Bei Erscheinen dieses Heftes werden die Ergebnisse der 30. UN-Klimakonferenz (6. bis 21. November 2025 in Belém, Brasilien) vorliegen. Im Vorfeld der Konferenz sehen die Perspektiven alles andere als erfreulich aus. Ein kurzer Blick auf Vorgeschichte und aktuellen Stand am Rande des klimatischen »Kipppunkts«.
Die vorkapitalistischen Gesellschaften der heutigen Warmzeit kamen in ihrem Naturverhältnis trotz großer regionaler Verheerungen – klassische Beispiele sind die Entwaldung des Mittelmeerraumes oder die Auslöschung einzelner bejagter Tierarten – mit den für ihre Existenz essentiellen Umweltbedingungen relativ gut klar. Die Natureingriffe und Stoffdurchsätze erreichten nirgendwo die Dimension großer Kreisläufe; die Naturquellen und Stoffsenken wurden nicht ausgereizt, sie konnten als freie Güter vernutzt werden. Die Umweltfrage war im Großen und Ganzen kein Problem. Das hat sich mit der großen Beschleunigung des Kapitalismus in wenigen Generationen radikal geändert. Die konkurrenzgetriebene und global keine Grenzen kennende Akkumulationsdynamik des Kapitalismus verlangt eben nicht nur ständig nach neuer Lohnarbeitskraft, sondern genauso nach Energie, Rohstoffen, Land und sonstigen Ressourcen einerseits sowie Stoffsenken für die Abfälle von Produktion und Konsumtion andererseits. Das um 1750 mit dem Frühkapitalismus und der Industrialisierung aufkommende Fortschrittsversprechen des Kapitals (Turgot) war auch daher von Anfang an janusköpfig, weil es mit dem Raubbau an den Naturgrundlagen der Gesellschaft untrennbar verbunden ist. Wer sich die Umweltfolgen der großen Beschleunigung optisch vergegenwärtigen will, studiere die 24 Grafiken im jüngsten Club of Rome-Bericht: Sie zeigen die Dynamik von Bevölkerung, BIP, Kapitalexport, Energieverbrauch, Verkehr, von stratosphärischem Ozon, CO₂-Emissionen und atmosphärischer CO₂-Konzentration, von Oberflächentemperatur der Erde, Landverbrauch, Verlust von tropischem Regenwald, Versauerung der Ozeane, Papierproduktion, Garnelenzucht, Tourismus u.a.m. Alle Tabellen nehmen das Jahr 1750 zum Ausgangspunkt.1
Energetisch ist die Welt ein offenes System, dem ständig von außen Strahlungsenergie zugeführt wird. Die ganze Biosphäre lebt von der photosynthetischen Nutzung dieses Energieinputs, die mit CO₂-Fixierung und -Freisetzung durch Veratmung der Biomasse verbunden ist. Die vorkapitalistische Energienutzung, z. B. auf Basis von Holzverbrauch, integrierte sich im Wesentlichen in diese photosynthetische Nutzung des Energieflusses und den damit verbundenen CO2-Kreislauf. Der ökologische Sündenfall der kapitalistischen Industrialisierung und der großen Beschleunigung bestand darin, die in Jahrmillionen fixierten fossilen und damit dem Kreislauf entzogenen photosynthesebasierten Energiequellen (den »unterirdischen Wald«) zu verfeuern. Die dabei freigesetzten CO₂-Emissionen wurden seitdem nur zu etwa einem Viertel von den Ozeanen und zu einem Drittel von der terrestrischen Biosphäre wieder absorbiert. Der größte Teil (43 Prozent) verblieb in der Atmosphäre und reicherte sich dort dank seiner hohen Stabilität als quantitativ bedeutsamstes Treibhausgas (THG) an. Seit 1750 ist die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre um etwa 50 Prozent gestiegen.
