Berichte

Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa

Tagung am 3. und 4. Dezember 2005 in Köln

März 2006

Was haben Republikaner in Deutschland, Front National in Frankreich, Vlaams Belang in Belgien und die neu konstituierte „Bewegung für die Zukunft Österreichs“ (BZÖ) außer ihrer rechtsextremistischen Ausrichtung gemeinsam? Sie alle treffen auf eine Situation der neoliberalen Globalisierung, in der wir es mit einem paradigmatischen Wechsel von Wirtschafts- und Sozialstaat hin zum Wettbewerbsstaat zu tun haben. Die Ausbreitung des Standortnationalismus und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche sorgen für ein gesellschaftliches Klima, an das rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig ist. Rechte Ideologen können so die soziale Frage ausgestalten, um dann mit Nationalismus, der Forderung nach einem starken Staat, Ausgrenzung und Rassismus scheinbare Lösungen der Probleme anbieten zu können. Damit wenden sie sich ebenso an diejenigen, die von Arbeitslosigkeit und Prekarisierungen von Arbeit und Alltag verunsichert sind (auch wenn sie selbst nicht betroffen sind) wie auch an jene, denen daran gelegen ist, im internationalen Wettbewerb zu bestehen und damit die eigenen Pfründe zu sichern. Konkurrenz und Profitmaximierung als zentrale gesellschaftliche Prinzipien führen dazu, dass nicht nur am rechten „Rand“ das Soziale zur Belastung und Ausgrenzung zur Normalität deklariert wird. Zugleich lässt sich ein zunehmender Autoritarismus in der gegenwärtigen kapitalistischen Phase feststellen, der das Erstarken der Rechten stützt.

Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in NRW und Berlin, der Vereinigten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL), Espaces Marx und weiterer KooperationspartnerInnen diskutierten mehr als 100 TeilnehmerInnen aus fünf Ländern Europas (Belgien, Frankreich, Niederlande, Österreich, Deutschland) über Schnittstellen, an denen sich neoliberale Maximen mit Kernelementen der modernisierten Rechten in verschiedenen europäischen Ländern treffen. Dies geschah zunächst im Plenum mit Eingangsreferaten von Jean-Yves Camus, European Center for the Study of Racism and Antisemitism (CERA), Paris, Christoph Butterwegge, Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt), Köln, und Alfred Schobert, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), dann in fünf thematischen Workshops und abschließend in einer Podiumsdiskussion zu „Handlungsperspektiven gegen Rechtsextremismus und Neoliberalismus in Europa“.

Lebhafte Debatten entwickelten sich vor allem in den Workshops. So informierte z.B. Michael Fichter (Freien Universität Berlin) in der Arbeitsgruppe „Gewerkschaften und die Rechte“ über Erkenntnisse einer aktuellen Studie. Als ein Ergebnis besagt sie, dass rechtsextreme Einstellungen unter Gewerkschaftern stärker als vermutet vorhanden sind. So seien etwa Forderungen nach einer rassistischen Abschottung im Sinne von „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ unter Gewerkschaftern verbreitet. Im Interesse der neoliberalen „Stärkung des Standorts Deutschland“ geben sie zunehmend eigene Klassenpositionen preis.[1]

Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit rechtsextremen Gesellschaftsentwürfen. Hier problematisierte Vincent Scheltiens aus Belgien die Politik von Vlaams Belang. Als Folge der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus sei Vlaams Belang mit 24 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten Partei in Flandern geworden. Mit ihrer flächendeckenden Struktur und offenen rassistischen Ideologie habe sie Einfluss auf große Teile der Arbeiterschaft und genieße zugleich Unterstützung von Unternehmern und Eliten. Während bürgerliche Politiker als einzige Gegenstrategie von „Blockade“ und „sich abwirtschaften lassen“ reden, führen linke und antifaschistische Kräfte eine offensive Auseinandersetzung mit den neoliberalen Populisten.

AktivistInnen gegen Rechtsextremismus stellten ihre Arbeit in der Gruppe „Alltag des Widerstands gegen rechte Denk- und Handlungsmuster“ vor. Olga Schell von der „Opferperspektive Brandenburg“ berichtete über die Arbeit der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. Diese ist aus einem ehrenamtlichen Projekt entstanden, das seit dem von der damaligen Bundesregierung initiierten „Aufstand der Anständigen“ im Jahre 2000 staatlich gefördert wird. Die AktivistInnen betreuen in erster Linie Betroffene, versuchen aber auch, als Nebenkläger in Gerichtsprozessen aufzutreten. Über Einsicht in die Akten sowie Frage- und Antragsrechte gelingt es, eine politische Dimension in die Prozesse einzubringen und so die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

Im Abschlussplenum wies Hermann Dworczak (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands Wien) darauf hin, dass die extreme Rechte schon intensiv europäisch zusammenarbeitet, zum Beispiel in der Vorbereitung auf die nächsten Wahlen des europäischen Parlaments. Angesichts der allgemeinen Ausgangssituation des neoliberalen Umbaus der europäischen Staaten und einer erstarkenden Rechten wird die Analyse sowie ein gemeinsames Vorgehen der Linken auf europäischer Ebene immer notwendiger, so Elisabeth Gauthier von Espaces Marx aus Paris.

Erste Schritte dazu ging man schon im direkten Anschluss an die Tagung: Beteiligte Aktive und WissenschaftlerInnen gründeten ein Netzwerk unter dem Namen „European initiative against modern right extremism and populism“. Darin sollen theoretische und praktische Arbeit in der Auseinandersetzung mit modernem Rechtsextremismus und -populismus zusammengeführt werden. Dies wird über die systematische Erfassung von Informationen und Forschung zum Thema Rechtsextremismus geschehen. Auf einer multilingualen Homepage wird das Wissen für ein vernetztes Wirken auf europäischer Ebene bereitgestellt werden. Geplant ist auch ein gemeinsames Seminar zum Thema beim nächsten Europäischen Sozialforum im Mai 2006 in Athen. Dem Netzwerk geht es vor allem darum, Möglichkeiten für ein gemeinsames Vorgehen bereitzustellen und damit als Theorie-Praxis-Schnittstelle politisch zu agieren.

[1] Vgl. hierzu: Julika Bürgin/Michael Ebenau, „… einfach eine gute Rechtsschutzversicherung…“. Gewerkschaften, Rechtsextremismus und nun? In: Z 64, Dezember 2005, S. 106-119.