die Zahl der Betriebe mit mehr als 100 Hektar Fläche nimmt zu, die kleineren nehmen ab. Über 100 Hektar hatten 2020 weniger als 16 Prozent der Betriebe, aber fast zwei Drittel der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschafteten.
Die traditionellen kleinbetrieblichen Strukturen, in denen Besitzer und Familie selbst für einen Großteil der Arbeitskraft verantwortlich sind, sind zwar rückläufig, aber auf sie entfällt immer noch etwa die Hälfte der in der Landwirtschaft Tätigen. Von den 940 Tsd. Landwirtschaftlichen Arbeitskräften waren im Jahr 2000 46 Prozent Familienarbeitskräfte, 29 Prozent Saisonarbeiter*innen und 24 Prozent dauerhaft abhängig Beschäftigte, letztere deutlich zunehmend. Rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind dabei Nebenerwerbsbetriebe von kleinen »Mondscheinbauern«, die tagsüber einer Lohnarbeit nachgehen und bei denen weniger als die Hälfte des Einkommens auf Landwirtschaft entfällt. Sie stellen auch die Masse der Betriebsaufgaben.
Auffallend sind die deutlichen Unterschiede zwischen West und Ost: Betriebe in den neuen Bundesländern sind im Durchschnitt mehr als 200 Hektar groß, während Höfe im Westen im Schnitt weniger als 50 Hektar haben. 1,7 Millionen Hektar (94 Prozent) der Landfläche, die in der Hand von Unternehmensgruppen ist, liegen im Osten (Agrarpolitischer Bericht). Das hängt natürlich mit der Umwandlung der ehemaligen großflächigen LPGs der DDR zusammen, die zu großen Teilen in Besitz von Genossenschaften (GmbH’s, incl. Pachtland) oder in kapitalistisches Eigentum übergingen.
Kommen wir auf Karl Marx zurück. Der selbstständige Bauer als kleiner Warenproduzent produziert selbst seinen Mehrwert. Grundlage ist sein privates, persönliches Eigentum an den agrarischen Produktionsmitteln. Das ist seine Existenzgrundlage, die er verteidigt. Er hat daher keinerlei Interesse daran, das Privateigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen. Auch wenn die Entwicklung des Kapitalismus den Bauer verarmt, braucht er das Recht auf Bodeneigentum und sieht, im Gegensatz zu Marx, das Problem in der Konzentration und nicht im Prinzip des privaten Eigentums.
Im heutigen Kapitalismus steht der Bauer, wenn man von der Selbstvermarktung absieht, Abnehmern seiner Produkte und Lieferanten seiner Produktionsmittel gegenüber, die zumeist viel mächtiger sind als er: Nahrungsmittel- und Handelskonzerne einerseits, Saatgut-, Düngemittel-, Futtermittel- und Maschinenhersteller andererseits. Die Schere zwischen landwirtschaftlichen Erzeuger- und Betriebsmittelpreisen macht ihm das Leben schwer. Zwischen 2015 und 2020 stieg nach Angaben des Stat. Bundesamtes der Erzeugerpreisindex für landwirtschaftliche Produkte um8 Punkte (von 92,6 auf 100), der Einkaufspreisindex für landwirtschaftliche Betriebsmittel dagegen um 42 Punkte (von 100 auf 142,4). Im Durchschnitt stammt heute nur etwas mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Einkommen aus der Vermarktung der Agrarprodukte; der Rest entfällt auf Subventionen zur Stützung einer Landwirtschaft, die in großen Teilen von ihren Erlösen sonst nicht existieren könnte. Da diese Subventionen zum größten Teil (etwa 70 Prozent) Flächenprämien darstellen, kassieren die Großbetriebe auch den Löwenanteil davon: In den letzten Jahren erhielt das oberste Prozent der Empfänger fast ein Viertel aller Subventionen (darunter z. B. auch Betriebe der Aldi-Stiftung), die untere Hälfte dagegen weniger als 10 Prozent. Angesichts dieser Zwänge, unter denen die Agrarbevölkerung heute wirtschaftet und ihre Existenz zu behaupten sucht, wird schnell klar, dass die Kürzung der Dieselsubventionen mehr der Anlass als die eigentliche, tiefer liegende Ursache der aktuellen Bauernproteste gegen die Ampel ist.
Als unumgänglich stufte Marx das Bündnis mit den Bäuerinnen und Bauern ein – eine Revolution sei nicht gegen die Bauern durchzusetzen, man müsse, »wo der Bauer massenweise als Privateigentümer existiert, … Maßregeln ergreifen, wodurch der Bauer seine Lage unmittelbar verbessert findet, die ihn also für die Revolution gewinnen…« (MEW 18: 632f.)
Die Bauern – so zeigt die Wahlforschung – stehen im offensichtlichen Konflikt zwischen der woken Großstadt und dem konservativen Land. Sie präferieren die Eigentumsparteien CDU/CSU und FDP. Zunehmend spielt aber die Ökologie eine große Rolle: Im Klimaschutz fallen Landwirt*innen wieder in eine Mittelrolle. Die Landwirtschaft ist (noch) sehr emissionsintensiv, gleichzeitig sind sie die ersten, die die Folgen der Klimakrise in ihrer Wirtschaft zu spüren bekommen. Reaktionäre Antiklima-schutz-Parteien finden auf den Demos Gehör, können sich aber vor allem öffentlich gut bekennen. Natürlich sind die anti-ökologischen Forderungen vieler Bauern (gegen die Begrenzung von Chemie und andere Umweltauflagen) im Prinzip nicht akzeptabel, aber man wird sie für eine ökologische Um-orientierung der Agrarproduktion nur gewinnen können, wenn man ihnen zugleich eine existenzsichernde Perspektive bietet.
Die Lage der Landwirtschaft wird massiv durch die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU bestimmt. Gefördert werden vor allem jene, die bereits große Grünflächen und diversifizierten Anbau nachweisen können, was kleinen Betrieben die Transformation erschwert. Die EU richtet Betriebe so auf stärkere Konkurrenz untereinander aus und die Übernahme durch Unternehmensgruppen wird attraktiver. Die Proteste richten sich im Kern gegen diese konkreten Maßnahmen, mit denen die EU und die Bundesregierung gerade die kleinen Betriebe drangsalieren. Hier ist Solidarität der Linken angesagt.