Mit den Folgen haben wir es heute zu tun. Die Deutsche Meteorologische Gesellschaft und die Deutsche Physikalische Gesellschaft haben Stand und Perspektiven der Veränderungen im Klimasystem in sehr prägnanter, unbedingt zur Lektüre empfohlener Form auf den Punkt gebracht.2 Sie konstatieren zunehmende Anzeichen dafür, dass die globale Erwärmung ungeachtet aller bisher ergriffenen Maßnahmen schneller als erwartet fortschreitet. 2023/2024 überstiegen die Temperaturen im globalen Jahresmittel erstmals den Wert von 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau; die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens könnte damit bereits überschritten sein. Für die Bundesrepublik stellen die Fachgesellschaften fest: Trotz Reduktion der THG-Emissionen seit 1990 würden die aktuellen Maßnahmen »nicht ausreichen, um die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes bis 2030 oder die Treibhausgasneutralität bis spätestens 2045 zu erreichen«. In Deutschland und international seien die zugesicherten Klimaschutzziele deutlich zu gering bemessen (»Ambitionslücke«) und die derzeitig umgesetzten und vorgesehenen Maßnahmen reichten nicht aus, um selbst diese zu gering bemessenen Ziele zu erreichen (»Umsetzungslücke«). Die Ambitionslücke führe bis zum Ende des Jahrhunderts »mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Erwärmung von 2 bis zu 5 Grad gegenüber den vorindustriellen Temperaturen, die Umsetzungslücke zu einer weiteren Erwärmung um einige Grad. Bereits bis 2050 besteht das Risiko einer Erwärmung um 3 Grad.« Beide Fachgesellschaften gehen wie der »Sachverständigenrat für Umweltfragen« davon aus, dass das mit Blick auf Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels noch legitime »CO₂-Restbudget« der Bundesrepublik bereits seit 2023 aufgebraucht ist. Sie verweisen auf drohende Kipppunkte und Rückkopplungseffekte, die – wenn sie erst einmal in Gang gesetzt sind – die Erderwärmung weiter ankurbeln (z. B. durch Methanemissionen aus Permafrostböden) und die Klimawandelfolgen verstärken. Zu nennen sind u. a. das Abschmelzen der polaren Eisschilde, die Erwärmung der oberen Schichten der Ozeane, die Abschwächung der Nordatlantik-Zirkulation/AMOC und das großflächige Absterben des Amazonas-Regenwaldes.Diese Entwicklung befördere unweigerlich die Zunahme von Extremwetterereignissen, von Hitzewellen, Wirbelstürmen, Waldbränden, Störungen des Wasserhaushalts, Überschwemmungen u.a.m. Der drastische Verlust der Artenvielfalt werde verstärkt. »Weltweit steigt das Risiko, dass Verarmung, Hunger, Fluchtbewegungen sowie gesellschaftliche und politische Instabilität weiter zunehmen.« Insgesamt droht, so die Fachgesellschaften, »eine fundamentale Änderung des Klimasystems.«
Zuzustimmen ist ihrer Feststellung: »Die oben aufgezeigten Zukunftsszenarien stellen kein unentrinnbares Schicksal dar, sondern sie können noch vermieden werden.« Zu Recht stellen sie fest, »dass Wege zu einer klimaneutralen Wirtschaft« bekannt seien. Im ersten Halbjahr 2025 lag der Anteil der im Inland produzierten und eingespeisten Strommenge aus erneuerbaren Energien bei 58 Prozent, wobei Wind und Photovoltaik die beiden Hauptquellen waren. Die THG-Emissionen der Bundesrepublik sind bei wachsender Wirtschaft von 1990 bis 2024 um 48 Prozent zurückgegangen. Beides zeigt, dass auch unter kapitalistischen Bedingungen dem Klimawandel entgegengearbeitet werden kann.
Aber: Die Maßnahmen kommen zu langsam und reichen nicht aus – gemessen an der gesetzlichen Vorgabe und dem Ziel Treibhausgasneutralität bis 2045 (wie die Fachverbände selbst feststellen); sie sind absolut zu langsam und zu wenig gemessen an der historischen Klimaschuld des deutschen Kapitalismus im Vergleich zum globalen Süden, die schon beim »fairen« CO2-Restbudget nicht in Rechnung gestellt wird. Darüber müsste die Linke mit den Physikern und Meteorologen diskutieren: Um wessen Interessen geht es beim Verlangen nach Revision der Klimaziele auf deutscher und EU-Ebene? Was kann gegen den Druck der Großindustrie aus Automobilwirtschaft, Chemieindustrie und Stahlbranche getan werden? Die fossile Großindustrie argumentiert mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit und fordert kostenlose Emissionsrechte, die Abschaffung von Ökosteuern und Energieabgaben, eine Verzögerung des Verbrennerverbots und eine Verwässerung staatlicher Klimaauflagen. Wer ist dafür verantwortlich, dass weder die Bundesrepublik noch die EU den nach dem Pariser Abkommen für die COP30 in Belém verpflichtenden Klimaplan für 2035 vorgelegt haben? Die Feststellung des klimapolitischen Notstands ist auch eine implizite Forderung nach radikalerer gesellschaftspolitischer Kritik, der sich die naturwissenschaftlichen Experten stellen müssten.
1 Sandrine Dixon-Declève u. a.: Earth for All, München 2022, S. 28/29.
2 Globale Erwärmung beschleunigt sich. Ein Aufruf zu entschlossenem Handel. Gemeinsamer Aufruf der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Juni 2025, 14 S.