Wenn es nach dem Willen des israelischen Premiers Netanjahu geht, so sollen die mit aktiver US-amerikanischer Unterstützung jüngst geführten Kriege Israels als Ausgangspunkt für die Neugestaltung der nah- und mittelöstlichen politischen Landkarte dienen. Unter der Führung des US-Präsidenten – so von ihm in dessen Beisein am 7. Juli im Weißen Haus postuliert -, würde dadurch nun die Chance gegeben sein, einen umfassenden Frieden in der Region zu schaffen. Eine inzwischen in Israel formal als zivilgesellschaftliche Organisation gebildete »Koalition für Regionale Sicherheit« hat sich dementsprechend zur Aufgabe gemacht, mittels eines eigens dazu unter dem Titel «Abraham Shield« vorgelegten Planes fleißig die Werbetrommel dafür zu rühren. Erklärtermaßen fußend auf dem Grundsatz, wonach es historische Mission des Staates Israel sei, »die gewaltigen militärischen Errungenschaften in einen politischen Wendepunkt umzuwandeln«1. Zentral bei alledem ist das weitere Vorantreiben der von Trump während seiner ersten Amtszeit unter dem Namen »Abraham Accords« initiierten Kampagne zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten. Bei der es jedoch vom Kern her darum gehen soll, die bislang ungelöste Palästinafrage endgültig von der politischen Agenda verschwinden zulassen. Sowie gleichzeitig eine Anti-Iran-Koalition zu schmieden; zumindest so lange, wie sich dort das als missliebig eingestufte Mullah-Regime an der Macht hält.
So gesehen, ließe sich diese von Trump und Netanjahu nunmehr angestrebte regionale Neukalibrierung auch als Versuch werten, jene im Ergebnis des ersten Weltkrieges und des damit einhergehenden Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches entstandene und die Region bis heute nachhaltig prägende Ordnung zu vollenden. Gemeint ist die von der damaligen Kolonialmacht Großbritannien 1917 gegenüber der zionistischen Bewegung gegebene Zustimmung, auf dem Boden des historischen Palästinas eine nationale Heimstatt für in Europa diskriminierte und verfolgte Juden errichten zu können. Diese seither als Balfour Deklaration firmierende und an damaligen britischen Interessen ausgerichtete Festlegung fungiert im Verständnis heutiger israelischer zionistischer Machteliten als erstes wichtigstes Staatsgründungsdokument. Als Beleg dafür, dass auf dem Boden des historischen Palästinas für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes eigentlich kein Platz ist. Gar nicht zu reden davon, dass religiöse Zionisten diesen Anspruch noch mit der Bibel zu begründen suchen und darin von Evangelikalen in den USA besonders vehement unterstützt werden.
Anstatt in der Palästinafrage wie im Verhältnis zum Iran nach einem fairen Interessenausgleich auf der Basis der friedlichen Koexistenz zu suchen, sollen also unter Nutzung von Erfolgen auf dem Schlachtfeld neue Kräftekonstellationen verankert werden. Oder anders gesagt: Die im Ergebnis dieser Kriege erfolgte Schwächung der mit Iran in der so genannten Widerstandsachse verbündeten islamistischen Gruppierungen, darunter insbesondere Hamas und Hizbullah, sowie von Iran selbst, soll dazu genutzt werden, die Vormachtstellung von USA und Israel in der Region nachhaltig zu zementieren. Was zugleich auch noch für die Geopolitik von erheblicher Relevanz ist. Offenkundig gilt die Region aus Sicht von Trump auch in der sich multipolarer ausrichtenden Welt für die USA nach wie vor als vitale Interessensphäre. Und dies erklärt sich allein schon im Hinblick auf die künftigen Auseinandersetzungen mit China und BRICS, die beide gerade auch hier wachsenden Einfluss gewinnen und hohes Ansehen genießen. Ebenso scheint es, dass Israel weiterhin wichtigster Verbündeter der USA in der Region bleibt und unter der Trump-Administration Bereitschaft besteht, Israels auch territoriale Erweiterungsinteressen realisieren zu helfen. Manche einschlägigen Analysten sehen dies alles bereits als eine Bestätigung für »die zentrale Rolle der Vereinigten Staaten als dominierender politischer und militärischer Faktor in der Region«2.
Allerdings sollten die Begleitumstände dieser Kriege, die sowohl aus regional- als auch geopolitischer Sicht äußerst gravierend sind, in ihren Wirkungen nicht unterschätzt werden. So muss sich erst noch zeigen, inwieweit es den USA und Israel tatsächlich gelingt, sich mit ihrem Kurs durchzusetzen. Was für sie wohl jedoch in erster Linie hieße, die Normalisierung der Beziehungen Israels zu den arabischen Staaten, darunter an erster Stelle zu Saudi-Arabien sowie überdies zu Syrien und Libanon, voranzutreiben.
Nolens volens werden USA und Israel jedoch nicht umhin kommen zu konstatieren, dass gerade wegen dieser Kriege ihr Ansehen stark gelitten hat. Dass nicht nur in der arabischen Welt, sondern im gesamten globalen Süden ihre Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht und anderen internationalen Normen als Ausdruck westlicher Vorherrschaft sowie als Missbrauch des Rechts des Stärkeren angesehen wird. Wie sie sich ebenso damit zu konfrontieren haben, dass sich gegen diese Kriege speziell auch auf Staatenebene in der Region deutlicher Widerstand geregt hat. Noch umso mehr angesichts des brutalen, jegliches humanitäres wie internationales Recht verletzenden israelischen Vorgehens, einschließlich des Einsatzes von Hunger als Waffe. Nahezu unisono ist der von Israel im Gaza-Streifen geführte Krieg als Völkermord verurteilt sowie dessen Krieg gegen Iran als völkerrechtswidrig zurückgewiesen worden. Gleichzeitig ist die Palästinafrage als Schlüsselglied für Frieden und Stabilität in der Region einhellig bekräftigt worden. Ägypten und Jordanien wehren sich mit Vehemenz gegen Versuche seitens Israels und den USA, Palästinenser, die in großer Masse vertrieben werden sollen, bei sich anzusiedeln. Dem Plan von Trump, den Gaza-Streifen zu übernehmen und ihn in eine Riviera des Nahen Ostens umzuwandeln, ist die Arabische Liga unter ägyptischer Federführung mit einem Gegenkonzept begegnet. Selbst der von den USA ins Amt gehievte Präsident Libanons wendet sich bislang gegen den Druck auf sein Land, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Aber auch die neuen Machthaber in Syrien, obwohl sich diese in starker Abhängigkeit vom Westen sehen, können kaum akzeptieren wollen, dass Israel im Verlaufe dieser Kriege seine Kontrolle auch über den restlichen Teil der Golan-Höhen sowie über weitere rund 500 km² im Südwesten Syriens widerrechtlich ausgedehnt hat.
Hinzu kommt, dass die arabischen Staaten selbst inzwischen einen Kurs für die Region verfolgen, der im Widerspruch zum US-amerikanisch-israelischen Hegemoniegebaren steht. Vielmehr bekennen sie sich ausdrücklich zu den in der UN-Charta verankerten Grundprinzipien des internationalen Zusammenlebens und sprechen sich für Dialog und Diplomatie zur Lösung der Streitfragen aus. Ein von Saudi-Arabien initiiertes Komitee ist damit beauftragt, einen gangbaren Weg zu einer tragfähigen Lösung der Palästinafrage zu eruieren. Weil ansonsten, wie alle bisherige Erfahrung zeigt, jeglicher Frieden nur eine Ruhephase zwischen zwei Kriegen bedeuten würde. Dieser auf Dialog und Diplomatie orientierte Kurs innerhalb der arabischen Welt zeitigt bislang vor allem im Verhältnis zum Iran seine Früchte. Und zwar basierend auf dem durch China im März 2023 zwischen Saudi-Arabien und Iran vermittelten Aussöhnungsabkommen. Seither stehen nicht nur die Machteliten dieser beiden Länder in einem zusehends engeren Beziehungsverhältnis und Meinungsaustausch. Immerhin hat Saudi-Arabien, welches von Netanjahu als Schlüsselland für den angestrebten Frieden in der Region angesehen wird, Israel im Gaza-Krieg des Völkermordes beschuldigt sowie den Iran-Krieg als eklatanten Verstoß gegen die in der UN-Charta fixierten internationalen Normen verurteilt.
Alles in allem genommen lässt sich jedoch sagen, dass die sich auf globaler Ebene gegenwärtig verschärfenden Auseinandersetzungen um die Verfasstheit der internationalen Beziehungen, wie schon oft in der Vergangenheit, einen ihrer Hauptschauplätze in dieser Region haben und sich hier eine Dynamik abzeichnet, deren weitere Entwicklungsrichtung jedoch in vielerlei Hinsicht noch offen scheint.
1 Siehe dazu die Webseite der sich als neue israelische politische Sicherheitsinitiative verstehenden Koalition, abzurufen unter https://
abrahamshield.org/en/
2 Alieddin Hilal, Das zukünftige Gleichgewicht im Nahen Osten, abzurufen unter https://english.ahram.org.eg/News/549351.asp